Urteil des BAG vom 23.10.2013

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 23.10.2013, 5 AZR 556/12.

Bundesarbeitsgericht 5. Senat
Urteil vom 23. Oktober 2013
- 5 AZR 918/12 -
I. Arbeitsgericht Dresden
Urteil vom 4. April 2012
- 10 Ca 2397/11 -
II. Sächsisches Landesarbeitsgericht
Urteil vom 21. September 2012
- 3 Sa 250/12 -
Für die Amtliche Sammlung: Nein
Entscheidungsstichworte:
Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt („equal pay“) - arbeitsvertragliche
Ausschlussfrist - Gesamtvergleich
Gesetze:
AÜG § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4; BGB § 305c Abs. 1, § 307 Abs. 1
Leitsätze:
keine
Hinweis des Senats:
Parallelentscheidung zu führender Sache - 5 AZR 556/12 -
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BUNDESARBEITSGERICHT
5 AZR 918/12
3 Sa 250/12
Sächsisches
Landesarbeitsgericht
Im Namen des Volkes!
Verkündet am
23. Oktober 2013
URTEIL
Radtke, Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
In Sachen
Beklagte, Berufungsklägerin, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,
pp.
Kläger, Berufungsbeklagter, Berufungskläger und Revisionsbeklagter,
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom
23. Oktober 2013 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts
Dr. Müller-Glöge, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Biebl, die Richterin
am Bundesarbeitsgericht Weber sowie die ehrenamtlichen Richter Mandrossa
und Wolff für Recht erkannt:
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I. Auf die Revision der Beklagten wird - unter Zurückwei-
sung der Revision im Übrigen - das Urteil des Sächsi-
schen
Landesarbeitsgerichts
vom
21. September
2012 - 3 Sa 250/12 - teilweise aufgehoben und zur
Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Ar-
beitsgerichts Dresden vom 4. April 2012 - 10 Ca
2397/11 - unter Zurückweisung der Berufung im Übri-
gen - teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt,
an den Kläger weitere 411,85 Euro brutto nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszins-
satz ab dem 5. August 2011 zu zahlen.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Ar-
beitsgerichts Dresden vom 4. April 2012 - 10 Ca
2397/11 - wird zurückgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger
7/10 und die Beklagte 3/10 zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt
des equal pay.
Der 1967 geborene Kläger war vom 1. Juni 2010 bis zum 31. März
2011 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, be-
schäftigt und der L GmbH als Helfer im Bereich Lager überlassen. Der Kläger
erhielt einen Bruttostundenlohn von zunächst 6,00 Euro, ab Juli 2010 von
6,40 Euro, und
eine „Einsatz-/Tarifzulage“ von zuletzt 0,66 Euro brutto.
Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag vom 31. Mai 2010
zugrunde, in dem es ua. heißt:
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㤠1 Vertragsgrundlagen
2. R wendet auf das Arbeitsverhältnis die zwischen dem
Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleis-
ter e.V. (AMP) einerseits und der Tarifgemeinschaft
Christlicher Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP),
der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM), der
DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV), dem Beschäf-
tigtenverband Industrie, Gewerbe, Dienstleistung (BIGD),
dem Arbeitnehmerverband land- und ernährungswirt-
schaftlicher Berufe (ALEB), medsonet.Die Gesundheits-
gewerkschaft (medsonet) andererseits geschlossenen Ta-
rifverträge, derzeit bestehend aus Manteltarifvertrag, Man-
teltarifvertrag für die Auszubildenden, Entgeltrahmentarif-
vertrag, Entgelttarifverträge West und Ost sowie Beschäf-
tigungssicherungstarifvertrag, in jeweils gültiger Fassung
an.
§ 4 Vergütung
3. Der Lohn wird als Monatslohn am 15. Banktag des fol-
genden Kalendermonats überwiesen. Lohnzahlungen sind
erst fällig, wenn der Arbeitnehmer den ihm bei Abschluss
des Arbeitsvertrages ausgehändigten Zeitnachweisblock
beim Arbeitgeber vorlegt. Die eingetragenen Arbeitszeiten
müssen mindestens wöchentlich vom Kunden unterzeich-
net sein. Sie sind wöchentlich bei R einzureichen.
§ 14 Ausschlussfristen
1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche,
die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, sind
innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich gel-
tend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser
Frist geltend gemacht werden, verfallen ersatzlos.
2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie
sich nicht innerhalb von einem Monat ab Geltendmachung
des Anspruchs, so verfällt dieser Anspruch, wenn er nicht
innerhalb von einem Monat nach Ablehnung oder Fristab-
lauf gerichtlich geltend gemacht wird.
