Urteil des BFH vom 21.11.2013

Bankenhaftung im Insolvenzfall

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 21.11.2013, V R 21/12
Bankenhaftung im Insolvenzfall
Leitsätze
1. Die von § 13c UStG vorausgesetzte Steuerfestsetzung kann sich aus einem Umsatzsteuer-
Vorauszahlungsbescheid ergeben. Dieser erledigt sich durch den Umsatzsteuerjahresbescheid, so
dass sich die Höhe der festgesetzten und bei Fälligkeit nicht entrichteten Steuer nach dem
Jahresbescheid bestimmt.
2. Können Steuerbescheide aufgrund der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Zedenten
nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 87 InsO nicht mehr ergehen, erledigt sich der
Vorauszahlungsbescheid durch die Eintragung in die Insolvenztabelle (§ 178 Abs. 3 InsO) oder der
im Fall des Bestreitens durch den gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zu erlassenden
Feststellungsbescheid.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Sparkasse, vergab im Zusammenhang
mit einem Kontokorrentverhältnis ein Darlehen an eine GmbH. Die GmbH musste ihren
Geschäftsbetrieb aufgeben und veräußerte Anfang 2010 ihren Fuhrpark zu einem Kaufpreis
von 980.000 EUR zzgl. 186.200 EUR Umsatzsteuer.
2 Die GmbH hatte aufgrund einer mit der Klägerin am 11. Februar 2010 abgeschlossenen
Abtretungsvereinbarung den Anspruch auf den Kaufpreis aus dem Verkauf der Fahrzeuge in
voller Höhe (1.166.200 EUR) an die Klägerin zur Rückführung des Kontokorrentkredites
abgetreten. Entsprechend der Abtretungsvereinbarung wurde der Bruttokaufpreis aus der
Veräußerung der Fahrzeuge am 3. April 2010 dem bei der Klägerin geführten
Kontokorrentkonto der GmbH gutgeschrieben und vollständig mit Kredit- und
Zinsforderungen verrechnet.
3 Die GmbH meldete die Umsatzsteuer aus der Fahrzeugveräußerung in ihrer am 12. April
2010 eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung I/2010 an, ohne aber die nach der
Voranmeldung geschuldete Umsatzsteuer in Höhe von 182.051,37 EUR zu entrichten. Auf
Antrag vom 30. April 2010 wurde am 8. Februar 2011 über das Vermögen der GmbH das
Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter erklärte mit Schreiben vom 8. März 2011
die Anfechtung der Abtretungsvereinbarung gemäß § 131 der Insolvenzordnung (InsO).
4 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) nahm die Klägerin mit
Haftungsbescheid vom 8. Juni 2011 nach § 13c des Umsatzsteuergesetzes in der für das
Streitjahr gültigen Fassung (UStG) für die von der GmbH geschuldete Umsatzsteuer I/2010
aus der Fahrzeuglieferung in Höhe von 182.051,37 EUR als Haftungsschuldner in Anspruch.
Die Klägerin legte gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein.
5 Am 29. Juni 2011 schlossen die Klägerin und der Insolvenzverwalter einen Vergleich, mit
dem die Klägerin den insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruch im Zusammenhang mit der
Abtretungsvereinbarung vom 11. Februar 2010 anerkannte. Die Klägerin verpflichtete sich
zur Zahlung von 300.000 EUR in die Insolvenzmasse und zum Verzicht auf die Anmeldung
weiterer Ansprüche zur Insolvenztabelle. Im Gegenzug verzichtete der Insolvenzverwalter
auf die Geltendmachung weitergehender Ansprüche. Der Insolvenzverwalter stellte die
Klägerin im Innenverhältnis von sämtlichen Ansprüchen der Finanzverwaltung aus dem
Haftungsbescheid frei. Die Zahlung zur Insolvenzmasse erfolgte am 12. Juli 2011.
6 Die Klägerin erhob am 22. August 2011 Klage zum Finanzgericht (FG). Während des
finanzgerichtlichen Verfahrens wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 18. April 2012
den Einspruch als unbegründet zurück.
