Urteil des BAG vom 22.07.2014

Mitbestimmung bei Fälligkeit - Gesetzesvorbehalt

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 22.7.2014, 1 ABR
96/12
Mitbestimmung bei Fälligkeit - Gesetzesvorbehalt
Leitsätze
In der Pflegebranche sperrt die gesetzliche Fälligkeitsregelung des § 3 Abs. 1 Satz 1
PflegeArbbV das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Fragen der Zeit der Auszahlung der
Arbeitsentgelte nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG für das den Pflegekräften zu zahlende
Mindestentgelt.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der
Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom
15. August 2012 - 4 TaBV 958/12 - aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Berlin vom 29. Februar 2012 - 56 BV
17912/11 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass § 3 des Spruchs der Einigungsstelle
vom 11. November 2011 über eine Betriebsvereinbarung über
Art und Zeitpunkt der Auszahlung des Entgelts unwirksam ist.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer durch Spruch der Einigungsstelle
beschlossenen Regelung über den Auszahlungstermin für die Vergütung.
2 Die Arbeitgeberin betreibt in Berlin eine Pflegeeinrichtung, für die der beteiligte Betriebsrat
gewählt ist. Sie zahlt den dort beschäftigten Arbeitnehmern eine Vergütung, die höher ist
als das in der Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche
(Pflegearbeitsbedingungenverordnung vom 15. Juli 2010 - PflegeArbbV - BAnz. 2010
Nr. 110 S. 2571) festgelegte Mindestentgelt. Durch Einigungsstellenspruch vom
11. November 2011 kam es zu einer „Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der
Auszahlung der Arbeitsentgelte“. Darin ist - neben dem Geltungsbereich (§ 1), der Art der
Zahlung (§ 2) und dem Inkrafttreten (§ 4) - bestimmt:
§ 3 Auszahlungstermin für Vergütung
Die Arbeitgeberin überweist den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen jeweils
zum ersten des Folgemonats, die aus festen Bestandteilen bestehende monatliche
Vergütung auf ein vom Arbeitnehmer mitzuteilendes Konto bei einem Geldinstitut.
Im Laufe eines Monats verdiente variable Vergütungsbestandteile insbesondere
Zeitzuschläge werden jeweils am ersten des übernächsten Monats auf dieses
Konto überwiesen.“
3 Mit einem am 24. November 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat die
Arbeitgeberin den Einigungsstellenspruch angefochten und geltend gemacht, die
Festlegung des Auszahlungstermins für die Vergütung sei unwirksam. Die Einigungsstelle
habe insoweit ihre Regelungskompetenz überschritten. Die gesetzliche
Fälligkeitsbestimmung für das Mindestentgelt nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV
schließe ein dahingehendes Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus.
4 Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über
eine Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der
Arbeitsentgelte nichtig ist;
hilfsweise
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11. November 2011 über
eine Betriebsvereinbarung über den Zeitpunkt und Art der Auszahlung der
Arbeitsentgelte unwirksam ist.
5 Der Betriebsrat hat beantragt, die Anträge abzuweisen. Er hat gemeint, § 3 Abs. 1 Satz 1
PflegeArbbV sei unwirksam; dem Verordnungsgeber fehle es insoweit an einer
Regelungskompetenz. Ungeachtet dessen gelte die PflegeArbbV nicht für Betriebe, in
denen eine über dem Mindestentgelt liegende Vergütung bezahlt werde. Auch sei die
durch den Spruch der Einigungsstelle geregelte Fälligkeit für die Arbeitnehmer günstiger.
6 Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die
Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgt die Arbeitgeberin ihr Begehren weiter.
7 B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Die Vorinstanzen haben ihre
als ein Feststellungsbegehren zu verstehenden Anträge zu Unrecht abgewiesen.
8 I. Die Anträge sind zulässig.
9 1. Mit den auf Feststellung der Nichtigkeit und hilfsweise der Unwirksamkeit des Spruchs
der Einigungsstelle vom 11. November 2011 gerichteten Anträgen hat die Arbeitgeberin
von Anfang an nur ein Antragsziel verfolgt. Aus der zur Antragsauslegung
heranzuziehenden Antragsbegründung und ihrem sonstigen Vorbringen ergibt sich, dass
sie sich allein gegen § 3 des Spruchs der Einigungsstelle wendet. Das hat ihr
Verfahrensbevollmächtigter im Termin zur Anhörung vor dem Senat ebenso klargestellt
wie den Umstand, dass mit dem Feststellungsbegehren der Nichtigkeit keine über die
Teilanfechtung des Spruchs hinausgehende Rechtsfolge erstrebt wird.
