Urteil des BFH vom 25.04.2013

Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferung

BUNDESFINANZHOF Urteil vom 25.4.2013, V R 28/11
Steuerpflicht der innergemeinschaftlichen Lieferung
Leitsätze
1. Für die Inanspruchnahme des Vertrauensschutzes nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG muss der
Lieferer in gutem Glauben handeln und alle Maßnahmen ergreifen, die vernünftigerweise verlangt
werden können, um sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung
an einer Steuerhinterziehung führt.
2. Dabei sind alle Gesichtspunkte und tatsächlichen Umstände umfassend zu berücksichtigen.
Danach kann sich die zur Steuerpflicht führende Bösgläubigkeit auch aus Umständen ergeben, die
nicht mit den Beleg- und Buchangaben zusammenhängen.
Tatbestand
1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) handelt mit PKWs und verkaufte im Streitjahr
2004 zwei PKWs an eine in Luxemburg ansässige GmbH (GmbH). Sie ging davon aus, dass
die Lieferung der beiden Fahrzeuge als innergemeinschaftliche Lieferung nach Luxemburg
steuerfrei sei.
2 Die Klägerin hatte die beiden PKWs im Internet zum Verkauf angeboten. Die
Geschäftsanbahnung erfolgte über eine Person, die sich als KP und damit als Geschäftsführer
der GmbH ausgab und nach den Angaben in ihrem Personalausweis in E im Inland ansässig
war. Der dem Vertragsschluss vorausgegangene Kontakt erfolgte über ein Mobiltelefon und
ein Telefaxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl. Bei Vertragsschluss lagen der Klägerin ein
Auszug aus dem Handels- und Gesellschaftsregister für die GmbH mit Hinweis auf KP als
Geschäftsführer sowie ein Schreiben mit Briefkopf der GmbH mit folgendem handschriftlichen
Hinweis vor: "Vollmacht. Bitte Herrn L Kfz-Brief und Schlüssel aushändigen. Herr L. hat
Kaufpreis in bar dabei." Das Schreiben war mit einer der Unterschrift auf dem
Personalausweis für KP ähnlichen Unterschrift unterzeichnet. Mit dieser Unterschrift war
weiter eine auf L ausgestellte Vollmacht ohne Datum unterzeichnet. Die Klägerin verfügte
auch über Kopien des auf KP ausgestellten Personalausweises. Das Bundesamt für
Finanzen bestätigte der Klägerin auf ihre Anfrage die Gültigkeit der für die GmbH erteilten
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Die Klägerin übergab die beiden Fahrzeuge an L. Auf
den Rechnungsdoppeln versicherte L mit Unterschrift, die beiden PKWs nach Luxemburg zu
befördern. L entrichtete den Kaufpreis bar. Der tatsächliche Verbleib der beiden PKWs ist
nicht bekannt.
3 Im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung ging der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt --FA--) davon aus, dass die beiden Fahrzeuglieferungen steuerpflichtig seien. Die
GmbH sei bereits durch Gesellschafterbeschluss vom 18. September 1996 aufgelöst worden.
Die tatsächliche Identität der beiden Personen, die sich als KP und L ausgaben, könne nicht
festgestellt werden, da die beiden der Klägerin vorgelegten Personalausweise gefälscht
gewesen seien. Da der tatsächliche Abnehmer nicht feststehe, seien die beiden Lieferungen
steuerpflichtig. Der Einspruch gegen den Umsatzsteueränderungsbescheid 2004 hatte keinen
Erfolg.
4 Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) mit dem in "Entscheidungen der Finanzgerichte"
2012, 279 veröffentlichten Urteil der Klage statt, da die Lieferung der beiden PKWs steuerfrei
sei. Die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) seien
nicht erfüllt. Zwar habe die Klägerin die formellen Nachweispflichten erfüllt. Es sei jedoch
unstreitig, dass die GmbH die beiden PKWs nicht gekauft habe. Der tatsächliche Erwerber
könne nicht festgestellt werden, da die für den Erwerber handelnden Personen gefälschte
Personalausweise vorgelegt hätten. Gleichwohl sei die Lieferung nach § 6a Abs. 4 Satz 1
UStG steuerfrei. Die Klägerin habe die Fälschungen der Personalausweise nicht erkennen
können. Die Abweichungen hinsichtlich der Unterschriften seien bei laienhafter Prüfung
gleichfalls nicht erkennbar gewesen. Im Hinblick auf die ihr vorliegenden Unterlagen habe die
Klägerin auch keine weiter gehenden Erkundigungen über die GmbH einziehen müssen.
