Urteil des BFH vom 13.03.2003

BFH: aufrechnung, sammlung, entstehung, einspruch, untätigkeitsklage, abgabenordnung, verwalter, behandlung, zugehörigkeit, bedingung

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Gericht:
Finanzgericht des
Landes Brandenburg
4. Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2003
Aktenzeichen:
4 K 96/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 226 AO 1977, § 37 Abs 2 AO
1977, § 96 Abs 1 Nr 1 InsO, § 38
InsO, § 35 InsO
(Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei Aufrechnung gegen
nach Insolvenzeröffnung geleistete
Umsatzsteuervorauszahlungen und gegen
Vorsteuervergütungsansprüche)
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem durch Beschluss des Amtsgerichts L.... vom 13.03.2003,
Az. 3.2 IN 41/03, eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der Firma TRB
Baugesellschaft mbH.
Mit Umsatzsteuer-Voranmeldungen für März bis Dezember 2003, die unter der Masse-
Steuernummer .../.../..330 abgegeben wurden, meldete der Kläger Umsätze zu 16 % in
Höhe von 6.876 € und Vorsteuern in Höhe von 409,44 € an und entrichtete für die
Gemeinschuldnerin Vorauszahlungen in Höhe von 690,86 €. Ferner reichte der Kläger
am 18.05.2004 die Umsatzsteuererklärung für den Zeitraum 13.03.2003 bis 31.12.2003
ein. Hierin waren zusätzlich negative Umsätze in Höhe von netto 19.103,52 € aus
Umsatzsteuerkorrekturen aufgrund von Rechnungskürzungen und Forderungsausfällen
nach § 17 Umsatzsteuergesetz -UStG- erklärt. Diese Korrekturen beruhten sämtlich auf
in Zeiträumen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführten Leistungen und
ergaben - für sich betrachtet - eine negative Umsatzsteuer in Höhe von 3.056,56 €. Der
Beklagte stimmte der Erklärung gemäß § 168 Satz 2 Abgabenordnung -AO- zu, wodurch
die Umsatzsteuer lt. Mitteilung vom 06.08.2004 (Bl. 37 Gerichtsakten -GA-) in Höhe von
./. 2.365,76 € festgesetzt wurde. Unter Berücksichtigung der entrichteten
Umsatzsteuervorauszahlungen in Höhe von 690,86 € ergab sich ein Guthaben von
3.056,62 €, das der Beklagte mit Umbuchungsmitteilung vom 16.08.2004 (Bl. 38 GA),
auf deren Wortlaut hiermit Bezug genommen wird, auf die Umsatzsteuerschuld
Dezember 2002 der Gemeinschuldnerin unter der Steuernummer .../.../..322 umbuchte.
Der Kläger widersprach der Umbuchung mit der Begründung, sie verstoße seiner
Auffassung nach gegen das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 Insolvenzordnung
-InsO-, und beantragte, das gesamte Guthaben an die Masse auszukehren. Daraufhin
erließ der Beklagte am 01.09.2004 einen Abrechnungsbescheid, in dem er vom
Erlöschen des Umsatzsteuerguthabens 2003 in Höhe von insgesamt 3.056,62 € durch
Aufrechnung mit Umsatzsteuer Dezember 2002 ausging. Hiergegen legte der Kläger am
17.09.2004 Einspruch ein und kündigte dessen Rücknahme für den Fall an, dass der
Beklagte ein Teilguthaben von 1.100,30 € an die Masse auskehren würde. Denn nach der
Rechtsprechung des VII. Senats des Bundesfinanzhofs -BFH- seien in dieser Höhe
Guthaben nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden. Die für März bis
Dezember 2003 geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 690,86 € seien zweifelsfrei
nach Verfahrenseröffnung gezahlt worden. Ein weiteres Teilguthaben in Höhe von 409,44
€ beruhe auf Vorsteuern aus Leistungen, die ebenfalls nach Verfahrenseröffnung
erbracht worden seien.
