Urteil des BFH vom 17.12.2013

Kursverluste bei Hybridanleihen mit gestuften Zinsversprechen ohne Laufzeitbegrenzung und ohne Emissionsrendite

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 17.12.2013, VIII R 42/12
Kursverluste bei Hybridanleihen mit gestuften Zinsversprechen ohne Laufzeitbegrenzung und
ohne Emissionsrendite
Leitsätze
Kursverluste aus der Veräußerung von Hybridanleihen mit gestuften Zinsversprechen ohne
Laufzeitbegrenzung, die keine Emissionsrendite aufweisen, sind nicht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 Satz 2 EStG steuerwirksam, da die Vorschrift auf Wertpapiere, bei denen keine Vermengung
zwischen Ertrags- und Vermögensebene besteht und bei denen eine Unterscheidung zwischen
Nutzungsentgelt und Kursgewinn ohne größeren Aufwand möglich ist, keine Anwendung findet
(Fortführung der Rechtsprechung, vgl. Senatsurteil vom 20. November 2006 VIII R 97/02, BFHE
216, 79, BStBl II 2007, 555).
Tatbestand
1 I. Die Beteiligten streiten um die steuerliche Behandlung einer sog. Hybridanleihe. Die Kläger
und Revisionskläger (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute und
erklärten in der Anlage KAP zu ihrer Einkommensteuererklärung 2008 u.a. Einnahmen aus
festverzinslichen Wertpapieren in Höhe von ./. 32.871 EUR (X-Bank) sowie ./. 4.636 EUR.
2 Die von den Klägern deklarierten negativen Einnahmen stammen aus dem Ansatz einer
Marktrendite nach der Veräußerung einer "8,62500 % Z AG ... Anleihe ...". Hierbei handelte es
sich um im Jahr 2005 ausgegebene sog. Hybridanleihen ohne feste Laufzeit. Der Zinssatz
betrug bis 29. Januar 2013 jährlich 8,625 %. Die Anlage konnte der Emittent zum 30. Januar
2013 kündigen. Wenn er nicht kündigte, sollte eine variable Verzinsung nach dem 3-Monats-
EURIBOR nebst einem Risikoaufschlag von 7,3 % gewährt werden, was im Zeitpunkt der
Wertpapierausgabe einen ab Februar 2013 zu erwartenden Zins von etwa 9,8 % bedeutete.
Beim Kauf bzw. Verkauf der Anleihe fielen Stückzinsen an. Der Anleger konnte die Anleihe
jederzeit an der Börse verkaufen und dabei Kursgewinne oder Kursverluste erzielen.
3 Bei der Veranlagung berücksichtigte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --
FA--) zwar Spekulationsverluste gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des
Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr gültigen Fassung (EStG), aber keine
negative Marktrendite.
4 Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht
(FG) mit Urteil vom 27. August 2012 4 K 2474/10 ab.
5 Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. d
EStG. Das FG interpretiere die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu den sog.
Finanzinnovationen nicht richtig. Es müsse einen Unterschied machen, ob eine Anleihe
Kapitalerträge in unterschiedlicher Höhe aus eigenem Recht verspreche oder ob sich
unterschiedliche Erträge nur als Reflexwirkung anderweitiger Änderungen ergäben, wie z.B.
bei reinen EURIBOR-Floatern.
6 Die Kläger beantragen sinngemäß,
das angefochtene FG-Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer 2008 unter Änderung des
Einkommensteuerbescheids 2008 vom 7. April 2010 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 26. Mai 2010 soweit herabzusetzen, wie sie sich ergibt, wenn
die Einkünfte des Klägers aus Kapitalvermögen aus der Veräußerung der Z AG ... Anleihen
nach den Angaben in der Steuererklärung bemessen und Einkünfte aus privaten
Veräußerungsgeschäften mit 0 EUR angesetzt werden.
