Urteil des BAG vom 12.11.2013

Vertrag zugunsten Dritter - Einstandspflicht für Sozialplanleistungen

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 12.11.2013, 1 AZR 475/12
Vertrag zugunsten Dritter - Einstandspflicht für Sozialplanleistungen
Tenor
1. Die Revisionen der Klägerinnen und Kläger gegen das
Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 31. Januar 2012
- 1 Sa 111/11 - werden zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revisionen haben die Klägerin zu 3. zu 1/3,
die übrigen Klägerinnen und Kläger zu jeweils 1/6 zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit der Beendigung von
Arbeitsverhältnissen.
2 Die Klägerinnen und Kläger waren mehr als zehn Jahre bei der Beklagten als Arbeitnehmer
beschäftigt. Die Arbeitsverhältnisse gingen durch Betriebsübergang auf die m GmbH & Co.
KG (m), eine Tochtergesellschaft der Beklagten, über. Die Beklagte, die m und deren
Betriebsrat schlossen im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf von
Geschäftsanteilen der m am 9. Dezember 2008 eine als „Absprache“ bezeichnete
Vereinbarung (VE 2008), in der es heißt:
„5. Zusagen der S AG
Sollten innerhalb von drei Jahren nach Eigentümerwechsel betriebsbedingte Kündigungen
nicht vermeidbar sein, sichert die S AG folgendes zu:
• …
• Sollte es bis zum 31.12.2011 bei der Stammbelegschaft der m zu betriebsbedingten
Kündigungen kommen, und die betroffenen Mitarbeiter keine andere Beschäftigung
innerhalb der S AG finden, erhalten die Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt des
Eigentümerwechsels mindestens 10 Jahre dem Unternehmen angehören, eine Abfindung
auf Basis des Brutto-Monatseinkommens, nach der am S-Standort B, bzw. an dem
nächstgelegenen S-Standort angewandten S-Sozialplanregelung.
Es gilt folgende Vereinbarung:
- bei einer Kündigung bis 31.12.2009 100 %
der Differenz zwischen dem Abfindungsbetrag der m und der am S-Standort B bzw. an dem
nächstgelegenen S-Standort geltenden Sregelung.“
3 Die m kündigte die Arbeitsverhältnisse der Klägerinnen und Kläger am 25. November 2009
aus betriebsbedingten Gründen. Der am 9. Dezember 2009 zwischen der m und ihrem
Betriebsrat vereinbarte Sozialplan (SP m) sah eine Abfindung vor, deren Berechnung dem
einschlägigen Sozialplan der Beklagten am Standort B entsprach (Nr. VI.1. SP m).
Daneben konnten die von der m gekündigten Arbeitnehmer für längstens ein Jahr in eine
Transfergesellschaft wechseln. Nach Nr. V.11. SP m verminderte sich der Abfindungsbetrag
für diese Arbeitnehmer auf 70 % der Abfindung gemäß Nr. VI.1. SP m.
4 Die Klägerinnen und Kläger schlossen mit der m Aufhebungsverträge, nach denen das
Arbeitsverhältnis aufgrund der ausgesprochenen Kündigungen endete, und begründeten
ein Arbeitsverhältnis mit der Transfergesellschaft. Die m zahlte ihnen die in Nr. V.11. SP m
vorgesehene reduzierte Abfindung.
5 Mit ihren Klagen verlangen die Klägerinnen und Kläger die Zahlung der Differenz zu der in
Nr. VI.1. SP m vorgesehenen Abfindung.
6 Die Klägerin zu 1. hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 1. 18.083,98 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen;
der Kläger zu 2. hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 2. 14.071,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen;
die Klägerin zu 3. hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 3. 26.308,14 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen;
die Klägerin zu 4. hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu 4. 15.467,49 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen;
der Kläger zu 5. hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger zu 5. 14.071,90 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
7 Die Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen.
8 Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die
Rechtsstreite verbunden und die Berufungen der Klägerinnen und Kläger zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgen diese ihr Zahlungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
9 Die Revisionen sind unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen gegen
die klageabweisenden Urteile des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klagen
sind unbegründet. Die Klägerinnen und Kläger haben keinen Anspruch aus der allein als
Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Nr. 5 VE 2008 auf eine weitere Zahlung
gegen die Beklagte. Das Berufungsgericht hat unter Berücksichtigung des in der
Revisionsinstanz geltenden eingeschränkten Prüfungsmaßstabs eine Einstandspflicht der
Beklagten für die geltend gemachten Abfindungsdifferenzen zutreffend verneint.
