Urteil des BFH vom 07.05.2014

Ausgabe von Presseausweisen als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 7.5.2014, I R 65/12
Ausgabe von Presseausweisen als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb
Leitsätze
Ein nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG 2002 steuerbefreiter Berufsverband von Zeitungsverlegern, der
gegen Entgelt Presseausweise an Journalisten ausgibt, die nicht bei einem seiner
Verbandsmitglieder beschäftigt sind, unterhält insoweit einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen
Geschäftsbetrieb.
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Ausgabe von Presseausweisen gegen Entgelt an
Nichtmitglieder einen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb eines steuerbefreiten
Berufsverbands begründet. Streitjahre sind 2004 bis 2006.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ein Zusammenschluss von Zeitungsverlegern in
der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Er ist als Berufsverband nach § 5 Abs. 1 Nr. 5
Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) von der Körperschaftsteuer befreit.
Gestützt auf den Runderlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom
25. November 1993 I A 3/22-10.1.13 (Ministerialblatt des Landes Nordrhein-Westfalen 1993,
1854) gab er in den Streitjahren an Mitarbeiter seiner Mitglieder ohne Weiteres und an
Journalisten, die bei keinem seiner Mitglieder angestellt waren (Nichtmitglieder), nach
besonderer Prüfung und gegen eine Gebühr von 60 EUR Presseausweise aus.
3 In dem Runderlass heißt es u.a.: "Der Presseausweis soll den Behörden die Überprüfung
erleichtern, wer als Vertreter(in) der Presse tätig ist. Es wird darauf hingewiesen, daß
Journalisten, die keinen Presseausweis besitzen (z.B. nebenberufliche Journalisten), nach
Maßgabe des Landespressegesetzes den gleichen Zugang zu Informationen fordern können
wie Inhaber von Presseausweisen, wenn sie sich auf andere Weise als Vertreter der Presse
legitimieren können."
4 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah in der entgeltlichen Ausgabe
der Presseausweise an Nichtmitglieder einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb des Klägers,
der von der Steuerbefreiung ausgeschlossen sei. Er erließ dementsprechend
Körperschaftsteuerbescheide für die Streitjahre. Die deswegen erhobene Klage hatte keinen
Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Düsseldorf hat sie als unbegründet abgewiesen; sein Urteil
vom 10. Juli 2012 6 K 218/10 K ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2012, 2060
abgedruckt.
5 Gegen das FG-Urteil richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision
des Klägers.
6 Der Kläger beantragt, das FG-Urteil und die angefochtenen Bescheide aufzuheben.
7 Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung
(FGO) zurückzuweisen. Die vom Kläger mit der Ausgabe von Presseausweisen an
Nichtmitglieder erzielten Erträge unterliegen der Körperschaftsteuer.
9 1. Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG 2002 sind u.a. Berufsverbände ohne öffentlich-
rechtlichen Charakter von der Körperschaftsteuer befreit. Wird allerdings ein wirtschaftlicher
Geschäftsbetrieb unterhalten, ist die Steuerbefreiung insoweit ausgeschlossen (§ 5 Abs. 1
Nr. 5 Satz 2 Buchst. a KStG 2002).
10 2. Für den Begriff des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs in diesem Zusammenhang ist auf
die Definition in § 14 der Abgabenordnung (AO) zurückzugreifen. Ein wirtschaftlicher
Geschäftsbetrieb ist danach eine selbständige nachhaltige Tätigkeit, durch die Einnahmen
oder andere wirtschaftliche Vorteile erzielt werden und die über den Rahmen einer
Vermögensverwaltung hinausgeht (Satz 1). Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht
erforderlich (Satz 2).
11 3. Die fortgesetzte Ausgabe der Presseausweise gegen Zahlung der Gebühr von jeweils
60 EUR ist eine nachhaltige, über die Vermögensverwaltung hinausgehende Tätigkeit, mit
der der Kläger Einnahmen erzielt. Das ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit und bedarf
keiner Erläuterung.