7 Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
8 Auf mündliche Verhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend verzichtet.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die negativen Einnahmen des Klägers aus der
Veräußerung der Z AG ... Anleihen sind keine negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen
gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c und d EStG.
10 1. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus
Kapitalvermögen auch die Einnahmen aus der Veräußerung oder Abtretung von sonstigen
Kapitalforderungen, bei denen die Höhe der Erträge von einem ungewissen Ereignis
abhängt (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c Alternative 2 EStG) oder bei denen die
Kapitalerträge in unterschiedlicher Höhe gezahlt werden (§ 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1
Buchst. d Alternative 1 EStG), soweit sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden
Emissionsrendite entsprechen. Haben die Kapitalforderungen keine Emissionsrendite oder
weist der Steuerpflichtige sie nicht nach, gilt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG der
Unterschiedsbetrag zwischen dem Entgelt für den Erwerb und den Einnahmen aus der
Veräußerung, Abtretung oder Einlösung als Kapitalertrag. Dies gilt gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1
Nr. 4 Satz 4 EStG entsprechend bei Endfälligkeit von Kapitalforderungen.
11 a) Ob Wertpapiere und Kapitalforderungen dem in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c
und d EStG beschriebenen Typus von Finanzinnovationen zuzuordnen sind, ist anhand der
Verhältnisse im Zeitpunkt der Emission der Anlage zu prüfen. Dies ergibt sich aus dem
systematischen Zusammenhang der tatbestandlichen Regelung der steuerbaren
Finanzinnovationen in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. c EStG mit der Regelung zur
Höhe dieser Einkünfte gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Halbsatz 2 sowie Satz 2 EStG.
Beide Merkmale, die Typenbeschreibung wie auch die Vorgaben für die Berechnung der
steuerbaren Einkünfte, bilden zusammen den maßgeblichen Steuertatbestand. Die
gesetzliche Ausrichtung der Besteuerung an der Emissionsrendite bezieht diesen
Steuertatbestand auf den Zeitpunkt der Emission. Folglich ist auch die Typenbestimmung
auf die Ausgestaltung der fraglichen Wertpapiere oder Kapitalforderungen im Zeitpunkt der
Emission zu beziehen (ständige Rechtsprechung, vgl. dazu im Einzelnen mit diversen
Nachweisen Senatsurteile vom 13. Dezember 2006 VIII R 62/04, BFHE 216, 199, BStBl II
2007, 568; vom 20. November 2006 VIII R 97/02, BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555; vom
11. Juli 2006 VIII R 67/04, BFHE 215, 86, BStBl II 2007, 553; vom 13. Dezember 2006
VIII R 6/05, BFHE 216, 206, BStBl II 2007, 571).
12 Als Emissionsrendite ist die vom Emittenten bei der Begebung einer Anlage, d.h. von
vornherein zugesagte Rendite zu verstehen, die bis zur Einlösung des Papiers oder bis zur
Endfälligkeit einer Kapitalforderung erzielt werden kann (vgl. Senatsurteil in BFHE 216, 199,
BStBl II 2007, 568, m.w.N.). Maßgeblich ist dabei, dass von vornherein eine bezifferbare
Rendite versprochen wird, die mit Sicherheit erzielt werden kann.
13 b) Nach den vorstehend genannten Grundsätzen haben die hier zu beurteilenden Anleihen
keine Emissionsrendite. Sie weisen im Zeitpunkt der Emission bis zum 29. Januar 2013
zwar eine feste Verzinsung von 8,625 % jährlich auf. Indes war die Anleihe zum 30. Januar
2013 kündbar und im Falle der unterbliebenen Kündigung eine variable Verzinsung
vorgesehen, die nach dem --jederzeit nach den Verhältnissen des Kapitalmarkts
änderbaren-- 3-Monats-EURIBOR zzgl. eines Risikoaufschlags von 7,3 % bemessen war.
Grundsätzlich wäre nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG daher eine
Besteuerung nach der Marktrendite geboten (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 216, 79, BStBl II
2007, 555).