10 2. Gegen die so verstandene Teilanfechtung des Spruchs der Einigungsstelle vom
11. November 2011 bestehen keine Bedenken. Sie bezieht sich auf eine eigenständige
Teilregelung. Das Feststellungsbegehren ist die zutreffende Verfahrensart. Ein Spruch der
betrieblichen Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat.
Die Betriebsparteien streiten im Fall seiner Anfechtung um das (Nicht-)Bestehen eines
betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Die begehrte
gerichtliche Entscheidung hat feststellende, nicht rechtsgestaltende Wirkung.
Dementsprechend ist die Feststellung der (Teil-)Unwirksamkeit des Spruchs zu
beantragen und nicht seine Aufhebung (vgl. BAG 13. März 2012 - 1 ABR 78/10 - Rn. 10,
BAGE 141, 42).
11 II. Der Antrag ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen begründet. § 3 des Spruchs
der Einigungsstelle vom 11. November 2011 ist unwirksam. Die mit der Regelung
getroffene Fälligkeitsbestimmung auch für Pflegekräfte iSv. § 1 Abs. 3 PflegeArbbV
verstößt gegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG. Das führt zu ihrer gesamten
Unwirksamkeit.
12 1. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle betrifft eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG
mitbestimmungspflichtige Angelegenheit. Die Regelung legt Termine für die Überweisung
der „aus festen Bestandteilen bestehenden monatlichen Vergütung“ (Satz 1) und der „im
Laufe eines Monats verdienten variablen Vergütungsbestandteile insbesondere
Zeitzuschlägen“ (Satz 2) fest. Es handelt sich um eine Fälligkeitsbestimmung. Fälligkeit
bezeichnet bei (Arbeits-)Vergütung den Zeitpunkt, wann diese zu entrichten ist (vgl. § 614
BGB). Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG erfasst
die Regelung des Zeitpunkts, zu dem die Arbeitsvergütung zu zahlen ist (vgl. BAG
25. April 1989 - 1 ABR 91/87 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 62, 1).
13 2. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats wird aber vorliegend durch den
Gesetzesvorbehalt in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ausgeschlossen, soweit es um
die Festlegung eines Zeitpunkts für die Überweisung desjenigen Arbeitsentgelts geht, das
Mindestentgelt iSv. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV ist.
14 a) Nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG hat der Betriebsrat ua. nicht nach § 87 Abs. 1
BetrVG mitzubestimmen, soweit die betreffende Angelegenheit gesetzlich geregelt ist. Das
beruht auf der Erwägung, dass für die Erreichung des Mitbestimmungszwecks kein Raum
mehr verbleibt, wenn eine den Arbeitgeber bindende und abschließende gesetzliche
Vorschrift vorliegt. Wird der Mitbestimmungsgegenstand durch diese inhaltlich und
abschließend geregelt, fehlt es an einer Ausgestaltungsmöglichkeit durch die
Betriebsparteien. Verbleibt dem Arbeitgeber dagegen trotz der bestehenden normativen
Regelung ein Gestaltungsspielraum, ist ein darauf bezogenes Mitbestimmungsrecht des
Betriebsrats eröffnet (BAG 11. Dezember 2012 - 1 ABR 78/11 - Rn. 19, BAGE 144, 109).
15 b) Gesetz im Sinne des § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG ist jedes förmliche oder
materielle Gesetz, soweit es sich um eine zwingende Regelung handelt. Eine zwingende
Regelung liegt auch dann vor, wenn von einer bestehenden gesetzlichen Regelung nur
nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann. In diesem Fall kann
davon ausgegangen werden, dass mit dieser Regelung den berechtigten Interessen und
dem Schutzbedürfnis der Arbeitnehmer Rechnung getragen worden ist. Für einen weiteren
Schutz durch Mitbestimmungsrechte besteht dann kein Bedürfnis mehr (BAG 28. Mai 2002
- 1 ABR 37/01 - zu B II 2 c cc der Gründe, BAGE 101, 203).
16 c) Hiernach schränkt § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV das Mitbestimmungsrecht des
Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG ein.
17 aa) Die am 1. August 2010 in Kraft getretene Pflegearbeitsbedingungenverordnung ist ein
Gesetz im materiellen Sinn. Sie bindet die Arbeitgeberin unmittelbar, enthält eine
zwingende Anordnung und ist daher geeignet, das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats
nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG einzuschränken (vgl. zu einer Verordnung der
Europäischen Union BAG 7. Februar 2012 - 1 ABR 63/10 - Rn. 24, BAGE 140, 343).
