Urteil des BAG vom 15.02.2012

Keine Aufhebung eines Schiedsspruchs aufgrund der Verletzung tarifvertraglicher Vorschriften zum bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren - Tarifauslegung - Ende der Spielzeit iSv § 61 Abs 3 NV-Bühne

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 15.2.2012, 7 AZR 626/10
Aufhebungsklage - Rüge der Verletzung tarifvertraglicher Vorschriften zum
bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren - Auslegung einer tarifvertraglichen Bestandsschutznorm
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Köln vom 27. August 2010 - 4 Sa 391/10 - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis wirksam beendet worden ist.
2 Die (aufhebungs-)klagende Stadt ist Trägerin eines Kinder- und Jugendtheaters. Die
(Aufhebungs-)Beklagte war bei ihr seit dem 1. Januar 1993 als „Souffleuse/Inspizientin mit
Spielverpflichtung“ in der Kunstgattung Schauspiel ohne Unterbrechungen bis zum
31. Juli 2008 beschäftigt.
3 In § 6 des Dienstvertrags vom 28. Dezember 1993 ist niedergelegt:
„Im Übrigen bestimmt sich das Dienstverhältnis nach dem Normalvertrag Solo in
der jeweils geltenden Fassung und den ihn ändernden und ergänzenden oder an
seine Stelle tretenden Tarifverträgen sowie den sonstigen zwischen dem
Deutschen Bühnenverein - Bundesverband deutscher Theater und der
Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger für die auf Normalvertrag Solo
Beschäftigung vereinbarten Tarifverträgen.“
4 Der Normalvertrag Solo wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2003 durch den - vom
Deutschen Bühnenverein und der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger
geschlossenen - Normalvertrag (NV) Bühne vom 15. Oktober 2002 ersetzt.
5 Der NV Bühne hatte im Juli 2007 ua. folgenden Wortlaut:
㤠1
Geltungsbereich
(1) Dieser Tarifvertrag gilt für Solomitglieder und Bühnentechniker sowie
Opernchor- und Tanzgruppenmitglieder (im folgenden insgesamt als Mitglieder
bezeichnet) an Bühnen innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, die von einem
Lande oder von einer Gemeinde oder von mehreren Gemeinden oder von einem
Gemeindeverband oder mehreren Gemeindeverbänden ganz oder überwiegend
rechtlich oder wirtschaftlich getragen werden.
(2) Solomitglieder sind Einzeldarsteller einschließlich … Inspizienten … Souffleure
… sowie Personen in ähnlicher Stellung.
§ 2
Begründung des Arbeitsverhältnisses
(1) ...
(2) Der Arbeitsvertrag ist mit Rücksicht auf die künstlerischen Belange der Bühne
ein Zeitvertrag.
§ 53
Bühnenschiedsgerichtsbarkeit
Für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 2 Arbeitsgerichtsgesetz
zwischen den Arbeitsvertragsparteien sind unter Ausschluss der
Arbeitsgerichtsbarkeit ausschließlich die von den vertragschließenden Parteien
dieses Tarifvertrags nach Maßgabe der vereinbarten
Bühnenschiedsgerichtsordnungen eingesetzten Schiedsgerichte zuständig.
II.
Besonderer Teil
1. Abschnitt
Sonderregelungen (SR) Solo
...
§ 61
Nichtverlängerungsmitteilung - Solo
(1) Das Arbeitsverhältnis endet mit dem im Arbeitsvertrag vereinbarten Zeitpunkt.
(2) Ein mindestens für ein Jahr (Spielzeit) abgeschlossener Arbeitsvertrag
verlängert sich zu den gleichen Bedingungen um ein Jahr (Spielzeit), es sei denn,
eine Vertragspartei teilt der anderen bis zum 31. Oktober der Spielzeit, mit deren
Ablauf der Arbeitsvertrag endet, schriftlich mit, dass sie nicht beabsichtigt, den
Arbeitsvertrag zu verlängern (Nichtverlängerungsmitteilung). Besteht das
Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als acht Jahre
(Spielzeiten), muss die Nichtverlängerungsmitteilung der anderen Vertragspartei
bis zum 31. Juli der jeweils vorangegangenen Spielzeit schriftlich zugegangen
sein.
(3) Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als
15 Jahre (Spielzeiten), kann der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung
nach Absatz 2 nur aussprechen, um das Arbeitsverhältnis unter anderen
Vertragsbedingungen - auch außerhalb der im Arbeitsvertrag angegebenen
Bühne(n) (ein Arbeitgeber in selbstständiger Rechtsform auch bei seinem oder
einem seiner rechtlichen oder wirtschaftlichen Träger) - fortzusetzen.
Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als
15 Jahre (Spielzeiten) und hat das Solomitglied in dem Zeitpunkt, in dem die
Nichtverlängerungsmitteilung spätestens zugegangen sein muss (Absatz 2), das
55. Lebensjahr vollendet, kann der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung
nach Absatz 2 nur aussprechen, um das Arbeitsverhältnis unter anderen
Vertragsbedingungen bei der (den) im Arbeitsvertrag angegebenen Bühne(n)
fortzusetzen.
Besteht das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als
acht Jahre (Spielzeiten), können der Arbeitgeber und das Solomitglied vertraglich
vereinbaren, dass bis zu vier Spielzeiten der nachfolgenden Spielzeiten auf die 15
Jahre nach Unterabsatz 1 und 2 nicht angerechnet werden.
(4) Bevor der Arbeitgeber eine Nichtverlängerungsmitteilung ausspricht, hat er das
Solomitglied - … - zu hören. Das Solomitglied ist fünf Tage vor der Anhörung zur
Anhörung schriftlich einzuladen. Die Einladung zur Anhörung gilt als
ordnungsgemäß zugestellt, wenn der Arbeitgeber nachweist, dass die Absendung
der Einladung fünf Tage vor der Anhörung an die dem Arbeitgeber bekannte
Adresse erfolgt ist.
(5) … Unterlässt es der Arbeitgeber, das Solomitglied fristgerecht zu hören, ist die
Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam.“
6 Die Parteien haben außerdem vereinbart, dass über alle bürgerlich-rechtlichen
Streitigkeiten unter Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit die nach Maßgabe der
Bühnenschiedsgerichtsordnung eingesetzten Bühnenschiedsgerichte entscheiden. Der
Tarifvertrag über die Bühnenschiedsgerichtsbarkeit - Bühnenschiedsgerichtsordnung
(BSchGO) - vom 1. Oktober 1948 idF vom 15. Januar 2006 und vom 1. Januar 2009 lautet
auszugsweise:
㤠1
Geltungsbereich
(1) Über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten im Sinne des § 2 des
Arbeitsgerichtsgesetzes zwischen Theaterveranstaltern und Bühnenmitgliedern
entscheiden unter Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit ständige Schiedsgerichte.
(2) Bühnenmitglieder im Sinne dieses Tarifvertrages sind die auf Normalvertrag
Bühne beschäftigten Mitglieder.
§ 30
Berufung
(1) Gegen die Schiedssprüche der Bezirksschiedsgerichte ist die Berufung an das
Bühnenoberschiedsgericht zulässig, wenn der vom Bezirksschiedsgericht
festgesetzte Wert des Streitgegenstandes den Betrag von EUR 200,-, bei dem
Schiedsgericht für Chor und Tanz den Wert von EUR 100,- erreicht oder wenn das
Bezirksschiedsgericht im Schiedsspruch die Berufung wegen der grundsätzlichen
Bedeutung des Rechtsstreites zugelassen hat.
§ 31
Berufungsfrist
Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat. Sie ist eine Notfrist im
Sinne der ZPO und beginnt mit der Zustellung des Schiedsspruches.
§ 32
Einlegung der Berufung
(3) Nach Einlegung der Berufung fordert der Obmann des
Bühnenoberschiedsgerichts die Akten von dem Bezirksschiedsgericht an und
fordert den Berufungskläger auf, seine Berufung innerhalb bestimmter Frist
schriftlich zu begründen.
§ 39
Allgemeines
Soweit nicht in dieser Tarifvereinbarung etwas anderes bestimmt ist, gelten die
Bestimmungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, des Arbeitsgerichtsgesetzes und
der Zivilprozeßordnung entsprechend.“
7 Die Spielzeit 2006/2007 endete am 31. Juli 2007, die Spielzeit 2007/2008 am 31. Juli
2008. Mit Schreiben vom 17. Juli 2007 teilte die Klägerin der Beklagten nach einem am
16. Juli 2007 durchgeführten Anhörungsgespräch mit, dass ihr Vertrag nicht über den
31. Juli 2008 hinaus verlängert werde. Die Mitteilung ging der Beklagten am 17. Juli 2007
zu.
8 Am 31. Oktober 2007 erhob die Beklagte beim zuständigen Bezirksbühnenschiedsgericht
Schiedsklage mit dem Antrag festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die
Nichtverlängerungsmitteilung vom 17. Juli 2007 nicht beendet worden sei und über den
31. Juli 2008 hinaus fortbestehe. Sie machte im bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren die
Unwirksamkeit der Nichtverlängerungsanzeige unter mehreren Gesichtspunkten geltend.
Die Klägerin beantragte die Abweisung der Schiedsklage.
