Urteil des BFH vom 23.04.2014

Keine Zollbefreiung für eine wässrige Lösung der Etidronsäure

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 23.4.2014, VII R 27/13
Keine Zollbefreiung für eine wässrige Lösung der Etidronsäure
Leitsätze
1. Aus Anmerkung 1 Buchst. d zu Kapitel 29 KN, wonach zur Position 2931 KN "andere organisch-
anorganische Verbindungen" auch wässrige Lösungen gehören, ergibt sich nicht die Zollbefreiung
einer wässrigen Lösung der unter CAS RN 2809-21-4 genannten Etidronsäure.
2. Eine wässrige Lösung von Etidronsäure fällt nicht unter die in Anhang 3 des Teils I Titel II C Nr.
1 Ziff. 1 KN gelistete CAS RN 2809-21-4 (Etidronsäure). In dieser Liste aufgeführte Substanzen
sind nur in ihrer reinen Form zollbefreit. Der Wassergehalt der Lösung ist nicht Teil der reinen
Etidronsäure und keine --der Zollbefreiung unschädliche-- bei der chemischen Herstellung des
Endproduktes verbliebene Verunreinigung.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führt aus China eine wässrige Lösung
(HEDP-60) ein, die --abgesehen von hier nicht beachtlichen geringen Mengen anderer
chemischer Substanzen-- zu 60 % aus Hydroxyethandiphosphonsäure (auch bezeichnet als
Etidronsäure, HEDP) und zu 40 % aus Wasser besteht. Der Wasseranteil ist der verbleibende
Rest des Wassers, das der aus den flüssigen Ausgangsprodukten Phosphortrichlorid und
Essigsäure gewonnenen Masse an Polykondensaten im Überschuss zugesetzt wird, um
einerseits diese vollständig in Etidronsäure umzuwandeln und andererseits die entstandene
Salzsäure durch Destillation aus dem Produkt zu entfernen.
2 Am 23. März 2012 erteilte der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt --HZA--) der
Klägerin eine verbindliche Zolltarifauskunft (vZTA), mit der die Ware antragsgemäß in die
Unterposition 2931 90 90 der Kombinierten Nomenklatur (KN) eingereiht wurde. Weiter wurde
der Zusatzcode 2501 vergeben, der für pharmazeutische Stoffe gilt, die nicht nach Teil I
Titel II C Nr. 1 i.V.m. Teil III Abschnitt II Anhang 3 KN (in der Fassung der Verordnung (EU)
Nr. 1006/2011 --VO Nr. 1006/2011-- der Kommission vom 27. September 2011 zur Änderung
von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und
statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif, Amtsblatt der Europäischen
Union Nr. L 282/1, 734) zollfrei eingeführt werden können.
3 Mit ihrer (Sprung-)Klage wandte sich die Klägerin lediglich gegen die Vergabe des
Zusatzcodes 2501. Sie meinte, es müsse der Zusatzcode 2500 für zollfrei einzuführende
pharmazeutische Stoffe vergeben werden. Die Ware werde mit der CAS RN (Chemical
Abstracts Service Registry Number) 2809-21-4 im Teil III Abschnitt II Anhang 3 KN unter der
Bezeichnung "Etidronsäure" genannt und sei somit vom Zoll befreit. Dass die Etidronsäure
nur 60 % der Gesamtsubstanz ausmache, sei unerheblich. Pharmazeutische Substanzen
müssten zwar grundsätzlich in reiner Form vorliegen, um in den Genuss der Zollfreiheit zu
kommen. Nur Substanzen, die der Grundsubstanz nachträglich hinzugefügt würden, führten
dazu, dass die pharmazeutische Substanz nicht mehr in Reinform vorliege. Nur mit Hilfe des
zugeführten Wassers könnten die Polykondensat-Zwischenprodukte vollständig in die
gewünschte Grundsubstanz "Etidronsäure" umgesetzt werden. Wasser sei damit Teil der
Grundsubstanz "Etidronsäure".
4 Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und das HZA verpflichtet, eine vZTA zu
erteilen, mit der die streitige Ware in die Unterposition 2931 90 90 KN unter Anwendung des
Zusatzcodes 2500 für zollfrei einzuführende pharmazeutische Erzeugnisse eingereiht wird.