18 bb) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV wird das in § 2 PflegeArbbV festgelegte
Mindestentgelt für die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit zum 15. des Monats fällig, der auf
den Monat folgt, für den das Mindestentgelt zu zahlen ist. Es handelt sich um eine
abschließende gesetzliche Regelung ohne Gestaltungsspielraum für die Betriebsparteien.
19 cc) § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist nicht mangels Kompetenz des Verordnungsgebers
zur Regelung des Fälligkeitszeitpunkts für das Mindestentgelt unwirksam.
20 (1) Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG kann die Exekutive durch ein Inhalt, Zweck
und Ausmaß bestimmendes Gesetz ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen.
Widerspricht die Verordnung dem - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden -
Inhalt und Zweck der Ermächtigung, hat dies ihre Unwirksamkeit zur Folge. Ob eine
Rechtsverordnung durch ihre Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist, beurteilt grundsätzlich
das zuständige Fachgericht im Rahmen einer Inzidenterkontrolle. Das
Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 GG gilt für
Rechtsverordnungen nicht (BAG 26. September 2012 - 4 AZR 5/11 - Rn. 21 mwN).
21 (2) Die verordnungsrechtliche Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist von einer
gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Im Bereich der Pflegebranche (vgl. § 10
AEntG) kann der Verordnungsgeber nach § 11 Abs. 1 AEntG bestimmen, dass die von
einer nach § 12 AEntG errichteten Kommission vorgeschlagenen Arbeitsbedingungen
nach § 5 Nr. 1 und Nr. 2 AEntG auf alle Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen, die unter den Geltungsbereich einer Empfehlung nach § 12 Abs. 4
AEntG fallen, Anwendung finden. § 5 Nr. 1 AEntG benennt als Arbeitsbedingungen
Mindestentgeltsätze, die nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen und Regionen differieren können, einschließlich der
Überstundensätze. Die Norm umfasst aber - wie ihre Auslegung ergibt - auch Regelungen
zur Fälligkeit des Mindestentgelts (vgl. Koberski/Asshoff/Eustrup/Winkler
Arbeitnehmerentsendegesetz Mindestarbeitsbedingungengesetz 3. Aufl. § 5 AEntG
Rn. 19).
22 (a) Der Wortlaut des § 5 Nr. 1 AEntG gebietet kein Verständnis, dass
Fälligkeitsfestlegungen (Mindest-)Arbeitsbedingungen sind. Er schließt ein solches
Verständnis aber auch nicht aus.
23 (b) Systematische Erwägungen vermitteln kein eindeutiges Bild. Immerhin ist aber nach
§ 13 iVm. § 9 Satz 3 AEntG die Möglichkeit eröffnet, in einer Rechtsverordnung iSv. § 11
AEntG Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs auf das Mindestentgelt
zu regeln, wobei die Frist mindestens sechs Monate betragen muss. Häufigster Fall des
Fristbeginns für Ausschlussfristen ist die Fälligkeit des Anspruchs (ErfK/Preis 14. Aufl.
§§ 194-218 BGB Rn. 52). Wenn der Verordnungsgeber einerseits Mindestentgeltsätze
einschließlich der Überstundensätze und andererseits Ausschlussfristen für solche
Ansprüche regeln kann, spricht dies eher für die Annahme, dass er auch zur Regelung
über die Fälligkeit der Ansprüche befugt sein soll.
24 (c) Die Gesetzeshistorie spricht nicht gegen ein solches Normenverständnis. Die
Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz in seiner
ursprünglichen Fassung vom 26. Februar 1996 (BGBl. I S. 227; hierzu BT-Drs. 13/2414)
und in seiner Neufassung vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 799; hierzu BT-Drs. 16/10486)
verhalten sich in ihren Begründungen nicht zu der Frage, ob Fälligkeitsregelungen zu den
Mindestarbeitsbedingungen zählen. Nach der Begründung eines nachfolgenden
Gesetzentwurfs zu dem mit Art. 6 Nr. 4 Tarifautonomiestärkungsgesetz de lege ferenda
dem § 5 Nr. 1 AEntG anzufügenden Satz 2, wonach die (Mindest-)Arbeitsbedingungen
auch Regelungen zur Fälligkeit entsprechender Ansprüche einschließlich hierzu
vereinbarter Ausnahmen und deren Voraussetzungen umfassen, soll es sich insoweit um
eine Klarstellung handeln (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 61).
