Urteil des BFH vom 03.07.2014

Uneinbringlichkeit im insolvenzrechtlichen Eröffnungsverfahren

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 3.7.2014, V R 32/13
Uneinbringlichkeit im insolvenzrechtlichen Eröffnungsverfahren
Leitsätze
Der Vorsteuerberichtigungsanspruch gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG entsteht
mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt i.S. von § 21
Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO (Bestätigung des BFH-Urteils vom 8. August 2013 V R 18/13, BFHE
242, 433, BFH/NV 2013, 1747).
Tatbestand
1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war als Einzelunternehmer gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2
des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (UStG) Organträger
einer GmbH. Die GmbH beantragte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen.
Das Insolvenzgericht bestellte mit Beschluss vom 25. Februar 2009 einen vorläufigen
Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen nur noch mit seiner Zustimmung
wirksam sind. Mit einem Ergänzungsbeschluss vom 9. März 2009 ordnete das
Insolvenzgericht weitere Beschränkungen beim Abschluss von Verträgen an. Mit Beschluss
vom 30. April 2009 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen
der GmbH.
2 Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte
(das Finanzamt --FA--) davon aus, dass der Kläger als Organträger aufgrund der
Zahlungsunfähigkeit und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei der GmbH den
Vorsteuerabzug aus den unbezahlt gebliebenen Leistungsbezügen der GmbH nach § 17
Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen habe. Hieraus ergab sich ein Berichtigungsbetrag von
86.372,43 EUR, den das FA bei der Festsetzung der Umsatzsteuer 2009 durch Bescheid vom
2. Juni 2010 gegenüber dem Kläger gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO) berücksichtigte.
Hiergegen wurde kein Einspruch eingelegt. Ein Änderungsantrag wurde vom FA
bestandskräftig zurückgewiesen.
3 Das FA "änderte" den Bescheid vom 2. Juni 2010 gemäß § 164 Abs. 2 AO durch Bescheid
vom 31. März 2011, ohne dass dabei betragsmäßige Änderungen vorgenommen wurden. Der
Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte ebenso
wie die Klage zum Finanzgericht (FG) keinen Erfolg.
4 Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2013, 1894 veröffentlichten Urteil des FG
bestand die Organschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens fort, so dass der Kläger
als Organträger Schuldner des Berichtigungsbetrags gewesen sei.
5 Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision. Die Organschaft habe nach der
neueren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bereits mit der Bestellung des
vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt geendet.
6 Während des Revisionsverfahrens erging der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom
25. April 2014.
7 Der Kläger beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und den Umsatzsteuerjahresbescheid 2009 vom 25. April 2014
dahingehend zu ändern, dass die Vorsteuerkorrektur von 86.372,34 EUR nicht vorgenommen
wird.
8 Das FA regt an, den Fall an das FG zurückzugeben.
Entscheidungsgründe
9 II. Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Die Revision des
Klägers ist aber in der Sache unbegründet und die Klage abzuweisen. Das FG hat zu Recht
entschieden, dass sich der Vorsteuerberichtigungsanspruch gegen den Kläger richtet.
10 1. Das Urteil des FG ist aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben. Da dem FG-Urteil
ein nicht mehr existierender Verwaltungsakt zugrunde liegt, konnte es keinen Bestand haben
(vgl. BFH-Urteile vom 30. Mai 2001 VI R 85/00, BFH/NV 2001, 1291; vom 3. November 2005
V R 63/02, BFHE 212, 161, BStBl II 2006, 337; vom 10. November 2010 XI R 79/07, BFHE
231, 373, BStBl II 2011, 311).
