Urteil des BFH vom 26.02.2014

Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten - Objektives Nettoprinzip - Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens - Keine strukturelle "Gesetzeskorrektur" durch Billigkeitsmaßnahme -

BUNDESFINANZHOF Entscheidung vom 26.2.2014, I R 59/12
Verfassungsmäßigkeit der sog. Mindestbesteuerung bei Definitiveffekten - Objektives Nettoprinzip -
Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens -
Keine strukturelle "Gesetzeskorrektur" durch Billigkeitsmaßnahme - Teilweise inhaltsgleich mit
BFH-Urteil vom 26.02.2014 I R 12/14
Leitsätze
Es wird eine Entscheidung des BVerfG eingeholt, ob § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2
Satz 1 EStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung
zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003
(BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) und ob § 10a Satz 2 GewStG 2002 i.d.F. des Gesetzes zur
Änderung des Gewerbesteuergesetzes und anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I
2003, 2922, BStBl I 2004, 20) gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen.
Tatbestand
1 A. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war Insolvenzverwalter in dem am 28. Juli 2005
eröffneten und am 19. November 2012 nach vollzogener Schlussverteilung aufgehobenen
Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH. Unternehmensgegenstand der 1992
errichteten B-GmbH war die Erbringung von Dienstleistungen aller Art im Zusammenhang mit
der Durchführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme einschließlich des An- und
Verkaufs von bebauten und unbebauten Grundstücken, der Erarbeitung von wirtschaftlichen
Nutzungskonzepten für Entwicklungsgebiete sowie deren Umsetzung und die Übernahme der
wirtschaftlichen Betreuung von Entwicklungs- und Erschließungsmaßnahmen.
2 Die B-GmbH schloss am 16. Oktober 1992 (mit einem Nachtrag vom 1. Januar 1998) eine
Kooperationsvereinbarung mit der D-GmbH, die vom Land X mit der Durchführung der
vorstehend genannten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme betraut worden war. Die B-
GmbH sollte die für die Aufgaben der D-GmbH erforderlichen Grundstücke soweit wie möglich
auf eigene Rechnung erwerben. Die Planung ging dahin, dass sich die Gesamtkosten der
Entwicklungsmaßnahme einschließlich der der B-GmbH zustehenden Vergütung aus der
Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis der Grundstücke sowie eventuellen Erlösen aus
der Grundstücksbewirtschaftung decken lassen würden. Im Übrigen sollte die B-GmbH die
Differenz zwischen Ein- und Verkaufspreis bei den Grundstücksgeschäften unter Abzug der
ihr entstandenen Kosten an die D-GmbH abführen. In der Folgezeit kam es zu langwierigen
Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten zwischen der B-GmbH und der D-GmbH, die
im Ergebnis mit einer "Vereinbarung über die Abgeltung von Ansprüchen" endeten. Die D-
GmbH hat danach "unter Mithaftung des Landes X" an den Kläger denjenigen Betrag zu
zahlen, der der Summe aller im Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH zu
berücksichtigenden Masseverbindlichkeiten (Massekosten und sonstige
Masseverbindlichkeiten) und Insolvenzforderungen entspricht. Dies folge daraus, dass die B-
GmbH zu keinem Zeitpunkt andere wirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt habe und keine
anderen Verbindlichkeiten eingegangen sei als solche, die der Erfüllung der in der
Kooperationsvereinbarung niedergelegten Aufgaben dienten. Im Zuge der
Auseinandersetzungen hatte die B-GmbH eine von ihr (aktivierte) Ausgleichsforderung
gegenüber der D-GmbH in Höhe von 44.187.069 EUR zunächst --im Jahresabschluss zum
31. Dezember 2004-- wertberichtigt und vollständig abgeschrieben. Daraus errechnete sich
ein Jahresfehlbetrag von 46.618.630 EUR. Im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2006
wurde diese Abschreibung infolge Wertaufholung rückgängig gemacht, wodurch sich zum
31. Dezember 2006 ein Jahresüberschuss von 74.691.354 EUR ergab.
3 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) setzte die Körperschaftsteuer
2008 auf Basis des hiernach ermittelten Gesamtbetrags der Einkünfte von 78.162.546 EUR
nach Maßgabe von § 11 Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 2002) für den
Abwicklungszeitraum vom 28. Juli 2005 bis zum 31. Juli 2008 erklärungsgemäß fest. Die
aufgelaufenen Verluste in Höhe von 72.353.821 EUR berücksichtigte er dabei unter
Anwendung von § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes
i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur
Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003
(BGBl I 2003, 2840, BStBl I 2004, 14) --EStG 2002 n.F.-- nur in Höhe von 47.297.528 EUR.
Den nach Maßgabe von § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes in der in den Streitjahren
anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuergesetzes und
anderer Gesetze vom 23. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2922, BStBl I 2004, 20) --GewStG
2002 n.F.-- ermittelten Gewerbeertrag verteilte das FA nach § 16 Abs. 1 und 2 der
Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung 2002 zeitanteilig auf den Zeitraum vom 1. Januar
2005 bis zum 30. Juli 2008. Es berücksichtigte also in 2006 und in 2007 jeweils
26.054.182 EUR und in 2008 15.198.272 EUR, erhöht um die hälftige Hinzurechnung sog.
Dauerschuldentgelte gemäß § 8 Nr. 1 GewStG 2002 a.F. (in Höhe von 6.005.861 EUR in
2006, von 5.560.866 EUR in 2007 und von 3.243.500 EUR in 2008) und setzte die
Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008 entsprechend fest. Die aus den Steuerbescheiden
resultierenden Forderungen wurden von der D-GmbH bezahlt.
4 Die (u.a.) dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Sie wurde vom Finanzgericht (FG) Berlin-
Brandenburg durch Urteil vom 18. April 2012 12 K 12179/09, 12 K 12177/10 abgewiesen; das
Urteil ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst (DStRE) 2013, 413 abgedruckt.
5 Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, unter
Aufhebung des FG-Urteils die Gewerbesteuermessbescheide 2006 bis 2008 und den
Körperschaftsteuerbescheid 2008 dahingehend abzuändern, dass die
Gewerbesteuermessbeträge jeweils auf 0 EUR und die Körperschaftsteuer ebenfalls auf
0 EUR festgesetzt werden.
6 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
7 Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--); es hat sich, ohne einen Antrag zu stellen, in der Sache dem
FA angeschlossen.
Entscheidungsgründe
8 B. Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) sind gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 80 Abs. 2
Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht geboten. Der Senat ist zwar der
Ansicht, dass die sog. Mindestbesteuerung nach § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2
Satz 1 EStG 2002 n.F. und nach § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. in ihrer Grundkonzeption
der zeitlichen Streckung von Verlustvorträgen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
Er ist aber davon überzeugt, dass die Regelungen wegen Verstoßes gegen den allgemeinen
Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verfassungswidrig sind, soweit sie durch den Ausschluss
eines Verlustausgleichs den Kernbereich einer Nettoertragsbesteuerung verletzen.