9 Das Bühnenschiedsgericht wies die Klage mit Schiedsspruch vom 10. März 2008 ab, gab
in den Gründen seines Spruchs aber an, es habe sich im Hinblick auf die Dauer des
Arbeitsverhältnisses „bei Beratung und Entscheidung von einer irrtümlichen Annahme
leiten lassen“. Weil das Arbeitsverhältnis der Parteien am Ende der Spielzeit
ununterbrochen mehr als 15 Jahre bestanden habe, habe die
Nichtverlängerungsmitteilung nur noch zur Änderung des Vertrags und nicht zu seiner
Beendigung ausgesprochen werden können.
10 Gegen den ihr am 15. April 2008 zugestellten Schiedsspruch legte die Beklagte am
13. Mai 2008 Berufung beim zuständigen Bühnenoberschiedsgericht ein. Mit Beschluss
vom 12. Juni 2008 setzte der Obmann des Bühnenoberschiedsgerichts der Beklagten eine
Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30. Juli 2008. Auf Antrag der Beklagten vom
22. Juli 2008 verlängerte er die Berufungsbegründungsfrist zunächst mit undatiertem
Beschluss bis zum 1. September 2008 und auf weiteren Antrag der Beklagten vom
7. August 2008 mit Beschluss vom 31. August 2008 bis zum 3. November 2008. Mit
Schriftsatz vom 27. Oktober 2008 begründete die Beklagte ihre Berufung. Das
Bühnenoberschiedsgericht änderte mit Schiedsspruch vom 6. Februar 2009 den
Schiedsspruch des Bezirksschiedsgerichts ab und gab der Schiedsklage statt.
11 Gegen diesen ihrem Prozessbevollmächtigten am 26. Juni 2009 zugestellten
Schiedsspruch hat die Klägerin am 8. Juli 2009 Aufhebungsklage beim Arbeitsgericht
erhoben und geltend gemacht, das Bühnenoberschiedsgericht habe die Berufung zu
Unrecht als zulässig angesehen. Zu einer nochmaligen Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist sei der Obmann nach § 39 BSchGO iVm. § 66 Abs. 1 Satz 5
ArbGG nicht berechtigt gewesen; auf diesem Verfahrensmangel beruhe der
Schiedsspruch. Auch sei das Bühnenoberschiedsgericht rechtsfehlerhaft davon
ausgegangen, mit der Nichtverlängerungsmitteilung vom 17. Juli 2007 habe das
Arbeitsverhältnis nach § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo nicht mehr beendet
werden können. Bei richtigem Verständnis dieser Tarifnorm komme es auf den Bestand
des Arbeitsverhältnisses in dem Zeitpunkt, in dem die Nichtverlängerungsmitteilung
spätestens zugehen müsse - vorliegend also den 31. Juli 2007 - an. In diesem Zeitpunkt
habe das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten erst 14 Jahre und 7 Monate bestanden; der
besondere Bestandsschutz nach § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo greife noch
nicht.
12 Die Klägerin hat beantragt,
1. den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts Frankfurt am Main vom
6. Februar 2009 - BOSchG 8/08 - aufzuheben und
2. die Klage der Aufhebungsbeklagten vom 31. Oktober 2007 abzuweisen;
3. hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit/Unbegründetheit des Antrags zu 2.
die Berufung der Aufhebungsbeklagten gegen den Schiedsspruch des
Bühnenschiedsgerichts Bezirksschiedsgericht Chemnitz vom 10. März 2008 -
Reg.-Nr. 28/07 - zurückzuweisen.
13 Die Beklagte hat beantragt, die Aufhebungsklage abzuweisen. Sie hat die Auffassung
vertreten, der Obmann des Bühnenoberschiedsgerichts habe die
Berufungsbegründungsfrist zu Recht mehrfach verlängert; auf diese gängige Praxis habe
sie im Übrigen auch vertrauen dürfen. Bei dem Tatbestandsmerkmal „Ende der Spielzeit“
iSd. § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo komme es auf den Zeitpunkt der
vorgesehenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses - vorliegend also auf den 31. Juli
2008 - an. Da in diesem Zeitpunkt das Arbeitsverhältnis ununterbrochen mehr als 15 Jahre
bestanden habe, habe eine Nichtverlängerungsmitteilung zur Beendigung des Vertrags
nicht mehr ausgesprochen werden können.
14 Das Arbeitsgericht hat die Aufhebungsklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat
die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin
weiterhin die Abweisung des von der Beklagten vor dem Bühnenschiedsgericht gestellten
und auf die Feststellung, das Arbeitsverhältnis sei nicht zum 31. Juli 2008 beendet
worden, gerichteten Sachantrags. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
15 Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen
die Aufhebungsklage abgewiesen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts
ist allerdings die Rüge der Klägerin zur Unzulässigkeit der Berufung im
bühnenschiedsgerichtlichen Verfahren von vornherein unbeachtlich. Ein
Aufhebungsbegehren iSv. § 110 ArbGG kann nicht auf die Verletzung tarifvertraglicher
Vorschriften über das Schiedsgerichtsverfahren gestützt werden. Im Übrigen haben die
Vorinstanzen zutreffend erkannt, dass die Nichtverlängerungsmitteilung der Klägerin vom
