Urteil des BFH vom 15.05.2009

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BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 15.5.2009, III B 209/08
Kindergeld nach Versetzung ins Ausland: von den Eltern abweichender Wohnsitz minderjähriger Kinder, Bezug von
Kindergeld für im Ausland wohnendes Kind, Ungleichbehandlung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen mit einem erweitert
unbeschränkt Steuerpflichtigen, Ausgleich der fehlenden Kindergeldberechtigung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen mit
höherem Einkommen durch Kinderfreibetrag
Tatbestand
1 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist beim X-Institut e.V. beschäftigt, das Aufgaben für die Bundesrepublik
Deutschland (Bundesrepublik) wahrnimmt. Für seine 1989 und 1990 geborenen Kinder erhielt er bis zum Ende seiner
Entsendung nach Dänemark im August 1999 Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Ab September
1999 wurden die Kindergeldzahlungen eingestellt; ein Aufhebungsbescheid erging nicht.
2 Im August 2003 beantragte der Kläger unter seiner inländischen Adresse in A Kindergeld ab September 1999. Dem
Antrag war ein Schreiben seines Arbeitgebers beigefügt, wonach er ab dem 1. September 1999 unbefristet an das X-
Institut in B (Korea) versetzt worden sei und bei der Bundesanstalt für Arbeit versichert werde.
3 Der Dienstsitz des Klägers befindet sich in B (Korea), dort lebt er mit seiner Frau und seinen Kindern. In A halten sich
alle Familienangehörigen jedes Jahr mehrmals auf. Sie sind dort polizeilich gemeldet und der Kläger wird seit 1993
vom Finanzamt in A zur Einkommensteuer veranlagt, seit mindestens 2001 zusammen mit seiner Ehefrau. Die 82 qm
große Wohnung in A war die Wohnung der Eltern des Klägers, sie wird nunmehr ständig von seiner Mutter bewohnt.
4 Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte die Festsetzung von Kindergeld nach dem
Einkommensteuergesetz (EStG) im Mai 2004 ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
5 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es entschied, durch den Ablehnungsbescheid vom Mai 2004 sei die
Kindergeldfestsetzung für den noch streitigen Zeitraum ab Januar 2000 aufgehoben worden. Die Festsetzungsfrist sei
insoweit im Mai 2004 noch nicht abgelaufen gewesen und der Regelungsgehalt entspreche dem eines
Aufhebungsbescheides. Der Kläger sei nicht nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG
kindergeldberechtigt, da es sich beim X-Institut nicht um eine inländische juristische Person des öffentlichen Rechts
handele und er daher nicht nach § 1 Abs. 2 EStG der erweiterten unbeschränkten Steuerpflicht unterliege.
6 Eine Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG liege ebenfalls nicht
vor, weil die Kinder keinen Wohnsitz im Inland oder einem EU- oder EWR-Staat hätten. Die Kinder hätten nicht bereits
deshalb einen Wohnsitz im Inland, weil der Kläger in A wohne und minderjährige Kinder den Wohnsitz ihrer Eltern
teilten. Bei einem auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt genügten kurzzeitige Besuche oder kurzfristige
Aufenthalte nicht, um die Aufrechterhaltung des inländischen Wohnsitzes anzunehmen (Urteil des Bundesfinanzhofs --
BFH-- vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Die Kinder hätten die Wohnung in A
lediglich zu Besuchszwecken genutzt. Sie verfügten dort über kein eigenes Schlafzimmer, es befänden sich dort keine
persönlichen Gegenstände oder Kleidungsstücke von ihnen und ihre Aufenthalte seien unregelmäßig und umfassten
nicht die gesamten Schulferien. Dies gelte unabhängig davon, ob der Kläger selbst einen Wohnsitz in A beibehalten
habe.
7 Mit seiner gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde trägt der Kläger vor, die Rechtssache habe
grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Seine minderjährigen Kinder hätten
sich weder persönlich noch wirtschaftlich vom Elternhaus gelöst. Da die Familie zusammenlebe, teilten die Kinder den
Familienwohnsitz in A, wo alle auch gemeldet seien. Nach der Rechtsprechung des BFH reichten kurzzeitige
Aufenthalte in der Bundesrepublik aus, um einen hiesigen Wohnsitz beizubehalten.