12 4. Das FG hat diese Tätigkeit zu Recht als "selbständig" i.S. von § 14 Abs. 1 Satz 1 AO
bewertet.
13 a) Nach der Rechtsprechung des Senats ist Selbständigkeit in diesem Zusammenhang nicht
die persönliche Selbständigkeit einer juristischen Person, sondern die sachliche
Selbständigkeit der Betätigung im Sinne einer Abgrenzbarkeit von einem steuerbegünstigten
Wirkungsbereich (Senatsurteil vom 18. Januar 1984 I R 138/79, BFHE 140, 463, BStBl II
1984, 451; ebenso Buciek in Beermann/Gosch, AO § 14 Rz 26; Gosch/Heger, KStG, 2. Aufl.,
§ 5 Rz 20; Werth in Kühn/v.Wedelstädt, 20. Aufl., § 14 AO Rz 3; Klein/Gersch, AO, 11. Aufl.,
§ 14 AO Rz 7). Eine solcherart sachliche Selbständigkeit liegt vor, wenn die betreffende
Tätigkeit nicht mit anderweitigen Betätigungen der Körperschaft dergestalt zusammenhängt,
dass ihre Ausübung ohne die anderweitige Betätigung nicht möglich wäre (Senatsurteile in
BFHE 140, 463, BStBl II 1984, 451; vom 15. Oktober 1997 I R 2/97, BFHE 184, 222, BStBl II
1998, 175; Senatsbeschluss vom 25. Juli 2001 I B 41, 42/01, BFH/NV 2001, 1445).
14 b) Nach diesen Maßgaben ist die Ausgabe der Presseausweise an Nichtmitglieder als
selbständig zu beurteilen.
15 aa) Es ist nicht ersichtlich, dass ein Berufsverband von Zeitungsverlegern seine nach § 5
Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG 2002 begünstigte Verbandstätigkeit (Wahrnehmung der
allgemeinen, aus der beruflichen oder unternehmerischen Tätigkeit erwachsenden ideellen
und wirtschaftlichen Interessen des Berufsstands) nur ausüben kann, wenn er auch
Presseausweise ausgibt. Auch umgekehrt besteht kein Anhalt dafür, dass Presseausweise
an Journalisten zwingend nur durch nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 KStG 2002 begünstigte
Berufsverbände von Zeitungsverlegern ausgestellt werden können.
16 bb) Allein aus dem Umstand, dass die Ausgabe der Presseausweise dem begünstigten
Verbandszweck des Klägers dienlich sein mag, kann die für die Verneinung der
Selbständigkeit erforderliche Verflechtung nicht hergeleitet werden. Denn wäre das der Fall,
wären bei den nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG 2002 Begünstigten (nach den §§ 51 bis 68 AO
gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienende
Körperschaftsteuersubjekte) keine wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe denkbar, die nicht
auch die Zweckbetriebsvoraussetzungen des § 65 Nr. 1 AO erfüllen würden. Nach § 64
Abs. 1, § 65 Nr. 1 AO ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb i.S. von § 14 AO nämlich (u.a.)
nur dann als allgemeiner Zweckbetrieb von der Steuer befreit, wenn er in seiner
Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der
Körperschaft zu verwirklichen. Diese Zweckbetriebsvoraussetzung wäre überflüssig, wenn
die dem begünstigten Zweck dienende Funktion der Tätigkeit zum Wegfall der
Selbständigkeit i.S. von § 14 AO und damit dazu führen würde, das schon kein
wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb vorliegt.