Etidronsäure der Warennummer 2931 90 90 KN sei in der VO Nr. 1006/2011 unter der
CAS RN als pharmazeutischer Stoff, für den Zollfreiheit gelte, aufgeführt. Für diese Stoffe sei
der Zusatzcode 2500 zu verwenden. Bei der streitgegenständlichen Ware handele es sich
trotz des Wasseranteils von 40 % um Etidronsäure in diesem Sinne. Unter Bezugnahme auf
die vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Urteil vom 17. Februar 2011 C-11/10
--Marishipping and Transport-- (Slg. 2011, I-677) vorgenommene Auslegung der
Vorgängerverordnung zur VO Nr. 1006/2011, wonach die Zollbefreiung nur pharmazeutischen
Substanzen zugutekomme, die --abgesehen von eventuellen in diesen Substanzen
vorhandenen Verunreinigungen aus Rückständen-- in reiner Form vorlägen, denen also keine
anderen Substanzen hinzugefügt worden seien, ist es zu der Auffassung gelangt, das Wasser
könne nicht als eine der Etidronsäure im Sinne des EuGH-Urteils hinzugefügte Substanz
angesehen werden. Da die bei der Herstellung ablaufende Reaktion noch nicht bis ins Letzte
bekannt und daher unklar sei, welche Wassermenge mindestens benötigt werde, müsse
zwingend Wasser im Überschuss zugeführt werden, damit sichergestellt werde, dass sich die
Etidronsäure vollständig ausbilde. Unstreitig sei, dass Etidronsäure durch Reduktion des
Wassers eine feste, kristalline Struktur bekomme, die jedoch wegen ihres hygroskopischen
Charakters gleichwohl noch Wasserreste enthalte und sich an der Luft wieder verflüssige.
Auch die vom Vertreter des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der
Bundesfinanzverwaltung vorgelegte Warenprobe sei, obwohl es sich um ein Pulver gehandelt
habe, als Hydrat, also als wasserhaltig, gekennzeichnet gewesen. Das Wasser sei also eine
für den Herstellungsprozess notwendige und auch in dem fertig hergestellten Erzeugnis
zwangsläufig vorhandene Substanz, deren Anteil unterschiedlich groß sein könne, die aber
letztlich, wenn nicht gar als Bestandteil der Ware, so doch zumindest als
herstellungsbedingter Rückstand angesehen werden müsse.
5 Mit der Revision verteidigt das HZA seine Auffassung, es handele sich bei der eingeführten
Ware nicht um reine und damit zollfrei einzuführende Etidronsäure. Der EuGH habe im Urteil
in Slg. 2011, I-677 die Anwendung der Zollbefreiung nach Teil I Titel II C KN dahingehend
eingeschränkt, dass nur pharmazeutische Stoffe in reiner Form eine Zollbefreiung erhalten
könnten. Die Zollbefreiung als Ausnahmeregelung sei eng auszulegen. Außerdem würden
nach den Leitlinien zur Anwendung der Internationalen Freinamen (INN), Freinamen nur für
einzelne Substanzen, nicht für Mischungen vergeben. Im Streitfall besäßen beide Stoffe
eigene CAS-Nummern (Etidronsäure 2809-21-4 und Wasser 7732-18-5).
6 Reine Etidronsäure der CAS-Nummer 2809-21-4 sei nach übereinstimmenden Aussagen in
der Fachliteratur ein kristalliner Feststoff mit einem Schmelzpunkt von 103° bis 105° C.
Demgegenüber liege die eingeführte Ware unstreitig in Form einer gallertartigen Masse vor,
aus der die kristalline Etidronsäure erst in einem weiteren Arbeitsschritt gewonnen werden
könne. Angesichts des Wasseranteils von 40 % --der im Übrigen auf Wunsch der Klägerin
absichtlich im Erzeugnis belassen worden sei--, handele es sich also um ein Rohprodukt, das
bei der gebotenen engen Auslegung von der Befreiungsvorschrift nicht erfasst werde. Reine
Etidronsäure liege in Form des Monohydrats vor, in welchem Wassermoleküle in das
Kristallgitter eingelagert seien, während in der wässrigen Lösung die Etidronsäure- und die
Wassermoleküle statistisch verteilt seien, sich also gerade kein Kristallgitter ausbilde.
