Urteil des BAG vom 18.08.2011

Schadensersatz - tarifliche Ausschlussfrist - § 15 BauRTV

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BUNDESARBEITSGERICHT
8 AZR 187/10
19 Sa 690/09
Landesarbeitsgericht
Hamm
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
18. August 2011
URTEIL
Förster, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Widerklägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Widerbeklagter, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,
hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen
Verhandlung vom 18. August 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Bun-
desarbeitsgericht Hauck, die Richter am Bundesarbeitsgericht Böck und Brein-
linger sowie die ehrenamtlichen Richter von Schuckmann und Avenarius für
Recht erkannt:
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Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landes-
arbeitsgerichts Hamm vom 14.
August 2009 -
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Sa
690/09 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über die Widerklage der Beklagten, mit der
diese Schadensersatzansprüche gegenüber dem Kläger verfolgt.
Die Beklagte ist ein Bauunternehmen. Der Kläger war bei ihr seit
6. August 2007 als Maurer zu einem Stundenlohn von 12,40 Euro brutto bei
einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt. Kraft
Allgemeinverbindlichkeit fand auf das Arbeitsverhältnis der Bundesrahmentarif-
vertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des Baugewerbes vom 4. Juli 2002
in der Fassung des Änderungstarifvertrags vom 20. August 2007
Anwendung.
Dieser Tarifvertrag enthält ua. folgende Bestimmung:
㤠15 Ausschlussfristen
1.
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsver-
hältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in
Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht inner-
halb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegen-
über der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben
werden; besteht bei Ausscheiden des Arbeitnehmers
ein Arbeitszeitguthaben, beträgt die Frist für dieses
Arbeitszeitguthaben jedoch sechs Monate.
2.
Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt
sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der
Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser,
wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der
Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend
gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche
des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungs-
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schutzprozesses fällig werden und von seinem
Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die
Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger
Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.“
Im April 2008 war der Kläger auf einer Baustelle in Polen eingesetzt.
Diese wurde am 30. April 2008 vorläufig geräumt, um über das verlängerte
Wochenende zurück nach Deutschland zu fliegen. Die Beklagte hatte in
einem Hotel in Polen einen Raum angemietet, in dem während der Abwesen-
heit der Arbeitnehmer deren Werkzeuge und persönliche Gegenstände de-
poniert werden konnten. Der Kläger nutzte diese Möglichkeit nicht, sondern
packte seine persönlichen Gegenstände vor der Abreise nach Deutschland ein
und tauschte bei der Ankunft in D auf dem Flughafen seine polnischen Devisen
gegen Euro.
Am 2. Mai 2008 rief der Kläger bei der Beklagten an und teilte mit, er
habe sich, als er seinem Großvater ins Auto geholfen habe, den Arm angesto-
ßen, weshalb er zum Arzt müsse. In der Folgezeit meldete sich der Kläger nicht
mehr bei der Beklagten, die den Kläger auch telefonisch nicht erreichen konnte.
Mit Schreiben vom 7. Mai 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum
26. Mai 2008. Seit dem 27. Mai 2008 steht der Kläger in einem Arbeitsverhältnis
zu einem anderen Unternehmen. Am 23. Juni 2008 reichten die Eltern des
Klägers eine von ihm gefertigte Stundenaufstellung für April und Mai 2008 bei
der Beklagten ein. Außerdem übergaben sie eine am 2. Mai 2008 ausgestellte
ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die eine Arbeitsunfähigkeit des
Klägers vom 2. bis 16. Mai 2008 attestierte.
Mit Schreiben vom 5. November 2008, gerichtet an ihren Prozessbe-
vollmächtigten, bezifferte die Beklagte die errechneten Kosten und Mehrauf-
wendungen wegen der nicht erfolgten Arbeitsaufnahme des Klägers im Mai
2008.
Mit der am 19. November 2008 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage
hat der Kläger die Abrechnung und Auszahlung seiner Lohnansprüche für die
Monate April und Mai 2008 begehrt.
