Urteil des BAG vom 14.08.2013

Geschäftsführender Ausschuss des Betriebsrats

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 14.8.2013, 7 ABR
66/11
Geschäftsführender Ausschuss des Betriebsrats
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 7. April 2011 - 9 TaBV 182/10 -
wird zurückgewiesen.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Betriebsrat wirksam einen „geschäftsführenden
Ausschuss“ gebildet hat.
2 Der Beteiligte zu 2. ist der bei der antragstellenden Arbeitgeberin in deren Betrieb Region
Mitte im Frühjahr 2010 gewählte siebenköpfige Betriebsrat. Er hält wöchentlich dienstags
seine Sitzungen ab. Bis zu seiner Neuwahl hatte er aufgrund seiner damaligen Größe
einen Betriebsausschuss mit fünf Mitgliedern gebildet. Nach der Wahl teilte der Betriebsrat
der Arbeitgeberin mit E-Mail vom 8. Juni 2010 mit:
„…
der Betriebsrat hat auf seiner heutigen Sitzung einen geschäftsführenden Ausschuss gem.
§ 28 BetrVG gebildet.
Der Ausschuss setzt sich aus folgenden Kollegen zusammen:
P D
G V
M M
R P
A L
Der geschäftsführende Ausschuss tagt regelmäßig Montags ganztägig.
…“
3 Mit am 22. Juni 2010 beim Arbeitsgericht eingegangener Antragsschrift hat die
Arbeitgeberin geltend gemacht, die Bildung des „geschäftsführenden Ausschusses“ sei
gesetzeswidrig. Nach § 27 Abs. 1 BetrVG könne ein Betriebsausschuss nur gebildet
werden, wenn der Betriebsrat - anders als im vorliegenden Fall - neun oder mehr
Mitglieder habe. Die Bildung des „geschäftsführenden Ausschusses“ sei auch nicht nach
§ 28 Abs. 1 BetrVG möglich. Sähe man dies anders, habe der Betriebsrat mit seinem
Beschluss jedenfalls die Grenzen pflichtgemäßen Ermessens überschritten, indem dem
„geschäftsführenden Ausschuss“ fünf von sieben Betriebsratsmitgliedern angehörten.
4 Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass die mit Beschluss des Beteiligten zu 2. vom 8. Juni 2010 nach § 28
Abs. 1 BetrVG erfolgte Bildung eines „geschäftsführenden Ausschusses“ des Beteiligten
zu 2. mit den Mitgliedern D, V, M, P und L unwirksam ist,
hilfsweise, die Wahl des „geschäftsführenden Ausschusses“ für unwirksam zu erklären.
5 Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat sich auf den Standpunkt
gestellt, die Arbeitgeberin sei nicht antragsbefugt. Zudem sei die Bildung des
„geschäftsführenden Ausschusses“ nach § 28 Abs. 1 BetrVG zulässig. Der wöchentlich
montags zusammenkommende „geschäftsführende Ausschuss“ führe nicht die laufenden
Geschäfte des Betriebsrats, sondern bereite die Sitzungen für den jeweiligen Folgetag vor.
Der Beschluss über die Ausschussgröße sei eine Ermessensentscheidung, die keiner
gerichtlichen Überprüfung zugänglich sei.
6 Das Arbeitsgericht hat den Antrag als unzulässig abgewiesen. Auf die Beschwerde der
Arbeitgeberin hat das Landesarbeitsgericht „festgestellt, dass die mit Beschluss des
Beteiligten zu 2. erfolgte Bildung eines ‚geschäftsführenden Ausschusses’ unwirksam ist“.
Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der
erstinstanzlichen Entscheidung. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der
Rechtsbeschwerde.
7 B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet. Zu Recht hat das
Landesarbeitsgericht dem zulässigen Hauptbegehren der Arbeitgeberin entsprochen. Der
Hilfsantrag fällt nicht zur Entscheidung an.
8 I. Der Hauptantrag ist zulässig.
9 1. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptantrag zu Recht dahin verstanden, dass die
Arbeitgeberin mit ihm die Unwirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses vom 8. Juni 2010
über die Bildung des aus fünf Betriebsratsmitgliedern bestehenden „geschäftsführenden
Ausschusses“ geltend macht. Wie sich aus der Antragsbegründung unmissverständlich
ergibt, geht es der Arbeitgeberin darum, die Ausschusserrichtung „an sich“ anzugreifen.