9 I. Zulässigkeit der Revision
Die Revision ist zulässig. Der Kläger ist zur Prozessführung befugt; es handelt sich um einen
sog. Aktivprozess, den der Kläger mit Blick auf eine mögliche Nachtragsverteilung (§ 203
Abs. 1 der Insolvenzordnung --InsO--) für die durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens
aufgelöste GmbH auch nach einer Schlussverteilung (§ 196 InsO) und der sich daran
anschließenden Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO) fortführen kann.
Der Senat verweist insoweit auf die Gründe seines Urteils vom 26. Februar 2014 in der
(abgetrennten) Sache I R 12/14.
10 II. Anwendung der sog. Mindestbesteuerung im Streitfall
Die Revision ist aber nach der Maßgabe einfachen Rechts nicht begründet und wäre daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO).
11 1. Zum einen hat das FA bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage der
Körperschaftsteuer 2008 (Abwicklungszeitraum 28. Juli 2005 bis 31. Juli 2008) sowie der
Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008 ohne Rechtsfehler berücksichtigt, dass die
Einbuchung einer Forderung der B-GmbH gegen die D-GmbH erfolgswirksam und nicht als
ergebnisneutrale Berichtigung eines früheren Bilanzierungsfehlers in der ersten noch
offenen Schlussbilanz zu berücksichtigen ist. Im Einzelnen ergibt sich auch das aus dem
Urteil des Senats vom 26. Februar 2014 über das Revisionsverfahren I R 12/14, auf das
insoweit verwiesen wird.
12 2. Zum anderen --und vor allem-- hat das FA die gesetzlichen Regelungen der sog.
Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F., § 10a
Satz 1 und 2 GewStG 2002 n.F.) ohne Rechtsfehler angewendet. Dies wird auch von den
Beteiligten nicht in Zweifel gezogen.
13 a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur
Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz beseitigte der Gesetzgeber
zwar die bestehenden Einschränkungen des innerperiodischen Verlustausgleichs im
Rahmen von § 2 Abs. 3 EStG 2002. Er verschärfte aber die Beschränkung des
überperiodischen Verlustabzugs nach § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F.: Verluste, die weder im
Veranlagungszeitraum ihrer Entstehung noch im Wege des Verlustrücktrags ausgeglichen
werden konnten, sind ab dem Veranlagungszeitraum 2004 (§ 52 Abs. 25 Satz 3 EStG 2002
n.F.) im Rahmen des Verlustvortrags nur noch begrenzt verrechnungsfähig. Gemäß § 10d
Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. können sie nur noch bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte
von 1 Mio. EUR unbeschränkt abgezogen werden. Darüber hinaus gehende negative
Einkünfte aus früheren Veranlagungszeiträumen sind nur noch in Höhe von 60 % des
1 Mio. EUR übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte ausgleichsfähig. Im Ergebnis
werden 40 % des positiven Gesamtbetrags der laufenden Einkünfte eines
Veranlagungszeitraums unabhängig von etwaigen Verlusten in früheren Perioden der
Besteuerung unterworfen, soweit sie die Schwelle von 1 Mio. EUR überschreiten.
14 b) Diese Neuerungen im Bereich der Einkommensteuer (sog. Mindestbesteuerung) sind
auch bei der Veranlagung der B-GmbH zur Körperschaftsteuer im Streitjahr zu beachten (§ 8
Abs. 1 KStG 2002; § 11 Abs. 7 i.V.m. Abs. 1 und 6 KStG 2002), ebenso die eigenständige
(aber in der Sache gleichlautende) Einschränkung des gewerbesteuerrechtlichen
Verlustvortrags bei der Ermittlung des Gewerbesteuermessbetrags der B-GmbH durch § 10a
Satz 1 und 2 GewStG 2002 n.F. Dabei ist auch im mehrjährigen
körperschaftsteuerrechtlichen Besteuerungszeitraum der Abwicklung einer
Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 (im Streitfall: 28. Juli 2005 bis 31. Juli
2008) der sog. Sockelbetrag der Mindestbesteuerung von 1 Mio. EUR nur einmal und nicht
mehrfach --für jedes Kalenderjahr des verlängerten Besteuerungszeitraums-- anzusetzen
(Senatsurteil vom 23. Januar 2013 I R 35/12, BFHE 240, 140, BStBl II 2013, 508).
15 III. Verfassungsrechtliche Beurteilung
Auf der Grundlage der vorstehenden Auslegungsergebnisse müsste der erkennende Senat,
die Verfassungsmäßigkeit des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. und des § 10a Satz 2 GewStG
2002 n.F. unterstellt, die Revision als unbegründet zurückweisen. Der Senat hält in diesem
Zusammenhang auch daran fest, dass die sog. Mindestbesteuerung in ihrer
Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des Verlustvortrags ungeachtet von dadurch
ausgelösten Zins- und Liquiditätsnachteilen nicht gegen Verfassungsrecht verstößt, da
insoweit die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen oder
gänzlich ausgeschlossen wird. Dieser Kernbereich wird nach Auffassung des Senats
indessen durch § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F.
dann verletzt, wenn ein sog. Definitiveffekt eintritt, d.h. wenn es zu einer vollständigen
Beseitigung der Abzugsmöglichkeit oder zu einem Ausschluss des Verlustausgleichs
kommt. Der Senat ist deswegen davon überzeugt, dass die Mindestbesteuerung in
derartigen Situationen gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.
16 1. Die sog. Mindestbesteuerung in ihrer Grundkonzeption einer zeitlichen Streckung des
Verlustvortrags verstößt ungeachtet von dadurch ausgelösten Zins- und Liquiditätsnachteilen
nicht gegen Verfassungsrecht.
17 a) Die normative und systematische Grundlegung sowie die einschlägige Rechtsprechung
des BVerfG und des Bundesfinanzhofs (BFH) und die Auseinandersetzung im Schrifttum
stellen sich für den streitigen Gesamtkomplex der Mindestbesteuerung wie folgt dar:
18 aa) Aus dem generellen verfassungsrechtlichen Maßstab des Gleichheitssatzes (Art. 3
Abs. 1 GG) lässt sich für die direkten Steuern sowohl ein systemtragendes Prinzip ableiten --
die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts-- als auch
das Gebot, dieses Prinzip bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts folgerichtig
umzusetzen (s. nur BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010 1 BvL 12/07, BVerfGE 127,
224, Rz 50 f., m.w.N.). Zur Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des
Steuersubjekts bedarf es eines Ausgleichs zwischen den vom ihm erwirtschafteten
besteuerbaren Einnahmen und den zur Erzielung dieser Einnahmen aufgewendeten
Ausgaben. Das damit beschriebene ("objektive") Nettoprinzip ist jedenfalls einfachgesetzlich
in § 2 Abs. 2 EStG 2002 angelegt (s. BVerfG-Beschluss vom 12. Mai 2009 2 BvL 1/00,
BVerfGE 123, 111, Rz 27 f.) und auf der Grundlage der Verweisung in § 8 Abs. 1 KStG 2002
auch im Bereich der Körperschaftsteuer anzuwenden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 127,
224, Rz 57 f.; s.a. Hey, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, Beihefter zu Nr. 34, 109, 110;
Heger, ebenda, S. 117, 118; Heuermann, Finanz-Rundschau --FR-- 2012, 435, 436). Für die
Gewerbesteuer gilt infolge der Verweisung in § 7 Satz 1 GewStG 2002 auf die Grundsätze
der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung als Grundlage für die Ermittlung des
Gewerbeertrags (vor Hinzurechnungen bzw. Kürzungen) nichts anderes (BFH-Beschluss
vom 27. Januar 2006 VIII B 179/05, BFH/NV 2006, 1150, zu II.2.a bb; Hey, DStR 2009,
Beihefter zu Nr. 34, 109, 115; Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Desens, FR 2011, 745, 746;
Röder, Das System der Verlustverrechnung im deutschen Steuerrecht, 2010, S. 232; s.a. FG
Hamburg, [Vorlage-]Beschluss vom 29. Februar 2012 1 K 138/10, Entscheidungen der
Finanzgerichte --EFG-- 2012, 960, Rz 99, 101); allerdings hält das BFH-Urteil vom
20. September 2012 IV R 36/10 (BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498) unter Hinweis auf den
"Charakter der Gewerbesteuer" insoweit Einschränkungen für möglich.