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Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 5. März 2009, dem Klägervertreter
am 12. März 2009 zugestellt, Widerklage erhoben. Mit dieser verlangt sie vom
Kläger Erstattung der Mehrkosten iHv. 11.216,80 Euro, die durch sein Fehlen
entstanden seien.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Monate April 2008 und Mai
2008 ordnungsgemäß abzurechnen und den sich aus der
Abrechnung ergebenden Nettolohn an den Kläger auszu-
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
und
den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag
iHv. 11.216,80 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunk-
ten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu
zahlen.
Zur Begründung der Widerklage hat die Beklagte behauptet, der Kläger
habe seine Erkrankung im Mai 2008 nur vorgetäuscht. Dies ergebe sich schon
daraus, dass er sämtliche persönlichen Gegenstände von Polen nach Deutsch-
land mitgenommen und sämtliche polnischen Devisen zurückgetauscht habe.
Durch den plötzlichen Ausfall des Klägers sei eine Verzögerung der Baumaß-
nahmen von zehn Arbeitstagen eingetreten. Deshalb sei ein zweiter zehntägi-
ger Arbeitseinsatz Ende Mai/Anfang Juni 2008 notwendig geworden. Hierfür
seien Kosten für vier Flüge iHv. 539,60 Euro, Spesen für zehn Tage iHv.
700,00 Euro sowie Kosten für weitere Hotelübernachtungen iHv. 670,00 Euro,
insgesamt 1.909,60 Euro angefallen. Für den Zeitraum des zweiten Arbeitsein-
satzes sei ein anderweitiger Umsatz iHv. insgesamt 9.307,20 Euro weggefallen,
da die Beklagte durch den zweiten Einsatz in Polen einen anderweitigen Auf-
trag verloren habe.
Der Kläger hat zur Widerklage die Ansicht vertreten, ein Arbeitgeber
müsse das Risiko, dass ein Arbeitnehmer spontan ausfällt, zwangsläufig tragen.
Es gehöre zu seinem wirtschaftlichen Unternehmerrisiko, dass ein Arbeitneh-
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mer wie hier krankheitsbedingt ausfalle. Für eine derartige Situation habe der
Arbeitgeber Vorsorge zu treffen bzw. die Konsequenzen zu tragen, wenn er
dies versäume.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage ab-
gewiesen.
Nach Berufungseinlegung durch die Beklagte haben die Parteien den
Rechtsstreit, soweit er sich auf die Klageforderung bezog, aufgrund eines in
einem Parallelverfahren geschlossenen Vergleichs für erledigt erklärt. Das
Landesarbeitsgericht hat im Übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewie-
sen. Nach Zulassung der Revision durch den Senat verfolgt die Beklagte ihr
Prozessziel im Rahmen der Widerklage nur noch hinsichtlich der Hauptforde-
rung weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision
beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Etwaige Ansprüche der
Beklagten gegen den Kläger sind verfallen.
A.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, mit der sie
sich nur noch gegen die Abweisung ihrer Widerklage durch das Arbeitsgericht
gewandt hatte, zurückgewiesen. Dazu hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt,
ein etwaiger Schadensersatzanspruch der Beklagten sei verfallen. Auf das
Arbeitsverhältnis finde der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe kraft
Allgemeinverbindlichkeit Anwendung. § 15 BRTV-Bau sehe eine zweistufige
Ausschlussfrist vor, die auch einen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers
erfasse. Die Beklagte habe die zweistufige Ausschlussfrist schon auf der ersten
Stufe nicht eingehalten. Die Fälligkeit des geltend gemachten Anspruchs sei
spätestens am 5. November 2008 eingetreten, eine schriftliche Geltendma-
chung sei aber erst mit der Widerklage erfolgt, die dem Klägervertreter am
12. März 2009, dh. außerhalb der zweimonatigen Frist zugestellt worden sei.
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Der Verfall der Widerklageforderung sei auch nicht durch § 242 BGB ausge-
schlossen.
B.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält einer revisionsrechtli-
chen Überprüfung stand.
I.
Die zulässige Widerklage ist nicht begründet. Der Beklagten steht der
geltend gemachte Schadensersatzanspruch iHv. 11.216,80 Euro nicht zu.
1.
Ein etwaiger Schadensersatzanspruch der Beklagten wäre, unabhängig
von der Rechtsgrundlage auf die er gestützt werden könnte, mangels rechtzeiti-
ger Geltendmachung nach § 15 BRTV verfallen und damit erloschen
.