Diese hält sie in erster Linie für nichtig, weil die Voraussetzungen für die Bildung eines
„geschäftsführenden Ausschusses“ nicht gegeben seien.
10 2. Als betriebsratsinterner Organisationsakt ist ein Beschluss über eine Ausschussbildung
der gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Die Arbeitgeberin ist auch antragsbefugt.
11 a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Betriebsratswahlen
und betriebsratsinternen Wahlen kann die Nichtigkeit einer Wahl jederzeit und von
jedermann geltend gemacht werden, sofern daran ein berechtigtes Interesse besteht (vgl.
etwa BAG 20. April 2005 - 7 ABR 44/04 - zu B III 3 a der Gründe, BAGE 114, 228; 21. Juli
2004 - 7 ABR 57/03 - zu B II 1 a der Gründe). Dies gilt auch dann, wenn das Gesetz keine
„Wahl“, sondern eine Entsendung von Mitgliedern in ein anderes Gremium durch
Mehrheitsbeschluss vorsieht, wie zB bei der Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in
den Gesamtbetriebsrat nach § 47 Abs. 2 BetrVG (vgl. zur Anfechtbarkeit derartiger
Entsendungsbeschlüsse in entsprechender Anwendung von § 19 BetrVG zB BAG 21. Juli
2004 - 7 ABR 58/03 - zu B I 3 der Gründe, BAGE 111, 269), oder bei der
Beschlussfassung über die Bestellung inländischer Arbeitnehmervertreter im
Europäischen Betriebsrat (hierzu BAG 18. April 2007 - 7 ABR 30/06 - Rn. 38, BAGE 122,
96). Diese Grundsätze zur Geltendmachung der Nichtigkeit betriebsratsinterner Wahlen
sind auch auf die Bildung eines Ausschusses durch den Betriebsrat anzuwenden.
12 b) Hiernach kann die Arbeitgeberin die Nichtigkeit der am 8. Juni 2010 vom Betriebsrat
beschlossenen Bildung eines „geschäftsführenden Ausschusses“ geltend machen, da sie
hieran ein berechtigtes Interesse hat. So hat die Frage der Wirksamkeit der
Ausschusserrichtung zB Auswirkungen darauf, ob die Ausschussmitglieder nach § 37
Abs. 2 BetrVG für die wöchentlichen Ausschusssitzungen von ihrer beruflichen Tätigkeit
ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien sind.
13 II. Das Landesarbeitsgericht hat den Hauptantrag zu Recht für begründet erachtet. Die vom
Betriebsrat am 8. Juni 2010 beschlossene - und der Arbeitgeberin mit E-Mail vom selben
Tag mitgeteilte - Bildung des „geschäftsführenden Ausschusses“ ist unwirksam. Sie kann
weder auf § 27 Abs. 1 BetrVG noch auf § 28 Abs. 1 BetrVG gestützt werden.
14 1. Die Ausschussbildung ist nicht nach § 27 Abs. 1 BetrVG - dessen sich der Betriebsrat
allerdings auch nicht berühmt - gerechtfertigt.
15 a) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bildet ein Betriebsrat einen Betriebsausschuss, wenn
er neun oder mehr Mitglieder hat. Der Betriebsausschuss führt nach § 27 Abs. 2 Satz 1
BetrVG die laufenden Geschäfte des Betriebsrats. Nach § 27 Abs. 3 BetrVG können
Betriebsräte mit weniger als neun Mitgliedern die laufenden Geschäfte auf den
Vorsitzenden oder andere Betriebsratsmitglieder übertragen. Die Übertragung laufender
Geschäfte nach § 27 Abs. 3 BetrVG führt nicht zur Bildung eines Ausschusses.
16 b) Der zu 2. beteiligte Betriebsrat hat sieben Mitglieder, sodass ein Betriebsausschuss
nach § 27 Abs. 1 BetrVG nicht gebildet werden kann. Eine bloße Übertragung der
laufenden Geschäfte auf den Betriebsratsvorsitzenden oder andere Betriebsratsmitglieder
iSv. § 27 Abs. 3 BetrVG steht hier nicht im Streit. Der verfahrensgegenständliche
Beschluss betrifft keine Entscheidung des Betriebsrats zur Übertragung der laufenden
Geschäfte auf seinen Vorsitzenden oder eines bzw. mehrerer seiner Mitglieder, sondern
eine Ausschussbildung.