19 bb) Das Periodizitätsprinzip des § 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG 2002 (bzw. des § 7 Abs. 3
Satz 1 und 2 KStG 2002, § 14 Satz 2 GewStG 2002) beschränkt das Nettoprinzip des § 2
Abs. 2 EStG 2002 nicht: Ein Abzug von Erwerbsaufwendungen ist auch dann zuzulassen,
wenn die Erwerbsaufwendungen nicht im Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum des
Zugangs der Erwerbseinnahmen anfallen (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juli
1991 1 BvR 313/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1992, 423; vom
30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88). Dies kommt einfachgesetzlich in
Regelungen zum sog. periodenübergreifenden Verlustausgleich zum Ausdruck (§ 10d EStG
2002, § 10a GewStG 2002). Die Möglichkeit des periodenübergreifenden Verlustausgleichs
begründet aber nicht ihrerseits eine Bedingung der (Ertrags-)Besteuerung in der Weise, dass
jene erst dann gerechtfertigt ist, wenn das Steuersubjekt gemessen an der Gesamtdauer
seines einkommensbezogenen Tätigwerdens bzw. seiner wirtschaftlichen Existenz
tatsächlich einen Zuwachs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit erzielt (s. Desens, FR 2011,
745, 746 f.; s.a. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04,
BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10d
Rz A 86; derselbe, FR 2012, 435, 440 f.; Drüen, Periodengewinn und Totalgewinn, 1999,
S. 103 f.). Eine solche Bedingung würde einem sachangemessenen Ausgleich der
widerstreitenden Prinzipien (im Sinne einer wechselseitigen Begrenzung von Periodizitäts-
und Nettoprinzip, s. insbesondere BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423) nicht entsprechen
(Desens, FR 2011, 745, 747 f.; Heuermann, FR 2012, 435, 436 ff.; Drüen, a.a.O., S. 96 ff.).
20 cc) Die sog. Mindestbesteuerung beschränkt die Wirkung des periodenübergreifenden
Verlustausgleichs (nur) "der Höhe nach". Die Begründung zum Regierungsentwurf des
§ 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BTDrucks 15/1518, S. 13) weist darauf hin, dass durch die sog.
Mindestbesteuerung "keine Verluste endgültig verloren" gingen (zur "zeitlichen Streckung
des Verlustabzugs" s.a. die Stellungnahme der Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2).
Seine eigentlichen Beweggründe für die Regelungsänderung offenbart der Gesetzgeber
dann aber darin, dass "der Grund für die Beschränkung ... in dem gewaltigen
Verlustvortragspotential der Unternehmen zu sehen (sei), das diese vor sich herschieben.
Um das Steueraufkommen für die öffentlichen Haushalte kalkulierbar zu machen, ist es
geboten, den Verlustvortrag zu strecken. Nur so ist auf Dauer eine Verstetigung der
Staatseinnahmen gewährleistet". Damit ist dem Regierungsentwurf zu § 10d Abs. 2 EStG
2002 n.F. (ebenso zu § 10a GewStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1517, S. 19) eine
ausschließlich fiskalischen Interessen geschuldete Begründung beigestellt worden (s.a.
Dorenkamp, Systemgerechte Neuordnung der Verlustverrechnung - Haushaltsverträglicher
Ausstieg aus der Mindestbesteuerung, in Institut "Finanzen und Steuern", Schrift Nr. 461,
2010, S. 27 ff.). Später wird allerdings ergänzend in einer Antwort der Bundesregierung auf
eine parlamentarische Anfrage ausgeführt, die "zeitliche Streckung des Verlustabzugs soll(e)
eine Mindestgewinnbesteuerung aktiver Einkünfte sicherstellen. Die Maßnahme dient der
Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, trifft dabei aber insbesondere diejenigen
Steuerpflichtigen, die Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöcher ausnutzen"
(Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2 [zu Frage 1]).
21 dd) Das BVerfG hat sich bereits mehrfach --wenn auch noch nicht mit Blick auf § 10d Abs. 2
EStG 2002 n.F.-- zu Einschränkungen des periodenübergreifenden Verlustausgleichs bzw.
der Verlustverrechnung geäußert. Danach ist ein uneingeschränkter Verlustvortrag
verfassungsrechtlich nicht garantiert. Die Beschränkung des Verlustvortrags auf bestimmte
Einkunftsarten und damit der Ausschluss anderer Einkunftsarten von jeglichem
Verlustvortrag ist ebenso wenig verfassungsrechtlich zu beanstanden (BVerfG-Beschluss
vom 8. März 1978 1 BvR 117/78, HFR 1978, 293) wie die Beschränkung des Verlustvortrags
auf bestimmte, durch Betriebsvermögensvergleich ermittelte Betriebsverluste (BVerfG-
Beschluss in HFR 1978, 293; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 30. Oktober
1980 1 BvR 785/80, HFR 1981, 181). Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestehen
ferner unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Besteuerung
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit keine Bedenken gegen eine Beschränkung des
Verlustabzugs auf einen einjährigen Verlustrücktrag und einen fünfjährigen Verlustvortrag
(BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423). Allerdings hat das Gericht im Beschluss in BVerfGE
99, 88 den völligen Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der
Vermietung beweglicher Gegenstände (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG 1983) für verfassungswidrig
erklärt.
22 ee) Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. dazu insbesondere die Nachweise im
Senatsurteil vom 22. August 2012 I R 9/11, BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512) bestehen im
Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich insoweit keine Zweifel an der
Verfassungsmäßigkeit einer Verlustausgleichsbeschränkung, als der Verlustausgleich nicht
versagt, sondern lediglich zeitlich gestreckt wird. Eine Verlagerung des Verlustausgleichs
auf spätere Veranlagungszeiträume ist im Hinblick darauf nicht zu beanstanden, dass das
Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG seine Wirkung grundsätzlich
veranlagungszeitraumübergreifend entfaltet. Es genügt, wenn die Verluste überhaupt, sei es
auch in einem anderen Veranlagungszeitraum, steuerlich berücksichtigt werden.