8 Grundsätzliche Bedeutung habe weiter die Rechtsfrage, ob es für den Bezug von Kindergeld ausreiche, wenn der
Elternteil vom inländischen Finanzamt als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werde. Es verstoße zudem gegen das
Gleichheitsgebot, dass die Mitarbeiter des X-Institutes, ausnahmslos Angestellte im öffentlichen Dienst und den
Bestimmungen des Auswärtigen Dienstes unterworfen, anders als dessen Angehörige kein Kindergeld erhielten. Das
Auseinanderfallen der tatsächlichen Besteuerung und der Kindergeldberechtigung sei auch verfassungsrechtlich
bedenklich.
9 Grundsätzliche Bedeutung habe auch die Frage, ob eine Kindergeldfestsetzung durch einen Ablehnungsbescheid für
die Vergangenheit aufgehoben werden könne.
Entscheidungsgründe
10 Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
11 1. Die Frage, ob die Kindergeldfestsetzung durch einen Ablehnungsbescheid aufgehoben werden kann, ist nicht
grundsätzlich bedeutsam (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), denn sie ist eindeutig so zu beantworten, wie es das FG getan hat.
Ob diese Frage überhaupt entscheidungserheblich wäre, obwohl der Kläger Kindergeld nach dem BKGG bezogen
hatte und nunmehr erstmals Kindergeld nach dem EStG beansprucht, kann dahingestellt bleiben.
12 2. Die vom Kläger für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage, ob und inwieweit der Wohnsitz minderjähriger Kinder
von dem ihrer Eltern abhängig sei, ist im Streitfall nicht entscheidungserheblich und daher nicht klärbar. Denn das FG
hat nicht infrage gestellt, dass minderjährige Kinder regelmäßig den Wohnsitz ihrer Eltern teilen, sondern
angenommen, dass dies nur für die gemeinsame Wohnung in B (Korea) zutrifft, nicht aber auch für die Wohnung in A
(Inland) als möglichen weiteren Wohnsitz des Klägers. Die Auffassung des Klägers, zum Haushalt ihrer Eltern
gehörende minderjährige Kinder teilten alle Wohnsitze ihrer Eltern, ist eindeutig unrichtig; so ist z.B. bei doppelter
Haushaltsführung die Wohnung am Beschäftigungsort regelmäßig nur Wohnsitz des dort tätigen Steuerpflichtigen und
nicht auch seiner Familienmitglieder.
13 3. Auch die Frage, ob es für den Bezug von Kindergeld ausreiche, wenn der Elternteil vom inländischen Finanzamt als
unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werde, hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn sie lässt sich nach § 62 Abs.
1 EStG und § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG eindeutig verneinen.
14 4. Die sich aus §§ 62 f. EStG ergebende Rechtslage verstößt auch nicht gegen das allgemeine Gleichheitsgebot (Art.
3 Abs. 1 des Grundgesetzes). § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG differenziert in verfassungsrechtlich vertretbarer Weise danach,
ob ein nicht in der Bundesrepublik oder einem EU-/EWR-Staat lebendes Kind zum Haushalt eines erweitert
unbeschränkt Steuerpflichtigen (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 1 Abs. 2 EStG) gehört.
15 5. Bei Steuerpflichtigen, die ein höheres Einkommen erzielen, wird die steuerliche Freistellung des Existenzminimums
der Kinder im Wege der Günstigerprüfung nach § 31 EStG nicht durch die Gewährung von Kindergeld bewirkt,
sondern durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG. Freibeträge für Kinder, für die --z.B. mangels inländischen
Wohnsitzes-- kein Anspruch auf Kindergeld besteht, können auch bereits beim Lohnsteuerabzug berücksichtigt
werden (§ 39a Abs. 1 Nr. 6 EStG). Diese besser verdienenden Steuerpflichtigen erleiden durch die Versagung des
Kindergeldes mithin keine Nachteile; sie haben lediglich darauf hinzuwirken, dass die fehlende
Kindergeldberechtigung beim Lohnsteuerabzug beachtet wird und eine Hinzurechnung nicht zu beanspruchenden
Kindergeldes bei der Einkommensteuerveranlagung unterbleibt (§ 31 Satz 4 EStG). Ausweislich der vom Kläger zur
Akte gereichten Einkommensteuerbescheide überstieg seine Entlastung durch die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG
im Jahr 2001 für ein Kind und in den Folgejahren für beide Kinder die Entlastung durch das Kindergeld. Sein Nachteil
besteht insoweit nicht in der Nichtgewährung von Kindergeld, sondern in der Erhöhung der tariflichen
Einkommensteuer 2001 und 2002 um einen nicht bestehenden Kindergeldanspruch.