25 (d) Unter dem Gesichtspunkt der unionsrechtskonformen Auslegung von § 5 Nr. 1 AEntG
ist ein Verständnis dahingehend, dass hiervon Fälligkeitsfestlegungen erfasst sind, weder
geboten noch ausgeschlossen. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung
von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie)
nennt als zu garantierende Aspekte der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen
„Mindestlohnsätze einschließlich der Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen
betrieblichen Altersversorgungssysteme“. Art. 3 Abs. 7 der Entsenderichtlinie enthält
weitere Regelungen zum Mindestlohn. Bestimmungen zur Fälligkeit sind nicht aufgeführt.
26 (e) Sinn und Zweck des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes geben aber vor, den
Fälligkeitszeitpunkt für das Mindestentgelt als eine (Mindest-)Arbeitsbedingung iSv. § 5
Nr. 1 AEntG anzusehen. Dessen Ziele sind nach § 1 Satz 1 AEntG die Schaffung und
Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend
entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen. Unter
anderem durch Rechtsverordnung sollen für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen
adäquate Mindestarbeitsbedingungen geschaffen werden, was gleichermaßen für die
Regelung innerstaatlicher wie grenzüberschreitender Sachverhalte gilt (BT-Drs. 16/10486
S. 1 und 11). Die Verwirklichung dieser Ziele soll - neben der Wahrung der Ordnungs- und
Befriedungsfunktion der Tarifautonomie - zugleich den Erhalt
sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung gewährleisten (BT-Drs. 16/10486 S. 11). Zur
wirksamen Verfolgung beider Ziele gehört die Festlegung der Fälligkeit von
Mindestansprüchen. Würde diese nicht reguliert, käme es zum einen zu dem
Arbeitnehmerschutzzweck zuwiderlaufenden Differenzierungen. Zum anderen könnte sich
ein Arbeitgeber Wettbewerbsvorteile verschaffen, indem er die Zahlung von
Mindestentgeltsätzen einschließlich der Überstundensätze später vornimmt als seine
Konkurrenten. Lohnkosten für die Beschäftigten - zumal im personalkostenintensiven
Dienstleistungsbereich - sind ein erheblicher Teil der wettbewerbsrelevanten
Unternehmenskosten (vgl. ErfK/Schlachter AEntG § 1 Rn. 1 und - für die Pflegebranche -
§ 10 Rn. 1). Die Intention einerseits von arbeitsmarktpolitischen Wirkungen und
andererseits eines Ausgleichs von Wettbewerbsnachteilen durch die verbindliche
Festlegung von Mindeststandards bedingt es daher, unter Arbeitsbedingung iSv. § 5 Nr. 1
AEntG auch die Fälligkeit der dort näher festgelegten Mindestansprüche zu verstehen.
27 dd) Der Betrieb der Arbeitgeberin unterfällt der Pflegearbeitsbedingungenverordnung.
28 (1) Dem steht nicht entgegen, dass die Arbeitgeberin den bei ihr beschäftigten
Arbeitnehmern ein über dem Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV liegendes
Entgelt zahlt. Wie die Auslegung der PflegeArbbV ergibt, bestimmt sich ihr
Geltungsbereich ausschließlich territorial, betrieblich-fachlich und persönlich und nicht in
Abhängigkeit von der Einhaltung der in ihr festgelegten Arbeitsbedingungen.
29 (a) § 1 PflegeArbbV regelt ausweislich seiner Überschrift den Geltungsbereich der
Verordnung, während § 2 PflegeArbbV eine Rechtsfolge - das Mindestentgelt - festlegt. Es
bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass § 1 PflegeArbbV den Geltungsbereich der
Verordnung nicht abschließend bestimmt.
30 (b) Der Regelungssystematik von §§ 1 und 2 PflegeArbbV entsprechen §§ 10 und 11
AEntG. § 10 AEntG legt den Anwendungsbereich des Abschnitts für die
Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche fest, während § 11 AEntG bestimmt, welche
Arbeitsbedingungen in einer Rechtsverordnung geregelt werden können.
31 (c) Auch Sinn und Zweck der Pflegearbeitsbedingungenverordnung gebieten eine
Erstreckung auf Arbeitgeber, die eine über dem Mindestentgelt liegende Vergütung
zahlen. Eine gegenteilige Sichtweise liefe den mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz und
der Pflegearbeitsbedingungenverordnung verfolgten Zielen einer Gewährleistung von
Arbeitnehmerschutzstandards und der Sicherung eines fairen Wettbewerbs zuwider.