Ausschlussfristen sind von den Gerichten für Arbeitssachen von Amts wegen zu
berücksichtigen .
Nach § 15 BRTV verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung
stehen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegen-
über der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden . Lehnt die
Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei
Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er
nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf
gerichtlich geltend gemacht wird .
a)
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Allgemeinverbindli-
cherklärung der BRTV Anwendung.
aa)
Der Betrieb der Beklagten ist ein Betrieb des Baugewerbes, der gemäß
§ 1 Abs. 2 BRTV unter den betrieblichen Geltungsbereich dieses Rahmentarif-
vertrags fällt. Dies ist zwischen den Parteien nicht streitig.
bb) Aufgrund
der
Allgemeinverbindlicherklärung erfassen die Rechtsnor-
men des BRTV sowohl den Kläger als auch die Beklagte, unabhängig, ob diese
tarifgebunden sind oder nicht, § 5 Abs. 4 TVG.
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b) Die
tarifvertragliche
Ausschlussfrist des § 15 BRTV gilt auch für den
von der Beklagten geltend gemachten Schadensersatzanspruch, selbst wenn
eine vorsätzliche Pflicht- oder Rechts(gut)verletzung durch den Kläger vorliegen
sollte. Dies ergibt eine sachgerechte Auslegung der Tarifnorm.
aa)
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach der
ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung
von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut.
Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu
haften . Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der
von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichti-
gen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben.
Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist stets abzustellen, weil
dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert
und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können.
Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere
Kriterien, wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschich-
te des jeweiligen Tarifvertrags berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarif-
auslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientier-
ten und praktisch brauchbaren Reglung führt
. In ständiger Rechtsprechung
geht das Bundesarbeitsgericht für tarifvertragliche Ausschlussfristen zudem
davon aus, dass diese im Hinblick auf ihre Wirkung grundsätzlich eng auszule-
gen sind
. Allerdings
kann dieser Grundsatz erst dann greifen, wenn die Mittel der Auslegung er-
schöpft sind und dabei kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen war
.
bb)
Nach § 15 Abs. 1 BRTV unterfallen der Ausschlussfrist „alle beiderseiti-
gen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“. Bereits nach dem Wortlaut sollen
„alle beiderseitigen“, dh. wechselseitigen Ansprüche der Arbeitsvertragsparteien
der Klausel unterliegen. Es ergeben sich aus der Formulierung der Tarifnorm
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keine Anhaltspunkte dafür, dass nur bestimmte Ansprüche gemeint sind und
insbesondere solche wegen vorsätzlich begangener, ggf. auch unerlaubter
Handlungen ausgenommen sein sollen. Nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts unterfallen wegen des einheitlichen Lebensvorgangs
nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche einer Klausel,
die „alle … Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ einer bestimmten Frist zur
Geltendmachung unterwirft, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung
iSd. §§ 823, 826 BGB
.Die Tarifvertragsparteien verfolgen mit der
weiten Formulierung das Ziel, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit herbeizufüh-
ren. Die Arbeitsvertragsparteien sollen sich darauf verlassen können, dass nach
Fristablauf der jeweilige Vertragspartner keine Ansprüche mehr erhebt
. Dem entspricht es am ehesten,
alle Ansprüche aus einem einheitlichen Lebensvorgang nach einer gewissen
Zeit jedem rechtlichen Streit zu entziehen. Anknüpfungspunkt ist für die Tarif-
vertragsparteien weniger die Rechtsgrundlage für den Anspruch als vielmehr
der Anlass seines jeweiligen Entstehens
. Ergibt sich somit aus dem Wortlaut eindeu-
tig eine einschränkungslose Erfassung sämtlicher wechselseitiger Ansprüche
aus dem Arbeitsverhältnis, so bleibt kein Raum für die von der Rechtsprechung
geforderte enge Auslegung von Ausschlussfristen
.
c)
Die tarifvertragliche Ausschlussfrist in § 15 BRTV ist wirksam. Sie
verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
aa)
Die Gerichte für Arbeitssachen haben Tarifverträge daraufhin zu über-
prüfen, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind, nicht hingegen darauf,
ob die jeweilige tarifliche Regelung die gerechteste und zweckmäßigste Lösung
darstellt
.