Der Beklagte verweigerte unter Bezugnahme auf das Urteil des BFH vom 20.07.2004 VII
R 28/03 (BFHE 206, 321, BStBl. II 2005, 10) weiterhin die Anerkennung eines Guthabens.
Aufgrund der in den Voranmeldungen wie der Umsatzsteuerjahreserklärung 2003 gleich
gebliebenen Vorsteuerbeträge beruhe das Guthaben allein auf der Korrektur der
Umsätze nach § 17 UStG. Zwar sei der Erstattungsanspruch steuerrechtlich erst
während des Insolvenzverfahrens dadurch erfüllbar geworden, dass
umsatzsteuerpflichtige Forderungen der Gemeinschuldnerin nach Verfahrenseröffnung
uneinbringlich geworden und der Steuerbetrag zu diesem Zeitpunkt nach § 17 UStG
entsprechend berichtigt worden sei. Der Rechtsgrund des Erstattungsanspruchs sei aber
bereits in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden durch die
damalige Besteuerung der Entgelte. Dadurch habe die Gemeinschuldnerin schon
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damalige Besteuerung der Entgelte. Dadurch habe die Gemeinschuldnerin schon
damals einen aufschiebend bedingten Erstattungsanspruch erlangt.
Am 13.01.2005 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben, mit der er nur noch die
Feststellung eines Guthabens von 1.100,30 € begehrt. Er macht wie bisher geltend, dass
ungeachtet der rechtlichen Qualifizierung der sog. Umbuchungsmitteilung dieses
Guthaben dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Verbindung mit § 37
Abs. 2 AO unterliege. Nach den Urteilen des BFH vom 16.11.2004 (VII R 75/03, BFHE
208, 296, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV-
2005, 730) und des Finanzgerichts Berlin vom 13.05.2003 (5 K 5083/01, nicht
veröffentlicht; Bl. 47 ff. GA) seien die umsatzsteuerlichen Saldierungsregeln im Sinne
von §§ 16 ff UStG zwingend vorrangig im Rahmen der Prüfung einer etwaigen
Aufrechnungslage zu berücksichtigen. Auf "ursächliche Zusammenhänge" stelle der BFH
hingegen nicht ab.
Mit Einspruchsentscheidung vom 10.06.2005 hat der Beklagte den Einspruch aus den
bereits genannten Gründen als unbegründet zurückgewiesen.
Der Kläger beantragt, den Abrechnungsbescheid vom 01.09.2004 unter Aufhebung der
Einspruchsentscheidung vom 10.06.2005 dahingehend zu ändern, dass ein
Umsatzsteuerguthaben 2003 in Höhe von 1.100,30 € festgestellt wird, hilfsweise, die
Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte hält an seiner Rechtsauffassung fest. Ferner vertritt er die Ansicht, dass es
sich bei der Umbuchungsmitteilung, spätestens aber beim Abrechnungsbescheid um
eine wirksame Aufrechnungserklärung gehandelt habe, wodurch das
Umsatzsteuerguthaben 2003 erloschen sei.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze
und die vorgelegten Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die ursprünglich als Untätigkeitsklage erhobene Klage ist zulässig. Denn sie ist mit
Erlass der Einspruchsentscheidung in die Zulässigkeit hineingewachsen.
Sie ist auch begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid vom 01.09.2004 und
die dazu ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtswidrig und verletzen den Kläger
in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung -FGO-). Das
Umsatzsteuerguthaben 2003 ist in Höhe von 1.100,30 € nicht durch Aufrechnungs-
erklärung des Beklagten vom 16.08.2004 erloschen (§ 47 Abgabenordnung -AO-).