11 Der im Revisionsverfahren ergangene Umsatzsteuerjahresbescheid für 2009 vom 25. April
2014 hat den Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid April 2009, der Gegenstand des
finanzgerichtlichen Verfahrens war, i.S. der §§ 68 Satz 1, 121 Satz 1 der
Finanzgerichtsordnung (FGO) ersetzt. Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach
Klageerhebung durch einen anderen Verwaltungsakt geändert oder ersetzt, wird gemäß der
auch im Revisionsverfahren (§ 121 FGO) geltenden Vorschrift des § 68 FGO der neue
Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das gilt auch für den
Umsatzsteuerjahresbescheid im Verhältnis zum Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid
(vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Februar 1991 V R 130/86, BFHE 163, 408, BStBl II 1991, 465;
vom 4. November 1999 V R 35/98, BFHE 190, 67, BStBl II 2000, 454, unter II.1.; in BFHE
212, 161, BStBl II 2006, 337, unter II.1.; in BFHE 231, 373, BStBl II 2011, 311, unter II.1.; vom
24. April 2013 XI R 3/11, BFHE 242, 410, BStBl II 2014, 86, unter II.1.). Gegenstand der
revisionsrechtlichen Prüfung ist deshalb nunmehr die Rechtmäßigkeit des
Umsatzsteuerjahresbescheids 2009 vom 25. April 2014.
12 2. Die Sache ist spruchreif, da der vom FG festgestellte Sachverhalt ausreicht, um
abschließend prüfen und beurteilen zu können, ob der Umsatzsteuerjahresbescheid 2009
vom 25. April 2014 rechtmäßig ist.
13 Denn hinsichtlich der zwischen den Beteiligten allein streitigen Frage, ob der Kläger
Schuldner des Vorsteuerberichtigungsanspruchs ist, hat sich durch Erlass des
Umsatzsteuerjahresbescheids für 2009 vom 25. April 2014 nichts geändert. Auf Nachfrage
durch die Geschäftsstelle des Senats hat der Kläger nicht mitgeteilt, dass sich der Streitstoff
durch den Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheids geändert hat. Aus der Anlage zu
diesem Bescheid und dem mit ihm geltend gemachten Nachforderungsbetrag ergibt sich
vielmehr, dass Streitgegenstand weiterhin nur die Vorsteuerberichtigung ist.
14 Der Senat sieht deshalb von einer Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG nach § 127 FGO ab.
15 3. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger Schuldner des
Vorsteuerberichtigungsanspruchs ist. Der Senat kann dabei offenlassen, ob die Klage
bereits im Hinblick auf eine Unzulässigkeit des Einspruchs unbegründet war. Unabhängig
hiervon erweist sich die Klageabweisung durch das FG deshalb als im Ergebnis zutreffend,
da der Berichtigungsanspruch bereits mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters
mit Zustimmungsvorbehalt und damit noch vor Beendigung der Organschaft entstanden ist.
16 a) Der erkennende Senat hat mit Urteil vom 8. August 2013 V R 18/13 (BFHE 242, 433,
BFH/NV 2013, 1747, Leitsatz 1 und 2) entschieden, dass die organisatorische Eingliederung
endet, wenn das Insolvenzgericht für die Organgesellschaft einen vorläufigen
Insolvenzverwalter bestellt und zugleich gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der
Insolvenzordnung anordnet, dass Verfügungen nur noch mit Zustimmung des vorläufigen
Insolvenzverwalters wirksam sind und dass der Vorsteuerberichtigungsanspruch nach § 17
Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters
mit Zustimmungsvorbehalt entsteht. Endet zugleich die Organschaft, richtet sich der
Vorsteuerberichtigungsanspruch für Leistungsbezüge der Organgesellschaft, die unbezahlt
geblieben sind, gegen den bisherigen Organträger.
17 b) Danach kommt es auf die im bisherigen Verfahren bestehende Streitfrage, ob die
Organschaft erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder bereits mit der Bestellung
des vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinen Zustimmungsvorbehalt endete, nicht
an. Denn auch im zuletzt genannten Fall richtet sich der Vorsteuerberichtigungsanspruch
gegen den Kläger als bisherigen Organträger. Im Gegensatz zu der Fallgestaltung über die
der Senat in seinem Urteil in BFHE 242, 433, BFH/NV 2013, 1747 zu entscheiden hatte, hat
das FA im Streitfall nicht geltend gemacht, dass der Kläger auch die Umsätze der GmbH im
Zeitraum nach der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit
Zustimmungsvorbehalt zu versteuern hat. Nur hierfür wäre die Frage, zu welchem Zeitpunkt
die Organschaft geendet hat, von Bedeutung.