7 Das FG gab mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2012, 2169 veröffentlichten
Urteil der Klage teilweise statt. Der Rechtmäßigkeit des gemäß § 13c UStG i.V.m. § 191 der
Abgabenordnung (AO) erlassenen Haftungsbescheides stehe nicht entgegen, dass die
Forderungsabtretung vom Insolvenzverwalter des Zedenten gemäß § 129 InsO angefochten
worden sei. Trotz Anfechtung habe die Klägerin den an sie abgetretenen Forderungsbetrag
vereinnahmt. Soweit der infolge der Abtretung vereinnahmte Betrag aber von der Klägerin an
den Insolvenzverwalter zurückerstattet worden sei, sei aus Gründen der Verhältnismäßigkeit
von einer Haftung gemäß § 13c UStG abzusehen. Im Umfang der Rückzahlung zur
Insolvenzmasse sei der Haftungsbescheid daher zu Unrecht ergangen.
8 Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie Verletzung materiellen
Rechts geltend macht. Die Anfechtung durch den Insolvenzverwalter sei wirksam. Der
Vergleich habe der Vermeidung einer wirtschaftlich unsinnigen Hin- und Herzahlung
gedient. Sie habe sich bereit erklärt, zur Abgeltung aller Ansprüche an die Insolvenzmasse
300.000 EUR zu zahlen. Zugleich habe sie auf die Anmeldung von Forderungen zur
Insolvenztabelle und damit auf eine erhebliche Quote verzichtet. Sie stehe wirtschaftlich
damit so, als ob sie den Abtretungsbetrag vollständig an den Insolvenzverwalter
zurückgezahlt, diesen Betrag vollständig zur Insolvenztabelle angemeldet hätte und quotal
befriedigt worden wäre. Einen Zufluss habe sie nicht aufgrund der Abtretung, sondern wegen
des ihr originär zustehenden Anspruchs auf Darlehensrückzahlung erzielt, der nach der
Anfechtung der Abtretung gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder aufgelebt sei. Eine
wirtschaftliche Betrachtung führe dazu, dass sie dem Anfechtungsanspruch vollständig
nachgekommen sei und unter Verzicht auf ihren Anspruch aus § 144 Abs. 1 InsO auf
Anmeldung ihrer Forderung zur Insolvenztabelle 300.000 EUR an die Insolvenzmasse
ausgekehrt habe. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise könne der Zessionar nicht über
einen vom Zedenten stammenden Geldbetrag in Höhe der abgetretenen Forderung
verfügen, sondern habe vorab eine Quotenausschüttung vom Insolvenzverwalter erhalten.
Es laufe dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zuwider, diesen Umstand nicht zu
berücksichtigen, da es sich bei der fraglichen Umsatzsteuer um eine Insolvenzforderung
gehandelt habe, die ohne Haftung nach § 13c UStG nur quotal zu befriedigen gewesen sei.
Der von ihr als Quotenausschüttung einbehaltene Betrag habe keine Umsatzsteuer
enthalten, da es sich um eine Zahlung auf ihre Insolvenzforderung aus Darlehensgewährung
gehandelt habe. Das FA werde im Zuge der Quotenausschüttung auf die seinerzeit zur
Insolvenztabelle angemeldete Forderung von 182.051,37 EUR eine entsprechende
Quotenzahlung erhalten. Der Haftungsbescheid entspreche nicht dem Normzweck von § 13c
UStG. Die Verhältnismäßigkeit müsse gewahrt werden. Zu ihren, der Klägerin, Lasten
bestehe eine unzulässige Garantiehaftung, die eine Vorlage an den Gerichtshof der
Europäischen Union (EuGH) erforderlich mache. Zudem habe sie keinen Vergleich über
einen Anfechtungsanspruch, sondern einen Vergleich über die sich hieraus ergebenden
Rechtsfolgen geschlossen. Der Vergleich habe als Erfüllungssurrogat einen Verzicht auf
eine Tabellenanmeldung enthalten.
9 Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 18. April 2012 aufzuheben und die
Haftung für die Umsatzsteuer 2010 unter Abänderung des Haftungsbescheides vom 8. Juni
2011 auf 0 EUR herabzusetzen.