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bb)
§ 15 BRTV ist nicht nach §§ 134, 202 Abs. 1 BGB nichtig bzw. teilnich-
tig.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien begann am 6. August 2007, so dass
auf dieses das BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung Anwen-
dung findet.
Nach § 202 Abs. 1 BGB kann die Verjährung bei Haftung wegen Vor-
satzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden. Die Vorschrift
ergänzt den allgemeinen Grundsatz des § 276 Abs. 3 BGB, wonach die Haftung
wegen Vorsatzes dem Schuldner nicht im Voraus erlassen werden kann. § 202
Abs. 1 BGB erfasst nicht nur Vereinbarungen über die Verjährung, sondern
auch über Ausschlussfristen. § 202 BGB stellt eine Verbotsnorm im Sinne von
§ 134 BGB dar. So hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts eine im
Arbeitsvertrag vereinbarte Ausschlussfrist, sofern sie auch vorsätzliche Ver-
tragsverstöße und vorsätzlich begangene unerlaubte Handlungen erfassen
sollte, als teilnichtig angesehen
.
§ 202 Abs. 1 BGB steht jedoch einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist,
die auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlichem Handeln erfasst und
nach § 4 Abs. 1 Satz 1 oder § 5 Abs. 4 TVG normative Wirkung entfaltet, nicht
entgegen.
§ 202 Abs. 1 BGB spricht von einer Erleichterung der Haftung wegen
Vorsatzes „durch Rechtsgeschäft“. Damit wird bereits nach dem Wortlaut der
Norm auf einen Tatbestand abgestellt, der sich aus Willenserklärungen ergibt.
Die amtliche Überschrift von § 202 BGB spricht zwar in Abweichung vom Wort
„Rechtsgeschäft“ von „Vereinbarungen über die Verjährung“, jedoch folgt auch
hieraus, dass sich § 202 BGB auf Verjährungsregelungen durch Parteivereinba-
rung bezieht und die Vertragsfreiheit der Parteien insoweit einschränkt. Auch
die Gesetzesbegründung spricht von der Disposition der Parteien, von Partei-
vereinbarung bzw. dem Interesse beider Parteien
. § 202 BGB bezieht sich damit losgelöst von den Besonderheiten des
jeweiligen Rechtsgebiets ausschließlich auf die Parteien des materiellrechtli-
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chen Anspruchs, um dessen Verjährung es geht
. Der
Gesetzgeber hat daher auch darauf verzichtet, die Grundaussage des § 225
Satz 2 BGB aF, wonach verjährungserleichternde Vereinbarungen grundsätz-
lich zulässig waren, in das modernisierte Schuldrecht aufzunehmen, da dies
ohnehin Bestandteil der allgemeinen Vertragsfreiheit ist
. Soweit § 202 BGB nicht einschlägig ist, verjährungs-
verändernden Regelungen also nicht entgegensteht, verbleibt es bei der Dis-
positivität der Verjährungsregeln. Für individualvertragliche Vereinbarungen zur
Verjährungserleichterung besteht nach § 202 Abs. 1 BGB die Einschränkung,
dass - unabhängig von der Rechtsnatur des Anspruchs - die Haftung wegen
Vorsatzes nicht im Voraus erleichtert werden darf. Als „Rechtsgeschäft“ im
Sinne von § 202 BGB kommen vertragliche Individualvereinbarungen und
Vereinbarungen aufgrund Allgemeiner Geschäftsbedingungen in Betracht.
Eine „Vereinbarung“ im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB liegt allerdings
nicht vor, wenn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft
beiderseitiger Tarifbindung oder kraft Allgemeinverbindlicherklärung zwingend
Anwendung findet
.
