Urteil des BFH vom 05.06.2014

Kindergeld: Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers bei nachträglicher Kindergeldfestsetzung nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 9 AsylbLG, 107 Abs. 1 SGB X, 104 Abs. 1 SGB X - Wirksame Geltendmachung von Erstattungsansprüchen - Kindergeld als Einkommen

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 5.6.2014, VI R 15/12
Kindergeld: Erstattungsanspruch des Sozialhilfeträgers bei nachträglicher Kindergeldfestsetzung
nach § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. §§ 9 AsylbLG, 107 Abs. 1 SGB X, 104 Abs. 1 SGB X - Wirksame
Geltendmachung von Erstattungsansprüchen - Kindergeld als Einkommen
Leitsätze
1. Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) sind
bedarfsabhängige Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt von Asylbewerberinnen und
Asylbewerbern sowie ihnen gleichgestellten ausländischen Staatsangehörigen und damit dem
Kindergeld gleichartige und nachrangige Leistungen.
2. Hat ein Sozialhilfeträger Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m.
§ 28 SGB XII) für Eltern und Kinder erbracht, die in einem Haushalt zusammenleben und eine
Bedarfsgemeinschaft bilden, so steht ihm ein Anspruch auf Erstattung des nachträglich
festgesetzten Kindergeldes zu.
Tatbestand
1 I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Verrechnung von nachträglich festgesetztem Kindergeld
mit von Sozialhilfeträgern geltend gemachten Erstattungsansprüchen.
2 Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die die kroatische Staatsangehörigkeit
besitzt, und ihr Ehemann lebten während des gesamten Streitzeitraums (Dezember 2004 bis
April 2008) mit ihrer zunächst noch minderjährigen Tochter (Kind C) und zeitweise mit ihrem
volljährigen Sohn (Kind A) in Bedarfsgemeinschaft. Die volljährige Tochter (Kind B) lebte
durchgehend in einer eigenen Wohnung.
3 Jeweils ohne Anrechnung von Kindergeld bezog die Klägerin von der Stadt Y (Beigeladene
zu 1) im Dezember 2004 für sich, ihren Ehemann und die mit ihr in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Kinder Sozialleistungen in Form von Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) nach dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG), von Januar 2005 bis Februar 2008 Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz --AsylbLG-- (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 des Zwölften Buches
Sozialgesetzbuch --SGB XII--) und vom Jobcenter im Landkreis X (Beigeladener zu 2) von
März 2008 bis April 2008 für sich und ihr Kind C Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
4 Mit Schreiben vom 14. März 2008 und vom 20. März 2008 machten der Beigeladene zu 2
und die Beigeladene zu 1 gegenüber der Beklagten und Revisionsbeklagten
(Familienkasse) Erstattungsansprüche gemäß §§ 102 ff. des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 74 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im
Hinblick auf das von der Klägerin am 11. März 2008 für zurückliegende Zeiträume für die
Kinder A, B und C beantragte Kindergeld geltend. Der Beigeladene zu 2 führte dazu in
seinem Schreiben aus:
5 "Frau ... [Klägerin] hat für ihre Tochter ... [C] ... Kindergeld beantragt. Frau ... und ihre Tochter
erhalten seit dem 01.03.08 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
SGB II."
6 Auf fernmündliche Nachfrage durch die Familienkasse erklärte der Beigeladene zu 2, dass
sich der Erstattungsanspruch auf die Monate März und April 2008 erstrecke, und bezifferte
diesen mit Telefaxschreiben vom 10. April 2008 auf einen Betrag in Höhe von 248 EUR.
7 Die Beigeladene zu 1 verwies in ihrem Schreiben vom 20. März 2008 auf folgenden
Sachverhalt:
8 "Familie ... hat bei mir bis zum 29.02.2008 laufende Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), ohne Anrechnung von Kindergeld, erhalten ...
Seitens der Familie ... wurde mitgeteilt, dass das Kindergeld eventuell rückwirkend ab dem
Jahr 2004 bewilligt wird. Sollte dies zutreffen, bitte ich meinen Ersatzanspruch zu
berücksichtigen ..."
9 Auf diesem Schreiben der Beigeladenen zu 1 befindet sich ein handschriftlicher Vermerk
über eine telefonische Rücksprache mit dem Namenszeichen "..." und einem
Datumsstempel "10.04.08", wonach der Erstattungsanspruch auf die gesamte Nachzahlung
von Dezember 2004 bis Februar 2008 gerichtet sei.
