Urteil des BFH vom 30.10.2008

BFH: Lohnsteuerpauschalierung für Zukunftssicherungsleistungen, Auflösung und Beendigung eines Dienstverhältnisses, beendigung des dienstverhältnisses, direktversicherung, geschäftsführer, anschluss

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 30.10.2008, VI R 53/05
Lohnsteuerpauschalierung für Zukunftssicherungsleistungen - Auflösung und Beendigung eines Dienstverhältnisses
Leitsätze
Die Beendigung des Dienstverhältnisses i.S. des § 40b Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz EStG ist die nach bürgerlichem (Arbeits-
)Recht wirksame Beendigung. Ein Dienstverhältnis kann daher auch dann beendet sein, wenn der Arbeitnehmer und sein
bisheriger Arbeitgeber im Anschluss an das bisherige Dienstverhältnis ein neues vereinbaren, sofern es sich nicht als
Fortsetzung des bisherigen erweist. Es liegt keine solche Beendigung vor, wenn das neue Dienstverhältnis mit demselben
Arbeitgeber in Bezug auf den Arbeitsbereich, die Entlohnung und die sozialen Besitzstände im Wesentlichen dem bisherigen
Dienstverhältnis entspricht.
Tatbestand
1
I. Streitig ist, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) für vom Arbeitgeber erbrachte Zukunftssicherungsleistungen
die Lohnsteuerpauschalierung nach § 40b Abs. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch nehmen
kann.
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Der Kläger war im Streitjahr (1999) alleiniger Gesellschafter der ... GmbH (GmbH) und seit 1970 auch deren einziger
Geschäftsführer. Nach dem zwischen dem Kläger und der GmbH 1988 abgeschlossenen Anstellungsvertrag stand
dem Kläger mit Vollendung des 65. Lebensjahres ein Pensionsanspruch in Höhe von 2 000 DM monatlich zu. Im Juni
1999 vollendete der Kläger sein 65. Lebensjahr.
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Im Hinblick darauf beschloss die Gesellschafterversammlung der GmbH in der Person des Klägers am 11. Mai 1999,
den Dienstvertrag mit dem Kläger zum 30. Juni 1999 aufzuheben. Weiter sollte die GmbH zur Ablösung der
Pensionsvereinbarung den Betrag aus der Rückdeckungsversicherung in eine Direktversicherung mit
Rentensofortbezug zugunsten des Klägers einzahlen. Die GmbH und der Kläger gingen davon aus, dass diese
Leistung an den Kläger nach § 40b EStG teilweise pauschaliert versteuert werden könne.
4
Am 22. Mai 1999 vereinbarten die durch den Kläger vertretene GmbH und der Kläger in einem Aufhebungs- und
Abwicklungsvertrag, den Anstellungsvertrag aufzuheben und die Pensionsvereinbarung, wie im Beschluss der
Gesellschafterversammlung vorgesehen, abzulösen. Mit einem weiteren zwischen dem Kläger und der GmbH am 28.
Juni 1999 abgeschlossenen Vertrag wurde vereinbart, dass der Kläger ab 1. Juli 1999 auf unbestimmte Zeit mit einer
Wochenarbeitszeit von 16 Stunden und monatlichen Bezügen von 3 000 DM für die GmbH tätig sein sollte. Die
Präambel des Vertrags lautete "Damit das Wissen, die Erfahrung, die Kunden- und Lieferantenbeziehungen der
Gesellschaft auch weiterhin zur Verfügung stehen". Zum 1. Juli 1999 stellte die GmbH schließlich zwei Geschäftsführer
ein, die den Anstellungsvertrag zwischen dem Kläger und der GmbH am selben Tag unterzeichneten.
5
Die von der GmbH gezahlten Beiträge zur Direktversicherung in Höhe von 315 793 DM versteuerte die GmbH zu
einem Teilbetrag in Höhe von 125 136 DM pauschal nach § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG mit 20 %. Der Kläger
berücksichtigte in seiner Einkommensteuererklärung seine laufenden Bezüge als Geschäftsführer und als Berater der
GmbH. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) veranlagte den Kläger mit Bescheid vom 30.