17. Juli 2007 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 31. Juli 2008 beendet hat.
16 A. Die Aufhebungsklage ist statthaft und auch sonst zulässig.
17 I. Nach § 110 Abs. 1 ArbGG kann auf Aufhebung eines Schiedsspruchs ua. geklagt
werden, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren unzulässig war (§ 110 Abs. 1 Nr. 1
ArbGG) oder wenn der Schiedsspruch auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht (§ 110
Abs. 1 Nr. 2 ArbGG). Die Klage ist nach § 110 Abs. 3 Satz 1 ArbGG binnen einer Notfrist
von zwei Wochen nach Zustellung des Schiedsspruchs zu erheben.
18 II. Vorliegend stützt die Klägerin ihr auf einen Schiedsspruch bezogenes
Aufhebungsbegehren zum einen auf einen - von ihr so bezeichneten - „Verfahrensmangel
iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG“, weil das Bühnenoberschiedsgericht die Berufung der
Beklagten gegen den Schiedsspruch des Bühnenschiedsgerichts zu Unrecht als zulässig
angesehen habe. Zum anderen rügt sie, das Bühnenoberschiedsgericht habe § 61 Abs. 3
NV Bühne-SR Solo fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Damit macht sie geltend, der
Schiedsspruch beruhe iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG auf der Verletzung einer
Rechtsnorm. Die zweiwöchige Klagefrist ist gewahrt.
19 B. Die Aufhebungsklage ist unbegründet.
20 I. Das Aufhebungsverfahren nach § 110 ArbGG ist in allen drei Instanzen der staatlichen
Gerichtsbarkeit ein revisionsähnliches Verfahren, in dem der Spruch des
Bühnenoberschiedsgerichts nur auf Rechtsfehler überprüft werden kann. Verfahrensfehler
können, soweit sie nicht auch in einem Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachten
wären, entsprechend § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO nur Berücksichtigung finden, wenn sie in
der durch § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO gebotenen Form vorgetragen werden
(vgl. BAG 16. Dezember 2010 - 6 AZR 487/09 - Rn. 14 mwN, EzA TVG § 4 Bühnen
Nr. 11). Materielle Rechtsfehler fallen unter § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG und sind in
entsprechender Anwendung des § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO von Amts wegen zu
berücksichtigen.
21 II. Hiernach haben die Vorinstanzen die Aufhebungsklage zu Recht als unbegründet
abgewiesen.
22 1. Es liegt kein Aufhebungsgrund iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG vor. Das
schiedsgerichtliche Verfahren war nicht „an sich“ unzulässig. Die Unwirksamkeit der
Nichtverlängerungsmitteilung war von der Beklagten nach § 101 Abs. 2 Satz 1 ArbGG vor
dem Bühnenschiedsgericht geltend zu machen, da sich das Arbeitsverhältnis der Parteien
„nach einem Tarifvertrag bestimmt“ im Sinn dieser Vorschrift. Der NV Bühne umfasst nach
seinem persönlichen Geltungsbereich überwiegend „Bühnenkünstler“ nach § 101 Abs. 2
Satz 1 ArbGG (vgl. § 1 Abs. 1 NV Bühne) und schließt die Arbeitsgerichtsbarkeit
ausdrücklich aus (vgl. § 53 NV Bühne). Allerdings gilt eine Vereinbarung der
Tarifvertragsparteien, mit der sie bei Bestehen von Schiedsgerichten die staatliche
Arbeitsgerichtsbarkeit ausschließen, in erster Linie für tarifgebundene Personen (§ 101
Abs. 2 Satz 2 ArbGG). Ob die Klägerin tarifgebunden ist, ist von den Vorinstanzen nicht
festgestellt worden. Darauf kommt es aber vorliegend im Ergebnis auch nicht an. Die
entsprechende Vereinbarung der Tarifvertragsparteien gilt auch dann, wenn die
betreffenden tariflichen Bestimmungen aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung zur
Anwendung kommen (§ 101 Abs. 2 Satz 3 ArbGG) und es sich um ein Arbeitsverhältnis
handelt, das nach dem konkreten Inhalt der ausgeübten Tätigkeit einer Berufsgruppe
zuzuordnen ist, für die nach § 101 Abs. 2 Satz 1 ArbGG bei Tarifgebundenheit der Vorrang
der Schiedsgerichtsbarkeit wirksam geregelt werden kann (vgl. BAG 25. Februar 2009 -
7 AZR 942/07 - Rn. 18 mwN, bühnengenossenschaft 2010, Nr. 6-7, 8; 6. August 1997 -
7 AZR 156/96 - zu I 2 der Gründe, BAGE 86, 190; GK-ArbGG/Mikosch Stand Oktober
2008 § 101 Rn. 27 mwN). Dies ist hier der Fall. Die Parteien haben vereinbart, dass sich
ihr Arbeitsverhältnis nach dem „Normalvertrag Solo in der jeweils geltenden Fassung und
den ihn ändernden und ergänzenden oder an seine Stelle tretenden Tarifverträgen sowie
den sonstigen zwischen dem Deutschen Bühnenverein - Bundesverband deutscher
Theater und der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger für die auf Normalvertrag
Solo Beschäftigung vereinbarten Tarifverträgen“ richtet. Der NV Bühne ist an die Stelle
des Normalvertrags Solo getreten (vgl. Hk-NV Bühne-Nix/Herdlein 2. Aufl. Einleitung
Rn. 1). Die Beklagte gehört als „Souffleuse/Inspizientin mit Spielverpflichtung“ einer
Berufsgruppe an, für die eine einzelvertragliche Schiedsvereinbarung zulässig ist.