Insbesondere erstarkt die bei ihrer Entstehung gegebene bloße Möglichkeit, die Verluste
später ausgleichen zu können, nicht zu einer grundrechtlich geschützten Vermögensposition
(Art. 14 Abs. 1 GG; s. BVerfG-Beschluss in HFR 1992, 423; dies relativierend Beschluss des
Großen Senats des BFH in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608, zu D.II.2.). Dementsprechend
hat der BFH in seinem Beschluss vom 29. April 2005 XI B 127/04 (BFHE 209, 379, BStBl II
2005, 609) eine Beschränkung des Verlustvortrags grundsätzlich gebilligt, wenn der Vortrag
zeitlich über mehrere Veranlagungszeiträume gestreckt wird. Zur Begründung hat er
ausgeführt, dass damit nicht zugleich über die Konstellation entschieden sei, dass "negative
Einkünfte aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen" in einem solchen System "nicht mehr
vorgetragen werden können". Darüber hinaus hat der XI. Senat des BFH in seinem
Vorlagebeschluss an das BVerfG vom 6. September 2006 XI R 26/04 (BFHE 214, 430, BStBl
II 2007, 167) hervorgehoben, dass die sog. Mindeststeuer durchaus den Schutzbereich des
Art. 3 Abs. 1 GG berühre; auch wenn in mehreren summarischen Verfahren nach § 69 Abs. 2
und 3 FGO wegen der die Veranlagungszeiträume übergreifenden Wirkung des Art. 3 Abs. 1
GG die Norm als verfassungsgemäß angesehen worden sei, sei nicht zu verkennen, dass
die Begrenzung des vertikalen Verlustausgleichs (im dortigen Streitfall durch § 2 Abs. 3
EStG 2002) trotz der Streckung der Verlustverrechnung nicht nur bei einer kleinen Zahl von
Steuerpflichtigen mit gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu nennenswerten
Belastungsunterschieden führen könne. Auch bestehe naturgemäß keine Gewissheit, die
Verluste in Zukunft verrechnen zu können.
23 Der IV. Senat des BFH hat sich in seinem Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498 mit
Blick auf die Einschränkung der gewerbesteuerrechtlichen Verlustverrechnung dem
Senatsurteil in BFHE 238, 419, BStBl II 2013, 512 ausdrücklich angeschlossen: Die
Beschränkung der Verrechnung von vortragsfähigen Gewerbeverlusten durch Einführung
einer jährlichen Höchstgrenze mit Wirkung ab 2004 sei mit dem Grundgesetz (Art. 3 Abs. 1
GG) vereinbar; insbesondere sei mit dieser Regelung den Anforderungen, die an die
Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers zu stellen sind, entsprochen worden. Das gelte
auch, soweit es im Einzelfall wegen der Begrenzung zu einem endgültig nicht mehr
verrechenbaren Verlust komme (s. insoweit auch BFH-Urteile vom 20. September 2012
IV R 29/10, BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; vom 20. September 2012 IV R 43/10,
BFH/NV 2013, 408; vom 20. September 2012 IV R 60/11, BFH/NV 2013, 410). Dabei hat der
IV. Senat auch auf die Besonderheit des Gewerbesteuerrechts abgestellt, dass ein
Verlustrücktrag ausgeschlossen ist (§ 10a GewStG 2002 erwähnt nur einen Verlustvortrag):
Komme es zur Definitivbelastung, weil einem beschränkten Verlustabzug keine weiteren
positiven Gewerbeerträge folgen, lasse sich im Jahr der Mindestbesteuerung nicht erkennen,
ob und aus welchen Gründen kein weiteres Potenzial für die Verrechnung des gestreckten
Verlusts entstehen werde. Würde sich rückwirkend die beschränkte Verlustverrechnung als
Ursache für die Definitivbelastung erweisen, könnte die Belastung nur durch eine Korrektur
der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags beseitigt werden. Dies
käme aber einem Verlustrücktrag nahe, der in dem System der Gewerbesteuer bewusst nicht
vorgesehen sei. Im Übrigen könnten im Einzelfall bei unverhältnismäßigen und
unzumutbaren Benachteiligungen Billigkeitsmaßnahmen eingreifen; eine ungerechtfertigte
Härte liege allerdings nicht vor, wenn der Unternehmer durch eigenes Verhalten (dort: das
Hinwirken auf einen Forderungsverzicht des Gläubigers) einen Gewerbeertrag ausgelöst
habe, der nicht vollständig mit vortragsfähigen Gewerbeverlusten verrechnet werden könne.
24 ff) In der Literatur wird die sog. Mindestbesteuerung teilweise für verfassungskonform
gehalten (z.B. Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d Rz A 85, 88; derselbe,
FR 2012, 435, 439 ff.; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 10d Rz 4; Seiler in Hey
[Hrsg.], Einkünfteermittlung, Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen
Gesellschaft --DStJG-- Band 34 [2011], S. 61, 82; Gassen in Littmann/Bitz/Pust, Das
Einkommensteuerrecht, § 10d Rz 6; Müller-Gatermann, Die Wirtschaftsprüfung 2004, 467,
468): Die im Einzelfall eintretende Einschränkung des objektiven Nettoprinzips habe der
Gesetzgeber ohne Verstoß gegen das allgemeine Willkürverbot in vertretbarer Weise
ausgestaltet, da sich Beschränkungen des Verlustvortrags in betragsmäßiger oder zeitlicher
Hinsicht jedenfalls im Grundsatz als verfassungskonform erwiesen hätten.
25 Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, die durch die "Deckelung" des
Abzugsbetrags bewirkte zeitliche Streckung des Verlustvortrags sei schon "als solche"
verfassungswidrig (z.B. Lang/Englisch, Steuer und Wirtschaft --StuW-- 2005, 3, 21 ff.; Röder,
a.a.O., S. 263 ff., 355 ff., und derselbe, StuW 2012, 18, 22 ff.; Mönikes, Die
Verlustverrechnungsbeschränkungen des Einkommensteuergesetzes im Lichte der
Verfassung, 2006, S. 223 ff.; Hey, StuW 2011, 131, 140 f.; dieselbe in Tipke/ Lang,
Steuerrecht, 21. Aufl., § 8 Rz 68; Dorenkamp, a.a.O., S. 12; derselbe, FR 2011, 733, 736 ff.;
Raupach in Lehner [Hrsg.], Verluste im nationalen und internationalen Steuerrecht, 2004,
S. 53, 60 f.; Eckhoff in von Groll [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, DStJG Band 28 [2005],
S. 11, 34; Jü. Lüdicke, Deutsche Steuer-Zeitung 2010, 434, 436; Kaminski in Korn, § 10d
EStG Rz 30.9; Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, Der Betrieb --
DB-- 2012, 1704, 1707; Esterer/Bartelt, Unternehmensbesteuerung --Ubg-- 2012, 383, 392;
Bareis, DB 2013, 144; Gens, Unternehmensverluste/Verlustabzug und Mindestbesteuerung,
2014, S. 158 ff.; s.a. die Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren,
BTDrucks 15/1665, S. 2).