17 2. Entgegen der Auffassung des Betriebsrats ist die Errichtung des „geschäftsführenden
Ausschusses“ auch nicht nach § 28 Abs. 1 BetrVG gerechtfertigt.
18 a) Allerdings kommt für den zu 2. beteiligten Betriebsrat grundsätzlich eine Übertragung
von Aufgaben auf Ausschüsse iSv. § 28 Abs. 1 BetrVG in Betracht. Nach dieser Vorschrift
kann der Betriebsrat in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern Ausschüsse bilden und
ihnen bestimmte Aufgaben übertragen. Diese Voraussetzung ist bei einem siebenköpfigen
Betriebsrat gegeben (vgl. § 9 Satz 1 BetrVG).
19 b) § 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ermöglicht aber nicht die Bildung eines „geschäftsführenden
Ausschusses“, der - im Sinn von § 27 Abs. 2 Satz 1 BetrVG - die laufenden Geschäfte des
Betriebsrats führt oder auch nur, wie hier der Betriebsrat geltend macht, die
Sitzungsvorbereitungen wahrnimmt (zur ausschließlichen Übertragung der laufenden
Geschäfte auf einen „geschäftsführenden Ausschuss“ ebenso DKKW-Wedde 13. Aufl.
§ 28 Rn. 11; Raab GK-BetrVG 9. Aufl. § 27 Rn. 61 und 82 sowie § 28 Rn. 12; Wulff
ZBVR 2002, 134; aA Fitting 26. Aufl. § 27 Rn. 93; H/S/W/G/N/R-Glock 8. Aufl. § 27 Rn. 69;
Thüsing in Richardi BetrVG 13. Aufl. § 28 Rn. 24a; Süllwold ZBVR 2003, 263). Dies ergibt
eine am Wortlaut, systematischen Zusammenhang und vor allem an Sinn und Zweck unter
Heranziehung der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung von § 28 Abs. 1 BetrVG.
20 aa) Bereits der Normwortlaut spricht dafür, dass sich die Übertragung ausschließlich von
laufenden Geschäften - oder auch nur von Sitzungsvorbereitungen - nicht nach § 28 Abs. 1
BetrVG richtet. In Satz 1 der Vorschrift ist formuliert, dass der Betriebsrat Ausschüsse
bilden und ihnen „bestimmte Aufgaben“ übertragen kann. Der Ausdruck „bestimmte“
bedeutet ua. „speziell“, „inhaltlich festgelegt, genau umrissen, klar, deutlich“ oder auch „auf
etwas Spezielles hinweisend“ (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache
3. Aufl. Stichwort „bestimmt“ unter I 1 a, b und c). Danach bezieht sich die
Ausschussbildung und Aufgabenübertragung schon nach der sprachlichen Fassung des
§ 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eher auf spezifische, inhaltlich festgelegte Themengebiete und
nicht auf regelmäßig interne, verwaltungsmäßige, organisatorische und ggf.
wiederkehrende Aufgaben des Betriebsrats, also etwa die Erledigung des Schriftverkehrs
oder die Vorbereitung von Betriebsratssitzungen sowie von Betriebs-, Teil- und
Abteilungsversammlungen.
21 bb) Der systematische Kontext von §§ 27, 28 BetrVG lässt darauf schließen, dass § 28
Abs. 1 BetrVG nur solche Ausschüsse regelt, denen fachspezifische Aufgaben übertragen
sind. Hätte der Gesetzgeber einem Betriebsrat in Betrieben mit mehr als
100 Arbeitnehmern die Möglichkeit geben wollen, einem Ausschuss die laufenden
Geschäfte zu übertragen, hätte es nahegelegen, dies im Rahmen von § 27 Abs. 2 und
Abs. 3 BetrVG - dort finden sich die Bestimmungen über die laufenden Geschäfte des
Betriebsrats - zu regeln. Außerdem wäre nicht erkennbar, welchen Sinn es haben sollte,
allein einem Betriebsrat mit weniger als neun Mitgliedern in einem Betrieb mit mehr als
100 Arbeitnehmern (also nur dem siebenköpfigen Betriebsrat) ein Wahlrecht zwischen der
Übertragung laufender Geschäfte nach § 27 Abs. 3 BetrVG und der Bildung eines
Ausschusses nach § 28 Abs. 1 BetrVG einzuräumen.