23 2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht geprüft, ob die von der Klägerin erhobene
Rüge im Hinblick auf die von ihr angenommene Unzulässigkeit des schiedsgerichtlichen
Berufungsverfahrens wegen der zweimaligen Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist im bühnenoberschiedsgerichtlichen (Berufungs-)Verfahren
begründet ist. Auf diese Rüge kann die Aufhebungsklage nicht gestützt werden. Es
handelt sich weder um einen Verfahrensfehler iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG noch um die
Verletzung einer Rechtsnorm iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG. Der Rechtsfehler wirkt sich
aber nicht aus (§ 561 ZPO), da das Landesarbeitsgericht einen beachtlichen
Verfahrensverstoß verneint hat.
24 a) Nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG kann auf Aufhebung eines Schiedsspruchs
geklagt werden, wenn das schiedsgerichtliche Verfahren unzulässig war oder wenn der
Schiedsspruch auf der Verletzung einer Rechtsnorm beruht. Hierunter fallen Verstöße
gegen tarifvertragliche Vorschriften über das schiedsgerichtliche Verfahren nicht.
Allerdings können Verfahrensfehler des Schiedsgerichts - insbesondere Verstöße gegen
§§ 105 ff. ArbGG - einen Aufhebungsgrund iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG darstellen (vgl.
GMP/Germelmann ArbGG 7. Aufl. § 110 Rn. 8 mwN). Auch sind materiell-rechtliche
tarifliche Bestimmungen Rechtsnormen iSv. § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG (vgl. BAG 2. Juli
2003 - 7 AZR 613/02 - zu I 2 der Gründe, AP BGB § 611 Musiker Nr. 39). Die Verletzung
tarifvertraglicher Vorschriften über das schiedsgerichtliche Verfahren kann aber weder
nach § 110 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG noch nach § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG mit einer
Aufhebungsklage erfolgreich gerügt werden.
25 aa) Das Arbeitsgerichtsgesetz regelt in seinen §§ 102 ff. die Einzelheiten des
schiedsgerichtlichen Verfahrens nicht vollständig. Gemäß § 104 ArbGG bestimmt sich das
Verfahren vor dem Schiedsgericht nach §§ 105 bis 110 ArbGG und dem Schiedsvertrag,
im Übrigen nach dem freien Ermessen des Schiedsgerichts. Daraus folgt, dass nur
Verstöße gegen die im Arbeitsgerichtsgesetz geregelten Verfahrensvorschriften - also zB
eine Verletzung des Grundsatzes der vorherigen Anhörung der Parteien nach § 105 Abs. 1
ArbGG - einen Aufhebungsgrund abgeben können (ähnlich bereits BAG 12. Mai 1982 -
4 AZR 510/81 - BAGE 38, 383). Die tarifvertragliche Ausgestaltung des
Schiedsgerichtsverfahrens darf bereits aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht
dazu führen, dass die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung eines in der Sache
ergangenen Schiedsspruchs nach Maßgabe des § 110 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG verhindert
wird.
26 bb) Die Klage nach § 110 ArbGG richtet sich auf die Aufhebung „des Schiedsspruchs“.