10 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
11 Aufgrund des Vergleichs habe die Klägerin einen höheren Betrag behalten, als sie bei einer
vollen Rückzahlung mit voller Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle und unter
Berücksichtigung der Insolvenzquote erhalten hätte. Es liege kein abgekürzter Zahlungsweg
vor. Die Belastung des vereinnahmten Forderungsanspruchs mit einem
Rückgewähranspruch zugunsten der Insolvenzmasse führe nicht dazu, dass es an einer
Forderungsvereinnahmung nach § 13c UStG fehle, da die Insolvenzanfechtung nicht zur
Nichtigkeit des angefochtenen Rechtsgeschäfts geführt habe. Im Interesse einer praktikablen
Gesetzesanwendung sei auf den Erhalt des Betrags abzustellen. § 13c UStG sei im
Insolvenzverfahren nicht restriktiv auszulegen. Die Finanzverwaltung werde durch diese
Vorschrift im Insolvenzverfahren nicht privilegiert, wie sich bereits daraus ergebe, dass § 13c
UStG tatbestandlich nicht erfüllt sei, wenn die Inanspruchnahme nach dieser Vorschrift zu
einem Zeitpunkt erfolge, zu dem die insolvenzrechtliche Anfechtung erklärt und der
Forderungsbetrag an die Masse zurückgewährt worden sei, da es dann an einer
Vereinnahmung fehle. Für den Fall, dass die Inanspruchnahme nach § 13c UStG der
insolvenzrechtlichen Anfechtung vorausgehe, sei der Haftungsbescheid nachträglich
anzupassen, wenn der abgetretene Betrag an den Insolvenzverwalter zurückgewährt werde.
Aufgrund der Vereinbarung habe die Klägerin einen höheren Betrag aus der Abtretung
behalten, als ihr bei einer Tabellenanmeldung zugestanden hätte.
Entscheidungsgründe
12 II. Die Revision der Klägerin ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 126
Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zwar hat das FG zutreffend entschieden,
dass die Klage auch aufgrund einer während des FG-Verfahrens ergangenen
Einspruchsentscheidung zulässig ist (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom
29. März 2001 III R 1/99, BFHE 194, 331, BStBl II 2001, 432, unter II.1.). Das Urteil des FG ist
aber gleichwohl aufzuheben, da es die Haftung nach § 13c UStG auf der Grundlage des
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheides I/2010 bejaht, ohne zu prüfen, ob sich dieser
Bescheid durch den Erlass eines Umsatzsteuerjahresbescheides, durch eine dem
gleichzustellende Eintragung des Umsatzsteueranspruchs 2010 in die Insolvenztabelle oder
durch den Erlass eines Feststellungsbescheides hierzu erledigt hat.
13 1. § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG ordnet eine Haftung des Zessionars für eine Steuerschuld des
Zedenten an.
14 a) § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG hat folgenden Wortlaut: "Soweit der leistende Unternehmer den
Anspruch auf die Gegenleistung für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1
Nr. 1 an einen anderen Unternehmer abgetreten und die festgesetzte Steuer, bei deren
Berechnung dieser Umsatz berücksichtigt worden ist, bei Fälligkeit nicht oder nicht
vollständig entrichtet hat, haftet der Abtretungsempfänger nach Maßgabe des Absatzes 2 für
die in der Forderung enthaltene Umsatzsteuer, soweit sie im vereinnahmten Betrag enthalten
ist."
15 b) Grundlage für § 13c UStG ist im Unionsrecht Art. 205 der Richtlinie des Rates vom
28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG
(MwStSystRL). Diese Bestimmung ist an die Stelle von Art. 21 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie
des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) getreten. Nach Art. 205
MwStSystRL können die Mitgliedstaaten in den in den Art. 193 bis 200 MwStSystRL sowie
in den in den Art. 202 bis 204 MwStSystRL genannten Fällen bestimmen, dass eine andere
Person als der Steuerschuldner die Steuer gesamtschuldnerisch zu entrichten hat. Die
Mitgliedstaaten dürfen danach eine gesamtschuldnerische Haftung auch im
Anwendungsbereich des Art. 193 MwStSystRL und damit für den Regelfall anordnen, dass
der Steuerpflichtige (Unternehmer) Steuerschuldner für eine steuerpflichtige Leistung ist. Wie
der EuGH mit Urteil vom 11. Mai 2006 C-384/04 Federation of Technological Industries (Slg.