26 Wiederum andere Literaturstimmen nehmen einen Verfassungsverstoß der sog.
Mindestbesteuerung nur in den Fällen an, in denen ein Verlust nicht nur zeitlich gestreckt,
sondern von einer Wirkung auf die Ermittlung des Einkommens endgültig ausgeschlossen
wird ("Definitiveffekte", z.B. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13;
Schmidt/Heinicke, EStG, 33. Aufl., § 10d Rz 10; Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 74 ff.; Fischer,
FR 2007, 281, 283 ff.; Desens, FR 2011, 745, 748 ff.; Klomp, GmbH-Rundschau --GmbHR--
2012, 675, 676 f.; Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 65 f.; wohl auch Kempf/ Vogel
in Lüdicke/Kempf/Brink [Hrsg.], Verluste im Steuerrecht, 2010, S. 81; Blümich/Schlenker,
§ 10d EStG Rz 6, 24; Drüen, ebenda, § 10a GewStG Rz 21, 112; derselbe, FR 2013, 393,
402; Kube, DStR 2011, 1781, 1789 ff.; Buciek, FR 2011, 79; Schmieszek in Bordewin/Brandt,
§ 10d EStG Rz 147; s.a. BMF-Schreiben vom 19. Oktober 2011, BStBl I 2011, 974, Tz. 1),
wobei insoweit auch eine verfassungskonforme Reduktion des Wortlauts des § 10d Abs. 2
Satz 1 EStG 2002 n.F. für möglich gehalten wird (z.B. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78).
Solche Definitiveffekte können sowohl auf tatsächlichen als auch auf rechtlichen Gründen
beruhen (s. nur das BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1); im Unternehmensbereich
können sie insbesondere bei der Liquidation körperschaftsteuerpflichtiger Unternehmen
auftreten, aber ebenso bei Umstrukturierungen und rechtlichen Hindernissen für eine
(weitere) Verlustnutzung (z.B. § 8c KStG 2002 i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes
2008 vom 14. August 2007, BGBl I 2007, 1912, BStBl I 2007, 630 --KStG 2002 n.F.--),
darüber hinaus aber auch dann, wenn es um zeitlich begrenzt bestehende
Projektgesellschaften geht, ebenfalls aber auch etwa um bestimmte
Unternehmensgegenstände (z.B. bei langfristiger Fertigung) und in Sanierungsfällen (s.
Lang/Englisch, StuW 2005, 3, 21 ff.; s.a. Dorenkamp, a.a.O., S. 33 f.; Orth, FR 2005, 515,
530; Küspert, Betriebs-Berater --BB-- 2013, 1949, 1951 f.; BMF-Bericht der
Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung" vom 15. September
2011, S. 52 mit Fußn. 57; BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1).
27 b) Dem Maßstab, dass die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich
betroffen und gänzlich ausgeschlossen sein darf (s. zu dieser Grenzbestimmung bereits
Senatsurteile vom 11. Februar 1998 I R 81/97, BFHE 185, 393, BStBl II 1998, 485; vom
5. Juni 2002 I R 115/00, BFH/NV 2002, 1549; Senatsbeschluss vom 26. August 2010
I B 49/10, BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826), werden § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F.
und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. nach Ansicht des Senats unter Berücksichtigung der
beschriebenen Ausgangslage und vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung
und des einschlägigen Meinungsbildes im Schrifttum jedenfalls dann gerecht, wenn nicht ein
sog. Definitiveffekt eintritt.
28 aa) Die Grundkonzeption der zeitlichen Streckung des Verlustvortrags entspricht auch
angesichts des Zins- bzw. Liquiditätsnachteils den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Insoweit entnimmt der Senat der neueren Rechtsprechung des BVerfG eine Unterscheidung
zwischen temporären und endgültigen Steuereffekten (s. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 123,
111; s.a. BFH-Urteil vom 25. Februar 2010 IV R 37/07, BFHE 229, 122, BStBl II 2010, 784;
zustimmend Dorenkamp, a.a.O., S. 61 f.; Desens, FR 2011, 745, 747; Heuermann, FR 2012,
435, 439; Lang, GmbHR 2012, 57, 61; ablehnend z.B. Röder, StuW 2012, 18, 24 f.;
Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 62 f., m.w.N.). Wenn sich danach der
maßgebliche Zeitpunkt der einkommensteuerrechtlichen Berücksichtigung eines
gewinnmindernden Aufwands, also das Wann, nicht das Ob der Besteuerung, nicht mit Hilfe
des Maßstabs wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit oder des objektiven Nettoprinzips
bestimmen lässt, ist eine "Verluststreckung" verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Der
Maßgabe, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen abzubilden, entspricht
daher einerseits nur eine Konzeption, die die Möglichkeit eines vom jährlichen
Abschnittsteuerprinzip suspendierenden Verlustausgleichs vorsieht, schließt aber
andererseits eine Begrenzung dieser Möglichkeit (im Sinne der Ermittlung einer
"durchschnittlichen mehrjährigen Leistungsfähigkeit" – s. Bundesregierung, BTDrucks
17/4653, S. 7 [zu Frage 6]) nicht aus. Dabei liegt es auch innerhalb der gesetzgeberischen
Typisierungsbefugnis (zu dieser z.B. BVerfG-Beschluss vom 17. November
2009 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1, BGBl I 2010, 326), dass die zeitliche Streckung des
Verlustvortrags das Risiko für den einkommenswirksamen Abzug des Verlusts erhöht, da
"naturgemäß keine Gewissheit besteht, die Verluste in Zukunft verrechnen zu können"
(Senatsurteil vom 1. Juli 2009 I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061; BFH-
Beschluss in BFHE 214, 430, BStBl II 2007, 167). Diesem Ergebnis steht auch die Existenz
verschiedener gesetzlicher Regelungen nicht entgegen, die als Rechtsfolge eine
"Vernichtung" von Verlustvorträgen in bestimmten Fallsituationen vorsehen (z.B. im Zuge
einer Anteilsübertragung: § 8c KStG 2002 n.F.). Dies gilt sinnentsprechend z.B. auch für die
Situation der Beendigung der persönlichen Steuerpflicht angesichts der fehlenden
Möglichkeit der "Verlustvererbung" (BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608).