Das drückt aus, dass die schiedsgerichtliche Entscheidung in der Sache - und nicht die
über die Eröffnung eines weiteren Instanzenzugs im schiedsgerichtlichen Verfahren oder
über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines diesbezüglichen Rechtsmittels - einer
Aufhebung zugänglich sein soll. Entsprechend sind das Verfahren vor der
Bühnenschiedsgerichtsbarkeit und das arbeitsgerichtliche Aufhebungsverfahren nach
§ 110 ArbGG auch nicht etwa als einheitlicher Instanzenzug ausgestaltet. Mit der
Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts ist das Bühnenschiedsgerichtsverfahren
verbraucht (aA aber GMP/Germelmann ArbGG § 110 Rn. 26). Gegenstand des
Aufhebungsverfahrens nach § 110 ArbGG sind nicht die vom Bühnenschiedsgericht und
Bühnenoberschiedsgericht getroffenen Entscheidungen, sondern das vor dem
Schiedsgericht anhängig gemachte Sachbegehren (vgl. zu alldem [in der Konstellation,
dass der Kläger im Schiedsverfahren auch Kläger der Aufhebungsklage ist] BAG
12. Januar 2000 - 7 AZR 925/98 - zu A der Gründe mwN, AP BGB § 611 Musiker Nr. 30 =
EzA TVG § 4 Bühnen Nr. 8). Dieses muss unabhängig von der jeweiligen
tarifvertraglichen Ausgestaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens einer Überprüfung
nach § 110 Abs. 1 ArbGG zugeführt werden können.
27 b) Demnach kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob das
Bühnenoberschiedsgericht zutreffend von der Zulässigkeit der Berufung der Beklagten
gegen den Spruch des Bezirksbühnenschiedsgerichts ausgegangen ist. Selbst wenn das
Bühnenoberschiedsgericht die tarifvertragliche Verfahrensordnung falsch angewandt
hätte, dürfte im Rahmen der Aufhebungsklage nicht etwa die Berufung der Beklagten
gegen den Spruch des Bühnenschiedsgerichts als unzulässig verworfen werden.
Vielmehr müsste auch dann das Sachbegehren der Beklagten im schiedsgerichtlichen
Verfahren einer Bescheidung durch die Gerichte für Arbeitssachen zugeführt werden.
28 3. Der Schiedsspruch - in Gestalt der Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts -
beruht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht auf einer fehlerhaften Auslegung und
Anwendung des § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo. Zu Recht haben die
Vorinstanzen erkannt, dass die Beklagte unter diese besondere tarifliche
Bestandsschutzvorschrift fällt und daher die Nichtverlängerungsmitteilung vom 17. Juli
2007 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wirksam zum 31. Juli 2008 beendet hat.
29 a) Nach § 61 Abs. 1 NV Bühne-SR Solo endet das Arbeitsverhältnis mit dem im
Arbeitsvertrag genannten Zeitpunkt. Es verlängert sich zu den Bedingungen dieses
Zeitvertrags um ein weiteres Jahr (Spielzeit), wenn keine der Vertragsparteien schriftlich
eine Nichtverlängerungsmitteilung erklärt (vgl. § 61 Abs. 2 Satz 1 NV Bühne-SR Solo).
Besteht das Arbeitsverhältnis der Parteien am Ende einer Spielzeit ohne Unterbrechung
mehr als 15 Jahre (Spielzeiten), schränkt § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo das
Recht des Arbeitgebers ein, durch Abgabe einer Erklärung die weitere Fortführung des
Arbeitsverhältnisses zu hindern. Er ist nur noch berechtigt, durch
Nichtverlängerungsmitteilung die bisher für das Vertragsverhältnis geltenden
Arbeitsbedingungen zu ändern. § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo dient damit
dem Bestandsschutz, nicht aber dem Inhaltsschutz (vgl. zur inhaltsgleichen
Vorgängerbestimmung nach § 2 Abs. 3 des Tarifvertrags über die Mitteilungspflicht vom
23. November 1977 zB BAG 24. September 1986 - 7 AZR 663/84 - zu II 1 b der Gründe,
BAGE 53, 108). Anders als die Klägerin meint, knüpft der besondere
Bestandsschutztatbestand nicht an die ununterbrochene Dauer des Arbeitsverhältnisses
zum Ende derjenigen Spielzeit an, in der die Nichtverlängerung ausgesprochen werden
muss. Dies ergibt die Auslegung der Tarifvorschrift.
30 aa) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln (BAG 24. August 2011 - 4 ABR 122/09 - Rn. 15 mwN). Danach ist vom
Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist,
ohne am Buchstaben der Tarifnorm zu haften. Bei nicht eindeutigem Wortsinn ist der
wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen
Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist dabei stets auf den tariflichen
Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der
Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt
werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die
Gerichte für Arbeitssachen - ohne Bindung an eine Reihenfolge - weitere Kriterien, wie die
Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags oder die praktische Tarifübung, ergänzend
heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu
berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer
vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung
führt (vgl. zB BAG 4. April 2001 - 4 AZR 180/00 - zu I 2 a der Gründe, BAGE 97, 271).
31 bb) Nach diesen Kriterien meint § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo nicht das
Ende der Spielzeit, in der die Nichtverlängerungsmitteilung zugegangen sein muss,
sondern das Ende der Spielzeit, in der das (verlängerte) Arbeitsverhältnis (noch) besteht.