Es kann dahinstehen, ob - wie der Senat in Anlehnung an die früheren Urteile des
Finanzgerichts des Landes Brandenburg (vom 07.07.2004 4 K 2559/01 nicht
veröffentlicht; vom 16.12.2003 3 K 1661/02, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG-
2005, 675, bestätigt durch BFH, Urteil vom 26.07.2005 VII R 72/04, BFHE, 210, 8, BFH/NV
2005, 1900) meint - in der Umbuchungsmitteilung vom 16.08.2004 eine wirksame
Aufrechnungserklärung liegt. Denn jedenfalls steht einer Aufrechnung in Höhe von
1.100,30 € vorliegend das Aufrechnungsverbot nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Verbindung
mit § 37 Abs. 2 AO entgegen.
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind gemäß § 37 Abs. 1 AO der
Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch und u.a. der Erstattungsanspruch nach
Abs. 2 der Vorschrift. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO hat derjenige, auf dessen Rechnung
eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt worden ist, einen Anspruch auf Erstattung
des gezahlten Betrages. Er hat auch dann einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten
Betrages, wenn der rechtliche Grund für die Zahlung später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2
AO).
Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung ausgeschlossen, wenn ein
Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Masse
schuldig geworden ist. Für die Frage, ob die Aufrechnung durch den Insolvenzgläubiger -
hier den Beklagten - nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO möglich ist, ist entscheidend, dass die
Hauptforderung ihrem Kern nach bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
entstanden ist. Damit wird die Aufrechnung gegen steuerrechtliche Forderungen
ermöglicht, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar noch nicht im
Sinne des § 38 AO entstanden, wohl aber insolvenzrechtlich "begründet" sind. Nach
ständiger Rechtsprechung des BFH kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob ein
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ständiger Rechtsprechung des BFH kommt es nämlich hinsichtlich der Frage, ob ein
Anspruch zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) gehört oder ob die Forderung eines Gläubigers
eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) ist, nicht darauf an, ob der Anspruch zum Zeitpunkt
der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im steuerrechtlichen Sinne entstanden war,
sondern darauf, ob in diesem Zeitpunkt nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der
Rechtsgrund für den Anspruch bereits gelegt war (z.B. BFH-Urteile vom 05.10.2004 VII R
69/03, BFHE, 208, 10, BStBl. II 2005, 195; vom 16.11.2004 VII R 75/03, a.a.O.). Hierfür
können auch zivilrechtliche Umstände maßgeblich sein. Für die Behandlung von
Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann
Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO ist, wenn sie vor Eröffnung des
Insolvenzverfahrens in der Weise "begründet" worden ist, dass der zugrunde liegende
zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, bereits vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Nach denselben Grundsätzen
beurteilt der BFH in ständiger Rechtsprechung (Urteile vom 21.09.1993 VII R 119/91,
BFHE 172, 308, BStBl. II 1994, 83; vom 21.09.1993 VII R 68/92, BFH/NV 1994, 521; vom
17.12.1998 VII R 47/98, BFHE 188, 149, BStBl. II 1999, 423; vom 01.08.2000 VII R 31/99,
BFHE 193, 1, BStBl. II 2002, 323) auch den Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen
Entstehung, d.h. die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse (§ 35 InsO) eines
steuerrechtlichen Vergütungs- oder Erstattungsanspruchs des Schuldners.