22 cc) Nach dem in der Gesetzesbegründung verlautbarten Sinn und Zweck von § 28 Abs. 1
BetrVG regelt die Vorschrift die Bildung von Fachausschüssen, denen fachspezifische
Aufgaben übertragen werden können. Mit § 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist Betriebsräten in
Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern die Möglichkeit gegeben, ihre
Betriebsratsarbeit besser und effektiver zu strukturieren und zu erledigen, indem sie für
bestimmte Angelegenheiten sog. Fachausschüsse bilden können, die für fachspezifische
Themen zuständig sind und diese für eine sachgerechte Beschlussfassung im Betriebsrat
vorbereiten. In der Begründung der Bundesregierung zu dem am 28. Juli 2001 in Kraft
getretenen Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes (BGBl. I S. 1852) ist
ausgeführt (vgl. BT-Drucks. 14/5741 S. 39 f.):
„Die Möglichkeit des Betriebsrats, Ausschüsse zu bilden und ihnen bestimmte Aufgaben
zu übertragen, soll nicht mehr wie bisher von dem Bestehen eines Betriebsausschusses
nach § 27 abhängig sein. Vielmehr kann der Betriebsrat künftig in Betrieben mit mehr als
100 Arbeitnehmern Ausschüsse bilden und ihnen bestimmte Aufgaben übertragen.
Damit wird Betriebsräten in Betrieben mit mehr als 100 Arbeitnehmern die Möglichkeit
gegeben, ihre Betriebsratsarbeit besser und effektiver zu strukturieren und zu erledigen,
indem sie für bestimmte Angelegenheiten sog. Fachausschüsse bilden können, die für
fachspezifische Themen zuständig sind und diese für eine sachgerechte
Beschlussfassung im Betriebsrat vorbereiten. Hierunter fällt auch die Möglichkeit z. B.
speziell für Fragen der Frauenförderung oder der betrieblichen Integration ausländischer
Arbeitnehmer einen eigenen Ausschuss zu bilden.
Die Übertragung von Aufgaben zur eigenständigen Erledigung auf Ausschüsse setzt wie
bisher voraus, dass ein Betriebsausschuss besteht (§ 28 Abs. 1 Satz 2).“
23 Die Gesetzesänderung diente daher dazu, den Betriebsräten in Betrieben mit mehr als
100 Arbeitnehmern zu ermöglichen, für bestimmte, fachspezifische Aufgaben Ausschüsse
zu bilden, nicht aber diesen die laufenden Geschäfte zu übertragen.
24 c) Hiernach ist der mit Beschluss des Betriebsrats vom 8. Juni 2010 errichtete
„geschäftsführende Ausschuss“ kein Ausschuss iSv. § 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Sollten
ihm - wie seine Bezeichnung nahelegt - die laufenden Geschäfte des Betriebsrats
übertragen sein, wäre er der Sache nach ein Betriebsausschuss und kein Fachausschuss.
Selbst wenn es sich aber nicht um einen die laufenden Geschäfte führenden Ausschuss
handeln sollte, weil er sich - nach dem Vorbringen des Betriebsrats - nur mit
sitzungsvorbereitenden Themen befasse, unterfiele seine Errichtung nicht § 28 Abs. 1
Satz 1 BetrVG. Auch dann wären ihm jedenfalls keine fachspezifischen Aufgaben
übertragen. Nach dem vom Betriebsrat vorgebrachten Zuschnitt der „Ausschuss“aufgabe
befassen sich die Ausschussmitglieder einen Tag vor der Betriebsratssitzung mit deren
Vorbereitung, also mit allen bei der nächsten Sitzung anstehenden „Querschnittsthemen“.
Dies weist nicht den für einen Ausschuss iSv. § 28 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderlichen
fachspezifischen Themenbezug auf.
25 III. Der für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag gestellte Hilfsantrag ist dem
Senat nicht zur Entscheidung angefallen.
Linsenmaier
Zwanziger
Schmidt
Schiller
Glock