10 Die Familienkasse setzte mit Bescheid vom 10. April 2008 gegenüber der Klägerin
Kindergeld ab Dezember 2004 fest. Im Abrechnungsteil (§ 218 Abs. 2 der Abgabenordnung -
-AO--) verfügte sie ferner, dass aufgrund der von den Beigeladenen zu 1 und 2 geltend
gemachten Erstattungsansprüche für den Zeitraum von Dezember 2004 bis Februar 2008
keine Leistungen an die Klägerin ausgezahlt würden und für den Zeitraum von März 2008
bis April 2008 lediglich ein Betrag von 368 EUR. Der Anspruch der Klägerin auf Kindergeld
gelte im Übrigen gemäß § 74 Abs. 2 EStG i.V.m. § 107 SGB X als erfüllt.
11 Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage gegen den Abrechnungsbescheid
(§ 218 Abs. 2 AO) hat das Finanzgericht (FG) weitgehend abgewiesen (Entscheidungen der
Finanzgerichte 2012, 939). Es entschied, dass den Beigeladenen zu 1 und 2 wegen der
Erbringung nachrangiger Sozialleistungen dem Grunde nach ein Anspruch auf Erstattung
des für Dezember 2004 bis April 2008 festgesetzten Kindergeldes zustehe. In Bezug auf den
Monat Dezember 2004 sei der Erstattungsanspruch allerdings fehlerhaft ermittelt worden,
weil zu Gunsten der Bedarfsgemeinschaft nach § 76 Abs. 2 Nr. 5 BSHG ein Freibetrag von
monatlich 10,25 EUR für minderjährige unverheiratete Kinder anzusetzen sei.
12 Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
13 Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2008 aufzuheben und den
Abrechnungsbescheid vom 10. April 2008 dahin zu ändern, dass ihr Kindergeldanspruch
nicht als durch die Erstattungsansprüche der Beigeladenen getilgt gelte.
14 Die Familienkasse beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
15 Mit Beschluss vom 17. April 2013 hat der erkennende Senat den Landkreis X (Beigeladener
zu 3) gemäß § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Verfahren
beigeladen.
Entscheidungsgründe
16 II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a FGO. Der Senat hält einstimmig die Revision für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind
davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
17 Die Revision ist unbegründet. Sie ist nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.
18 Mit Beschluss Nr. 21/2013 vom 18. April 2013 des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit
ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes die örtliche und sachliche
Zuständigkeit der Familienkassen zum 1. Mai 2013 neu geregelt worden. Danach ist die im
erstinstanzlichen Verfahren beklagte Familienkasse A in der Familienkasse B aufgegangen.
Dieser während des Revisionsverfahrens eingetretene Zuständigkeitswechsel führt zu
einem gesetzlichen Beteiligtenwechsel (Senatsurteil vom 12. Januar 2001 VI R 102/98,
BFHE 194, 372, BStBl II 2003, 151).
19 Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO)
insoweit rechtmäßig war, als den Beigeladenen Erstattungsansprüche wegen der von ihnen
erbrachten Sozialleistungen zustehen und die Ansprüche der Klägerin auf Kindergeld daher
als erfüllt gelten (§ 107 Abs. 1 SGB X).
20 1. Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die
--hier nicht einschlägigen-- Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach
§ 104 Abs. 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte
vorrangig einen Anspruch hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit er bei
rechtzeitiger Erfüllung der Leistung durch einen anderen Leistungsträger selbst nicht zur
Leistung verpflichtet gewesen wäre. Nach § 104 Abs. 2 SGB X gilt § 104 Abs. 1 SGB X auch
dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger für den Angehörigen eines
Berechtigten Sozialleistungen erbracht hat und der Berechtigte mit Rücksicht auf diesen
Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen gegen einen vorrangig verpflichteten
Leistungsträger hat. Ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs. 2 SGB X ist gegeben, wenn
auch die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X vorliegen (Urteil des Bundesfinanzhofs -
-BFH-- vom 17. Juli 2008 III R 87/06, BFH/NV 2008, 1833). Die Leistungen der
unterschiedlichen Leistungsträger müssen deshalb gleichartig sein. Dies setzt voraus, dass
sie für dieselben Zeiträume bestimmt sind und sich in der Leistungsart und der
Zweckbestimmung entsprechen. Außerdem muss zwischen ihnen ein Verhältnis von
vorrangiger und nachrangiger Verpflichtung zur Leistung bestehen (BFH-Urteil vom 19. April
2012 III R 85/09, BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19).
21 2. Das FG ist zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass eine (formell) wirksame
Geltendmachung der Erstattungsansprüche durch die Beigeladenen zu 1 und 2 vorliegt.