3. Diese Ausschlussfristen gelten nicht bei einer Haftung
wegen Vorsatzes oder grober Fahrlässigkeit. Sie gelten
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ebenfalls nicht bei Verletzung des Lebens, des Körpers
oder der Gesundheit.
…“
Nach erfolgloser Geltendmachung mit Schreiben vom 3. Mai 2011 hat
der Kläger mit der am 27. Juli 2011 eingereichten und der Beklagten am
4. August 2011 zugestellten Klage für den Zeitraum Juni 2010 bis März 2011
unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG die Differenz zwischen der von der Beklag-
ten erhaltenen Vergütung und dem Arbeitsentgelt, das die Entleiherin im Streit-
zeitraum vergleichbaren Stammarbeitnehmern nach einer Auskunft gemäß § 13
AÜG gewährt hat, verlangt und geltend gemacht, die einzelvertragliche Aus-
schlussfristenregelung sei intransparent. Außerdem habe die Ausschlussfrist
erst mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Tariffähig-
keit der CGZP zu laufen begonnen.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.953,22 Euro
brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz ab dem 5. August 2011 zu zah-
len.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, sie
habe aufgrund der Inbezugnahme des mehrgliedrigen Tarifvertrags zwischen
dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V.
,
der CGZP und einer Reihe von christlichen Arbeitnehmervereinigungen vom
15. März 2010 von dem Gebot der Gleichbehandlung abweichen dürfen. Jeden-
falls seien etwaige Ansprüche des Klägers wegen nicht rechtzeitiger Geltend-
machung nach der vertraglichen Ausschlussfristenregelung verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Klä-
ger 773,95 Euro brutto nebst Zinsen als Differenzvergütung für die Monate
Feb-
ruar und März 2011 zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Beru-
fung des Klägers der Klage - soweit sie in die Revisionsinstanz gelangt ist -
stattgegeben und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom
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Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageab-
weisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Der Anspruch des
Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist für den Zeitraum Juni bis Dezember 2010
wegen nicht rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung verfallen. Insoweit ist
die Klage unbegründet. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht der Berufung
des Klägers gegen das erstinstanzliche Urteil zu Recht stattgegeben.
I.
Die Beklagte war nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die
Zeit der Überlassung an die L GmbH das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie
es die Entleiherin ihren Stammarbeitnehmern gewährte. Eine nach § 9 Nr. 2
AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Verein-
barung haben die Parteien nicht getroffen. Die Bezugnahmeklausel des § 1
Nr. 2 Arbeitsvertrag, mit der die Geltung der vom Arbeitgeberverband Mittel-
ständischer Personaldienstleister e. V.
, der CGZP und einer Reihe von
christlichen Arbeitnehmervereinigungen geschlossenen Tarifverträge vom
15. März 2010
vereinbart werden sollte, ist mangels Kollisions-
regelung intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam
.
II.
Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist, soweit er Dif-
ferenzvergütung für die Monate Juni bis Dezember 2010 betrifft, nach § 14 Nr. 1
Arbeitsvertrag verfallen.
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1.
Der Kläger war allerdings nicht gehalten, Ausschlussfristen aus dem
nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen AMP-TV 2010 einzuhal-
ten. Diese sind auch nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung Inhalt des Ar-
beitsvertrags geworden
.
2.
Der Kläger musste die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in
§ 14 Nr. 1 Arbeitsvertrag beachten.
a)
Diese Klausel enthält eine eigenständige arbeitsvertragliche Aus-
schlussfristenregelung. Das folgt aus dem grundsätzlichen Vorrang einer aus-
drücklich in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Klausel vor einer nur durch die
pauschale Bezugnahme auf einen Tarifvertrag anwendbaren Regelung
. Belassen es nicht tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien nicht dabei,
ihr Arbeitsverhältnis pauschal einem bestimmten Tarifregime zu unterwerfen,
sondern vereinbaren zu einzelnen Gegenständen darüber hinaus im Arbeitsver-
trag ausformulierte Regelungen, bringen sie damit typischerweise zum Aus-
druck, dass unabhängig von dem in Bezug genommenen Tarifwerk jedenfalls
die in den Arbeitsvertrag aufgenommenen Bestimmungen für das Ar-
beitsverhältnis gelten sollen.