5 Hiergegen wendet sich die Revision des FA, mit der es Verletzung materiellen Rechts rügt. Es
fehle an einer Bevollmächtigung für die Person, die sich als KP ausgegeben habe. Die
Belegunterlagen seien nicht schlüssig. Die Unterschriften auf den Rechnungen wichen von
der auf dem Personalausweis ab. Das Gültigkeitsdatum auf dem Ausweis der KP sei
erkennbar unzutreffend. Wer tatsächlicher Abnehmer gewesen sei, habe nicht ermittelt
werden können.
6 Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
7 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
8 Wie das FG zutreffend festgestellt habe, habe sie gutgläubig gehandelt. Dem Lieferanten
dürfe nicht generell das Risiko von Betrugshandlungen des Erwerbers auferlegt werden. Ein
kollusives Zusammenwirken mit dem Abnehmer liege nicht vor. Dem Verkäufer könne zwar
die Steuerfreiheit versagt werden, wenn er nicht seinen Nachweispflichten nachkomme oder
er wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm bewirkte Umsatz mit einer
Steuerhinterziehung des Erwerbers verknüpft gewesen sei und der Verkäufer nicht alle ihm
zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, um eine eigene Beteiligung an dieser
Steuerhinterziehung zu verhindern. Dabei seien aber auch Vertrauensschutz und
Verhältnismäßigkeit zu beachten. Sie habe aber den Beleg- und Buchnachweis vollständig
erbracht, ohne dass sich aus den Beleg- und Buchangaben Unstimmigkeiten oder Hinweise
auf eine Umsatzsteuerhinterziehung durch den Erwerber ergeben hätten. Es stelle sich die
Frage, welche weiteren Pflichten sie zu erfüllen habe. Maßnahmen ins Blaue hinein könnten
vernüftigerweise nicht verlangt werden. Um den Sorgfaltspflichten zu genügen, müsse es
ausreichen, sich von der Unternehmereigenschaft durch Nachweis der Umsatzsteuer-
Identifikationsnummer zu überzeugen. Daher sei ihr Vertrauensschutz zu gewähren. Sie habe
auch keine weiteren Maßnahmen treffen können, aufgrund derer sie festgestellt hätte, dass
keine Bestellungen der GmbH vorlagen. Dies gelte nicht nur für die mittlerweile übliche
Kommunikation durch email, sondern auch für die Kontaktaufnahme durch Telefon oder
Telefax, da sich Rufumleitungen unproblematisch einrichten ließen. Gleiches gelte für eine
Kontaktaufnahme auf dem Postweg. International tätige Unternehmen böten zudem häufig
eine Kommunikation über eine lokale Telefonnummer an. KP sei als Geschäftsführer im
Inland ansässig gewesen. Es sei unverhältnismäßig, von ihr den Beweis der tatsächlichen
Existenz des Geschäftspartners zu verlangen.
Entscheidungsgründe
9 II. Die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage
abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Lieferungen der
Klägerin sind nicht als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei.
10 1. Innergemeinschaftliche Lieferungen können unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 1
Buchst. b i.V.m. § 6a UStG steuerfrei sein.
11 a) Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG ist eine innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei, wenn
bei einer Lieferung die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:
12 "1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige
Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet,
2. der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der Lieferung
nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber
und
3. der Erwerb des Gegenstands der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen
Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung."
13 Unionsrechtlich beruht die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung auf Art. 28c
Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Steuerfrei sind unter den Bedingungen, die die
Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der
nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehung,
Steuerumgehung und Missbrauch festlegen danach
14 "die Lieferungen von Gegenständen im Sinne des Artikels 5, die durch den Verkäufer oder
durch den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb des in Artikel 3
bezeichneten Gebietes, aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden,
wenn diese Lieferungen an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine
nichtsteuerpflichtige juristische Person bewirkt werden, der/die als solcher/solche in einem
anderen Mitgliedstaat als dem Beginn des Versandes oder der Beförderung der
Gegenstände handelt".
15 b) Der Unternehmer hat die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG gemäß § 6a Abs. 3
UStG i.V.m. §§ 17a ff. der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) beleg- und
buchmäßig nachzuweisen.
16 c) Hat der Unternehmer eine Lieferung als steuerfrei behandelt, obwohl die
Voraussetzungen nach § 6a Abs. 1 UStG nicht vorliegen, ist die Lieferung gemäß § 6a
Abs. 4 Satz 1 UStG gleichwohl steuerfrei, wenn die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung
auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht und der Unternehmer die Unrichtigkeit
dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht
erkennen konnte.