Gilt für das Arbeitsverhältnis der Parteien ein Tarifvertrag kraft beider-
seitiger Tarifbindung, so gelten die Rechtsnormen des Tarifvertrags, die den
Inhalt, den Abschluss oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen,
unmittelbar und zwingend, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG. Die Rechtsnormen eines
Tarifvertrags sind Gesetze im materiell-rechtlichen Sinne und erfüllen den
Gesetzesbegriff des Art. 2 EGBGB
. Für
die Tarifgebundenen entspricht die Regelungswirkung daher derjenigen anderer
Gesetze. Aufgrund dieser normativen Wirkung des Tarifvertrags, die gerade
nicht Ausdruck der privatautonomen Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien ist,
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handelt es sich bei den zwingend und unmittelbar geltenden Rechtsnormen
eines Tarifvertrags nicht um ein „Rechtsgeschäft“ im Sinne von § 202 BGB,
sondern um eine gesetzliche Regelung im Sinne von Art. 2 EGBGB.
Gleiches gilt, wenn - wie im Streitfalle - die tariflichen Regelungen nach
§ 5 Abs. 4 TVG aufgrund Allgemeinverbindlicherklärung Anwendung finden.
Ob eine individualvertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien
und damit ein Rechtsgeschäft im Sinne von § 202 BGB jedoch dann vorliegt,
wenn ein Tarifvertrag aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel
insgesamt Anwendung findet oder wenn allein bezüglich der Ausschlussfristen
ein Tarifvertrag Anwendung finden soll, braucht vorliegend nicht entschieden zu
werden.
Eine Inhaltskontrolle des Tarifvertrags nach §§ 305 ff. BGB schließt
§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB aus.
cc)
Die Ausschlussfrist verstößt auch nicht gegen sonstiges höherrangiges
Recht.
Die Gerichte für Arbeitssachen haben Ausschlussfristen in Tarifverträ-
gen wie sonstige tarifliche Regelungen nur einer eingeschränkten Kontrolle
dahin gehend zu unterziehen, ob die Ausschlussfrist bzw. Regelung mit höher-
rangigem Recht vereinbar ist
. Eine Angemessenheitskontrolle findet damit nicht statt. Dieser einge-
schränkte Kontrollmaßstab wird durch § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB bestätigt
. Das Bundesarbeitsgericht hat bereits mehrfach entschieden, dass
dem § 15 BRTV entsprechende Ausschlussfristen im Baubereich nicht gegen
höherrangiges Recht verstoßen, insbesondere nicht sittenwidrig sind oder
gegen Treu und Glauben verstoßen
.
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Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Tarifvertragsparteien
in § 15 BRTV eine Regelung getroffen haben, die im Hinblick auf ihre Weite
auch Schadensersatzansprüche aufgrund vorsätzlicher Handlungen erfasst und
daher von den Arbeitsvertragsparteien im Hinblick auf § 202 Abs. 1 BGB nicht
wirksam im Arbeitsvertrag vereinbart werden könnte. Diese Privilegierung der
Tarifvertragsparteien ergibt sich gerade aus der gesetzlichen Regelung des
§ 202 BGB, die ausschließlich für individualrechtliche Vereinbarungen gilt.
§ 202 BGB erweist sich damit als tarifdispositives Gesetzesrecht.
d)
Etwaige Schadensersatzansprüche hätte die Beklagte in der ersten
Stufe innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber dem Kläger
schriftlich erheben müssen . Das war nicht der Fall.
aa)
Ein Anspruch ist regelmäßig erst dann im Sinne einer Ausschlussfrist
fällig, wenn der Gläubiger ihn annähernd beziffern kann
. Bei Schadensersatzansprüchen tritt Fälligkeit daher ein, wenn der
Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann
. Feststellbar ist der Schaden, sobald der Gläubiger vom Schadens-
ereignis Kenntnis erlangt oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis
erlangt hätte
. Geltend gemacht werden können Schadensersatzforderungen, sobald
der Gläubiger in der Lage ist, sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaf-
tes Zögern zu verschaffen und er seine Forderungen wenigstens annähernd
beziffern kann
. Zur Fälligkeit der Forderung reicht es aus, wenn der
Gläubiger die Ansprüche so deutlich bezeichnen kann, dass der Schuldner
erkennen kann, aus welchem Sachverhalt und in welcher ungefähren Höhe er
in Anspruch genommen werden soll. Dementsprechend muss zumindest die
ungefähre Höhe der Forderung vom Gläubiger benannt werden. Die Fälligkeit
eines Schadensersatzanspruchs setzt darüber hinaus voraus, dass ein Scha-
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den überhaupt entstanden ist. Erst mit der Entstehung des Schadens kann
auch ein Schadensersatzanspruch entstehen
.
