Urteil des BAG vom 24.07.2012

Tariffähigkeit - Tarifzuständigkeit - Aussetzung

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BUNDESARBEITSGERICHT
1 AZB 47/11
2 Ta 44/11
Landesarbeitsgericht
Mecklenburg-Vorpommern
BESCHLUSS
In Sachen
Kläger, Beschwerdegegner und Rechtsbeschwerdeführer,
pp.
Beklagte, Beschwerdeführerin und Rechtsbeschwerdegegnerin,
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts am 24. Juli 2012 beschlossen:
1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss
des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern
vom 17. August 2011 - 2 Ta 44/11 - aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den
Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 16. Mai
2011 - 3 Ca 200/11 - wird zurückgewiesen.
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2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat die
Beklagte zu tragen.
Gründe
I.
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Mai
2008 als Leiharbeitnehmer beschäftigt. Im Arbeitsvertrag war die Anwendung
der jeweils gültigen Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelstän-
discher Personaldienstleister und der Tarifgemeinschaft Christlicher
Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen verein-
bart. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger Differenzlohnansprüche
gemäß § 9 Nr. 2 AÜG geltend.
Die Beklagte hat beantragt, das Verfahren nach § 97 Abs. 5 ArbGG
auszusetzen. Diesen Antrag hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Auf die soforti-
ge Beschwerde der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht den Rechtsstreit
bis zur Klärung der Tariffähigkeit der CGZP „zum Zeitpunkt des Abschlusses
der zwischen dem 01.07.2007 und 31.05.2008 einschlägigen Tarifverträge“
ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Ein Grund für die Aussetzung des
Verfahrens bis zu einer Entscheidung über die Tariffähigkeit der CGZP besteht
nicht. Die angefochtene Entscheidung unterliegt schon deshalb der Aufhebung,
weil es an einer Begründung für die Entscheidungserheblichkeit der Tariffähig-
keit der CGZP fehlt und der Zeitpunkt für das Vorliegen dieser Eigenschaft nicht
hinreichend bezeichnet ist. Einer darauf gestützten Zurückverweisung bedarf es
indes nicht, da die fehlende Tariffähigkeit der CGZP rechtskräftig festgestellt ist.
1.
Nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG hat das Gericht das Verfahren bis zur
Erledigung eines Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszuset-
zen, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits davon abhängt, ob eine Ver-
einigung tariffähig ist oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben
ist. Über die für die Ordnung des Arbeitslebens bedeutsame Eigenschaft der
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Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung soll in einem objektivier-
ten Verfahren, in dem die jeweils beteiligten Personen und Stellen anzuhören
sind , einheitlich mit Wirkung gegenüber
jedermann entschieden werden. Zu den formellen Voraussetzungen eines
Aussetzungsbeschlusses, der die Grundlage für das nach § 97 Abs. 5 Satz 2
ArbGG einzuleitende Beschlussverfahren bildet, gehört die Begründung der
Entscheidungserheblichkeit der vorgenannten Eigenschaften und die Angabe
des Zeitpunkts, für den diese geklärt werden sollen.
a)
Die Entscheidungserheblichkeit iSd. § 97 Abs. 5 ArbGG liegt nur vor,
wenn der prozessuale Anspruch der klagenden Partei allein von der Geltung
einer bestimmten Kollektivvereinbarung als Tarifvertrag iSd. § 1 Abs. 1 TVG
abhängt. Eine Aussetzung hat zu unterbleiben, wenn über den erhobenen
Anspruch ohne die Klärung der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigen-
schaften entschieden werden kann
. Dies setzt
eine vorherige Prüfung der Schlüssigkeit und der Erheblichkeit des Parteivor-
bringens in Bezug auf die Klageforderung ebenso voraus wie die Durchführung
einer ggf. notwendigen Beweisaufnahme. Die Entscheidung über den erhobe-
nen Anspruch darf nur noch vom Vorliegen der Tariffähigkeit oder der Tarifzu-
ständigkeit der Vereinigung abhängen. Im Aussetzungsbeschluss ist daher zu
begründen, dass und in welchem Umfang die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG
genannten Eigenschaften für den erhobenen prozessualen Anspruch von
Bedeutung sind. Es stünde im Widerspruch zum Beschleunigungsgrundsatz
wie auch zu den Grundsätzen der Verfah-
rensökonomie, die Parteien des Ausgangsverfahrens auf die Durchführung
eines Beschlussverfahrens über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer
Vereinigung zu verweisen, ohne dass zuvor feststeht, in welcher Weise das
Ergebnis des auszusetzenden Verfahrens von der Durchführung eines solchen
Beschlussverfahrens abhängt.