August 2001 erklärungsgemäß.
6
Im Anschluss an eine bei der GmbH durchgeführten Außenprüfung vertrat das FA auf Grundlage der Feststellungen
der Außenprüfung die Ansicht, dass die Beiträge zur Direktversicherung mit Rentensofortbezug in Höhe von
insgesamt 315 793 DM als lohnsteuerpflichtiger Bezug des Klägers zu erfassen seien. Mit nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der
Abgabenordnung (AO) geändertem Einkommensteuerbescheid vom 15. Mai 2002 berücksichtigte das FA die von der
GmbH gezahlten Beträge zur Direktversicherung als Arbeitslohn. Eine Besteuerung des Teilbetrags in Höhe von 125
136 DM nach § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG ließ es dabei nicht zu, weil dies nur aus Anlass der Beendigung eines
Dienstverhältnisses möglich sei, aber das Dienstverhältnis mit dem Kläger über den 30. Juni 1999 hinaus
fortbestanden habe.
7
Der Einspruch blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) wies die dagegen erhobene Klage mit den in Entscheidungen
der Finanzgerichte 2006, 50 veröffentlichten Gründen hinsichtlich des Streitpunkts der pauschalen Lohnversteuerung
ab. Es folgte insbesondere nicht der vom Kläger vertretenen Auffassung, dass das Dienstverhältnis i.S. der
Pauschalierungsvorschrift des § 40b Abs. 2 Satz 3 EStG beendet worden sei.
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Das FA hat in Vollzug des Urteils des FG den streitigen Einkommensteuerbescheid für 1999 mit Bescheid vom 29.
August 2005 geändert.
9
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 40b EStG).
10 Er beantragt sinngemäß,
11 das Urteil des FG Niedersachsen im angefochtenen Umfang aufzuheben und den Bescheid für 1999 über
Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag in Gestalt des geänderten Bescheids vom 29. August 2005
dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit um 125 136 DM vermindert werden.
12 Das FA beantragt,
13 die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
14 Zur Begründung nimmt das FA im Wesentlichen auf die Gründe der finanzgerichtlichen Entscheidung Bezug.
Entscheidungsgründe
15 II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung im angefochtenen Umfang und zur
Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Unrecht die Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers i.S.
des § 40b Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz EStG verneint. Mangels ausreichender Feststellungen kann der Senat nicht
entscheiden, wie viele Dienstjahre bei der Ermittlung des Pauschalierungsbetrags zugrunde zu legen sind.
16 1. Nach § 40b Abs. 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer u.a. von
den Beiträgen für eine Direktversicherung des Arbeitnehmers mit einem Pauschsteuersatz von 20 % der Beiträge und
Zuwendungen erheben. Dies gilt nach § 40b Abs. 2 Satz 1 EStG nicht, soweit die zu besteuernden Beiträge und
Zuwendungen des Arbeitgebers für den Arbeitnehmer 3 408 DM im Kalenderjahr übersteigen oder nicht aus seinem
ersten Dienstverhältnis bezogen werden. Nach § 40b Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz EStG vervielfältigt sich für Beiträge
und Zuwendungen, die der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses
erbracht hat, der Betrag von 3 408 DM mit der Anzahl der Kalenderjahre, in denen das Dienstverhältnis des
Arbeitnehmers zu dem Arbeitgeber bestanden hat.
17 2. Das FG hat zu Unrecht die Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers i.S. des § 40b Abs. 2 Satz 3 1.
Halbsatz EStG verneint. Das Dienstverhältnis als Geschäftsführer war durch den Beendigungs- und
Aufhebungsvertrag vom 22. Mai 1999 mit Wirkung zum 30. Juni 1999 beendet worden, auch wenn der Kläger mit
Vereinbarung vom 1. Juli 1999 einen neuen Anstellungsvertrag abgeschlossen hat.