29 bb) Der Gesetzgeber hat durch das Grundkonzept der Mindestbesteuerung die Grenzen
seiner Gestaltungsfreiheit nicht willkürlich überschritten; er kann sich für diese Ausgestaltung
des Verlustabzugs vielmehr auf den im Gesetzgebungsverfahren erteilten Hinweis auf eine
Verstetigung des Steueraufkommens (s.a. BMF-Bericht der Facharbeitsgruppe
"Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September 2011, S. 18) infolge der
Dämpfung der Steuerauswirkungen konjunktureller Schwankungen berufen (s. oben zu
III.1.a cc; zur Steueraufkommenswirkung s. BTDrucks 17/4653, S. 17, bzw. BMF-Bericht der
Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung", vom 15. September
2011, S. 43 f.). Denn damit hat der Gesetzgeber nicht nur auf den (nicht in ausreichender
Weise rechtfertigenden) Einnahmezweck (Erzielung von Steuermehreinnahmen), sondern
auf einen in der Konzeption der Regelung angelegten "qualifizierten Fiskalzweck" (Desens,
FR 2011, 745, 749; s.a. Kube, DStR 2011, 1781, 1789 und 1790) verwiesen (s.a. BFH-
Beschluss in BFH/NV 2006, 1150; Heuermann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 10d
Rz A 85; ablehnend z.B. Hey, StuW 2011, 131, 141 f.; Röder, StuW 2012, 18, 25 f.;
Wissenschaftlicher Beirat Steuern der Ernst & Young GmbH, DB 2012, 1704, 1707). Daher
kann insoweit --mit Blick auf § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F.-- offenbleiben, ob die dortige
Beschränkung (auch) dadurch gerechtfertigt werden kann, dass auf diese Weise die
kommunale Finanzhoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) sichergestellt werden konnte (so FG
Hamburg, Urteil vom 2. November 2011 1 K 208/10, EFG 2012, 434 --als Vorinstanz zum
BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498--; s.a. BFH-Beschluss in BFH/NV 2006,
1150) bzw. dass die besondere Ausgestaltung der gewerbesteuerrechtlichen
Verlustberücksichtigung (kein Verlustrücktrag) zu berücksichtigen war (BFH-Urteil in BFHE
238, 429, BStBl II 2013, 498).
30 2. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a
Satz 2 GewStG 2002 n.F. den benannten Kernbereich einer Ausgleichsfähigkeit von
Verlusten dann verletzen, wenn --wie im Streitfall-- auf der Grundlage eines inneren
Sachzusammenhangs bzw. einer Ursachenidentität zwischen Verlust und Gewinn der sog.
Mindestbesteuerung im Einzelfall ("konkret") die Wirkung zukommt, den Verlustabzug
gänzlich auszuschließen (s. dazu bereits Senatsbeschluss in BFHE 230, 445, BStBl II 2011,
826) und eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung auszulösen. Diese
Grundrechtsverletzung kann nicht durch einzelfallbezogene sachliche Billigkeitsmaßnahmen
im Verwaltungswege kompensiert werden.
31 a) Der Streitfall ist dadurch gekennzeichnet, dass der (im Grundsatz) ausgleichsfähige
Verlust aus der stichtagsbezogenen (31. Dezember 2004) Teilwertabschreibung einer
Forderung herrührt, und der Ertrag aus der zeitlich nachfolgenden ebenfalls
stichtagsbezogenen (31. Dezember 2006) Teilwertzuschreibung eben dieser Forderung
folgt. Insoweit beruhen Aufwand und Ertrag auf demselben Rechtsgrund (der
Kooperationsvereinbarung) und sie entsprechen sich der Höhe nach: Der Ertrag erscheint
dabei nur als zeitverschobener actus contrarius zum Aufwand. Teilwertabschreibung und
Werterholung eines Bilanzpostens lösen daher wegen der unterschiedlichen
Ermittlungsperioden im Zusammenhang mit der Mindestbesteuerung eine Steuerschuld aus
("Besteuerung von per Saldo nicht erzielten Gewinnen" – so Oberfinanzdirektion Frankfurt
a.M. vom 20. Juni 2013, DB 2013, 1696). Die in der Besteuerungspraxis der Auflösung von
Kapitalgesellschaften (Liquidation, Insolvenzverfahren) häufig auftretenden
bilanzsteuerrechtlichen "Umkehreffekte" (z.B. auch die Auflösung von zunächst
gewinnmindernd berücksichtigten Rückstellungen) haben allerdings weder einen
entsprechenden Liquiditätszufluss noch einen Zuwachs an besteuerungswürdiger
Leistungsfähigkeit zur Folge (s.a. Farle/Schmitt, DB 2013, 1746, 1747 f.).
32 b) Typisierungs- oder Vereinfachungserfordernisse können nicht rechtfertigen, dass der
Gesetzgeber auf der Rechtsfolgenseite der Normen eine Differenzierung nach
Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung vollständig
unterlassen hat.
33 aa) Auch wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs davon die Rede ist, Zielpunkt der
Normen sei nur eine Verluststreckung, nicht aber ein Verlustausschluss (s. zu § 10d Abs. 2
Satz 1 EStG 2002 n.F.: BTDrucks 15/1518, S. 13), lassen die Gesetzesmaterialien erkennen,
dass die an der Gesetzgebung beteiligten Organe die Möglichkeit einer zweckwidrigen
Definitivbesteuerung infolge der Mindeststeuer erkannt haben (s. dazu die Nachweise zur
Sachverständigen-Anhörung im maßgebenden Gesetzgebungsverfahren im BFH-Urteil in
BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Der Gesetzgeber hat sich allerdings angesichts der im
Gesetzgebungsverfahren geäußerten (sachverständigen) Bedenken damit begnügt,
angesichts der in bestimmten Situationen drohenden Substanzbesteuerung den sog.
Sockelbetrag von 100.000 EUR auf 1 Mio. EUR zu verzehnfachen und den Prozentsatz für
den Restbetrag von 50 % auf 60 % anzuheben. Damit wurde erreicht, dass "eine große Zahl
kritischer Fälle nun von einer Definitivbesteuerung verschont" bleiben würde (BFH-Urteil in
BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498); zugleich wurde dem Umstand Rechnung getragen,
"dass durch eine gesetzliche Regelung eine Definitivbelastung in allen verbleibenden
denkbaren Einzelfällen (nicht) hätte ausgeschlossen werden können, ohne das System der
Mindestbesteuerung insgesamt aufzugeben und ohne zugleich weitere Verletzungen des
Gleichheitssatzes zu bewirken" (so BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498). Auch
wenn der Gesetzgeber nicht gehalten ist, allen Besonderheiten im sachlichen
Anwendungsbereich von Normen Rechnung zu tragen: Es wird deutlich, dass der
Gesetzgeber allenfalls die Anzahl der Streitfälle reduziert hat, ohne aber auch nur im Ansatz
zu versuchen, einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Gesichtspunkten der
verfassungsrechtlich durchaus zulässigen überperiodischen Verluststreckung und dem
Kernbereich der Verlustverrechnung als Grundprinzip einer Ertragsbesteuerung herzustellen
(gl.A. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13). Der sog. Sockelbetrag ist
auch, wie in der Literatur hervorgehoben wird, in unternehmensteuerrechtlichen
Zusammenhängen bei großen Gesellschaften und Konzernen "regelmäßig völlig
bedeutungslos" (Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 390; s.a. Roser, Der GmbH-Steuerberater --
GmbH-StB-- 2013, 53, 57). Im Übrigen hätte der Gesetzgeber in Rechnung stellen müssen,
dass "Definitiveffekte" im Zusammenhang insbesondere mit stetig anwachsenden
gesetzlichen Einschränkungen der interperiodischen Verlustkompensation stehen (z.B.
Desens, FR 2011, 745, 750; Drüen, FR 2013, 393, 402; Schaumburg/Schaumburg, StuW
2013, 61, 66).