2006, I-4191 Rdnr. 29) zu Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG entschieden hat, muss
der Mitgliedstaat, der die Ermächtigung zur Schaffung einer gesamtschuldnerischen Haftung
ausüben will, die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Unionsrechts und dabei insbesondere
die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit beachten (EuGH-Urteil
Federation of Technological Industries in Slg. 2006, I-4191 Rdnr. 29).
16 c) Nach dem Urteil des XI. Senats des BFH vom 20. März 2013 XI R 11/12 (BFHE 241, 89,
BFH/NV 2013, 1361) verstößt die Haftung nach § 13c UStG weder gegen höherrangiges
Recht noch gegen allgemeine Rechtsgrundsätze; die Vorschrift entspricht dem Unionsrecht
und ist nach diesem Urteil auch im Fall der stillen Zession anzuwenden. Dem schließt sich
der erkennende Senat an. Eine von der Klägerin befürwortete Vorlage an den EuGH ist nicht
erforderlich. Zwar kommt § 13c UStG somit der Charakter einer "Garantiehaftung" für die
Durchsetzbarkeit fremder Steuerschulden zu, wie die Klägerin zutreffend geltend macht.
Diese beschränkt sich aber auf den vom Zessionar im vereinnahmten Abtretungsbetrag
enthaltenen Umsatzsteueranteil und ist insoweit im Hinblick auf das mit der Haftung verfolgte
Gesetzesziel, der "Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen" (BTDrucks 15/1562, S. 46),
nicht zu beanstanden.
17 d) Auch unter Berücksichtigung des mit § 13c UStG verfolgten Normzwecks besteht die
Haftung nur insoweit, als "Umsatzsteuer ... im vereinnahmten Betrag enthalten ist". Bleibt die
Vereinnahmung daher nicht bestehen, sondern erfolgt eine Rückzahlung wie im Streitfall
aufgrund des zwischen der Klägerin und dem Insolvenzverwalter geschlossenen Vergleichs,
scheidet eine Haftung aus. Das FG hat daher insoweit im Ergebnis zu Recht entschieden,
dass die Vereinnahmung durch die Klägerin im Umfang der Rückzahlung in die
Insolvenzmasse entfallen ist. Eine Haftung der Klägerin kommt daher nur insoweit in
Betracht, als Umsatzsteuer in dem der Klägerin verbliebenen Betrag enthalten ist.
18 2. Die für die Haftung nach § 13c UStG erforderliche Steuerfestsetzung kann sich aus einem
Vorauszahlungsbescheid ergeben. Der spätere Erlass eines Jahresbescheides sowie im
Insolvenzfall die Eintragung in die Insolvenztabelle oder der Erlass eines
Feststellungsbescheides erledigen aber den Vorauszahlungsbescheid und treten für die
Berechnung der Haftungsschuld an dessen Stelle.
19 a) Die festgesetzte Steuer i.S. von § 13c Abs. 1 Satz 1 UStG kann sich aus einem
Vorauszahlungsbescheid (§ 18 Abs. 1 UStG i.V.m. § 168 Satz 1 AO) ergeben. Dieser hat im
Verhältnis zur Steuerberechnung für das Kalenderjahr (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG) und zur
Steuerfestsetzung für das Kalenderjahr (§ 18 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 168 Satz 1 AO) nur
"vorläufigen Charakter" (BFH-Urteil vom 7. Juli 2011 V R 42/09, BFHE 234, 519, BFH/NV
2011, 1980, unter II.3.a aa). Denn nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist der
Umsatzsteuerjahresbescheid vom Zeitpunkt seines Ergehens an alleinige Grundlage für die
Verwirklichung des Anspruchs auf die mit Ablauf des Besteuerungszeitraums entstandene
Steuer sowie für den Einbehalt der als Vorauszahlung für den Besteuerungszeitraum
entrichteten Beträge. Das materielle Ergebnis der in dem Kalenderjahr positiv oder negativ
entstandenen Umsatzsteuer wird für die Zukunft ausschließlich durch den
Umsatzsteuerjahresbescheid festgelegt. Damit erledigen sich die für den
Besteuerungszeitraum ergangenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide i.S. des § 124
Abs. 2 AO auf andere Weise und verlieren ihre Wirksamkeit (BFH-Urteile vom 15. Juni 1999
VII R 3/97, BFHE 189, 14, BStBl II 2000, 46, unter 2.b bb bbb, und vom 25. Juli 2012
VII R 44/10, BFHE 238, 302, BStBl II 2013, 33, unter II.). Infolgedessen kann der
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid nach Ergehen des Jahresbescheides nicht mehr
Grundlage für die Haftung nach § 13c UStG sein.
