Urteil des BAG vom 12.02.2014

OT-Mitgliedschaft - Anforderungen an die Satzung eines Arbeitgeberverbands

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 12.2.2014, 4 AZR 450/12
OT-Mitgliedschaft - Anforderungen an die Satzung eines Arbeitgeberverbands
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 19. März 2012 -
8 Sa 985/11 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über tarifliche Entgeltansprüche.
2 Der Kläger ist Mitglied der Gewerkschaft ver.di und seit 1998 bei der Beklagten
beschäftigt. Diese ist Mitglied im Einzelhandelsverband Lüneburger Heide e. V.
(nachfolgend EHV-LH), dessen Satzung idF vom 14. Juni 2001 ua. lautet:
§ 2
Zweck des Verbandes
1. …
Aufgaben des Verbandes sind insbesondere:
c)
Abschluß von Tarifverträgen mit den zuständigen Gewerkschaften,
§ 3
Erwerb der Mitgliedschaft
1. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Allen Mitgliedern stehen nach Maßgabe der
Satzung gleiche Rechte zu. …
2. Bei Tarifverträgen, die nicht für allgemeinverbindlich erklärt sind, können die
Mitglieder den Ausschluß der Tarifbindung insgesamt erklären. Die Erklärung
ist schriftlich an die Verbandsgeschäftsführung zu richten. Sie wirkt zum
Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge. Eine eventuelle Nachwirkung wird
durch die Erklärung nicht verhindert. Die Erklärung kann jederzeit schriftlich
widerrufen werden.
Bei Beschlußfassung über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen haben
Mitglieder ohne Tarifbindung kein Stimmrecht.
3. Die Mitgliedschaft wird durch schriftliche Beitrittserklärung unter Anerkennung
der Rechte und Pflichten der Satzung erworben. Über die Aufnahme
entscheidet das Präsidium.
§ 8
Organe des Verbandes
1. Organe des Verbandes sind:
a)
die Delegiertenversammlung,
b)
das geschäftsführende Präsidium,
§ 10
Das Präsidium
1. Das geschäftsführende Präsidium des Verbandes besteht aus dem
Präsidenten, sowie bis zu vier gleichberechtigten stellvertretenden
Präsidenten, von denen einer das Amt des Schatzmeisters gleichzeitig
ausübt.
2. …
3. Vertretungsberechtigt im Sinne des § 26 BGB sind zwei Mitglieder des
geschäftsführenden Präsidiums in Gemeinschaft.
4. Das geschäftsführende Präsidium hat die Geschäfte des Verbandes so zu
führen, wie es eine ordnungsgemäße Erfüllung der Verbandsaufgaben
erfordert und wie es die Satzung, die Geschäftsordnung und die Beschlüsse
der Organe des Verbandes bestimmen.“
3 Beim EHV-LH besteht weder eine Tarifkommission noch wurde ein sog. Streik- und
Aussperrungsfonds eingerichtet. Der Verband ist Mitglied des Unternehmensverbands
Einzelhandel Niedersachsen e.V. (nachfolgend UVE-NS), bei dem eine Tarifkommission
gebildet ist. Dieser Verband schließt für seine Mitgliedsverbände Tarifverträge ab. In § 5
der Satzung des UVE-NS (idF vom 24. Oktober 2003) heißt es:
Besondere Stimmberechtigung
bei Einfluss auf Tarifvertragsabschluss
Für alle Gremien und deren Beschlüsse gilt:
In Angelegenheiten, die unmittelbaren Einfluss auf den Abschluss von
Tarifverträgen haben, sind nur solche Personen stimmberechtigt, die der
Tarifbindung unterliegen.“
4 Die Geschäftsordnung der Tarifkommission des UVE-NS (vom 1. November 2001)
bestimmt in Nr. 1:
1.3.
tarifgebundenen Unternehmen sein“
5 Die Beklagte erklärte mit Schreiben vom 20. November 2002 gegenüber dem EHV-LH,
dass sie ihre Mitgliedschaft ohne Tarifgebundenheit fortsetzen möchte. Der EHV-LH
bestätigte mit Schreiben vom 22. November 2002, die Beklagte ab dem 20. November
2002 als Mitglied ohne Tarifbindung (OT-Mitglied) zu führen.
6 Am 7. August 2009 vereinbarten die Tarifvertragsparteien des niedersächsischen
Einzelhandels einen neuen Manteltarifvertrag, einen Gehalts- und Lohntarifvertrag sowie
einen Tarifvertrag über Urlaubsgeld, Sonderzuwendungen und Entgeltfortzahlung, die
rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft traten.
7 Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Differenz zwischen den von der Beklagten
geleisteten Zahlungen und den sich aus den Tarifverträgen des Jahres 2009 ergebenden
Entgeltansprüchen. Er ist der Auffassung, die Beklagte sei weiterhin tarifgebunden. Die
Satzung des EHV-LH sehe keine ausreichende Trennung der Befugnisse von
tarifgebundenen und nicht tarifgebundenen Mitgliedern vor. So sei es etwa möglich, OT-
Mitglieder in Tarifkommissionen des UVE-NS zu entsenden.
8 Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - zuletzt sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.663,17 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach bestimmter zeitlicher
Staffelung zu zahlen.
9 Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags ausgeführt, sie sei als
OT-Mitglied nicht mehr an die im Jahre 2009 geschlossenen Tarifverträge gebunden. Die
Satzung des EHV-LH enthalte eine hinreichend klare Trennung der Befugnisse von
Mitgliedern mit und ohne Tarifgebundenheit. Eine unmittelbare Einflussnahme von OT-
Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen sei ausgeschlossen.
