Urteil des BFH vom 14.10.2010

Anhörungsrüge: Zeitpunkt der Kenntnis von einer Gehörsverletzung - Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung

BUNDESFINANZHOF Beschluss vom 14.10.2010, X S 19/10
Anhörungsrüge: Zeitpunkt der Kenntnis von einer Gehörsverletzung - Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung
Tatbestand
1 I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger, Beschwerdeführer und Rügeführer (Kläger) abgewiesen, weil die
Klagefrist nicht eingehalten worden war. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde nicht gewährt. Revision gegen
das Urteil wurde nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat der angerufene Senat durch Beschluss vom
17. März 2010 X B 114/09, abgesandt am 29. April 2010, als unbegründet zurückgewiesen.
2 Gegen diesen Beschluss haben die Kläger die vorliegende Anhörungsrüge erhoben, die am 2. Juli 2010 beim
Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen ist. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, dass unter Berücksichtigung
des dem Urteil zugrunde liegenden Streitstandes das Schreiben des Klägers vom 21. November 2007 an das FG nicht
ausreichend gewürdigt worden sei. Das FG habe den darin enthaltenen Antrag auf das verfahrensrechtlich Mögliche
stillschweigend reduziert, "ohne dass über den Hauptsachantrag entschieden wurde oder zumindest dem Kläger
mitgeteilt wurde, dass die Aussetzungsentscheidung des Finanzamts keine Einspruchsentscheidung in der Hauptsache
ist und diese abgewartet werden müsse, bis Klage erhoben werden kann". Es sei verfahrensrechtlich nicht zulässig,
eine Klage überhaupt nicht zur Kenntnis zu nehmen. Hierdurch sei der Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen
Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden. Bei Berücksichtigung dieses Schreibens wäre den Klägern
kein Verschulden für die Fristversäumung anzulasten gewesen, deshalb sei die Verletzung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör auch für das Wiedereinsetzungsverfahren entscheidungsrelevant.
3 Hilfsweise beantragen die Kläger, ihr Vorbringen als Gegenvorstellung zu werten. Es liege ein Verstoß gegen die durch
Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes garantierte Rechtsschutzgarantie vor, da die vom Kläger am 21. November 2007
eingereichte Klage nicht beschieden worden sei. Zudem habe der Kläger wegen der Beschlagnahme seiner gesamten
Unterlagen während des bisherigen Besteuerungs- und Gerichtsverfahrens keine detaillierte Stellungnahme abgeben
können. Da er die Akten am 26. März 2010 zurückerhalten habe, könne er nun die entsprechenden Aufstellungen
fertigen. Im Übrigen liege kein gewerblicher Grundstückshandel vor. Sollte demgegenüber ein gewerblicher
Grundstückshandel angenommen werden, begehren die Kläger die Berücksichtigung der Grundstücksveräußerungen
der Jahre 1992 bis 1996, da sie nach ihren Berechnungen bei keinem Objekt einen Gewinn erzielt hätten.
Entscheidungsgründe
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II. 1. Die gemäß § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Anhörungsrüge ist als unzulässig zu verwerfen, da
sie nicht in der gesetzlichen Frist erhoben worden ist (§ 133a Abs. 4 Satz 1 FGO).
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a) Gemäß § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO ist die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des
rechtlichen Gehörs zu erheben. Der Beschluss des BFH vom 17. März 2010 wurde am 29. April 2010 abgesandt und
gilt damit als am 3. Mai 2010 bekannt gegeben. Bereits mit der Bekanntgabe des in vollständiger Form abgefassten
Beschlusses erhielten die anwaltlich vertretenen Kläger Kenntnis von den Entscheidungsgründen und damit auch von
dem Umstand, der ihrer Meinung nach eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör begründen soll,
nämlich die --vermeintlich-- fehlende Berücksichtigung ihres Schreibens vom 21. November 2007. Für die Frage der
Kenntnis i.S. des § 133a Abs. 2 Satz 1 FGO ist es dagegen unerheblich, wann ein bislang nicht beauftragter
Prozessbevollmächtigter im Rahmen der Prüfung des Sachverhaltes und der Sichtung der von den Klägern zur
Verfügung gestellten Unterlagen von dem Umstand einer Gehörsverletzung Kenntnis erlangt.
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b) Die Kläger haben keine weitere Gehörsverletzung geltend gemacht, die nicht aus den Entscheidungsgründen
ersichtlich gewesen wäre und bei der die Frist erst mit deren positiver Kenntniserlangung begonnen hätte (vgl.
Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 28. Aufl., § 321a Rz 14).
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c) Die Anhörungsrüge ist erst am 2. Juli 2010 und damit verspätet beim BFH eingegangen. Gründe für eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind nicht geltend gemacht worden und aus den Akten auch nicht erkennbar.
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2. Die hilfsweise erhobene Gegenvorstellung der Kläger ist nicht statthaft.
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a) Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 25. November 2008 1 BvR
848/07, BVerfGE 122, 190) und des BFH (Beschlüsse vom 1. Juli 2009 V S 10/07, BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824;
vom 19. November 2009 III S 43/09, BFH/NV 2010, 453, und vom 28. Mai 2010 III S 11/10, BFH/NV 2010, 1651) kann
eine Gegenvorstellung nur noch gegen eine abänderbare Entscheidung des Gerichts erhoben werden. Die
Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde wird hingegen materiell rechtskräftig und ist
daher nicht mehr änderbar.
10 b) Selbst wenn die Statthaftigkeit der Gegenvorstellung unterstellt würde, wäre sie nur dann zulässig, wenn
substantiiert dargelegt würde, die angegriffene Entscheidung beruhe auf schwerwiegenden Grundrechtsverstößen
oder sie entbehre jeder gesetzlichen Grundlage (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2005 IV S 10/05, BFHE 211, 13,
BStBl II 2006, 76). Solche Einwendungen haben die Kläger nicht geltend gemacht. Insbesondere zeigt ihr Vortrag
keine greifbare Gesetzeswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung auf.
11 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133a Abs. 4 Satz 4 FGO).
12 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Gerichtskosten für die Anhörungsrüge richten sich nach
Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz --GKG-- (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG). Es fällt eine
Festgebühr von 50 EUR an. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gerichtsgebührenfrei (BFH-Beschluss vom 14.
November 2006 IX S 14/06, BFH/NV 2007, 474).