20 b) Können nach § 251 Abs. 2 Satz 1 AO i.V.m. § 87 InsO Steuerbescheide, aus denen sich
eine "Zahllast" ergibt, nicht mehr ergehen (BFH-Urteil vom 13. Mai 2009 XI R 63/07, BFHE
225, 278, BStBl II 2010, 11, unter II.2.a aa), erledigt sich der Vorauszahlungsbescheid auch
durch die Eintragung in die Insolvenztabelle oder den Erlass eines Feststellungbescheides.
21 aa) Am Erfordernis einer für das Kalenderjahr vorzunehmenden Steuerberechnung ändert
sich durch die Insolvenzeröffnung nichts (BFH-Urteil vom 24. November 2011 V R 13/11,
BFHE 235, 137, BStBl II 2012, 298, unter II.2.). Das FA hat den sich für das Kalenderjahr
ergebenden Steueranspruch nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 16 ff. UStG zu
berechnen und ihn, soweit es sich um eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) handelt, gemäß
§§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anzumelden (BFH-Urteil in BFHE 235, 137, BStBl II
2012, 298, unter II.2.).
22 bb) Kann die Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG aufgrund der Insolvenzeröffnung nicht
mehr durch Erlass eines Umsatzsteuerjahresbescheides erfolgen, verwirklicht sich die
Berechnung der Jahressteuer "gleichsam automatisch" und gehen "die Ansprüche auf
Vorauszahlung von Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume des Kalenderjahres
materiell-rechtlich im Anspruch auf die für das Kalenderjahr zu entrichtende Steuer" auf. Im
Fall der Aufrechnung mit und gegen Forderungen aus Umsatzsteuer-
Vorauszahlungsbescheiden desselben Kalenderjahres "erledigt" sich dann die Frage der
Wirksamkeit der Aufrechnung und wird "gegenstandslos" (BFH-Urteil in BFHE 238, 302,
BStBl II 2013, 33, unter II.).
23 cc) Im Hinblick auf diese Rechtswirkungen erledigt sich --für Zwecke der hier streitigen
Haftung nach § 13c UStG-- der Vorauszahlungsbescheid durch die Eintragung des sich für
das Kalenderjahr ergebenden Steueranspruchs als Insolvenzforderung in die
Insolvenztabelle (§ 178 InsO) oder durch den im Fall des Bestreitens (§ 179 InsO) gemäß
§ 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zu erlassenden Feststellungsbescheid. Dieser
Eintragung, die sich gemäß § 174 Abs. 2 InsO auf eine nach "Grund und Betrag"
angemeldete Forderung bezieht, ist ebenso wie der im Bestreitensfall vorzunehmenden
Feststellung eine Berechnung der Jahressteuerschuld zugrunde zu legen, ohne die der
Umfang des nicht getilgten Steueranspruchs nicht berechnet werden kann. Damit ist
gewährleistet, dass eine niedrigere Umsatzsteuerjahresschuld als im
Vorauszahlungsbescheid festgesetzt auch dann für die Haftung nach § 13c UStG zu
beachten ist, wenn aufgrund der Insolvenzeröffnung kein Jahresbescheid mehr ergehen
kann.
24 c) Für die Berücksichtigung von Tabelleneintragung und Feststellungsbescheid als
erledigende Ereignisse spricht auch das Gesamtschuldverhältnis, das nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zwischen Steuerschuldner und Haftenden
besteht.
25 aa) Nach dem BGH-Urteil vom 17. Januar 2007 VIII ZR 171/06 (BGHZ 170, 311, unter II.6.)
begründet die Festsetzung der Haftungsschuld nach § 13c UStG ein
Gesamtschuldverhältnis zwischen Zessionar und Zedent, da diese dann gemäß § 44 Abs. 1
Satz 1 AO nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden
(Zedent) oder für sie haften (Zessionar). Begleicht der Zessionar die Umsatzsteuerschuld
des Zedenten, kann er von diesem nach § 426 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs vollen Ausgleich verlangen, da der Zedent als Steuerschuldner im Verhältnis
zum Zessionar als bloßem Haftungsschuldner die Steuer alleine zu tragen hat.
