Urteil des BFH vom 07.08.2008

BFH: Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bei behaupteter Verfassungswidrigkeit von Normen, Existenzminimum behinderter Menschen, familie, verfügung, einspruch, steuer

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 7.8.2008, III B 97/08
Anforderungen an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bei behaupteter Verfassungswidrigkeit von Normen -
Existenzminimum behinderter Menschen
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat am 10. Oktober 2006 wegen Einkommensteuer 2001 bis 2005 Klage
erhoben und beantragt:
2 "1. Es ist anzuordnen, dass das Finanzamt für die Jahre 2001 bis 2005 gemäß der Einsprüche pro Jahr 7 020 EUR als
außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anzuerkennen und die Steuerbescheide zu ändern hat. Hierbei handelt
es sich um den Einsatzbetrag für den behinderungsbedingten Kindesunterhalt, der dem BVerfG/Entscheidungen und
Existenzminimum nach §§ 41 ff. SGB XII entspricht, laufend erbracht wurde und wird. Ein amtlicher Nachweis hierüber
wurde dem Amt zur Verfügung gestellt.
3 2. Das Finanzamt ist rückwirkend und zukünftig zu verurteilen, sich an die gesetzlichen und höchstrichterlichen
Entscheidungen bei der Einkommensteuerveranlagung zu halten und nicht nach 'Gutdünken' und Bedenken zu
bescheiden. Gleichfalls ist es zu verurteilen, dass der Bürger nicht diskriminiert, erniedrigt und zum
Sozialhilfeempfänger degradiert wird ... ."
4 Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage als unbegründet ab. Hinsichtlich des
Streitjahres 2001 habe der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Einspruch des Klägers gegen
den Einkommensteuerbescheid zu Recht als unzulässig verworfen. Gemäß § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO)
könnten Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte änderten, nur insoweit angegriffen werden, als die
Änderung reiche. Hinsichtlich der Streitjahre 2002 bis 2004 habe das FA die Anträge des Klägers auf Änderung der
bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für diese Jahre zu Recht mangels Rechtsgrundlage abgelehnt. Es sei
insoweit nicht zu erkennen, dass der Kläger gegen die Einkommensteuerbescheide für 2002 und 2003 jeweils in der
Fassung der Bescheide vom 22. März 2005 sowie für 2004 Einspruch eingelegt habe.
5 Unabhängig von der Frage, ob jedenfalls die Einkommensteuerbescheide für 2002 und 2003 noch nach § 164 Abs. 2
AO änderbar seien, habe der Kläger keinen Anspruch auf den von ihm der Sache nach beantragten Abzug der von ihm
errechneten Beträge "von der Steuer". Aus diesem Grunde sei auch die gegen den Einkommensteuerbescheid für 2005
erhobene Klage unbegründet. Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums
werde bei zusammen veranlagten Ehegatten durch den doppelten Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 des
Einkommensteuergesetzes (EStG), das Existenzminimum eines Kindes einschließlich des Bedarfs für Betreuung und
Erziehung oder Ausbildung werde daneben gemäß § 31 EStG durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG oder durch
das Kindergeld bewirkt.
6 Daneben werde der Behindertenpauschbetrag des § 33b EStG gewährt für Aufwendungen, die einem behinderten
Menschen in Folge seiner Behinderung erwüchsen. Stehe der Behindertenpauschbetrag einem Kind zu, für das der
Steuerpflichtige einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhalte, so werde der Pauschbetrag auf Antrag auf den
Steuerpflichtigen übertragen, wenn ihn das Kind nicht in Anspruch nehme. Dann aber bestehe für Aufwendungen, für
die der Behindertenpauschbetrag gelte, daneben kein Anspruch auf eine Steuerermäßigung nach § 33 EStG (§ 33b
Abs. 5 Satz 4 EStG). Auch den Behindertenpauschbetrag habe der Kläger jeweils erhalten.
7 Die Freibeträge seien auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Grundfreibeträge dürften nach den Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Regelsätze der Sozialhilfe nicht unterschreiten. Diesen Vorgaben genügten
die Grundfreibeträge der hier streitigen Jahre. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die in § 32 Abs. 6
EStG gewährten Freibeträge in ihrer Höhe nicht den Vorgaben durch das BVerfG genügten. Die Höhe des
Behindertenpauschbetrages schließlich sei verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Da mithin das
Existenzminimum der Familie des Klägers bereits steuerlich freigestellt worden sei, sei für die begehrte, quasi
nochmalige Freistellung des Existenzminimums im Wege des zusätzlichen Abzugs von der Steuer oder --wie
ursprünglich beantragt-- im Wege der zusätzlichen Anerkennung berechneter Unterhaltsleistungen als
außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG kein Raum.