18 a) Beendigung des Dienstverhältnisses i.S. des § 40b Abs. 2 Satz 3 1. Halbsatz EStG ist die nach bürgerlichem
(Arbeits-)Recht wirksame Beendigung, die regelmäßig durch die Kündigung als einseitig empfangsbedürftige
Willenserklärung oder durch zweiseitigen Aufhebungsvertrag bewirkt wird. Eine solche Beendigung kann auch dann
gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer und sein bisheriger Arbeitgeber im Anschluss daran ein neues
Dienstverhältnis vereinbaren, sofern sich das neue Dienstverhältnis nicht als Fortsetzung des bisherigen erweist.
Denn der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags lässt die Rechtswirksamkeit einer vorangegangenen Kündigung
oder Aufhebung des bisherigen Arbeitsvertrags grundsätzlich unberührt.
19 b) Der erkennende Senat hat schon früher zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Auflösung des
Dienstverhältnisses i.S. des § 3 Nr. 9 EStG in der bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung
(a.F.) oder einer Fortsetzung des bisherigen auszugehen ist, entschieden. Danach wird ein bestehendes
Dienstverhältnis nicht fortgesetzt, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung dieses Verhältnisses mit demselben
Arbeitgeber ein neues Dienstverhältnis zu anderen Bedingungen begründet und dabei in einem ganz anderen
Bereich und in anderer Position, mit einer niedrigeren Vergütung und einer erheblich geringeren Stundenzahl für den
Arbeitgeber tätig wird und auch die Voraussetzungen für eine Änderungskündigung nicht vorliegen (vgl. Senatsurteil
vom 10. Oktober 1986 VI R 178/83, BFHE 148, 257, BStBl II 1987, 186). Dem entspricht im Grundsatz die mittlerweile
ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 3 Nr. 9 EStG a.F. (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 2008 IX R
82/07, BFH/NV 2008, 1325; vom 9. Mai 2007 XI R 52/05, BFH/NV 2007, 1857 zur Auflösung im Falle eines
Management buy out; vom 21. Juni 1990 X R 48/86, BFHE 161, 372, BStBl II 1990, 1021 für die Fälle des
Betriebsübergangs i.S. des § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches, jeweils m.w.N.).
20 c) Die zu der Frage der Auflösung des Dienstverhältnisses i.S. des § 3 Nr. 9 EStG (a.F.) entwickelten Grundsätze
gelten auch für die Frage der Beendigung des Dienstverhältnisses i.S. des § 40b EStG. Eine Beendigung des
Dienstverhältnisses liegt danach vor, wenn der Arbeitnehmer auf Grundlage des neuen Dienstverhältnisses in einem
gegenüber dem bisherigen Dienstverhältnis ganz anderen Bereich und in anderer Stellung, mit einer niedrigeren
Vergütung und einer erheblich geringeren Stundenzahl für den Arbeitgeber tätig wird. Dagegen fehlt es an einer
solchen Beendigung, wenn das neue Dienstverhältnis mit demselben Arbeitgeber in Bezug auf den Arbeitsbereich,
die Entlohnung und die sozialen Besitzstände im Wesentlichen dem bisherigen Dienstverhältnis entspricht.
21 aa) Der Übertragung der zu § 3 Nr. 9 EStG (a.F.) entwickelten Rechtsgrundsätze steht --entgegen der Auffassung des
FG-- insbesondere nicht entgegen, dass § 40b EStG den Begriff der Beendigung, § 3 Nr. 9 EStG (a.F.) dagegen den
der Auflösung verwendet. Denn auch eine tatsächliche Beendigung des bisherigen Dienstverhältnisses kann dann
vorliegen, wenn der Arbeitnehmer nach dessen Beendigung mit demselben Arbeitgeber ein neues Dienstverhältnis
zu wesentlich anderen Bedingungen begründet. Weiter gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass das
Einkommensteuergesetz die Begriffe Auflösung und Beendigung im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis
verwendet, um zwischen rechtlicher und tatsächlicher Betrachtungsweise zu differenzieren. Dies findet seine
Bestätigung in der Begründung des Gesetzesentwurfs zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung
(BTDrucks 7/1281, S. 41). Denn dort wird § 40b Abs. 2 EStG dahin erläutert, dass die Regelung durch eine
"Auflösung" des Dienstverhältnisses veranlasste Zuwendungen betreffe, also die Begriffe Beendigung und Auflösung
in Zusammenhang mit § 40b Abs. 2 EStG offensichtlich als Synonyme versteht.