10 1. Das Landesarbeitsgericht hat in Nr. 5 VE 2008 einen zwischen dem Betriebsrat der m
und der Beklagten abgeschlossenen Vertrag zugunsten Dritter gesehen, aus dem die bei
der m beschäftigten Arbeitnehmer anspruchsberechtigt sein sollten. Dabei ist es davon
ausgegangen, dass diese Bestimmung keine ausdrückliche Abrede über die
Einstandspflicht der Beklagten bei einem Wechsel eines anspruchsberechtigten
Arbeitnehmers in eine Transfergesellschaft enthält. Es hat aus Sinn und Zweck von Nr. 5
VE 2008, die Arbeitnehmer hinsichtlich der Abfindungshöhe für einen begrenzten
Zeitraum den Arbeitnehmern der Beklagten gleichzustellen, gefolgert, dass diese lediglich
für solche Abfindungsdifferenzen einstehen sollte, die auf eine gegenüber dem
Referenzsozialplan unzureichende finanzielle Ausstattung des Sozialplans durch die m
zurückzuführen waren. Einen solchen Fall hat das Landesarbeitsgericht verneint, weil die
gegenüber dem Referenzsozialplan reduzierte Abfindung auf der Entscheidung der
Arbeitnehmer für den Wechsel in die Transfergesellschaft beruht hat.
11 2. Dies lässt keinen revisiblen Rechtsfehler erkennen.
12 a) Das Landesarbeitsgericht hat Nr. 5 VE 2008 zu Recht als echten Vertrag zugunsten
Dritter (§ 328 BGB) angesehen.
13 Die VE 2008 ist zwar gemeinsam von der m, ihrem Betriebsrat und der Beklagten
abgeschlossen worden. Die Nr. 5 VE 2008 enthält jedoch ausschließlich eine
Vereinbarung zwischen der Beklagten und der m. Die Beklagte konnte als
Gesellschafterin der m eine solche Abrede nicht mit deren Betriebsrat als
Betriebsvereinbarung abschließen. In dieser Regelung hat die Beklagte Arbeitnehmern,
die ihrem Unternehmen zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die m zumindest zehn
Jahre angehört haben, die dort aufgeführten Leistungen zugesagt. Dieser Personenkreis
sollte entsprechend den dort bestimmten Voraussetzungen von der Einstandspflicht der
Beklagten unmittelbar begünstigt werden.
14 b) Diese Auslegung von Nr. 5 VE 2008 durch das Landesarbeitsgericht ist
revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
15 aa) Die Auslegung nichttypischer Erklärungen ist regelmäßig den Tatsachengerichten
vorbehalten. Revisionsrechtlich nachprüfbar ist lediglich, ob gesetzliche
Auslegungsregeln iSd. §§ 133, 157 BGB, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze
verletzt sind oder wesentlicher Tatsachenstoff, der für die Auslegung von Bedeutung sein
kann, außer Betracht gelassen worden ist (BAG 16. April 2013 - 9 AZR 731/11 - Rn. 18).
Für die revisionsrechtliche Überprüfung kommt es daher nicht darauf an, ob außer der vom
Landesarbeitsgericht vorgenommenen Auslegung auch andere Auslegungsergebnisse
denkbar wären (BAG 22. Juni 2005 - 7 AZR 363/04 - zu II 2 a bb der Gründe).
16 bb) Die durch Nr. 5 VE 2008 begründete Einstandspflicht der Beklagten beruht auf
nichttypischen Erklärungen der Vertragsschließenden, die nur einer eingeschränkten
revisionsrechtlichen Kontrolle unterliegen. Soweit die Klägerinnen und Kläger erstmals in
der Revision geltend machen, bei Nr. 5 VE 2008 handele es sich um Allgemeine
Geschäftsbedingungen, bei deren Auslegung die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2
BGB zu berücksichtigen sei, handelt es sich um neuen Tatsachenvortrag, der in der
Revisionsinstanz nicht mehr berücksichtigungsfähig ist (BAG 11. Juli 2013 - 2 AZR
241/12 - Rn. 30). Es ist weder ersichtlich noch vom Landesarbeitsgericht festgestellt, dass
es sich bei Nr. 5 VE 2008 um von der Beklagten gestellte, für eine Vielzahl von Verträgen
vorformulierte Vertragsbedingungen handelt.
17 cc) Das Berufungsgericht hat bei seiner Auslegung nicht gegen Denkgesetze verstoßen
und den Tatsachenstoff vollständig verwertet.
