Urteil des BFH vom 16.01.2014

Für Klauenpflege kein ermäßigter Steuersatz

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 16.1.2014, V R 26/13
Für Klauenpflege kein ermäßigter Steuersatz
Leitsätze
Klauenpflege ist keine Leistung, die unmittelbar der Förderung der Tierzucht dient.
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erbringt Leistungen als Klauenpfleger. In seiner
Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (2007) versteuerte er diese Umsätze nach dem
ermäßigten Steuersatz.
2 Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) davon aus,
dass die Leistungen bei der Klauenpflege dem Regelsteuersatz unterlägen und erließ am
27. Oktober 2008 einen entsprechend geänderten Umsatzsteuerjahresbescheid. Einspruch
und Klage hatten keinen Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) begründete dies in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte
2013, 1179 veröffentlichten Urteil damit, dass § 12 Abs. 2 Nr. 4 des Umsatzsteuergesetzes
2005 (UStG) nicht anwendbar sei. Die Klauenpflege diene nicht unmittelbar den dort
bezeichneten Zwecken. Dass es sich um eine Maßnahme zur Erhaltung und Verbesserung
der Leistungsfähigkeit der Tiere handele, reiche nicht aus. Es handele sich nur um eine
allgemeine Gesundheitsmaßnahme im Rahmen der Nutztierhaltung. Auch eine Berufung auf
das Unionsrecht führe nicht zu einem anderen Ergebnis.
4 Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Ein Antrag auf Beweiserhebung sei zu
Unrecht abgelehnt und nicht einmal protokolliert worden. Die Klauenpflege diene unmittelbar
der Milchwirtschaft und der Tierzucht. Zudem gelte in Österreich eine günstigere Beurteilung.
Anwendbar sei auch § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG, da auch eine Leistung zur Tierpflege vorliege.
Ziel der Tierzucht sei die Leistungssteigerung in Bezug auf Milch- und Fleischertrag. Hierfür
sei eine umfassende Tierpflege und dabei auch die Klauenpflege unerlässlich. Ohne
Klauenpflege vermindere sich der Bestand. Für die Tierzucht sei auch die Leistungsprüfung
Klaue unerlässlich, um die sog. Klauentracht und damit die Höhe der Klauen festzustellen.
Die Leistungsprüfung Klaue diene der genetischen Auslese. Ohne die Klauenpflege könne
diese Leistungsprüfung nicht durchgeführt werden. Ermäßigt zu besteuern seien auch die
Leistungen an Tieren, die an dieser Leistungsprüfung nicht teilnehmen.
5 Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und
Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
6 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
7 Die Klauenpflege fördere anders als die Leistungsprüfung Klaue nur mittelbar die Tierzucht.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klauenpflege unterliegt nicht dem ermäßigten
Steuersatz.
9 1. § 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG ist nicht anwendbar. Danach unterliegt "die Aufzucht und das
Halten von Vieh, die Anzucht von Pflanzen und die Teilnahme an Leistungsprüfungen für
Tiere" dem ermäßigten Steuersatz. Die Klauenpflege gehört als Leistung zur allgemeinen
Tierpflege entgegen der Auffassung des Klägers nicht zu den in dieser Vorschrift benannten
Leistungen.
10 2. Die Leistungen sind auch nicht gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG ermäßigt zu besteuern.
11 a) Steuerfrei sind nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG die Leistungen, die unmittelbar der
Vatertierhaltung, der Förderung der Tierzucht, der künstlichen Tierbesamung oder der
Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der Milchwirtschaft dienen.
12 Wie der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 18. Dezember 1996 XI R 19/96 (BFHE 181,
544, BStBl II 1997, 334, unter II.1.) entschieden hat, bezieht § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG die
Voraussetzung "unmittelbar ... dienen" auf alle Tatbestände dieser Vorschrift.