7 Die Klägerin hebt hervor, die enge Auslegung der Befreiungsvorschrift durch das EuGH-Urteil
in Slg. 2011, I-677 sei nicht übertragbar. In dem dort entschiedenen Fall seien der
Grundsubstanz nachträglich andere Substanzen hinzugefügt worden, während vorliegend
Wasser im Überschuss noch während des Herstellungsprozesses dem Reaktionsgemisch
beigegeben werde, um überhaupt erst Etidronsäure in Form der Ware HEDP-60 herstellen zu
können. Wässrige Lösungen könnten demnach reine Substanzen im Sinne des EuGH-Urteils
sein, wenn und soweit es sich --wie hier-- um herstellungsbedingte "Verunreinigungen aus
Rückständen" handele, und zwar unabhängig von der Menge der "Verunreinigung". Entgegen
der naturwissenschaftlichen --und teilweise unrichtigen-- Argumentation des HZA habe der
EuGH den Begriffen "reine Form" und "Verunreinigung aus Rückständen" ein juristisch
wertendes Verständnis zugrunde gelegt, nach dem es nicht auf den Aggregatzustand der
Etidronsäure ankomme, sondern allein darauf, ob die zusätzliche Substanz während des
Herstellungsprozesses oder erst nachträglich dem Erzeugnis hinzugefügt worden sei. Im
Übrigen ergebe sich aus Anmerkung 1 d zu Kapitel 29 KN, dass die Zollfreiheit auch für
wässrige Lösungen gelte.
Entscheidungsgründe
8 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur
Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das
Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
9 Die vZTA, mit der das Erzeugnis "HEDP-60" mit dem Zusatzcode 2501 in die Unterposition
2931 90 90 KN eingereiht worden ist, ist rechtmäßig.
10 1. Der Klägerin kann nicht darin gefolgt werden, dass sich die Zollfreiheit bereits aus der
zolltariflichen Einreihung der Ware HEDP-60 in die Unterposition 2931 90 90 KN ergibt.
11 Zwar trifft es zu, dass nach Anmerkung 1 Buchst. d zu Kapitel 29 KN zur Position 2931 KN
"Andere organisch-anorganische Verbindungen:" auch wässrige Lösungen gehören. Mit der
zolltariflichen Einreihung in die Unterposition 2931 90 90 KN ist aber keine Aussage darüber
getroffen, ob für wässrige Lösungen einer Substanz Zollbefreiung gewährt wird. Diese
Entscheidung ist vielmehr eigenständig in Teil I Titel II C Nr. 1 Ziff. 1 KN geregelt. Danach
sind nur die pharmazeutischen Substanzen, die sowohl durch die CAS RN identifiziert als
auch durch die INN, aufgelistet im Anhang 3, erfasst werden, von den Zöllen befreit.
12 Etidronsäure der Warennummer 2931 90 90 KN ist in Anhang 3 der VO Nr. 1006/2011 unter
der CAS RN 2809-21-4 als pharmazeutischer Stoff, für den Zollfreiheit gilt, aufgeführt. Für
diesen Stoff ist als Maßnahme geregelt, dass der Zusatzcode 2500 zu verwenden ist,
während für "andere", unter die Unterposition fallende Waren der Zusatzcode 2501 zu
verwenden ist.
13 2. Entgegen der Auffassung des FG ist die zu tarifierende Ware HEDP-60 nicht identisch mit
der unter der CAS RN 2809-21-4 gelisteten Etidronsäure. Der entscheidende Unterschied
besteht darin, dass HEDP-60 nach den ausdrücklichen und von der Klägerin nicht in Frage
gestellten Feststellungen des FG neben der Etidronsäure zu 40 % aus Wasser besteht.
14 Der Senat teilt nicht die Auffassung des FG, der Wasseranteil sei für die Zollbefreiung als
Etidronsäure nicht schädlich, weil Wasser eine für den Herstellungsprozess notwendige und
auch in dem fertig hergestellten Erzeugnis zwangsläufig vorhandene Substanz sei.
15 Denn der hier zu beurteilende Wassergehalt der Ware HEDP-60 ist gerade nicht das für die
chemische Reaktion erforderliche und verwendete Wasser, sondern der verbliebene
Überschuss. Erst durch eine Reduktion dieses überschüssigen Wassers wird die feste
kristalline Struktur der Etidronsäure erreicht.