18 (1) Entgegen der Auffassung der Revision musste sich das Landesarbeitsgericht bei der
Auslegung von Nr. 5 VE 2008 nicht auf dessen Wortlaut beschränken, sondern durfte den
Zweck der Vereinbarung heranziehen. Dies folgt schon aus § 133 BGB. Danach ist bei der
Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem
buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Daher sind bei der Auslegung alle den
Parteien erkennbaren Begleitumstände, die für den Erklärungsinhalt von Bedeutung sein
können, zu berücksichtigen. Hierzu gehören insbesondere die Entstehungsgeschichte und
der Zweck der Vereinbarung sowie die bei Vertragsschluss bestehende Interessenlage
(BAG 19. November 2008 - 10 AZR 671/07 - Rn. 20).
19 (2) Es hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Ermessensspielraums, wenn das
Berufungsgericht den Zweck der von der Beklagten abgegebenen Zusage in einer
Gleichstellung der auf die m übergegangenen Belegschaft mit den bei der Beklagten
beschäftigen Arbeitnehmern ansieht. Dies wird auch von der Revision nicht in Zweifel
gezogen. Hierfür spricht insbesondere das Abstellen auf den Referenzsozialplan am
Standort B bei der Abfindungshöhe. Ausgehend von diesem Regelungszweck und unter
Berücksichtigung der Interessenlage nach dem Gesellschafterwechsel ist die weitere
Annahme des Landesarbeitsgerichts naheliegend, dass die Beklagte nur dann eine
Einstandspflicht übernehmen wollte, wenn die Abfindungshöhe in dem bei der m zu
vereinbarenden Sozialplan nicht die an ihrem Standort B geltenden
Abfindungsregelungen erreicht.
20 (3) Soweit die Revision meint, die Beklagte treffe eine Einstandspflicht auch dann, wenn
die Arbeitnehmer von dem im Sozialplan eingeräumten Wahlrecht Gebrauch gemacht und
sich für einen Wechsel in die Transfergesellschaft entschieden haben, setzt sie lediglich
die von ihr vertretene Sichtweise an die Stelle derjenigen des Landesarbeitsgerichts.
Damit kann jedoch die Auslegung nichttypischer Willenserklärungen durch das
Berufungsgericht revisionsrechtlich nicht mit Erfolg angegriffen werden. Das
Auslegungsergebnis des Landesarbeitsgerichts erweist sich vielmehr wegen des Zwecks
der von der Beklagten gegebenen Zusage als naheliegend. Die Einstandspflicht sollte
sich nicht auf Sozialplanleistungen erstrecken, bei denen die den Arbeitnehmern gewährte
Abfindung durch andere Sozialplanleistungen ergänzt wird. Ein solches Verständnis der
Zusage ist nach dem in Nr. 5 VE 2008 zum Ausdruck gebrachten Willen der Parteien und
dem Vertragszweck ausgeschlossen. Die Gleichstellung in der Zusage ist auf die
Abfindungshöhe beschränkt. Über eine Einstandspflicht in Bezug auf ein bestimmtes
Sozialplanvolumen verhält sich Nr. 5 VE 2008 hingegen nicht. Die auf die
Abfindungshöhe im Referenzsozialplan beschränkte Zusage diente einerseits der
Begrenzung der Einstandspflicht der Beklagten und andererseits sollten die auf die m
übergegangenen Arbeitnehmer hinsichtlich der Abfindungshöhe so gestellt werden, als
wären sie zum Kündigungszeitpunkt noch bei der Beklagten beschäftigt. Die beabsichtigte
Gleichstellung zwischen beiden Belegschaften kann aber nur erreicht werden, wenn die
jeweils geltenden Abfindungsregelungen übereinstimmen. Ein Vergleich zwischen einer
ausschließlich auf Abfindungen beschränkten Entschädigungsregelung mit
Sozialplanleistungen, die neben Abfindungen weitere Entschädigungen für den
Arbeitsplatzverlust vorsehen, ist nicht möglich. Auch dies spricht gegen die von der
Revision vertretene Auslegung von Nr. 5 VE 2008.
21 (4) Das Landesarbeitsgericht musste bei seiner Auslegung auch nicht die am 26. August
2008 zwischen der Beklagten und ihrem Gesamtbetriebsrat abgeschlossene
Sozialplanregelung berücksichtigen. Diese war für die Gleichstellung der von der Zusage
der Beklagten begünstigten Arbeitnehmer unbeachtlich. Die als Rahmenregelung
abgeschlossene Vereinbarung bedurfte einer Umsetzung durch die örtlichen Betriebsräte.
Eine solche haben die Betriebsparteien des Standorts B der Beklagten weder bei
Abschluss der VE 2008 noch des SP 2009 vereinbart.
Linck
Spelge
Koch
Klebe
Hann