17 cc) Eine organisatorische Trennung --etwa dadurch, dass die die mit der ideellen
Verbandstätigkeit zusammenhängenden Tätigkeiten und der wirtschaftliche
Geschäftsbetrieb nicht von den gleichen Arbeitnehmern durchgeführt werden dürften-- bedarf
es entgegen der Auffassung des Klägers zur Bejahung der Selbständigkeit nicht. Ein
solches Erfordernis ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom
20. September 1963 III 328/59 U (BFHE 77, 578, BStBl III 1963, 532). Soweit der III. Senat
des BFH dort die Selbständigkeit eines von einer gemeinnützigen Stiftung betriebenen
Ritterguts damit begründet hat, dieses hebe sich von der übrigen Betätigung der Stiftung als
eine "gesonderte wirtschaftliche Einheit" ab, folgt daraus nicht, dass dies in jedem Fall
unerlässliche Voraussetzung der Selbständigkeit wäre.
18 dd) Nicht gefolgt werden kann dem Kläger auch in seiner Argumentation, die Ausgabe der
Presseausweise an Mitarbeiter von Mitgliedern wie auch an Nichtmitglieder sei deshalb
untrennbar mit der übrigen Verbandstätigkeit verflochten, weil dieser Tätigkeit aufgrund der
Ermächtigung in dem Runderlass vom 25. November 1993 ein gleichsam hoheitlicher
Charakter zukomme und außerdem der Gewährleistung des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 des
Grundgesetzes geschützten Grundrechts der Pressefreiheit dienten. Unabhängig davon, ob
diese Beurteilung der Sache nach zutrifft, würde eine etwaige Grundrechtsrelevanz der
Ausgabe von Presseausweisen das Trennbarkeitskriterium des
Selbständigkeitserfordernisses nach § 14 AO nicht beeinflussen. Die beiden Fragenkreise
bewegen sich auf unterschiedlichen rechtlichen Ebenen und beeinflussen einander nicht.
Und dass die Bejahung eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs im
Streitfall den Schutzbereich des Grundrechts der Pressefreiheit berühren könnte, ist nicht
ersichtlich.
19 c) Die Vorinstanz hält den von der Rechtsprechung befürworteten sachlichen
Selbständigkeitsbegriff für überprüfungsbedürftig und leitet stattdessen aus dem
wettbewerbsbezogenen Konzept der partiellen Steuerpflicht wirtschaftlicher
Geschäftsbetriebe steuerbegünstigter Körperschaften eine "wirkungsorientierte" und "allein
tätigkeitsbezogene" Auslegung des Tatbestandsmerkmals ab. Dies sei gegenüber einer
Qualifikation und Differenzierung einheitlicher oder verbundener Tätigkeiten allein aus der
organisatorischen Perspektive der steuerbegünstigten Körperschaft vorzugswürdig.
20 Da indes --wie vorstehend ausgeführt-- auch auf der Grundlage des Verständnisses der
Senatsrechtsprechung eine organisatorische Trennung der Tätigkeitsbereiche für das
Selbständigkeitserfordernis nicht erforderlich ist und die vom FG bevorzugte wirkungs- und
tätigkeitsbezogene Betrachtungsweise auf der Basis der bisherigen Rechtsprechung als
taugliche Trennbarkeitskriterien in Betracht kommen, erkennt der Senat keine grundsätzliche
Unvereinbarkeit beider Definitionsversuche. Jedenfalls bietet der Streitfall, in dem beide
Ansätze --wie es auch das FG nicht anders gesehen hat-- zum gleichen Ergebnis führen,
keinen Anlass, die bisherige Betrachtungsweise grundsätzlich infrage zu stellen.