Durch einheitliche Regelungen für das Mindestentgelt - auch im Hinblick auf Verzicht,
Verwirkung und Verfall gemäß §§ 13 und 9 AEntG - werden die Vergütungsansprüche der
Arbeitnehmer bis zu dieser Höhe gleich behandelt und geschützt. Ein Arbeitgeber wird
hierdurch gehindert, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, indem er aufgrund einer
vertraglich vereinbarten, ggf. nur geringfügig das Mindestentgelt überschreitenden
Vergütung diese Arbeitsbedingungen insgesamt unterschreitet.
32 (d) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Geltung der
Pflegearbeitsbedingungenverordnung auch für Pflegekräfte, deren vereinbartes Entgelt
das Mindestentgelt iSv. § 2 Abs. 1 PflegeArbbV übersteige, bedinge die fiktive Aufspaltung
eines einheitlichen Gehaltsanspruchs, zwingt nicht zu einer Beschränkung des
persönlichen oder betrieblichen Geltungsbereichs der Verordnung. Hierbei handelt es sich
allenfalls um einen Umstand, den die Betriebsparteien bei der Festlegung eines von § 3
Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichenden Fälligkeitszeitpunktes für die das
Mindestentgelt nach § 2 Abs. 1 PflegeArbbV übersteigende vertragliche Vergütung zu
beachten hätten. Ungeachtet dessen ist es - zumal im Bereich gesetzlicher
Mindestansprüche - nichts Ungewöhnliches, dass unterschiedliche Anspruchsgrundlagen
und Regelungsregime bestehen. Hat etwa ein Arbeitnehmer einen über den gesetzlichen
Mindesturlaub hinausgehenden Urlaubsanspruch, können gesetzlicher und
übergesetzlicher Urlaubsanspruch unterschiedlichen Regelungssystemen unterliegen.
33 (2) Die von der Arbeitgeberin in Berlin betriebene Einrichtung unterfällt dem territorialen
Geltungsbereich nach § 1 Abs. 1 PflegeArbbV, wonach die Verordnung für das Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland gilt. Der betrieblich-fachliche Geltungsbereich ist gleichfalls
eröffnet. Die Arbeitgeberin betreibt einen Pflegebetrieb iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 PflegeArbbV,
für den nach § 1 Abs. 2 Satz 1 PflegeArbbV die Verordnung gilt. Davon ist das
Landesarbeitsgericht - ebenso wie die Einigungsstelle ausweislich der Begründung ihres
Spruchs - ausgegangen; die Beteiligten sind dem nicht entgegengetreten. Persönlich gilt
die Verordnung für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die überwiegend
pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege nach § 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI erbringen,
vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 PflegeArbbV. Die Beteiligten haben nicht in Abrede gestellt, dass die
Arbeitgeberin Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, die überwiegend
grundpflegerische Verrichtungen ausüben.
34 ee) § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV ist eine zwingende gesetzliche Bestimmung iSv. § 87
Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG. Eine von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV abweichende
Regelung zugunsten der Arbeitnehmer ist zwar nach §§ 13, 8 Abs. 1 AEntG möglich.
Entgegen der Auffassung des Betriebsrats kann der Arbeitgeber durch die Einigungsstelle
aber nicht gezwungen werden, Regelungen hinzunehmen, die für die Arbeitnehmer
günstiger sind als die gesetzlichen (st. Rspr. BAG 28. Mai 2002 - 1 ABR 37/01 - zu B II 2 c
cc der Gründe, BAGE 101, 203).
35 3. § 3 des Spruchs der Einigungsstelle verstößt damit insoweit gegen den
Gesetzesvorbehalt nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG, als auch für das den
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer iSv. § 1 Abs. 3 PflegeArbbV nach § 2 Abs. 1
PflegeArbbV zu zahlende Mindestentgelt eine von § 3 Abs. 1 Satz 1 PflegeArbbV
abweichende Fälligkeit festgelegt ist. Das darin liegende Überschreiten der Grenzen des
Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG bedingt die (Gesamt-)Unwirksamkeit
der kollektiven Fälligkeitsbestimmung. Eine teilweise Aufrechterhaltung des
Auszahlungstermins für die über dem Mindestentgelt liegende Vergütung bzw. für die
Vergütung der nicht der PflegeArbbV unterfallenden Beschäftigten enthielte keine in sich
geschlossene Regelung. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die
Einigungsstelle nach ihrem eigenen Regelungsplan eine so verstandene Fälligkeit
bestimmen wollte; ausweislich der Begründung des Spruchs hat sie zwei
Fälligkeitszeitpunkte als „unpraktikabel“ angesehen.
Schmidt
Koch
K. Schmidt
Hromadka
Olaf Kunz