13 Die Unmittelbarkeit setzt dabei nach diesem Urteil voraus, dass die von der Vorschrift
begünstigten Zwecke durch die jeweilige Leistung selbst gefördert oder begünstigt werden.
Leistungen, die demgegenüber nicht selbst den begünstigten Zweck erreichen, sondern eine
hierauf gerichtete Leistung erst vorbereiten oder lediglich begünstigen, reichen nicht aus, da
sie nicht zwingend zur Erfüllung des begünstigten Zwecks erforderlich sind und den
begünstigten Zweck nur indirekt und mittelbar fördern. Entscheidend ist, dass derartige
Leistungen zwar dem Förderungszweck zugutekommen, aber der Förderungszweck
gleichwohl nicht im Vordergrund steht.
14 b) Im Streitfall hat das FG unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das BFH-Urteil in BFHE
181, 544, BStBl II 1997, 334 zu Recht entschieden, dass die Klauenpflege nicht nach § 12
Abs. 2 Nr. 4 UStG ermäßigt zu besteuern ist.
15 Die Leistung dient nicht unmittelbar der Förderung der Tierzucht, sondern als allgemeine
Gesundheitsmaßnahme --wie im Übrigen auch eine hinreichende Ernährung-- der
Nutztierhaltung. Tierhaltung ist aber nicht nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG, sondern nur nach
§ 12 Abs. 2 Nr. 3 UStG begünstigt.
16 Die hiergegen gerichteten Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Auch wenn die
Leistungsprüfung Klaue unmittelbar der Förderung der Tierzucht dient, ermöglicht es die
Klauenpflege demgegenüber nur, diese Leistungsprüfung vorzunehmen, so dass von einer
bloß mittelbaren Förderung der Tierzucht auszugehen ist. Überdies werden auch die Klauen
der nicht für die Tierzucht vorgesehenen Tiere gepflegt.
17 Es handelt sich auch nicht um eine Leistung zur Vatertierhaltung, zur künstlichen
Tierbesamung oder zur Leistungs- und Qualitätsprüfung in der Tierzucht und in der
Milchwirtschaft.
18 3. Der Kläger kann sich auch nicht auf einen Anwendungsvorrang des Unionsrechts berufen.
19 a) Unionsrechtlich beruht § 12 Abs. 2 Nr. 4 UStG auf Art. 98 der Richtlinie des Rates vom
28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem 2006/112/EG
(MwStSystRL) in Verbindung mit Anhang III Nr. 11 zu dieser Richtlinie. Danach können die
Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz auf die "Lieferung von Gegenständen und
Dienstleistungen, die in der Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung
bestimmt sind, mit Ausnahme von Investitionsgütern wie Maschinen oder Gebäuden"
anwenden.
20 b) Zwar steht es dem nationalen Gesetzgeber danach frei, weiter gehend als nach § 12
Abs. 2 Nr. 4 UStG einen ermäßigten Steuersatz für (fast) alle sonstigen Leistungen i.S. von
§ 3 Abs. 9 UStG und damit für alle Dienstleistungen (Art. 24 Abs. 1 MwStSystRL) "die in der
Regel für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt sind", anzuordnen,
wozu auch die Klauenpflege gehört.
21 Zu beachten ist aber, dass für die Mitgliedstaaten keine Verpflichtung, sondern nur das
Recht besteht, auf die im Anhang III zur MwStSystRL genannten Leistungen einen
ermäßigten Steuersatz anzuwenden und dass für die Mitgliedstaaten nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) im Hinblick auf den
Ausnahmecharakter des ermäßigten Steuersatzes zudem die Befugnis besteht, die in
Anhang III zur MwStSystRL aufgeführten Ermächtigungen auch nur selektiv auszuüben und
auf einzelne konkrete und spezifische Aspekte der jeweiligen Kategorie von
Dienstleistungen zu beschränken, sofern dabei der Grundsatz der steuerlichen Neutralität
beachtet wird (EuGH-Urteil vom 6. Mai 2010 C-94/09, Kommission/ Frankreich, Slg. 2010, I-