21 d) Auch erfordert der Streitfall keine Auseinandersetzung mit der in der Literatur vertretenen
Auffassung (z.B. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 2. Aufl., § 6 Rz 98 f.,
S. 422; Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 14 AO Rz 60 f.; Seer in Tipke/Kruse,
Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 14 AO Rz 7; Müller-Gatermann, Finanz-
Rundschau 1995, 261; dagegen Buciek in Beermann/Gosch, AO § 14 Rz 26), die sich von
einer sachlichen Definition des Selbständigkeitsbegriffs löst und unter Selbständigkeit i.S.
von § 14 AO eine persönliche Selbständigkeit i.S. des Einkommen- und Umsatzsteuerrechts
versteht, die Tätigkeit also (nur) auf eigene Gefahr und frei von Weisungen Dritter ausgeübt
werden müsse - was bei der wirtschaftlichen Betätigung von Körperschaften praktisch immer
der Fall ist. Denn auch nach dieser Auffassung wäre die Selbständigkeit im Streitfall zu
bejahen.
22 5. Die Annahme eines steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs scheitert nicht an
einer fehlenden Wettbewerbsrelevanz der wirtschaftlichen Betätigung. Allerdings hat die
Besteuerung der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe steuerbegünstigter Körperschaften ihren
wesentlichen Beweggrund im Wettbewerbsgedanken, der eine Gleichbehandlung der
begünstigten Körperschaften mit konkurrierenden erwerbswirtschaftlichen Unternehmen
fordert (vgl. zu den gemeinnützigen Körperschaften z.B. Senatsurteil vom 21. August 1985
I R 3/82, BFHE 145, 40, BStBl II 1986, 92; Hüttemann, a.a.O., § 6 Rz 69, S. 410, m.w.N.).
23 Ob deshalb die Möglichkeit von Wettbewerbsbeeinträchtigungen als ungeschriebene
Voraussetzung anzusehen ist, die jeweils zusätzlich zu den gesetzlichen
Tatbestandsmerkmalen des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs geprüft und bejaht werden
müsste, um dessen Steuerpflicht zu bejahen, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn
jedenfalls kann es für die Bejahung eines Wettbewerbsverhältnisses nicht darauf
ankommen, ob im jeweiligen Einzelfall eine konkrete, aktuelle Wettbewerbssituation besteht.
Vielmehr muss es ausreichen, dass möglicherweise --auch in der Zukunft-- eine
Beeinträchtigung des Wettbewerbs in Betracht kommt (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 14 AO
Rz 2; s. auch die Rechtsprechung zur Wettbewerbsklausel des § 65 Nr. 3 AO, z.B.
Senatsurteil vom 27. Oktober 1993 I R 60/91, BFHE 174, 97, BStBl II 1994, 573). Und eine
mögliche Beeinflussung zumindest potentiellen Wettbewerbs mit nicht steuerbegünstigten
Unternehmen kann im Streitfall nicht ausgeschlossen werden. Denn es erscheint nicht
fernliegend, dass sich gegebenenfalls auch ein nicht steuerbegünstigter Verband oder
Unternehmer jetzt oder in Zukunft dafür interessieren könnte, Presseausweise gegen Entgelt
an Journalisten auszugeben. Dafür spricht, dass die in dem oben zitierten Runderlass des
Innenministeriums vom 25. November 1993 enthaltene Liste bundesweit immerhin mehr als
40 Verbände verschiedener Art aufführt (Verleger- und Journalistenverbände,
Gewerkschaften), die als zur Ausstellung von Presseausweisen befugt bezeichnet werden.
Es ist nicht zwingend, dass sämtliche dort aufgeführten Verbände und Vereinigungen die
Voraussetzungen für Steuerbefreiungen erfüllen. Überdies hat das Verwaltungsgericht
Düsseldorf mit Urteil vom 17. September 2004 1 K 1651/01 (Neue Juristische
Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2005, 1353) festgestellt, dass dem
dortigen Kläger (einem Verein von Fotojournalisten) das Recht zur Ausstellung von
Presseausweisen zusteht, obwohl er nicht in dem Runderlass aufgeführt ist. Auch dies lässt
ein Interesse anderer --nicht zwingend steuerbegünstigter-- potentieller Marktteilnehmer an
der entgeltlichen Ausgabe von Presseausweisen als nicht ausgeschlossen erscheinen.