Urteil des BFH vom 10.04.2014

Anteilige Berücksichtigung der Einkünfte und Bezüge im Monat des Erreichens der Altersgrenze

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 10.4.2014, VI R 64/13
Anteilige Berücksichtigung der Einkünfte und Bezüge im Monat des Erreichens der Altersgrenze
Leitsätze
Einkünfte und Bezüge eines in Ausbildung stehenden Kindes sind für den Kalendermonat, in dem
das Kind das 25. Lebensjahr vollendet, gemäß § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG nur insoweit anzusetzen,
als sie auf die Zeit bis zum Erreichen der Altersgrenze entfallen.
Tatbestand
1 I. Streitig ist die Kindergeldberechtigung für den Zeitraum Januar bis Juli 2010.
2 Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erhielt für ihre am 8. Juli 1985 geborene
Tochter B Kindergeld. B studierte an der Universität Y und erzielte aus einer nebenberuflichen
Tätigkeit im streitigen Zeitraum Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit; daneben erhielt B
Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Nachdem B am 8. Juli
2010 ihr 25. Lebensjahr vollendet hatte, gelangte die Beklagte und Revisionsklägerin (die
Familienkasse) im Rahmen der Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen zu dem
Ergebnis, dass B‘s Einkünfte und Bezüge im Streitzeitraum den maßgeblichen anteiligen
Jahresgrenzbetrag überschritten. Die Familienkasse hob darauf mit Wirkung ab Januar 2010
die Kindergeldfestsetzung auf und forderte das für die Zeit von Januar bis Juli 2010 gezahlte
Kindergeld von der Klägerin zurück.
3 Die Klägerin machte dagegen mit ihrer Klage geltend, dass die Familienkasse für den Monat
Juli 2010 zu Unrecht den vollen Monatslohn und die vollen BAföG-Bezüge zum Ansatz
gebracht habe.
4 Das Finanzgericht (FG) folgte der Auffassung der Klägerin und entschied, dass die für Juli
erzielten Einkünfte und Bezüge abweichend von der Auffassung der Familienkasse nach § 32
Abs. 4 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Streitfall geltenden Fassung
nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs --also zu 7/30-- zu berücksichtigen seien. Auf
Grundlage dieser Berechnung überschritten die anteiligen Einkünfte und Bezüge nach Abzug
der anteiligen Kostenpauschale mit 4.366,45 EUR nicht den maßgeblichen anteiligen
Jahresgrenzbetrag in Höhe von 4.669 EUR.
5 Mit der dagegen gerichteten Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen
Rechts. Das FG habe § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG unzutreffend ausgelegt. § 32 Abs. 4 Satz 6
EStG verweise auf die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2; zu diesen besonderen
Tatbestandsvoraussetzungen gehöre aber nicht die Altersgrenze von 21 bzw. 25 Jahren.
Denn das Kindergeldrecht folge dem Monatsprinzip. § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG bilde dazu zwar
eine Ausnahme, indem Einkünfte und Bezüge nur für einen Teil des Kalendermonats
berücksichtigt würden. Aber wenn die Altersgrenze erreicht werde, führe dies nicht zu einem
Teilmonat. Denn § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG solle lediglich Einkünfte und Bezüge aus einer
Berufsausübung aus der Grenzbetragsberechnung ausgrenzen.
6 Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des Hessischen FG vom 11. März 2013 3 K 1171/11 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass nach § 32 Abs. 4
Satz 6 EStG die Einkünfte und Bezüge nur insoweit anzusetzen sind, als die
Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG vorliegen und zu diesen
Voraussetzungen auch die dort ausdrücklich genannten Altersgrenzen gehören.
9 1. a) Nach §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a
EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das
25. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Nach § 32 Abs. 4
Satz 2 EStG wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung nur berücksichtigt, wenn
es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung
bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 8.004 EUR im Kalenderjahr hat. Liegen die
Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG nur in einem Teil des
Kalendermonats vor, sind nach § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG Einkünfte und Bezüge nur insoweit
anzusetzen, als sie auf diesen Teil entfallen.
10 b) § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG enthalten eine Reihe von Voraussetzungen.
Zentrale Bedeutung hat allerdings das Lebensalter des Kindes, denn diese Voraussetzung
strukturiert § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG. So kommt es nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG
zuvorderst darauf an, dass das Kind noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat.
Entsprechendes gilt nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Altersgrenze von 25 Jahren.
Erst im Weiteren kommt es dann auf die weiteren Voraussetzungen unter a) bis d) an. Wenn
angesichts dessen der Gesetzgeber in § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG ausdrücklich auf "die
Voraussetzungen nach Satz 1 Nummer 1 oder 2" Bezug nimmt und im Hinblick darauf
Einkünfte und Bezüge nur pro rata ansetzen will, ist dies so zu verstehen, dass § 32 Abs. 4
Satz 6 EStG auch das Lebensalter zu diesen Voraussetzungen zählt (ebenso ausdrücklich
Dürr, in Frotscher, EStG, § 32 Rz 93; Greite, in Korn, EStG, § 32 Rz 102; Wichert, in
Lademann, EStG, § 32 Rz 257). Zutreffend verweist das FG insoweit auf den eindeutigen
Wortlaut der Norm sowie auf den Umstand, dass der Gesetzgeber die Auffassung der
Familienkasse, § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG beziehe sich nur auf die in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a bis d EStG genannten (besonderen) Anspruchsvoraussetzungen, im Gesetz
entsprechend zum Ausdruck gebracht hätte, wenn er sie so hätte regeln wollen. Auch die
von der Familienkasse herangezogenen Ausführungen in den Gesetzesmaterialien
(BTDrucks 14/6160, S. 12) stützen die gegenteilige Auffassung nicht. Zwar beschreibt das
dort erläuterte Beispiel des Übergangsmonats von der Berufsausbildung in die
Berufsausübung den wohl typischen Fall in der Praxis. Das bedeutet aber nicht, dass der
Gesetzgeber diese Regelung nicht auf den Fall der Vollendung des 21. oder
25. Lebensjahres hätte anwenden wollen.
11 2. Nachdem zwischen den Beteiligten die in die Ermittlung der Einkünfte und Bezüge
einzubeziehenden Beträge im Grunde unstreitig sind, hat das FG nach Maßgabe der
vorgenannten Rechtsgrundsätze diese Einkünfte und Bezüge zutreffend ermittelt und
insbesondere die von der Tochter der Klägerin im Monat Juli erzielten Einkünfte
dementsprechend nur mit 7/30 der maßgeblichen Beträge angesetzt. Die so ermittelten
Einkünfte und Bezüge in Höhe von insgesamt 4.366,45 EUR überschritten damit nicht den
maßgeblichen anteiligen Jahresgrenzbetrag.