22 a) Die Erstattungsansprüche wurden durch die Beigeladenen zu 1 und 2 hinreichend
konkretisiert. Hierfür müssen zumindest die Umstände, die im Einzelfall für die Entscheidung
über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und der Zeitraum, für den die Sozialleistung
erbracht wurde, hinreichend konkret mitgeteilt werden (Störmann, in Jahn, SGB X, § 104
Rz 37). Dies ist vorliegend erfolgt, indem der Beigeladene zu 2 ergänzend zu seinem
Schreiben vom 14. März 2008 fernmündlich mitteilte, dass sich sein Erstattungsanspruch auf
die Monate März und April 2008 bezieht, und die Beigeladene zu 1 ergänzend zu ihrem
Schreiben vom 20. März 2008 fernmündlich erläuterte, dass sie Erstattung für den Zeitraum
Dezember 2004 bis Februar 2008 begehrt. Der Einwand der Klägerin, dieser Umstand hätte
bereits im "Verwaltungsakt" der Beigeladenen zu 1 (Schreiben vom 20. März 2008) konkret
angegeben werden müssen, geht fehl. Mangels eines Über-/Unterordnungsverhältnisses der
beiden Behörden (Beigeladene zu 1 als Vollzugsbehörde des Beigeladenen zu 3 einerseits
und Familienkasse andererseits) kommt hier schon der Erlass eines Verwaltungsaktes nicht
in Betracht (vgl. BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 88/09, BFH/NV 2011, 1326). Zudem
besteht vorliegend kein (gesetzliches) Schriftformerfordernis (vgl. § 104 Abs. 1 SGB X).
23 b) Die streitigen Erstattungsansprüche wurden auch rechtzeitig geltend gemacht.
Erstattungsansprüche nach § 104 SGB X sind spätestens zwölf Monate nach Ablauf des
letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend zu machen. Der Lauf der Frist
beginnt jedoch frühestens zu dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte
Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine
Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (Störmann, a.a.O., § 104 Rz 37), vorliegend also
frühestens ab 10. April 2008 (Erlass des Kindergeldbescheids durch die Familienkasse). Die
Zwölf-Monats-Frist war bei Geltendmachung damit noch nicht abgelaufen.
24 3. Das FG hat weiter zutreffend entschieden, dass den Beigeladenen materiell-rechtlich --
nach der vom FG vorgenommenen Korrektur für den Monat Dezember 2004-- die geltend
gemachten Erstattungsansprüche zustehen und die Ansprüche der Klägerin auf Kindergeld
deshalb als erfüllt gelten.
25 a) Das Kindergeld ist, soweit es wie hier der Förderung der Familie dient, eine mit der HLU,
den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII)
und den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld) gleichartige Leistung.
26 Gleichartigkeit setzt voraus, dass die Sozialleistungen für denselben Zeitraum (BFH-Urteil in
BFHE 237, 145, BStBl II 2013, 19) bestimmt sind wie das Kindergeld (unter aa) und in der
Leistungsart dem Kindergeld entsprechen (unter bb). Zudem muss eine identische
Zweckbestimmung gegeben sein (vgl. BFH-Urteil vom 7. Dezember 2004 VIII R 59/04,
BFH/NV 2005, 864; unter cc). Ferner muss das Kindergeld Einkommen des Hilfeempfängers
sein (unter dd).
27 aa) Eine zeitliche Kongruenz der gewährten Sozialleistungen einerseits und des bewilligten
Kindergeldes andererseits ist vorliegend gegeben.
28 bb) Da die Sozialleistungen in Geld gewährt wurden, liegt eine mit dem Kindergeld
identische Leistungsart vor. Dies gilt auch für die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz. Denn § 2 AsylbLG normiert die entsprechende Anwendung
des SGB XII abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG für jene Leistungsberechtigten, die
über eine Dauer von 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG (Sachleistungsprinzip)
erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst
haben. Diese leistungsrechtliche Privilegierung, die nach dem Erhalt der abgesenkten
Leistungen über einen Zeitraum von 48 Monaten eintritt, hat zur Folge, dass sogenannte
Analogleistungen in entsprechender Anwendung des SGB XII auf dem erhöhten Niveau der
Sozialhilfe und als Geldleistungen beansprucht werden können (Oppermann in jurisPK-
SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG Rz 24).
29 cc) Die gewährten Sozialleistungen einerseits und das Kindergeld andererseits entsprechen
sich zudem in der Zweckbestimmung.