32 (1) Hierauf deuten zunächst der Wortlaut und grammatikalische Ausdruck der
Tarifvorschrift. § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo legt als
Tatbestandsvoraussetzung für die Eröffnung des besonderen Bestandsschutzes eine
bestimmte Dauer des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Zeitpunkt fest. Dieser
spielzeitende-beschriebene Zeitpunkt ist mit Bezug auf den „Bestand“ des
Beschäftigungsverhältnisses formuliert, womit eher das Ende der Spielzeit, zu der sich
nach § 61 Abs. 2 Satz 1 NV Bühne-SR Solo das Arbeitsverhältnis jeweils verlängert hat,
gemeint ist. Eine andere Interpretation scheint nach dem Wortsinn zwar nicht
ausgeschlossen. Der „Stichtag“ kann sich auch, wie die Klägerin meint, auf das Ende der
Spielzeit beziehen, in der die Nichtverlängerungsmitteilung ausgesprochen wird.
Zwingend ist dies aber nicht. Entgegen der Ansicht der Revision ist der „Ausspruch der
Nichtverlängerungsmitteilung“ nach der tariflichen Bestimmung nicht das „maßgebliche
Ereignis“; auch sind weder Wortsinn noch Syntax eindeutig mit dem „Ende der Spielzeit“,
in die der Ausspruch der Nichtverlängerungsmitteilung fällt, verknüpft.
33 (2) Der tarifliche Gesamtzusammenhang spricht deutlich für ein Verständnis dahin gehend,
dass das „Ende einer Spielzeit“ nach § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo die
Spielzeit meint, während der das (verlängerte) Arbeitsverhältnis besteht. § 61 Abs. 2
Satz 1 NV Bühne-SR Solo legt den (Zugangs-)Zeitpunkt der Nichtverlängerungsmitteilung
in Abhängigkeit von der „Spielzeit, mit deren Ablauf der Arbeitsvertrag endet“, fest. Für
langjährig Beschäftigte ist dieser Zeitpunkt nach § 61 Abs. 2 Satz 2 NV Bühne SR-Solo
„vorverlegt“. Der in § 61 Abs. 2 Satz 2 NV Bühne-SR Solo verwandte Ausdruck „Besteht
das Arbeitsverhältnis am Ende einer Spielzeit ununterbrochen mehr als acht Jahre
(Spielzeiten) …“ kann in diesem Kontext nur diejenige Spielzeit meinen, in der das
(verlängerte) Arbeitsverhältnis besteht. Anders wäre der vorgezogene Zugangszeitpunkt
für die Nichtverlängerungsmitteilung nach § 61 Abs. 2 Satz 2 NV Bühne-SR Solo im
Zusammenhang mit der Verlängerungsfiktion des § 61 Abs. 2 Satz 1 NV Bühne-SR Solo
(Verlängerung „um ein Jahr/Spielzeit“) weitgehend sinnentleert. Dass die
Tarifvertragsparteien aber bei der gleichen Sprachwendung in § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV
Bühne-SR Solo einen inhaltlich anderen Anknüpfungspunkt bei der „Berechnung“ der den
Bestandsschutz auslösenden Dauer des Arbeitsverhältnisses regeln wollten, ist eher
fernliegend. Überzeugend hat das Landesarbeitsgerichts schließlich auch auf Folgendes
hingewiesen: Weil im Fall des § 61 Abs. 3 Satz 1 NV Bühne-SR Solo („mehr als fünfzehn
Jahre“) stets auch ein Fall des § 61 Abs. 2 Satz 2 NV Bühne-SR Solo liegt („mehr als acht
Jahre“), erscheint es konsequent, bei den beiden tariflichen Vorschriften die Dauer der
„Betriebszugehörigkeit“ nicht nach unterschiedlichen Kriterien zu bestimmen. Entgegen
der Auffassung der Klägerin wird dieses Auslegungsergebnis durch einen systematischen
Vergleich mit § 61 Abs. 3 Unterabs. 2 NV Bühne-SR Solo bestätigt: Diese Tarifvorschrift
setzt neben dem Zeitpunkt „Ende einer Spielzeit“, zu dem das Arbeitsverhältnis mehr als
15 Jahre (Spielzeiten) bestanden haben muss, noch die Vollendung des 55. Lebensjahres
voraus. Bei letzterer - auf das Lebensalter bezogener - Tatbestandsvoraussetzung ist kein
„spielzeitende-abhängiger“ Termin festgelegt, sondern der Zeitpunkt, in dem „die
Nichtverlängerungsmitteilung spätestens zugegangen sein muss“. Das spricht dafür, dass
die Tarifvertragsparteien das Tatbestandsmerkmal „Ende einer Spielzeit“ gerade nicht
bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die Nichtverlängerungsmitteilung spätestens
zugegangen sein muss, verstanden wissen wollten.