10 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die
Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger die
Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
11 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die
Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger, der sein Begehren in der Revisionsinstanz allein
auf eine Tarifgebundenheit der Beklagten stützt, hat keine Entgeltansprüche nach den im
Jahre 2009 geschlossenen Tarifverträgen des niedersächsischen Einzelhandels. Diese
galten nicht im Arbeitsverhältnis der Parteien, da die Beklagte als OT-Mitglied nicht mehr
an diese nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden war.
12 1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Satzung des
EHV-LH den Anforderungen genügt, mit der ein Status als OT-Mitglied (zur Zulässigkeit
einer sog. OT-Mitgliedschaft im sog. Stufenmodell BAG 22. April 2009 - 4 AZR 111/08 -
Rn. 27, BAGE 130, 264; 4. Juni 2008 - 4 AZR 419/07 - Rn. 25 ff., BAGE 127, 27) wirksam
begründet werden kann. Sie sieht eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von
Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifgebundenheit vor (zu den Anforderungen an eine
Verbandssatzung ausf. BAG 21. November 2012 - 4 AZR 27/11 - Rn. 14 mwN zur Rspr.).
13 a) § 3 Nr. 2 Satz 1 der Satzung des EHV-LH regelt sowohl eine Mitgliedschaft mit
„Tarifbindung“ als auch eine ohne „Tarifbindung“, indem er die Möglichkeit der Erklärung
eines „Ausschlusses der Tarifbindung insgesamt“ für nicht für allgemeinverbindlich
erklärte Tarifverträge vorsieht. § 3 Nr. 2 Satz 3 der Satzung regelt den Wechsel von einer
dieser Formen zur anderen. Die Satzungsregelung in § 3 Nr. 2 Satz 3 iVm. Satz 1 kann
nach Sinn, Zweck und tariflichem Gesamtzusammenhang nur als Hinweis auf die sich aus
§ 3 Abs. 3 TVG ohnehin ergebende Rechtslage begriffen werden. Das hat der Senat
anhand einer gleichlautenden Satzungsregelung bereits ausführlich begründet (BAG
15. Dezember 2010 - 4 AZR 256/09 - Rn. 34).
14 b) Im Gesamtgefüge der Satzungsregelungen des EHV-LH wird vor allem durch die
Regelung in § 3 Nr. 2 Satz 6, die bei Beschlussfassung über Tariffragen und
Arbeitskampfmaßnahmen für „Mitglieder ohne Tarifbindung“ das Stimmrecht ausschließt,
die erforderliche Kongruenz von Mitentscheidungsrecht und Bindung an die
Tarifabschlüsse hinreichend klar und deutlich sowie einschränkungslos hergestellt.
Geschäftsführung und jegliches Handeln des EHV-LH müssen diesen Vorgaben genügen.
Dies zeigt für das geschäftsführende Präsidium darüber hinaus § 10 Nr. 4 der Satzung, der
die Regelung des § 3 Nr. 2 Satz 6 in Bezug nimmt (s. auch BAG 21. November 2012 -
4 AZR 27/11 - Rn. 18).
15 c) Es ist weiter nicht erforderlich, dass der Ausschluss der Rechte von OT-Mitgliedern in
Tarifangelegenheiten in jeder einzelnen Norm der Satzung ausdrücklich wiederholt wird.
§ 3 Nr. 2 Satz 6 der Satzung des EHV-LH gilt einschränkungslos und damit für alle in der
Satzung geregelten Bereiche und Befugnisse. Deshalb bedurfte es zur Wirksamkeit der in
der Satzung vorgesehenen OT-Mitgliedschaft keiner weiteren Regelungen für die in § 2
Nr. 1 Satz 2 Buchst. c der Satzung genannte Verbandsaufgabe des „Abschlusses von
Tarifverträgen“, für eine - in der Satzung ohnehin nicht vorgesehene - Tarifkommission
oder für die Einrichtung oder Verwaltung eines Streik- und Aussperrungsfonds sowie zur
Vertretungsbefugnis nach außen iSv. § 26 BGB für den - hypothetischen - Fall, dass alle
Präsidiumsmitglieder zugleich OT-Mitglieder sind. Das hat der Senat bereits ausführlich
begründet. Hierauf wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen (BAG
21. November 2012 - 4 AZR 27/11 - Rn. 18 bis 25; weiterhin 15. Dezember 2010 - 4 AZR
256/09 - Rn. 31 bis 33; 20. Mai 2009 - 4 AZR 230/08 - Rn. 80).
16 d) Dem durch die Satzung wirksamen begründeten Status als OT-Mitglied steht schließlich
nicht die beim UVE-NS gebildete Tarifkommission entgegen. § 5 der Satzung des UVE-
NS differenziert ebenfalls klar und eindeutig zwischen Mitgliedern mit und ohne
Tarifgebundenheit. Diese Bestimmung verhindert, dass OT-Mitglieder des EHV-LH in der
Tarifkommission stimmberechtigt mitwirken können. Dieser in der Satzung vorgesehene
Ausschluss des Stimmrechts gilt zugleich für die Tarifkommission des UVE-NS, der in
Nr. 1.3. der Geschäftsordnung der Kommission nochmals inhaltlich aufgegriffen wird.
17 2. Die Beklagte ist als OT-Mitglied an die im Jahre 2009 geschlossenen Tarifverträge nicht
mehr gebunden. Ihre mitgliedschaftlich begründete Tarifgebundenheit endete aufgrund
ihrer schriftlichen Erklärung vom 20. November 2002 gemäß § 3 Nr. 2 Satz 1 und Satz 2
der Satzung des EHV-LH bereits im November 2002.
18 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Eylert
Creutzfeldt
Treber
Drechsler
Lippok