22 bb) Dem Zweck der mit dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung eingeführten
Vervielfältigungsregelung steht schließlich nicht entgegen, in § 40b Abs. 2 EStG auch die Fälle einzubeziehen, in
denen sich an ein aufgelöstes Dienstverhältnis nahtlos ein neues, aber inhaltlich wesentlich geändertes
Dienstverhältnis anschließt. Denn die Vervielfältigungsregelung sollte ausweislich der Gesetzesmaterialien dem
Arbeitgeber die Möglichkeit erleichtern, bei einem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Dienstverhältnis
unverfallbare Versorgungszusagen auf eine außerbetriebliche Versorgungseinrichtung zu übertragen, um damit das
Risiko der Versorgung des Arbeitnehmers auf einen Dritten zu verlagern und so dem Arbeitnehmer eine Absicherung
zukommen zu lassen, die nicht mehr vom wirtschaftlichen Schicksal seines bisherigen Arbeitgebers abhängt (vgl.
Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung, BTDrucks
7/1281, S. 41). Ein solches Bedürfnis nach arbeitgeberunabhängiger Absicherung besteht aber jedenfalls auch in
Fällen, in denen der Arbeitnehmer aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis ausscheidet und zu wesentlich geänderten
Bedingungen mit dem bisherigen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis, das insbesondere keine betriebliche
Altersversorgung mehr vorsieht, eingeht. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitnehmer wegen Erreichens der
Altersgrenze ausscheidet.
23 d) Danach hat im Streitfall der Arbeitgeber des Klägers die Beiträge zur Direktversicherung aus Anlass der
Beendigung des Dienstverhältnisses erbracht. Mit der Aufnahme der Tätigkeit als Berater der GmbH wurde das
frühere Dienstverhältnis nicht fortgesetzt. Denn der Kläger war in seinem neuen Dienstverhältnis nicht nur mit einer
niedrigeren Vergütung und im Vergleich zu seiner früheren Geschäftsführertätigkeit zu einer erheblich geringeren
Stundenzahl für den Arbeitgeber tätig. Er war auch auf Grundlage des neuen Dienstverhältnisses in einem ganz
anderen Bereich und als Berater insbesondere in einer wesentlich anderen, mit der früheren Stellung als
Geschäftsführer nicht mehr vergleichbaren Funktion tätig. Denn die Geschäftsführerstellung unterscheidet sich
grundlegend in rechtlicher Hinsicht von der eines (leitenden) Angestellten. Dementsprechend stellt das
Dienstverhältnis als Gesellschafter-Geschäftsführer rechtlich und wirtschaftlich betrachtet keine Fortsetzung des
früheren Dienstverhältnisses als Angestellter dar und umgekehrt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2008, 1325).
24 3. Die Sache ist nicht spruchreif. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe die Zuwendungen
an die Direktversicherung der Pauschalierung nach §§ 40b Abs. 2 Satz 3, Abs. 4, 40 Abs. 3 EStG unterliegen. Denn
das FG hat --von seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht-- bisher keine ausreichenden Feststellungen zu der Anzahl
der Kalenderjahre, in denen das Dienstverhältnis des Klägers zu seinem Arbeitgeber bestanden hatte, getroffen. Auf
Grundlage dieser im zweiten Rechtsgang vom FG nachzuholenden Feststellungen ist der Vervielfältiger des in § 40b
Abs. 2 Satz 3 EStG genannten Betrags zu ermitteln.