34 (3) Dieses Verständnis von § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo entspricht Sinn
und Zweck der Regelung. Die Tarifvertragsparteien haben bei einer langjährigen
Beschäftigung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf und
Nichtverlängerungsmitteilung ausschließen wollen. Ein mehr als 15 Jahre bestehendes
Arbeitsverhältnis soll einem erhöhten Bestandsschutz unterfallen und nicht mehr
automatisch enden, wenn der Arbeitgeber von der Möglichkeit der
Nichtverlängerungsmitteilung Gebrauch gemacht hat. Daher ist es folgerichtig, für die
Feststellung des mehr als 15-jährigen Bestands des Arbeitsverhältnisses auf dessen Ende
und nicht auf das Ende der Spielzeit abzustellen, in der die Nichtverlängerungsmitteilung
zugeht. Dem steht nicht entgegen, dass für den besonderen tarifvertraglichen
Kündigungsschutz - etwa nach § 53 Abs. 3 Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) oder
§ 44 des Tarifvertrags für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) - der Zugang der
Kündigung maßgeblich ist. Vielmehr bestehen insoweit strukturelle Unterschiede. Ein dem
Geltungsbereich des NV Bühne unterfallender Arbeitsvertrag ist regelmäßig nicht
unbefristet. Er ist vielmehr nach § 2 Abs. 2 NV Bühne ein Zeitvertrag, der nach § 61 Abs. 1
NV Bühne-SR Solo mit dem vertraglich vereinbarten Zeitpunkt endet, sich aber nach
Maßgabe des § 61 Abs. 2 NV Bühne-SR Solo verlängert, wenn eine
Nichtverlängerungsmitteilung unterbleibt. Die Möglichkeit der Nichtverlängerung wird bei
einer bestimmten Vertragsdauer durch § 61 Abs. 3 NV Bühne-SR Solo eingeschränkt.
35 (4) Das Auslegungsergebnis von § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo, nach dem
es auf das Ende der Spielzeit, in der das Arbeitsverhältnis besteht, ankommt, wird - ohne
dass dies aber letztlich ausschlaggebend wäre - durch die aktuelle Tarifentwicklung
gestützt. Mit dem Fünften Tarifvertrag vom 14. Februar 2011 zur Änderung des
Normalvertrags Bühne vom 15. Oktober 2002 (veröffentl. zB im Staatsanzeiger für das
Land Hessen 2011 Nr. 16 S. 630 f.) haben die Tarifvertragsparteien die Vorschrift des § 61
NV Bühne-SR Solo geändert und in Abs. 3 Unterabs. 1, Unterabs. 2 und Unterabs. 3
jeweils vor dem Wort „ununterbrochen“ die Worte „bei derselben Bühne“ eingefügt. Im
Zeitpunkt der Tarifänderungen waren der hier von der Aufhebungsklage betroffene Spruch
des Bühnenoberschiedsgerichts sowie die Entscheidungen des Arbeitsgerichts und des
Landesarbeitsgerichts zu dem Verständnis von § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR
Solo getroffen und dürften - zumindest der fachinteressierten Öffentlichkeit - bekannt
gewesen sein. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit trotz vereinbarter Änderungen von
§ 61 Abs. 3 NV Bühne-SR Solo keinen Klarstellungs- oder Modifizierungsbedarf gesehen.
Auch mit dem Sechsten Tarifvertrag vom 15. April 2011 zur Änderung des Normalvertrags
Bühne vom 15. Oktober 2002 (bekannt gemacht ua. im Ministerialblatt des Sächsischen
Staatsministeriums der Finanzen Nr. 4/2011 S. 37) ist § 61 Abs. 3 NV Bühne-SR Solo
nicht verändert - oder auch nur sprachlich überarbeitet - worden. Dies spricht dafür, dass
das von den Bühnenschiedsgerichten und auch den Vorinstanzen angenommene
Auslegungsergebnis jedenfalls nicht dem Willen der Tarifvertragsparteien widerspricht.
36 b) Demnach hat die Nichtverlängerungsmitteilung der Klägerin vom 17. Juli 2007 das
Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht wirksam beendet. Das am 1. Januar 1993
begründete und sich nach § 61 Abs. 2 NV Bühne-SR Solo jeweils um ein Jahr (Spielzeit)
verlängernde Arbeitsverhältnis hat am 31. Juli 2008 - dem maßgeblichen Zeitpunkt „am
Ende einer Spielzeit“ iSv. § 61 Abs. 3 Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo - mehr als 15 Jahre
(Spielzeiten) bestanden. Eine Nichtverlängerungsmitteilung konnte nach § 61 Abs. 3
Unterabs. 1 NV Bühne-SR Solo nur noch ausgesprochen werden, um das
Arbeitsverhältnis zu anderen Vertragsbedingungen fortzusetzen.
37 C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Linsenmaier
Gallner
Schmidt
Holzhausen
Glock