34 bb) Die auch Definitiveffekte einschränkungslos erfassenden Regelungen sind nicht im
Sinne eines Missbrauchsverhinderungszwecks oder einer Begrenzung von übermäßiger
Subventionsinanspruchnahme gerechtfertigt (ausführlich Gens, a.a.O., S. 156 ff.). Zwar wird
von der Bundesregierung angeführt, getroffen würden "insbesondere diejenigen
Steuerpflichtigen, die Steuervergünstigungen und Steuerschlupflöcher ausnutzen"
(Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 2 [zu Frage 1]). Diese Einschätzung ist aber nicht
substantiiert und erscheint angesichts der in der Fachliteratur diskutierten und dem Senat
bisher bekannt gewordenen Streitfälle als unbegründet (im Ergebnis ebenso Hallerbach in
Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13; Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 392). Auch
der hier zu entscheidende Streitfall bietet keinen Anlass für eine entsprechende Würdigung.
35 c) Der erkennende Senat folgt dem IV. Senat des BFH (in seinem Urteil in BFHE 238, 429,
BStBl II 2013, 498) für Körperschaften als Gewerbebetriebe kraft Rechtsform (§ 2 Abs. 2
Satz 1 GewStG 2002) nicht darin, dass die Besonderheiten der Gewerbesteuer eine weitere
und zugleich ausreichende Rechtfertigung für die Mindestbesteuerung in § 10a Satz 2
GewStG 2002 n.F. rechtfertigen können. Während für Einzelunternehmen und
Personengesellschaften eine Unternehmensidentität und eine Unternehmeridentität für den
Verlustabzug nach § 10a GewStG 2002 n.F. vorausgesetzt wird und es auf den Zeitraum der
"werbenden Tätigkeit" des Gewerbebetriebs ankommt, ist für Körperschaften einheitlich
sowohl für die Körperschaftsteuer als auch für die Gewerbesteuer auf die Maßgaben der
wirtschaftlichen Identität in § 8 Abs. 4 KStG 2002 (§ 10a Satz 4 GewStG 2002) bzw. § 8c
KStG 2002 n.F. (§ 10a Satz 10 GewStG 2002 n.F.) während ihrer rechtlichen Existenz
verwiesen. Eine besondere objektsteuerbezogene Komponente folgt daraus für den
Gewerbeverlust der Körperschaft nicht; insoweit besteht kein abweichender Maßstab zur
allgemeinen Ertragsteuer (so im Ergebnis auch Kube, DStR 2011, 1781, 1789; Kessler/Hinz,
BB 2012, 555, 556; Klomp, GmbHR 2012, 675, 679; Esterer/Bartelt, Ubg 2012, 383, 386).
Darüber hinaus lässt sich der Ausschluss des gewerbesteuerrechtlichen Verlustrücktrags in
einem System, das den gewerbesteuerrechtlichen Verlustvortrag ohne zeitliche
Einschränkung anerkennt (s. dazu die Darlegungen des IV. Senats des BFH in seinem Urteil
in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498), weniger mit einem objektsteuerartigen Bezug als
vielmehr im Wesentlichen mit dem Interesse der Gemeinden an einer funktionierenden
Haushaltspolitik begründen (s.a. Bundesregierung, BTDrucks 17/4653, S. 10 [zu Frage 17]).
Im Übrigen könnte zwar in Situationen, in denen die beschränkte Verlustverrechnung (in
Vorjahren) als Ursache für die Definitivbelastung zu identifizieren ist, die Belastung nur
durch eine Korrektur der seinerzeitigen Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags
beseitigt werden, was "einem Verlustrücktrag nahe (käme), der in dem System der
Gewerbesteuer bewusst nicht vorgesehen ist" (BFH-Urteil in BFHE 238, 429, BStBl II 2013,
498). Dabei mag bezweifelt werden, ob die für eine solche Konstellation diskutierte
Möglichkeit einer verfahrensrechtlichen Änderung kraft rückwirkenden Ereignisses (§ 175
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung --AO--, dazu insbesondere Klomp, GmbHR 2012,
675, 681; FG Köln, Urteil vom 11. April 2013 13 K 889/12, EFG 2013, 1374; Graw, EFG
2013, 1377, 1378) unter Hinweis auf gewerbesteuerrechtliche Besonderheiten
ausgeschlossen sein kann. Jedenfalls für die streitgegenständliche Situation der
Anwendung der Mindestbesteuerung in einem Gewinnjahr kommt es darauf aber nicht an.
36 d) Die verfassungsrechtliche Bewertung wird nicht dadurch beeinflusst, dass auf der
Grundlage der §§ 163, 227 AO bei sog. Definitiveffekten die verfahrensrechtliche Möglichkeit
besteht, im Einzelfall im Wege der Billigkeit eine Steuerfestsetzung in einer Höhe zu
erreichen, die einer Nichtanwendung der Mindestbesteuerung entspricht.
37 aa) Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem
Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft (z.B.
Senatsurteil vom 21. Oktober 2009 I R 112/08, BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteil vom 23. Juli
2013 VIII R 17/10, BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820). Das setzt voraus, dass der
Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen
geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine
für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet
oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme (Senatsurteil in
BFH/NV 2010, 606; BFH-Urteil in BFHE 242, 134, BStBl II 2013, 820).
38 bb) Zwar hat der IV. Senat des BFH in seinen Urteilen in BFHE 238, 429, BStBl II 2013, 498
und in BFH/NV 2013, 410 ausgeführt, die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen in
besonderen Einzelfällen flankiere die Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers und gestatte
ihm, eine typisierende Regelung zu treffen, bei der Unsicherheiten über Zahl und Intensität
der von der typisierenden Regelung nachteilig betroffenen Fälle mit zumutbarem Aufwand
nicht beseitigt werden könnten (dies offenlassend der Senatsbeschluss vom 28. März 2011
I B 152/10, BFH/NV 2011, 1284). Darauf baut auch der Hilfsantrag des Klägers im hier
anhängigen Revisionsverfahren auf. Allerdings ist nach dem gerade Ausgeführten im
Rahmen der "sachlichen Unbilligkeit" als Voraussetzung einer Billigkeitsmaßnahme eine
strukturelle Gesetzeskorrektur ausgeschlossen (z.B. Drüen, Steuerberater-Jahrbuch --StbJb--
2012/2013, S. 123, 160; s.a. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78; Küspert, BB 2013, 1949,
1953; Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 13). Von einer solchen
Korrektur wäre aber zu sprechen, wenn man --wie der Senat-- davon ausgeht, dass der
Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Wirkung der
Mindestbesteuerung als Verlustnutzungsausschluss ausschließlich durch eine Anhebung
des Sockelbetrags und des Prozentsatzes für den Restbetrag Rechnung tragen wollte.
39 IV. Verfassungskonforme Auslegung
Eine die Verfassungswidrigkeit vermeidende verfassungskonforme Auslegung ist nicht
möglich.