17 Für diese Vorschrift besteht zwar keine ausdrückliche Grundlage in der Richtlinie
77/388/EWG. Sie entspricht jedoch der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Union (EuGH). Danach sind die zuständigen Behörden des Liefermitgliedstaats nicht befugt,
einen gutgläubigen Lieferanten, der Beweise vorgelegt hat, die dem ersten Anschein nach
sein Recht auf Befreiung einer innergemeinschaftlichen Lieferung von Gegenständen
belegen, zu verpflichten, später Mehrwertsteuer auf diese Gegenstände zu entrichten, wenn
sich die Beweise als falsch herausstellen, jedoch nicht erwiesen ist, dass der Lieferant an
der Steuerhinterziehung beteiligt war, und er alle ihm zur Verfügung stehenden zumutbaren
Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die von ihm vorgenommene
innergemeinschaftliche Lieferung nicht zu seiner Beteiligung an einer Steuerhinterziehung
führt (EuGH-Urteil vom 27. September 2007 C-409/04, Teleos u.a., Slg. 2007, I-7797, dritter
Leitsatz).
18 d) Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen den objektiven Voraussetzungen des § 6a Abs. 1
UStG, den gemäß § 6a Abs. 3 UStG bestehenden Nachweispflichten und der Steuerfreiheit
aufgrund der Gewährung von Vertrauensschutz im Hinblick auf unrichtiger Angaben des
Abnehmers gilt nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) Folgendes:
19 aa) Der Unternehmer kann die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung in
Anspruch nehmen, wenn er die nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV bestehenden
Nachweispflichten erfüllt (BFH-Urteil vom 12. Mai 2009 V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II
2010, 511, unter II.B.2.b).
20 bb) Kommt der Unternehmer demgegenüber den Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG
i.V.m. §§ 17a ff. UStDV nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die
Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest
berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht
ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die
Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der
Steuerfreiheit erfüllt sind (BFH-Urteile in BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b,
und vom 12. Mai 2011 V R 46/10, BFHE 234, 436, BStBl II 2011, 957, unter II.1.c).
21 cc) Hat der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV bestehenden
Nachweispflichten ihrer Art nach erfüllt, kommt schließlich auch eine Steuerfreiheit nach § 6a
Abs. 4 Satz 1 UStG in Betracht. Voraussetzung ist hierfür insbesondere die formelle
Vollständigkeit, nicht aber auch die inhaltliche Richtigkeit der Beleg- und Buchangaben, da
§ 6a Abs. 4 Satz 1 UStG das Vertrauen auf unrichtige Abnehmerangaben schützt (BFH-
Urteile vom 15. Juli 2004 V R 1/04, BFH/NV 2005, 81, Leitsatz 2, und in BFHE 234, 436,
BStBl II 2011, 957, unter II.4.b).
22 2. Im Streitfall ist die Lieferung der beiden PKWs nicht als innergemeinschaftliche Lieferung
steuerfrei.
23 a) Die Steuerfreiheit kann nicht aufgrund eines Beleg- und Buchnachweises nach § 6a
Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV in Anspruch genommen werden, da die Beleg- und
Buchangaben hinsichtlich der dort als Abnehmer aufgeführten GmbH unzutreffend sind. Die
GmbH hat die beiden Fahrzeuge nicht er-worben, da keine für sie handlungsbefugte Person,
sondern ein Unbekannter unter ihrem Namen tätig war, der sich als Ge-schäftsführer der
GmbH ausgab.
24 b) Es steht auch nicht objektiv zweifelsfrei fest, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit
erfüllt sind, da der Verbleib der beiden Fahrzeuge ungeklärt ist.
25 c) Schließlich kommt entgegen dem Urteil des FG auch nicht die Gewährung von
Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG in Betracht. Die Klägerin hat zwar auf
unrichtige Abnehmerangaben vertraut. Sie hat aber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt
gehandelt.
26 aa) Die Person des Abnehmers und damit des Leistungsempfängers bestimmt sich nach
ständiger Rechtsprechung des BFH nach dem der Lieferung oder sonstigen Leistung
zugrunde liegenden Rechtsverhältnis (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 18. Februar 2009 V R 82/07,
BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, unter II.2.a aa, und BFH-Beschluss vom 22. Dezember
2011 V R 29/10, BFHE 236, 242, BStBl II 2012, 441, unter II.3.b). Dieses Rechtsverhältnis
kann vertraglicher oder gesetzlicher Art sein (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG). Im Fall einer
Vertretung ohne Vertretungsmacht, die auch im Fall einer Identitätstäuschung vorliegen kann
und zur entsprechenden Anwendung von §§ 177, 179 des Bürgerlichen Gesetzbuches
(BGB) führt (vgl. z.B. Urteile des Bundesgerichtshofs vom 3. März 1966 II ZR 18/64, BGHZ
45, 193, unter I., und vom 11. Mai 2011 VIII ZR 289/09, BGHZ 189, 346, unter II.1.a),
bestimmt sich die Person des Abnehmers nach dem Rechtsverhältnis, das gemäß § 179
BGB zum vollmachtlosen Vertreter besteht. Abnehmer war daher die Person, die sich als KP
ausgab.