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b)
Das Arbeitsgericht hat im Aussetzungsbeschluss nach § 97 Abs. 5
Satz 1 ArbGG den Zeitpunkt, zu dem die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten
Eigenschaften vorliegen müssen, anzugeben. Unzureichend ist es, wenn im
Tenor oder in den Gründen nur die Dauer des Arbeitsverhältnisses angegeben
wird und auf die in diesem Zeitraum geltenden Tarifverträge verwiesen wird.
Vielmehr ist das Abschlussdatum des für entscheidungserheblich angesehenen
Tarifvertrags konkret zu bezeichnen, da sich in den Beschlussverfahren nach
§ 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG die Antragsbefugnis der Parteien des Ausgangs-
rechtsstreits für die Klärung der dort genannten Eigenschaften nach dem im
Aussetzungsbeschluss angeführten Zeitpunkt bestimmt
.
2.
Die Aussetzung eines Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG darf
nur erfolgen, wenn zumindest eine der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten
Eigenschaften einer Vereinigung aufgrund vernünftiger Zweifel streitig ist, wobei
im Arbeitsleben geäußerte Vorbehalte zu berücksichtigen und vom Arbeitsge-
richt aufzugreifen sind
. Danach ist der Ausgangs-
rechtsstreit nicht schon dann auszusetzen, wenn die Tariffähigkeit oder die
Tarifzuständigkeit einer Vereinigung nur von einer Partei ohne Angabe nach-
vollziehbarer Gründe in Frage gestellt wird. Eine solche Auslegung der Ausset-
zungspflicht in § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG würde den sich aus dem Rechts-
staatsprinzip ergebenden Anforderungen an die Gewährung
eines effektiven Rechtsschutzes nicht genügen.
a)
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt für
zivilrechtliche Streitigkeiten aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung
eines effektiven Rechtsschutzes die
Verpflichtung der Fachgerichte, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit abzu-
schließen. Dabei ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Um-
ständen des Einzelfalls zu bestimmen
. Dieses
Gebot hat der Gesetzgeber für die arbeitsgerichtlichen Verfahren einfach-
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gesetzlich durch den Beschleunigungsgrundsatz normiert. Dieser Grundsatz
verpflichtet die Gerichte für Arbeitssachen, die bei ihnen anhängigen Verfahren,
unter Beachtung des materiellen und des Verfahrensrechts zügig zum Ab-
schluss zu bringen. Der Beschleunigungsgrundsatz stellt nicht nur einen unver-
bindlichen Programmsatz dar, sondern ist bei der Auslegung von Verfahrens-
vorschriften zu beachten, die Einfluss auf die Dauer des Rechtsstreits haben
.