40 1. Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung gebietet es, bei mehreren Möglichkeiten
der Normauslegung diejenige maßgeblich sein zu lassen, bei der die Regelung mit der
Verfassung konform geht. Der Grundsatz verbindet somit die Normtextauslegung mit einer
Normenkontrolle (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Band I, 10. Aufl., Rz 100) und
findet als Auslegungskriterium seine Grenze dort, wo er mit dem Wortlaut der Norm und dem
klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde (z.B. BVerfG-
Beschluss vom 27. März 2012 2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372). Im Wege der
verfassungskonformen Auslegung darf einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz
nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden
Vorschrift nicht grundlegend neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem
wesentlichen Punkt verfehlt werden (BVerfG-Beschluss vom 26. April 1994 1 BvR 1299/89,
1 BvL 6/90, BVerfGE 90, 263).
41 2. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. und des § 10a
GewStG 2002 n.F. in der Situation sog. Definitiveffekte --die der Senat im Beschluss in
BFHE 230, 445, BStBl II 2011, 826 bei summarischer Prüfung der Rechtslage noch für
möglich erachtete-- ist nach der nunmehr gebildeten Überzeugung des Senats
ausgeschlossen (a.A. z.B. Wendt, DStJG Band 28, S. 41, 78; Fischer, FR 2007, 281, 285 f.;
wohl auch Schaumburg/Schaumburg, StuW 2013, 61, 66; Drüen, FR 2013, 393, 402;
derselbe, StbJb 2012/2013, S. 123, 158 f.). Der Gesetzgeber hat --wie bereits oben
ausgeführt-- auf der Rechtsfolgenseite der Normen eine Differenzierung nach
Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung nicht vorgesehen;
es kommt auch nicht in Betracht, den Begriff der "negativen Einkünfte" so auszulegen, dass
Definitiveffekte ein Anwendungshindernis darstellen würden. Wenn damit aber der
"Untergang von Verlustvorträgen" in entsprechenden Sachsituationen vom
gesetzgeberischen Willen gedeckt ist, ist "eine Gesetzesreparatur im Wege telelogischer
Reduktion verbaut" (so Hey, StuW 2011, 131, 141; im Ergebnis übereinstimmend z.B.
Desens, FR 2011, 745, 750 f.; Hallerbach in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 10d EStG Rz 13).
42 Jedenfalls lässt sich den Regelungen zur Mindestbesteuerung auch kein Anhaltspunkt dafür
entnehmen, nach welchen Kriterien bei einer verfassungskonformen Auslegung wiederum
begrenzend zu differenzieren sein könnte. So dürfte allein der Umstand, dass ein
"Definitiveffekt" eintritt, keine ausreichende Rechtfertigung für eine Einschränkung der
Rechtsfolge darstellen. Es könnte in Betracht kommen, in Fällen, in denen der endgültige
Wegfall der gestreckten Verlustvorträge vom Steuerpflichtigen (anders als im Streitfall, einem
Insolvenzfall) durch eigenen Willensentschluss veranlasst ist (z.B. bei Kapitalgesellschaften
in Liquidationsfällen), eine "schützenswerte" Definitivsituation abzulehnen (s.a. BFH-Urteil in
BFHE 238, 518, BStBl II 2013, 505; Gosch, BFH/PR 2011, 10, 11; Roser, GmbH-StB 2013,
53, 55 f.; z.T. abweichend wohl BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1; s.a.
Farle/Schmitt, DB 2013, 1746, 1749; Braun/Geist, BB 2013, 351, 354): Es hätte sich dann
eventuell (nur) das steuerrechtliche Risiko einer Grenze der Verlustnutzung realisiert, das im
systemtragenden Subjektsteuerprinzip angelegt ist. Dies könnte auch die
einkommensteuerrechtliche Situation des Versterbens des Steuerpflichtigen betreffen
("keine Vererbung des Verlustvortrags", s. BFH-Beschluss in BFHE 220, 129, BStBl II 2008,
608). Im Übrigen könnten Sachsituationen auszusparen sein, in denen eine solche Wirkung
auf ein Zusammenspiel der Mindestbesteuerung mit einer Regelung zurückzuführen ist, die
einem Missbrauchsverhinderungszweck dient (s. bereits Senatsbeschluss in BFHE 230,
445, BStBl II 2011, 826; insoweit zustimmend BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 1).
Nicht zuletzt lässt sich aus der Norm die Frage nicht eindeutig beantworten, in welchem
Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum der infolge des Definitiveffekts nicht mehr
vortragsfähige Verlust zu berücksichtigen ist: In Betracht kommt sowohl das Jahr des Eintritts
des Definitiveffekts, wobei es aber, wenn der Effekt auf rechtliche Gründe zurückzuführen ist
(z.B. im Falle des sog. schädlichen Beteiligungserwerbs in § 8c KStG 2002 n.F. oder der
Umwandlung beim übertragenden Rechtsträger nach § 12 Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2
des Umwandlungssteuergesetzes 2002/2006), auch nicht auszuschließen ist, eine
unverhältnismäßige Rechtsfolge (nämlich die von der Mindestbesteuerung verursachten
Verlustvorträge nicht auszusparen) jener Norm zuzuweisen (s. insoweit auch Buciek, FR
2011, 79; Desens, FR 2011, 745, 751; Möhlenbrock, Ubg 2010, 256, 258). In Betracht kommt
(kommen) allerdings auch das frühere Jahr (die früheren Jahre) einer Steuerfestsetzung
infolge der Mindestbesteuerung (s.a. BMF-Schreiben in BStBl I 2011, 974, Tz. 2; Desens,
ebenda; Klomp, GmbHR 2012, 675, 678). Im Streitfall käme allerdings durch das Fehlen
einer mindestbesteuerungsbedingten Belastung in Vorjahren ausschließlich die erste
Lösung zur Anwendung.
43 V. Entscheidungserheblichkeit der Vorlage
Die dem BVerfG gestellte Vorlagefrage ist auch entscheidungserheblich: Ist die sog.
Mindestbesteuerung in § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002
n.F. auch bei Eintritt eines Definitiveffekts verfassungsgemäß, ist die Revision des Klägers
unbegründet (s. insoweit zu II. der Gründe). Hält sie das BVerfG hingegen für mit Art. 3 Abs. 1
GG unvereinbar, hätte die Revision jedenfalls teilweisen Erfolg: Die festgesetzte
Körperschaftsteuer 2008 wäre herabzusetzen. Gleiches gälte für die festgesetzten
Gewerbesteuermessbeträge 2006 bis 2008, und das unabhängig davon, ob die insoweit
weitere unter den Beteiligten streitige Rechtsfrage danach, ob dem Gewinn der betreffenden
Erhebungszeiträume bei der Ermittlung der Gewerbeerträge sog. Dauerschuldentgelte nach
Maßgabe von § 8 Nr. 1 GewStG 2002 hinzuzurechnen sind, bejaht wird oder nicht; die
Antwort auf diese Rechtsfrage kann im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens also
vorerst unbeantwortet bleiben.
44 VI. Entscheidung des Senats
In Anbetracht der vom Senat angenommenen Verfassungswidrigkeit von § 10d Abs. 2 Satz 1
EStG 2002 n.F. und § 10a Satz 2 GewStG 2002 n.F. beim Eintreten sog. Definitiveffekte war
das Revisionsverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen und ist die Entscheidung
des BVerfG über die im Leitsatz formulierte Frage zur Verfassungsmäßigkeit der genannten
Vorschriften einzuholen.