27 Somit liegen unrichtige Angaben des Abnehmers vor, auf denen die Inanspruchnahme der
Steuerfreiheit durch die Klägerin beruhte, da die Person, die sich als KP ausgab, eine
Lieferung an die GmbH unter der dieser Gesellschaft in Luxemburg erteilten Umsatzsteuer-
Identifikationsnummer vortäuschte.
28 bb) Die Klägerin hat nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt.
29 (1) Nach dem EuGH-Urteil vom 6. September 2012 C-273/11, Mecsek-Gabona
(Umsatzsteuer-Rundschau 2012, 796 Rdnrn. 48 ff.) muss der Lieferer in gutem Glauben
handeln und alle Maßnahmen ergreifen, die vernünftigerweise verlangt werden können, um
sicherzustellen, dass der von ihm getätigte Umsatz nicht zu seiner Beteiligung an einer
Steuerhinterziehung führt (Rdnr. 48), ist es, wenn eine Steuerhinterziehung der Erwerberin
vorliegt, gerechtfertigt, das Recht der Verkäuferin auf Mehrwertsteuerbefreiung von ihrer
Gutgläubigkeit abhängig zu machen (Rdnr. 50) und sind alle Gesichtspunkte und
tatsächlichen Umstände der Rechtssache umfassend zu beurteilen, um festzustellen, ob der
Lieferer in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die von ihm
vernünftigerweise verlangt werden konnten, um sicherzustellen, dass er sich aufgrund des
getätigten Umsatzes nicht an einer Steuerhinterziehung beteiligt hat (Rdnr. 53). Nichts
anderes ergibt sich aus der BFH-Rechtsprechung, soweit diese darauf abstellt, dass der
Unternehmer "Nachforschungen bis zur Grenze der Zumutbarkeit" durchführt (BFH-Urteil
vom 14. November 2012 XI R 17/12, Deutsches Steuerrecht 2013, 753, unter II.3.c bb), da
das nationale Recht richtlinienkonform und dabei die EuGH-Rechtsprechung beachtend
auszulegen ist.
30 Danach kann sich die zur Steuerpflicht führende Bösgläubigkeit auch aus Umständen
ergeben, die nicht mit den Beleg- und Buchangaben zusammenhängen. Dementsprechend
hat der Senat bereits entschieden, dass ungewöhnliche Umstände wie z.B. ein Barverkauf
hochwertiger Wirtschaftsgüter mit "Beauftragten" ohne Überprüfung der Vertretungsmacht
nicht bereits für sich allein die Anwendung von § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ausschließen,
sondern bei der Würdigung zu berücksichtigen sind, ob der Unternehmer mit der
erforderlichen kaufmännischen Sorgfalt gehandelt hat (BFH-Urteil in BFHE 225, 264, BStBl II
2010, 511, Rz 69).
31 (2) Im Streitfall wurde der Kontakt zum Abschluss der Kaufverträge, die den beiden
Lieferungen zugrunde lagen, nicht über den Geschäftssitz der GmbH angebahnt. Insoweit
lag auch kein sonstiger Bezug zu dem Mitgliedstaat der Ansässigkeit der GmbH vor. Der
Kontakt zum Abnehmer erfolgte vielmehr auf der Abnehmerseite ausschließlich über ein
Mobiltelefon und ein Telefaxgerät mit jeweils deutscher Vorwahl. Bei Beachtung der
erforderlichen Sorgfalt hätte die Klägerin aufgrund dieser Umstände am Vorliegen einer
Geschäftsbeziehung zu einer in Luxemburg ansässigen Gesellschaft zweifeln müssen. Ohne
dass im Streitfall darüber zu entscheiden ist, welche Anforderungen hieran im Einzelnen zu
stellen sind, hätte die Klägerin nur dann mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt, wenn sie
bei Anbahnung einer erstmaligen Geschäftsbeziehung zur GmbH zumindest auch den
Kontakt über deren Geschäftssitz in Luxemburg gesucht hätte. Hierfür bestand auch im
Hinblick auf das Vorliegen von Bargeschäften über hochwertige Wirtschaftsgüter
Veranlassung. Da die GmbH aufgrund ihrer Liquidation keinen Geschäftsbetrieb unterhielt,
hätte die Klägerin feststellen können, dass keine Bestellungen der GmbH vorlagen. Auf die
Frage, ob die Klägerin die Fälschung der beiden Personalausweise und von Unterschriften
erkennen konnte, kam es somit nicht mehr an.