16 Mit den Ausführungen im EuGH-Urteil in Slg. 2011, I-677 lässt sich die Auffassung des FG
nicht begründen. Der EuGH hatte die Frage zu beantworten, ob einer in der Liste der
Substanzen in Anhang 3 des Teils III KN aufgeführten pharmazeutischen Substanz, der
andere, insbesondere pharmazeutische, Substanzen hinzugefügt worden sind, noch die
Zollbefreiung zugutekommen kann, die anwendbar gewesen wäre, wenn diese Substanz in
reiner Form vorgelegen hätte. Er legt die zollbefreiende Regelung der KN dahin aus, dass
Substanzen nicht zollbefreit sind, wenn sie --abgesehen von eventuellen in diesen
Substanzen vorhandenen Verunreinigungen aus Rückständen-- nicht in reiner Form
vorliegen. Substanzen wie die von ihm zu beurteilenden, die der Grundsubstanz in
unterschiedlichen Mengen hinzugefügt worden sind und die als solche nicht Teil dieser
Substanz oder des Erzeugnisses sind, aus dem die Substanz gewonnen wurde, erkennt der
EuGH nicht als solche --der Zollbefreiung unschädliche-- Verunreinigungen aus
Rückständen an.
17 Anders als das FG kann der Senat diesen Darlegungen nicht entnehmen, dass
befreiungsschädlich nur Substanzen sein können, die der Grundsubstanz hinzugefügt
wurden und die in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Herstellung des
Erzeugnisses stehen. Eine derart erweiternde Interpretation des EuGH-Urteils widerspricht
der vorangestellten Grundaussage, wonach die Bestimmung, die die Anwendung einer
Zollbefreiung vorsieht, eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass in die Europäische
Union eingeführte Erzeugnisse generell zollpflichtig sind, und sie daher als abweichende
Bestimmung eng auszulegen ist.
18 Abgesehen davon ist der 40%ige Wasseranteil der Ware HEDP-60 selbst unter
Zugrundelegung der Auffassung des FG nicht als unschädliche "Verunreinigung aus
Rückständen" anzusehen. Zwar ist Wasser nach den Feststellungen des FG Teil der
Grundsubstanz der Etidronsäure. Die reine Etidronsäure in ihrer festen, kristallinen Struktur
entsteht aber erst durch Reduktion des Wassers. Auch wenn diese Substanz als chemisches
Endprodukt ein Monohydrat, also wasserhaltig ist, ist es nicht identisch mit der wässrigen
Lösung der Ware HEDP-60. Der Wasseranteil der Ware HEDP-60 ist nach der chemischen
Reaktion mit Wasser, die zur Herstellung der Etidronsäure erforderlich war, als Überschuss
an Wasser verblieben. Er ist gerade nicht Teil der "reinen" Etidronsäure der CAS RN 2809-
21-4, sondern Teil der wässrigen Lösung der Etidronsäure, die in der Liste des Anhang 3 zu
Teil III KN nicht aufgeführt ist.
19 Der Einwand der Klägerin, Etidronsäure sei in der vorliegenden Lösung am besten stabil zu
halten und damit in dieser Form handelbar, ändert daran ebenfalls nichts. Der EuGH hat die
Zollbefreiung für eine pharmazeutische Grundsubstanz (dort Chitosan) verneint, der andere
Substanzen zum Schutz (vor Oxydation) beigefügt waren, um ihre Haltbarkeit zu verlängern,
jedenfalls wenn es (wie dort vom EuGH festgestellt und vorliegend unstreitig) grundsätzlich
möglich ist, die Substanz durch Vakuumverpackung zu schützen. Anders als das FG meint,
kann es keinen Unterschied machen, dass im Streitfall Wasser Teil der Grundsubstanz
Etidronsäure ist und nicht --wie im Fall des EuGH als "Fremdsubstanz"-- zu einem Zweck
zugeführt wurde, der für die Herstellung unerheblich ist. Denn wie oben bereits erörtert, ist
der Wassergehalt von HEDP-60 gerade nicht das Wasser, welches für die Herstellung der
Etidronsäure erforderlich war, sondern die zu ihrem Schutz belassene "Umhüllung".