bb)
Mit Schreiben vom 5. November 2008 hat die Beklagte gegenüber
ihrem Prozessbevollmächtigten die nach ihrer Auffassung durch das Fehlen des
Klägers nach dem ersten Maiwochenende notwendig gewordenen Aufwendun-
gen bzw. eingetretenen Schäden im Einzelnen nach Hotelüber-
nachtungskosten, Flügen, Spesen etc. beziffert. Aus den dort genannten Ein-
zelposten hat sie die Widerklageforderung iHv. 11.216,80 Euro errechnet. Die
Beklagte war damit spätestens am 5. November 2008 in der Lage, die von ihr
behaupteten Ansprüche zu benennen und zu beziffern. Folglich trat spätestens
zu diesem Zeitpunkt Fälligkeit ein. Die Zwei-Monats-Frist des § 15 Abs. 1 BRTV
endete damit am 5. Januar 2009 . Die mit
Schriftsatz vom 5. März 2009 erhobene, dem Klägervertreter am 12. März 2009
zugestellte Widerklage hat diese Frist nicht gewahrt. Eine frühere schriftliche
Geltendmachung, aus welcher der Kläger Grund und ungefähre Höhe des
behaupteten Anspruchs hätte entnehmen können, ist nicht festzustellen. Insbe-
sondere stellt der bloße Hinweis der Beklagten in der Klageerwiderung vom
23. Dezember 2008, durch die Kündigung des Klägers seien der Beklagten
erhebliche Schäden entstanden, die im Zweifel noch weiter beziffert würden,
keine ausreichende Geltendmachung im Sinne von § 15 Abs. 1 BRTV dar. Eine
solche, nach Grund und ungefährer Höhe spezifizierte Geltendmachung war
auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil dem Kläger die ungefähre Schadens-
höhe bekannt gewesen wäre
.
Dass dies der Fall war, wird von der Beklagten nicht einmal behauptet.
e)
Eine Berücksichtigung der Ausschlussfrist zugunsten des Klägers ist
auch nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen.
aa)
Zunächst gilt, dass die fehlende Kenntnis von Existenz und Inhalt einer
Ausschlussfrist den Verfall des Anspruchs unberührt lässt
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. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende
und damit gemäß § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung
auf eine Ausschlussfrist dann dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führen-
de Untätigkeit des Gläubigers hinsichtlich der erforderlichen Geltendmachung
des Anspruchs durch ein Verhalten des Schuldners veranlasst worden ist. Der
Schuldner muss also den Gläubiger von der Geltendmachung des Anspruchs
bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten haben. Das wird zB angenom-
men, wenn der Schuldner durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unter-
lassen dem Gläubiger die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung
der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstäben
gemessen den Eindruck erweckt hat, der Gläubiger könne darauf vertrauen,
dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist erfüllt
werde
.
bb)
Dies war vorliegend nicht der Fall. Zwar meint die Beklagte sinngemäß,
der Kläger habe mit dem Klageantrag, gerichtet auf Abrechnung und Auszah-
lung des sich aus den Abrechnungen ergebenden Nettobetrags, zu erkennen
gegeben, dass noch Ansprüche - ggf. auch wechselseitige - offen stünden.
Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Kläger hat nur eigene Entgeltan-
sprüche für April und Mai 2008 geltend gemacht und keine Erklärung dahin
gehend abgegeben, seinerseits Ansprüche der Beklagten erfüllen zu wollen.
Insbesondere hat er die Beklagte nicht an einer Geltendmachung ihrer Ansprü-
che gehindert. Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung auf Schadens-
ersatzansprüche ihrerseits hingewiesen. Dass sie diese nicht innerhalb der
Ausschlussfrist in der notwendigen Art und Weise geltend gemacht hat, ist nicht
auf Erklärungen oder ein Verhalten des Klägers zurückzuführen, sondern liegt
allein in ihrem Verantwortungsbereich.
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II.
Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen, § 97
Abs. 1 ZPO.
Hauck Böck Breinlinger
Schuckmann
F.
Avenarius
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