14 c) Jedoch steht der Gesetzeszweck dem Ansatz der Marktrendite entgegen. Demgemäß sind
die Verluste des Klägers aus der Veräußerung der hier zu beurteilenden Z AG ... Anleihen
nicht gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG einkommensmindernd zu berücksichtigen.
15 Wie der Senat bereits mit Urteil in BFHE 216, 79, BStBl II 2007, 555 entschieden hat, wollte
der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG durch das
Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1993 (BGBl I
1993, 2310) nicht jegliche Wertveränderung im Vermögensstamm erfassen, sondern
lediglich solche Kapitalanlagen, bei denen an sich steuerpflichtige Zinserträge als
steuerfreier Wertzuwachs konstruiert werden (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59). Diese
Kapitalanlagen machten sich den Umstand zunutze, dass nach bis dahin gültigem Recht im
Privatvermögen zwischen steuerpflichtigen Kapitalerträgen (z.B. Zinsen) und steuerfreien
Vermögensmehrungen zu unterscheiden war (vgl. BTDrucks 12/6078, S. 116). Der
Gesetzgeber wollte sicherstellen, "dass Vorteile, die unabhängig von ihrer Bezeichnung und
ihrer zivilrechtlichen Gestaltung bei wirtschaftlicher Betrachtung für die Überlassung von
Kapitalvermögen zur Nutzung erzielt werden, zu den Einkünften aus Kapitalvermögen
gehören" (vgl. BTDrucks 12/5630, S. 59).
16 Bei der hier zu beurteilenden Z AG ... Anleihe sind diese Besonderheiten nicht gegeben.
Ähnlich wie bei "einfachen Floatern" (vgl. dazu Senatsurteil in BFHE 216, 79, BStBl II 2007,
555) gibt es weder verdeckte Zinserträge noch eine Vermengung von Ertrags- und
Vermögensebene. Der Zinsertrag liegt vielmehr offen und ist ohne jede Schwierigkeit zu
ermitteln. Der Unterschied zu "einfachen Floatern" besteht lediglich darin, dass bei der
Z AG ... Anleihe zunächst ein Zeitraum mit einer festen Verzinsung vorgesehen ist, an den
sich dann eine variable Verzinsung anschließt, die sich aus dem --jederzeit veränderbaren--
3-Monats-EURIBOR zzgl. eines festen Risikoaufschlags von 7,3 % zusammensetzt. Die
Höhe der Verzinsung ist damit entscheidend vom 3-Monats-EURIBOR als Referenzzinssatz
abhängig; steigt dieser, erhöht sich die Verzinsung, fällt er, ermäßigt sich die Verzinsung.
Dass je nach Kapitalmarktentwicklung mit Änderungen des Referenzzinssatzes
Kursschwankungen verbunden sind, versteht sich von selbst, auch wenn diese durch den
festen Risikoaufschlag von 7,3 % abgemildert werden. Indes werden Kursveränderungen bei
einer Zwischenveräußerung nicht nach § 20 EStG erfasst, sondern finden allenfalls im
Rahmen des § 23 EStG Berücksichtigung. Wenn in derartigen Fällen die laufenden Zinsen
stets nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerpflichtig sind, erschließt sich nicht, weshalb bei
Zwischenveräußerungen Kursgewinne/-verluste nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 EStG --anders
als bei festverzinslichen Papieren-- Berücksichtigung finden sollten. Denn auf der
Grundlage, dass § 20 EStG systematisch von der objektiven Unmaßgeblichkeit jeglicher
Wertveränderungen der Kapitalanlage, des Vermögensstamms, ausgeht, wäre im Streitfall
die steuerliche Abschöpfung von Kursdifferenzen im Rahmen von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
Satz 1 Buchst. c und d, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 2 EStG als Abweichung vom Binnensystem
des § 20 EStG sachlich nicht gerechtfertigt (im Einzelnen dazu Senatsurteil in BFHE 216, 79,
BStBl II 2007, 555).