30 (1) Das Kindergeld nach §§ 62 ff. EStG ist, soweit es --wie im Streitfall-- der
Familienförderung dient, ebenso wie bis 2004 die HLU und seit 2005 die Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem SGB II dazu bestimmt, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu
mindern (BFH-Urteil vom 26. Juli 2012 III R 28/10, BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26,
m.w.N.).
31 (2) Bezüglich der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m.
§ 28 SGB XII) ist ebenfalls ein identischer Leistungszweck mit dem Kindergeld gegeben. Mit
dem Asylbewerberleistungsgesetz wurde mit Wirkung ab dem 1. November 1993 ein Gesetz
zum Mindestunterhalt für Asylbewerber und bestimmte andere ausländische
Staatsangehörige geschaffen, das außerhalb des für Deutsche und diesen gleichgestellte
ausländische Staatsangehörige geltenden materiellen Rechts deutlich abgesenkte
Leistungen und vorrangig Sachleistungen anstelle von Geldleistungen vorsah. Der Deutsche
Bundestag beschloss das Gesetz zur Neuregelung der Leistungen an Asylbewerber vom
30. Juni 1993 (BGBl I 1993, 1074) als eine Sonderregelung außerhalb des damaligen
Bundessozialhilfegesetzes für Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt von
Asylbewerberinnen und Asylbewerbern und ihnen gleichgestellten ausländischen
Staatsangehörigen (Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 1 BvL 10/10,
1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 134; Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1 AsylbLG
Rz 24).
32 dd) Des Weiteren setzt die Gleichartigkeit der gewährten Sozialleistungen mit dem
bewilligten Kindergeld voraus, dass das Kindergeld dem Einkommen der Hilfeempfängerin,
hier der Klägerin, zuzuordnen ist (vgl. BFH-Urteil in BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26,
m.w.N.). Dies hat das FG ebenfalls zutreffend bejaht.
33 (1) Das für die Kinder A, B und C bewilligte Kindergeld ist Einkommen der
kindergeldberechtigten Klägerin, soweit die Kinder außerhalb der Bedarfsgemeinschaft in
einem eigenen Haushalt lebten. Denn bei der Anwendung des § 104 SGB X kommt es allein
auf die sozialrechtliche Zuweisung des Kindergeldes an (BFH-Urteil vom 22. November
2012 III R 24/11, BFHE 239, 351, BStBl II 2014, 32). Das Kindergeld ist sozialrechtlich
Einkommen dessen, an den es ausgezahlt wird (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
17. Dezember 2003 5 C 25/02, BFH/NV 2005, Beilage 1, 68). Eine abweichende Zuordnung
kommt nur dann in Betracht, wenn das Kindergeld nach § 74 Abs. 1 EStG an die Kinder
abgezweigt wird oder diesen zumindest tatsächlich zufließt (BFH-Urteil in BFH/NV 2008,
1833). Beides ist vorliegend bezüglich der Kinder A und B, die zeitweise bzw. im gesamten
streitigen Zeitraum in einem eigenen Haushalt lebten, nicht erfolgt. So wurde nach den für
den BFH bindenden Feststellungen des FG kein Abzweigungsantrag gestellt. Entgegen der
Auffassung der Klägerin genügt ein bloßer möglicher Anspruch auf Abzweigung nicht (BFH-
Urteil in BFH/NV 2008, 1833). Da das Kindergeld im Streitfall nicht rechtzeitig festgesetzt
worden war, konnte es auch nicht an die Kinder weitergeleitet worden sein (Selder, jurisPR-
SteuerR 14/2013, Anm. 5). Zudem setzt ein Weiterleiten an das Kind voraus, dass das
Kindergeld so in den Verfügungsbereich des (volljährigen) Kindes gelangt, dass es zur
Existenzsicherung des Kindes, das heißt zur Deckung seiner Bedarfe eingesetzt werden
kann. Wenn hingegen die Bedarfe des Kindes --wie hier zum Teil durch gelegentliche
Bareinzahlungen der Klägerin-- durch Leistungen Dritter, zum Beispiel von
Familienangehörigen, gedeckt werden und das später an diese Dritten ausgezahlte
Kindergeld zur Refinanzierung der zuvor von diesen an das Kind erbrachten Leistungen
dient, ist dies keine Weiterleitung des Kindergeldes an das Kind (Sächsisches
Landessozialgericht, Beschluss vom 18. Juli 2012 L 3 AS 148/12 B ER, juris).