Zwar wird einer raschen Verfahrensbeendigung durch § 9 Abs. 1, § 61a Abs. 1
ArbGG kein absoluter Vorrang gegenüber der Verwirklichung von materieller
Gerechtigkeit eingeräumt. Deren Wert kann jedoch durch eine verzögerte oder
verspätete Entscheidung beeinträchtigt werden. Bei Klagen auf Arbeitsvergü-
tung ist zu berücksichtigen, dass die Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis für den
Arbeitnehmer vielfach seine alleinige wirtschaftliche Lebensgrundlage darstel-
len. Eine Aussetzung des Ausgangsrechtsstreits hat zur Folge, dass die kla-
gende Partei ihr Recht auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht
innerhalb angemessener Zeit durchsetzen kann und überdies mit dem Insol-
venzrisiko der beklagten Partei belastet wird. Ein Verfahrensstillstand durch
eine nicht gebotene Aussetzung des Rechtsstreits stellt eine nachhaltige Ver-
letzung des Beschleunigungsgebots dar. Darüber hinaus ist die Durchführung
eines nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG eingeleiteten Beschlussverfahrens über
die in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten Eigenschaften für alle anzuhörenden
Beteiligten regelmäßig mit einem hohen finanziellen und organisatorischen
Aufwand verbunden.
b)
Die sich aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Beschleunigungsgrund-
satz ergebenden Vorgaben dürfen daher bei der Auslegung der Anforderungen
für die Aussetzungsentscheidung nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG nicht unbe-
rücksichtigt bleiben. Eine Aussetzung des Ausgangsrechtsstreits ist auch unter
Berücksichtigung des Normzwecks des § 97 Abs. 5 ArbGG nicht geboten, wenn
die Beurteilung der Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung ein
Verfahren nach § 97 ArbGG nicht erfordert. Eines solchen Verfahrens bedarf es
nicht, wenn über die Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit einer Vereinigung
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für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt bereits rechtskräftig entschieden
ist. Gleiches gilt, wenn am Vorliegen der in § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG genannten
Eigenschaften keine vernünftigen Zweifel bestehen. Nur ein solches Verständ-
nis trägt einerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewäh-
rung von effektivem Rechtsschutz Rechnung und berücksichtigt den Norm-
zweck des § 97 ArbGG.
3.
Danach liegt ein Grund für die Aussetzung des Rechtsstreits nach § 97
Abs. 5 Satz 1 ArbGG zur Einleitung eines Beschlussverfahrens über die Tarif-
fähigkeit der CGZP nicht vor.
a)
Die angefochtene Entscheidung ist schon deshalb aufzuheben, weil das
Landesarbeitsgericht die Entscheidungserheblichkeit der Tariffähigkeit der
CGZP nicht begründet hat. Es hat in seinem Aussetzungsbeschluss weder die
Schlüssigkeit der Klageforderung festgestellt noch ist es auf die von der Beklag-
ten dagegen erhobenen Einwendungen eingegangen. Ebenso kann der ange-
fochtenen Entscheidung nicht entnommen werden, von welchen Tarifverträgen
aus Sicht des Landesarbeitsgerichts die Beurteilung der Klageforderung ab-
hängt. Diese werden weder in den Gründen aufgeführt noch ist dort oder im
Tenor ein Zeitpunkt angegeben, für den in einem nachfolgenden Beschlussver-
fahren die Tariffähigkeit der CGZP beurteilt werden soll.
b)
Der Senat kann von einer hierauf gestützten Zurückverweisung abse-
hen. Dabei kann offen bleiben, ob das Beschwerdegericht das Verfahren wegen
der aus seiner Sicht klärungsbedürftigen Frage der Tariffähigkeit der CGZP
nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG zu Recht ausgesetzt hat. Nach dem Senatsbe-
schluss vom 14. Dezember 2010
und der in Rechtskraft erwachsenen Ent-
scheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Januar 2012
steht fest, dass die CGZP im zeitlichen
Geltungsbereich ihrer Satzungen vom 11. Dezember 2002, 5. Dezember 2005
sowie vom 8. Oktober 2009 weder als Gewerkschaft nach § 2 Abs. 1 TVG noch
als Spitzenorganisation nach § 2 Abs. 3 TVG tariffähig ist
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. Eines erneuten Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG
bedarf es danach nicht mehr.
Schmidt
Linck
Koch