4261 Rdnrn. 28 ff.).
22 c) Den sich aus der EuGH-Rechtsprechung ergebenden Anforderungen für eine nur
selektive Ausübung der Befugnis zur Schaffung eines ermäßigten Steuersatzes genügt § 12
Abs. 2 Nr. 4 UStG, indem er die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nur auf bestimmte
Leistungen anordnet, die für den Einsatz in der landwirtschaftlichen Erzeugung bestimmt
sind und dabei den Kreis der begünstigten Leistungen nach eindeutigen Kriterien
umschreibt.
23 d) Entgegen der Auffassung des Klägers liegt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz der
steuerrechtlichen Neutralität darin, dass im grenznahen Österreich für dieselbe Leistung der
dort geltende ermäßigte Steuersatz anzuwenden sein soll. Zum einen richtet sich der
Neutralitätsgrundsatz bei der Gesetzgebung nur an den jeweiligen Mitgliedstaat, so dass
unterschiedliche umsatzsteuerrechtliche Regelungen, die auf in der Richtlinie vorgesehenen
Ermächtigungen für die Mitgliedstaaten beruhen, keinen Neutralitätsverstoß bewirken.
24 Zum anderen kann es entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht durch die Tätigkeit in
Österreich ansässiger Klauenpfleger für Landwirte im Inland zu einer
Wettbewerbsgefährdung kommen. Denn nach der im Streitjahr geltenden Fassung von § 3a
Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG wurden Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen
am Ort der Tätigkeit erbracht. Zu diesen körperlichen Gegenständen gehören auch Tiere
(Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 3a Rz 413). Leistungen, die
österreichische Klauenpfleger an im Inland ansässige Landwirte auf deren Höfen erbringen,
unterliegen daher dem Regelsteuersatz des deutschen UStG. Im Hinblick auf derartige
Leistungen sind auch keine Vollzugsdefizite zu befürchten, da gemäß § 13b Abs. 1 Nr. 1 und
Abs. 2 Satz 1 UStG in seiner im Streitjahr geltenden Fassung der inländische Landwirt
Steuerschuldner für derartige Leistungen ausländischer Klauenpfleger ist. Der Übergang der
Steuerschuld setzt in der Person des Leistungsempfängers nur dessen
Unternehmereigenschaft voraus, so dass auch Landwirte, die für ihre Umsätze § 24 UStG
anwenden, Steuerschuldner sind (zutreffend Abschn. 182a Abs. 1 Satz 3 der Umsatzsteuer-
Richtlinien 2005 und Abschn. 13b.1 Abs. 1 Satz 3 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses).
25 4. Es liegt auch kein hinreichend dargelegter Verfahrensfehler vor. Das Vorbringen des
Klägers genügt nicht den Anforderungen an die Geltendmachung eines Verfahrensmangels.
§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO ist eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung der
Prozessbeteiligte verzichten kann. Der Kläger hätte vortragen müssen, dass die
Nichterhebung der angebotenen Beweise in der mündlichen Verhandlung gerügt worden
oder weshalb die Rüge nicht möglich gewesen sei. Aus dem Protokoll des FG vom 16. April
2013 ergibt sich weder, dass der Kläger das Übergehen des Beweisantrags gerügt hätte,
noch, dass er eine Protokollierung der Rüge verlangt und --im Falle der Weigerung des
Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen-- eine Protokollberichtigung gemäß § 94 FGO
i.V.m. den §§ 160 Abs. 4, 164 der Zivilprozessordnung beantragt hätte (BFH-Beschlüsse
vom 11. August 2006 VIII B 322/04, BFH/NV 2006, 2280; vom 20. April 2006 VIII B 33/05,
BFH/NV 2006, 1338, und vom 19. Dezember 2012 V B 71/12, nicht veröffentlicht).