26 bb) Insolvenzrechtlich steht die Gesamtschuld einer Tabellenanmeldung des gesamten
Steueranspruchs nach §§ 174 ff. InsO durch das FA nicht entgegen, soweit der
Steueranspruch trotz Haftung einer anderen Person nicht getilgt ist (vgl. allgemein z.B. Bitter,
in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2013, § 43 Rz 35, § 44, Rz 1 und
Rz 23, und Knof, in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 13. Aufl. 2010, § 43 Rz 23: "Grundsatz
der Doppelberücksichtigung"). Der volle Steueranspruch, der somit zur Insolvenztabelle
angemeldet werden kann, beläuft sich im Streitfall auf 182.051,37 EUR, wenn der
Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid I/2010 mangels anderweitiger Erledigung weiter
Bestand hat.
27 Das FA kann aber aus der Tabellenanmeldung eine Befriedigung nur bis zu dem Betrag
erlangen, der unter Berücksichtigung der Haftung der Klägerin nach § 13c UStG noch nicht
getilgt ist. Da die Klägerin unter Berücksichtigung der Rückzahlung in die Masse (s. oben
II.1.d) nur 866.200 EUR vereinnahmt hat, beträgt die hierin enthaltene Umsatzsteuer
138.300,84 EUR. Danach ergäbe sich für das FA ein nicht getilgter Steueranspruch von
lediglich 43.750,53 EUR.
28 Sollte die Insolvenzquote auf die Forderungsanmeldung von 182.051,37 EUR zur Tabelle
24 % übersteigen, wäre ein sich hieraus ergebender Übererlös aber nicht an das FA
auszuzahlen (vgl. allgemein z.B. Bitter, a.a.O., § 43 Rz 36, und Knof, a.a.O., § 43 Rz 24).
Vielmehr kann dann die Klägerin im Umfang ihres Regressanspruchs als
Gesamtschuldnerin (s. oben II.2.c aa) ohne Neuanmeldung in die Position des FA eintreten
und den nicht an das FA auszuschüttenden Restbetrag der sog. Dividende für sich
beanspruchen (vgl. allgemein z.B. Bitter, a.a.O, § 43 Rz 37 und § 44 Rz 21, sowie Knof,
a.a.O., § 43 Rz 9). Im Hinblick hierauf kommt es nicht zu der von der Klägerin befürchteten
Überbefriedigung des FA durch Kumulation von Haftungsanspruch und insolvenzrechtlicher
Geltendmachung des Steueranspruchs. Die Haftung nach § 13c UStG bewirkt vielmehr --
entsprechend dem mit dieser Vorschrift verfolgten Normzweck (s. oben II.1.c)-- einen
Übergang des Insolvenzrisikos vom FA auf den Zessionar, der sich aber auf den
Umsatzsteueranteil beschränkt, der in dem vom Zessionar vereinnahmten Abtretungsbetrag
enthalten ist.
29 cc) Unterlässt es das FA, den Steueranspruch im Insolvenzverfahren geltend zu machen, ist
die Klägerin berechtigt, als Gesamtschuldnerin die Forderung, die sie durch eine
Befriedigung des FA künftig gegen den Insolvenzschuldner erwerben könnte, im
Insolvenzverfahren gemäß § 44 InsO geltend zu machen. Auch eine derartige Anmeldung,
der der Insolvenzverwalter widersprechen wird, wenn die Jahressteuer niedriger ist als im
Vorauszahlungsbescheid festgesetzt, kann zu einer Herabsetzung des Haftungsanspruchs
durch Erlass eines entsprechenden Feststellungsbescheides nach § 185 InsO i.V.m. § 251
Abs. 3 AO führen.
30 d) Der erkennende Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht vom Urteil des XI. Senats des
BFH in BFHE 241, 89, BFH/NV 2013, 1361 ab, da dieser in dem von ihm entschiedenen
Streitfall vom Vorliegen der erforderlichen Steuerfestsetzung ausgegangen ist (BFH-Urteil in
BFHE 241, 89, BFH/NV 2013, 1361, unter II.3.).