In Anwendung dieser Grundsätze konnte der Beklagte nur in Höhe eines Betrags von
1.956,32 € wirksam die Aufrechnung erklären. Dies ergibt sich aus der folgenden, der
Gesetzessystematik der §§ 16 und 17 UStG entsprechenden Aufgliederung:
Umsätze zu 16 %
USt-Korrektur
Vorsteuern, nach Insolvenzeröffnung begründet
Festgesetzte Umsatzsteuer für 2003 (zur - Masse)
Vorauszahlungen nach Insolvenzeröffnung
Erstattungsanspruch
Eine Aufrechnung gegen den Vorauszahlungsbetrag von 690,86 € scheitert am
Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Entgegen der Auffassung des Beklagten
liegt der Gesamterstattungsbetrag von 3.056,62 € nicht ausschließlich in den
Umsatzsteuerkorrekturen nach § 17 UStG begründet, er wird lediglich durch diese
verursacht. Vielmehr setzt sich das Guthaben, wie der Mitteilung vom 06.08.2004 zu
entnehmen ist, zusammen aus dem negativen Festsetzungsbetrag von 2.365,76 € und
den unstreitig nach Insolvenzeröffnung geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen in
Höhe von 690,86 €. Diese Vorauszahlungen waren, was ebenfalls unstreitig ist, durch
nach Insolvenzeröffnung erbrachte Lieferungen und Leistungen begründet. Mit der
Entrichtung der Vorauszahlungen erlangte der Schuldner einen Erstattungsanspruch
unter der aufschiebenden Bedingung, dass die zu entrichtende Jahresumsatzsteuer
geringer ausfällt als die Summe der geleisteten Vorauszahlungen (BFH, Urteil vom
31.05.2005 VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745). Der Rechtsgrund für die Erstattung der
Umsatzsteuervorauszahlungen war dementsprechend nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens mit Zahlung angelegt.
Auch der Aufrechnung gegen den in der negativen Festsetzung enthaltenen Teilbetrag
von 409,44 € steht das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entgegen. Denn
hierbei handelt es sich um einen Vorsteuervergütungsanspruch des Schuldners, der
ausschließlich auf nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (insolvenzrechtlich)
begründeten Vorsteuerbeträgen beruht. Für das insolvenzrechtliche "Begründetsein" des
Vorsteuervergütungsanspruchs ist der Zeitpunkt der Leistungserbringung an den
Schuldner maßgebend (BFH-Urteile vom 21.09.1993 VII R 119/91 a.a.O.; vom
21.09.1993 VII R 68/92 a.a.O.; vom 17.12.1998 VII R 47/98 a.a.O.; vom 01.08.2000 VII R
31/99 a.a.O.). Da unstreitig ist, dass die den Vorsteueranspruch begründenden
Unternehmerleistungen nach Insolvenzeröffnung erbracht wurden, ist auch der
Vorsteuervergütungsanspruch nach der Insolvenzeröffnung begründet worden. Dieser
Betrachtungsweise steht § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG nicht entgegen. Denn aus dieser
Vorschrift folgt lediglich, dass die in den Besteuerungszeitraum fallenden abziehbaren
Vorsteuerbeträge mit der berechneten Umsatzsteuer zu saldieren sind. Der BFH hat
aber in seinem Urteil vom 16.11.2004 (VII R 75/03 a..a.O.) klargestellt, dass das
Finanzamt, um dem Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO Rechnung zu tragen,
im Rahmen der Saldierung nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG - oder auch danach im Falle
eines dann noch verbleibenden Vergütungsanspruchs - die Vorsteuerbeträge in solche
aus vor und nach der Insolvenzeröffnung ausgeführten Leistungen aufzuteilen hat und
nur gegen denjenigen Teil die Aufrechnung erklären kann, der auf vor der
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nur gegen denjenigen Teil die Aufrechnung erklären kann, der auf vor der
Insolvenzeröffnung erbrachte Unternehmerleistungen zurückzuführen ist.
Für das vorliegende Ergebnis spricht im Übrigen auch, dass bei früherer Vornahme der
Umsatzsteuerkorrekturen nach § 17 UStG, beispielsweise bereits im Rahmen der
Umsatzsteuervoranmeldungen für 2003, gar keine Umsatzsteuervorauszahlungen
hätten entrichtet werden müssen und bereits früher ein Vorsteuervergütungsanspruch
auszuzahlen gewesen wäre. Auch in diesem Fall hätte der Beklagte nur mit einem
Guthaben von 1.956,32 € aufrechnen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war zuzulassen, da
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
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