34 (2) Das bewilligte Kindergeld ist auch insoweit dem Einkommen der Klägerin zuzuordnen,
als die Kinder Teil der Bedarfsgemeinschaft waren. Denn für die Erstattungsansprüche ist es
--entgegen der Auffassung der Klägerin-- unerheblich, dass die Sozialleistungen auch für die
mit der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder erbracht wurden. Hat ein
Sozialleistungsträger bedarfsabhängige Sozialleistungen für Eltern und Kinder erbracht, die
in einem Haushalt zusammen leben und eine Bedarfsgemeinschaft bilden, so steht ihm ein
Anspruch auf Erstattung des nachträglich festgesetzten Kindergeldes zu. In diesem Falle ist
unerheblich, dass es sich bei dem Kindergeld aus sozialrechtlicher Sicht um Einkommen
des kindergeldberechtigten Elternteils handelt. Kindergeld ist in diesem Falle
sozialhilferechtlich vorrangig zur Bedarfsdeckung einzusetzen, sei es bei dem das
Kindergeld beziehenden Elternteil selbst oder bei den Kindern (vgl. BFH-Urteil in BFHE 238,
315, BStBl II 2013, 26). Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind auf den vorliegenden Fall
anwendbar, da es sich auch bei den Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
(§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) um bedarfsabhängige Leistungen für den notwendigen
Lebensunterhalt handelt.
35 (3) Diesem Ergebnis stehen --entgegen der Auffassung der Klägerin und wie das FG
zutreffend festgestellt hat-- auch nicht die BFH-Urteile in BFH/NV 2011, 1326, in BFH/NV
2008, 1833 und vom 17. April 2008 III R 33/05 (BFHE 221, 47, BStBl II 2009, 919) entgegen.
Der BFH hat in diesen Fällen entschieden, dass dem Sozialhilfeträger in der Regel kein
Anspruch auf Erstattung von nachträglich festgesetztem Kindergeld zusteht, wenn er einem
im eigenen Haushalt lebenden Kind HLU geleistet hat, weil das Kindergeld zum Einkommen
des anspruchsberechtigten Elternteils gehört. Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass
ein Erstattungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Kindergeldberechtigte mit
seinem Ehegatten und seinen Kindern in einem Haushalt lebt, alle Personen
bedarfsorientierte Sozialleistungen erhalten und daher eine sozialhilferechtliche
Bedarfsgemeinschaft bilden. Denn für den Anspruch auf Sozialhilfe ist dann allein
entscheidend, welchen Bedarf die der Bedarfsgemeinschaft angehörenden Personen haben
und welches Einkommen ihnen anrechenbar zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht (BFH-
Urteil in BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26).
36 b) Die HLU nach dem Bundessozialhilfegesetz, die Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (§ 2 AsylbLG i.V.m. § 28 SGB XII) und die Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld) sind
gegenüber dem Anspruch auf Kindergeld gemäß §§ 62 ff. EStG nachrangige Leistungen, da
der Sozialleistungsträger --hier die Beigeladenen zu 1 und 2-- bei rechtzeitiger Erfüllung der
Leistungsverpflichtung der Familienkasse selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen
wäre (§ 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X). HLU und Grundsicherungsleistungen werden
bedarfsorientiert gewährt (Störmann, a.a.O., § 104 Rz 23); der Sozialleistungsträger wäre bei
rechtzeitiger Zahlung des Kindergeldes insoweit nicht selbst zur Leistung verpflichtet (§ 2
BSHG, § 11 Abs. 1 SGB II), da das Kindergeld bei der Ermittlung der HLU nach § 76 BSHG
und bei der Grundsicherung nach § 19 Satz 3 und § 28 Abs. 2 SGB II als Einkommen
anzurechnen ist (BFH-Urteil in BFHE 238, 315, BStBl II 2013, 26). Der Nachrang der
Sozialhilfe gilt für das Asylbewerberleistungsgesetz entsprechend (Oppermann in jurisPK-
SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG Rz 125).
37 4. Nach diesen Grundsätzen kam das FG zutreffend zu dem Ergebnis, dass der
Abrechnungsbescheid (§ 218 Abs. 2 AO) insoweit rechtmäßig war, als die geltend
gemachten Erstattungsansprüche --nach der vom FG vorgenommenen Korrektur für den
Monat Dezember 2004-- der Beigeladenen wegen der von ihnen erbrachten
Sozialleistungen bestehen und die Ansprüche der Klägerin auf Kindergeld daher als erfüllt
gelten (§ 107 Abs. 1 SGB X).