31 3. Im Streitfall hat das FG --ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt-- keine Feststellungen
zu der Frage getroffen, ob sich der der Haftung zugrunde liegende Vorauszahlungsbescheid
durch einen Umsatzsteuerjahresbescheid, einen Tabelleneintrag oder einen
Feststellungsbescheid erledigt hat und ob sich hieraus ein abweichender Umfang der
haftungsbegründenden Steuerschuld ergibt. Das Urteil des FG ist daher aufzuheben.
32 4. Die Sache ist nicht spruchreif.
33 a) Im zweiten Rechtsgang ist aufzuklären, ob bis zur Insolvenzeröffnung am 8. Februar 2011
ein Umsatzsteuerjahresbescheid zur Umsatzsteuer 2010 ergangen ist, der zu einer
Erledigung des zunächst haftungsbegründenden Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheides
I/2010 geführt hat und ob sich aus einem derartigen Jahresbescheid eine Minderung der
haftungsbegründenden Steuerschuld ergibt.
34 Darüber hinaus ist festzustellen, ob und mit welchem Inhalt der Anspruch Umsatzsteuer
2010 bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Einspruchsentscheidung am
18. April 2012 in die Insolvenztabelle eingetragen wurde (§ 178 Abs. 3 InsO) oder ob hierzu
ein Feststellungsbescheid (§ 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO) ergangen ist. Nur wenn
keines dieser erledigenden Ereignisse vorliegt, richtet sich die Haftungsinanspruchnahme im
Streitfall weiter nach dem Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid I/2010. Sollte der
Steueranspruch erst nach Ergehen der Einspruchsentscheidung in die Insolvenztabelle
eingetragen oder ein Feststellungsbescheid hierzu erlassen worden sein, wäre dies erst in
einem gesonderten Widerrufsverfahren (§ 131 AO) zu prüfen und damit für den Streitfall ohne
Bedeutung.
35 b) Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass die durch den
Insolvenzverwalter erklärte Insolvenzanfechtung unerheblich ist. Auch wenn sich die vom
Insolvenzverwalter angefochtene Rechtshandlung gemäß §§ 129 ff. InsO als unwirksam
erweist, ist die Rechtshandlung gleichwohl nach § 41 Abs. 1 AO der Besteuerung zugrunde
zu legen, wenn die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis der Rechtshandlung bestehen
lassen. Die Insolvenzanfechtung ist daher steuerrechtlich nur zu berücksichtigen, soweit
gemäß § 143 Abs. 1 InsO eine Rückgewähr zur Insolvenzmasse erfolgt. Die bloße
Insolvenzanfechtung ohne Rückgängigmachung der Vereinnahmung ist daher für die
Haftung nach § 13c UStG unbeachtlich.
36 c) Ohne Erfolg macht die Klägerin schließlich geltend, dass die von ihr mit dem
Insolvenzverwalter getroffene Vereinbarung dazu gedient habe, sie so zu stellen, als ob sie
den von ihr vereinnahmten Betrag voll zurückgezahlt und im Rahmen der Verteilung
(§§ 187 ff. InsO) eine "Quotenausschüttung" erhalten hätte und daher nur eine wirtschaftlich
unsinnige Hin- und Rückzahlung vermieden werden sollte. Denn wie das FA in der
mündlichen Verhandlung unwidersprochen vorgetragen hat, besteht zumindest die
Möglichkeit, wenn nicht sogar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Klägerin
aufgrund der mit dem Insolvenzverwalter getroffenen Vereinbarung einen höheren
Geldbetrag behalten hat, als er ihr bei einer vollständigen Rückzahlung in die Masse mit
Geltendmachung ihres Darlehensanspruchs als Insolvenzforderung zustünde. Im Hinblick
auf diese Möglichkeit kommt es auf eine konkrete Vergleichsrechnung, welche Befriedigung
die Klägerin bei einer vollen Rückzahlung der Masse, die dann auch zu einem vollständigen
Entfallen ihrer Haftung geführt hätte (s. oben II.1.d) und einer Tabellenanmeldung ihres
Darlehensanspruchs erhalten hätte, nicht an.