Zu dem vom Landesarbeitsgericht angenommenen Widerspruch ar-
beitsvertraglicher und tariflicher Ausschlussfristenregelungen kann es nicht
kommen, weil die Bezugnahmeklausel des § 1 Nr. 2 Arbeitsvertrag unwirksam
ist und deshalb tarifliche Ausschlussfristenregelungen nicht in das Arbeitsver-
hältnis inkorporiert werden
. Zudem geben weder der Wortlaut der Bezugnahmeklausel noch der der
arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung Anhaltspunkte für die Annahme,
letztere müsse nicht beachtet werden.
b)
Die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung hält
der AGB-Kontrolle stand.
aa)
Die Klausel ist nicht überraschend iSd. § 305c Abs. 1 BGB und damit
Vertragsbestandteil geworden. Die Vereinbarung von Ausschlussfristen ent-
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spricht einer weitverbreiteten Übung im Arbeitsleben. Die Regelung findet sich
auch nicht an einer irgendwo im Arbeitsvertrag versteckten Stelle. Sie ist viel-
mehr in einem mit „Ausschlussfristen“ betitelten eigenen Paragraphen enthal-
ten, dessen Überschrift durch Fettdruck hervorgehoben ist.
bb)
Die Klausel ist nicht mangels hinreichender Transparenz unwirksam,
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Arbeitnehmer kann ersehen, dass alle Ansprü-
che aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Ver-
bindung stehen, „verfallen“, wenn sie nicht innerhalb bestimmter Fristen in der
in der Klausel bezeichneten Weise geltend gemacht werden
.
cc)
Die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenregelung ist
nicht unangemessen benachteiligend iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie lässt
dem Gläubiger eine faire Chance, seine Ansprüche durchzusetzen. Eine schrift-
liche Geltendmachung des Anspruchs aus § 10 Abs.
4 AÜG „dem Grunde
nach“ reicht nach dem Wortlaut der Klausel aus und ermöglicht es auch dem
Leiharbeitnehmer, der die Entgeltregelung für vergleichbare Stammarbeitneh-
mer noch nicht im Einzelnen kennt, innerhalb einer angemessenen Überle-
gungsfrist sich für jede Überlassung den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt
zu sichern
.
dd)
Die wegen ihrer Kürze nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksame
zweite Stufe der Ausschlussfristenregelung
berührt
nach dem sog. blue-pencil-Test die Wirksamkeit der ersten Stufe einer Aus-
schlussfristenregelung wie der vorliegenden nicht
.
3.
Der Kläger hat die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung nach § 14
Nr. 1 Arbeitsvertrag nur hinsichtlich der Differenzvergütung für die Monate Ja-
nuar bis März 2011 eingehalten. Er hat den Anspruch auf gleiches Arbeitsent-
gelt, der mit der Überlassung entsteht und ratierlich zu dem im Arbeitsvertrag
für die Vergütung bestimmten Zeitpunkt fällig wird
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, erstmals mit Schreiben vom 3. Mai 2011 geltend gemacht.
Damit konnte er die erste Stufe der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristenrege-
lung nur für Differenzvergütung ab Januar 2011 wahren. Dass Lohnzahlungen
für frühere Monate des Streitzeitraums gemäß § 4 Nr. 3 Arbeitsvertrag später
als am 15. Banktag des folgenden Kalendermonats fällig geworden wären, hat
der Kläger nicht behauptet.
4.
Dem Verfall steht § 14 Nr. 3 Arbeitsvertrag nicht entgegen. Der An-
spruch auf gleiches Arbeitsentgelt betrifft keinen der dort genannten Ausnahme-
tatbestände.
III.
Zur Ermittlung der Höhe des nicht verfallenen Teils des Anspruchs auf
gleiches Arbeitsentgelt ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungs-
zeitraum anzustellen
. Bei einem teilweisen Verfall des Anspruchs
auf gleiches Arbeitsentgelt wie im Streitfall beschränkt sich der Gesamtver-
gleich auf das „für“ den nicht verfallenen Zeitraum zu beanspruchende und er-
haltene Arbeitsentgelt
.
Das Landesarbeitsgericht hat das Entgelt, das der Kläger erhalten hät-
te, wenn er unmittelbar bei der Entleiherin beschäftigt gewesen wäre, für den
nicht verfallenen Zeitraum auf insgesamt 4.943,33 Euro brutto festgestellt. Da-
gegen hat die Revision Angriffe nicht erhoben. Demgegenüber hat der Kläger
für die Monate Januar bis März 2011 nach den Lohnabrechnungen der Beklag-
ten insgesamt 3.757,53 Euro brutto erhalten. Dass die Beklagte in diesem Zeit-
raum über das abgerechnete hinaus weiteres Arbeitsentgelt geleistet hätte, hat
sie nicht behauptet. Damit ergibt sich für den nicht verfallenen Zeitraum - die
Monate Januar bis März 2011 - ein Anspruch auf Differenzvergütung iHv.
1.185,80 Euro brutto.
IV.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
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V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Müller-Glöge
Biebl
Weber
Mandrossa
Wolff
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