8 Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher
Bedeutung begehrt. Die angefochtene Entscheidung werde in seinem Fall den Vorgaben des BVerfG hinsichtlich der
steuerlichen Freistellung des Existenzminimums nicht gerecht. Das BVerfG habe in seinen Entscheidungen vom 10.
November 1998 2 BvR 1220/93 (BStBl II 1999, 193) und 2 BvR 1852/97 u.a. (BStBl II 1999, 194) klargestellt, dass das
sozialhilferechtliche Existenzminimum die Untergrenze des einkommensteuerrechtlichen Existenzminimums darstelle.
Der sich nach sozialhilferechtlichen Gesichtspunkten errechnende Betrag, welcher einer Familie zur Verfügung stehe,
habe damit steuerfrei zu bleiben und der Familie ungeschmälert zur Verfügung zu stehen. Die angefochtene
Entscheidung führe an, dass die Berücksichtigung der gesetzlich vorgesehenen Freibeträge diesem Anliegen gerecht
werde. Dies sei indes nicht der Fall. Die sozialhilferechtliche Berechnung der Einkommensgrenze habe ergeben, dass
das Familieneinkommen des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher Belastungen das Maß des
einzusetzenden Einkommens unterschreite und damit nicht zur Deckung des errechneten Existenzminimums
ausreiche. Soweit das FG in seiner Entscheidung darauf abhebe, mit der Gewährung pauschaler Freibeträge sei dieses
Ziel erreicht, übersehe es, dass ausweislich der sozialhilferechtlichen Berechnungen dem Kläger und seiner Familie
dieses Existenzminimum tatsächlich nicht zur Verfügung stehe. Im konkreten Einzelfall bleibe damit das
Existenzminimum des Klägers und seiner Familie nicht erhalten.
Entscheidungsgründe
9
II. Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
10 Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung wurde nicht in einer den Voraussetzungen
des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Art und Weise dargelegt.
11 1. Eine erfolgreiche Berufung auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung erfordert die substantiierte
Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall
voraussichtlich auch klärbar ist. Dazu hat sich der Beschwerdeführer insbesondere mit der Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit veröffentlichten Verwaltungsmeinungen
auseinander zu setzen. Wird --wie im Streitfall-- die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so sind zur
substantiierten Darlegung darüber hinaus an den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes orientierte
Ausführungen unter Einbeziehung der Rechtsprechung des BVerfG
12 erforderlich (BFH-Beschluss vom 27. Februar 2008 VI B 59/07, BFH/NV 2008, 981).
13 2. Diesen gesetzlichen Anforderungen einer substantiierten Darlegung genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der
Kläger hat weder eine abstrakte Rechtsfrage aufgeworfen noch deren Klärungsbedürftigkeit im Interesse der
Allgemeinheit dargelegt. Auch gehen die Beteiligten davon aus, dass die Entscheidung des FG dem EStG entspricht.
Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde dahingehend verstanden werden kann, dass es aus verfassungsrechtlichen
Gründen geboten sei, das Existenzminimum behinderter Menschen höher anzusetzen als das nicht behinderter, hätte
sich der Kläger damit auseinander setzen müssen, woraus sich eine solche Forderung ergibt, in welcher Weise das
EStG die Sonderbedürfnisse behinderter Menschen berücksichtigt und ob sie durch das geltende EStG in
hinreichender Weise berücksichtigt worden sind.
14 In der Beschwerde ist auch nicht dargelegt, inwieweit eine weitergehende Entlastung des Existenzminimums
behinderter Menschen in Literatur und Rechtsprechung umstritten ist oder gefordert wird. Der Kläger hätte sich hier
auch mit der Frage auseinander setzen müssen, ob nicht das Zusammenwirken zwischen dem bei allen
Steuerpflichtigen freigestellten Existenzminimum und der Berücksichtigung zusätzlicher Belastungen seiner
volljährigen behinderten Tochter durch den Familienleistungsausgleich, Ausbildungsfreibeträge,
Behindertenpauschbetrag und insbesondere auch der Möglichkeit, zusätzliche individuelle Belastungen durch
Einzelnachweise als außergewöhnliche Belastungen geltend zu machen, zur Erzielung eines sachgerechten
Ergebnisses ausgereicht hätte. Einen Einzelnachweis behinderungsbedingter Mehraufwendungen hat der Kläger
indes nicht erbracht.