Urteil des BAG vom 17.07.2008

BAG: Auswirkungen des Inkrafttretens des TVöD, ortszuschlag, konkurrenzklausel, anteil, bestandteil, besitzstandswahrung, auszahlung, zusammensetzung, entlastung, tarifvertrag

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 17.7.2008, 6 AZR 635/07
Ortszuschlag - Konkurrenzklausel - Auswirkungen des Inkrafttretens des TVöD
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Baden-Württemberg vom 11. Juli 2007 - 17 Sa 58/06 - wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin seit dem 1. Oktober 2005 zustehenden
Ortszuschlags.
2 Die Klägerin ist verheiratet und arbeitet seit 1. April 2000 als Heilerziehungspflegerin bei der
Beklagten. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Richtlinien für Arbeitsverhältnisse in
den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Der Ehemann der Klägerin
ist bei der S GmbH beschäftigt. Bis zum 30. September 2005 galt für dieses Arbeitsverhältnis der
Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT), seit dem 1. Oktober 2005 findet darauf der Tarifvertrag für
den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Der Ehemann der Klägerin erhielt bis zum
30. September 2005 einen Ortszuschlag der Stufe 2 nach dem BAT, der bei der Ermittlung des
Vergleichsentgelts für die Zuordnung zu den Stufen der Entgelttabelle des TVöD Berücksichtigung
fand. Die Beklagte zahlt der Klägerin auch seit dem 1. Oktober 2005 unter Berufung auf die
Konkurrenzklausel der Anlage 1 V (h) Unterabs. 2 der AVR weiterhin nur einen Ortszuschlag der
Stufe 1. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die monatliche Differenz zum Ortszuschlag der Stufe 2
für die Monate Oktober 2005 bis einschließlich August 2006 in rechnerisch unstreitiger Höhe.
3 Anlage 1 V (h) der AVR bestimmt zum Ortszuschlag:
“Sind beide Ehegatten im Geltungsbereich der AVR oder in einem anderen Tätigkeitsbereich
der katholischen Kirche vollbeschäftigt und stünde ihnen der Ortszuschlag der Stufe 2 oder
einer der folgenden Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe des
Unterschiedsbetrages zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlags der
Tarifklasse Ib zu, so erhält der Mitarbeiter den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und
der Stufe 2 des Ortszuschlages zur Hälfte. …
Ist der Ehegatte des Mitarbeiters außerhalb der in Unterabs. 1 Satz 1 genannten Bereiche
tätig oder nach beamtenrechtlichen Grundsätzen versorgungsberechtigt und hat er
Anspruch auf Ortszuschlag oder entsprechende Leistungen wesentlich gleichen Inhalts in
Höhe der Stufe 2 oder einer der folgenden Stufen oder auf Familienzuschlag der Stufe 1 oder
einer der folgenden Stufen oder eine entsprechende Leistung in Höhe von mindestens dem
Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und der Stufe 2 des Ortszuschlags der
Tarifklasse Ib, so erhält der Mitarbeiter den Ortszuschlag der Stufe 1. …”
4 Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ab 1. Oktober 2005 habe sie Anspruch auf Zahlung des
Ortszuschlags der Stufe 2, weil seitdem die Voraussetzungen der Konkurrenzregelung in
Anlage 1 V (h) der AVR entfallen seien. Ihr Ehemann habe seitdem weder Anspruch auf
Ortszuschlag noch auf eine entsprechende Leistung wesentlich gleichen Inhalts.
5 Die Klägerin hat beantragt:
1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 427,60 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten
Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,90 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten
Zinsen über dem Basiszinssatz seit 1. Juli 2006 zu bezahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 102,90 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten
Zinsen über dem Basiszinssatz seit 1. September 2006 zu bezahlen.
6 Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klagabweisungsantrags geltend gemacht, die
Berücksichtigung des Ortszuschlags der Stufe 2 bei der Ermittlung des Vergleichsentgelts gem. § 5
Abs. 2 TVÜ-VKA habe eine soziale Ausgleichsfunktion und deshalb einen wesentlich gleichen Inhalt
wie der Ortszuschlag. Der Ehemann der Klägerin beziehe auch nach dem 30. September 2005 ein
der Höhe nach unverändertes Bruttoentgelt. Nach dem Grundgedanken der Konkurrenzklausel der
AVR sei aber ein Doppelbezug des vollen Ortszuschlags durch beide Ehegatten ausgeschlossen.
7 Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin
Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
8 I. Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben. Der
Klägerin steht seit dem 1. Oktober 2005 der Ortszuschlag der Stufe 2 gem. Anlage 1 V (e) Nr. 1
der AVR zu. Seit Inkrafttreten des TVöD liegen die Voraussetzungen für eine Kürzung des
Ortszuschlags nach der Anlage 1 V (h) 2. Unterabs. Satz 1 der AVR nicht mehr vor. Der
Ehemann der Klägerin hat seit diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Zahlung eines
Ortszuschlags mehr. Er bezieht auch keine Leistung, die einen wesentlich gleichen Inhalt wie der
Ortszuschlag hat. Dies ergibt die Auslegung der Konkurrenzklausel.
9 1. Die Arbeitsvertragsrichtlinien entfalten nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts keine normative Wirkung, sondern bedürfen der einzelvertraglichen
Inbezugnahme, um auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung zu finden. Gleichwohl erfolgt die
Auslegung dieser Richtlinien nach den gleichen Grundsätzen, die für die Tarifauslegung gelten.
Danach ist vom Wortlaut der AVR auszugehen und dabei deren maßgeblicher Sinn zu erforschen,
ohne am Wortlaut zu haften. Der wirkliche Wille der Richtliniengeber und der damit von ihnen
beabsichtigte Sinn und Zweck der Bestimmungen ist mitzuberücksichtigen, soweit sie in den
Richtlinien ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den systematischen Zusammenhang der
AVR ist abzustellen (BAG 14. Januar 2004 - 10 AZR 188/03 - AP AVR Caritasverband Anlage 1
Nr. 3, zu II 2 a der Gründe) .
10 a) Der nach Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR an verheiratete Mitarbeiter gezahlte Ortszuschlag der
Stufe 2 stellt keine Gegenleistung für erbrachte Leistungen, sondern einen sozialen Ausgleich dar,
der sich aus den mit einer Ehe typischerweise verbundenen finanziellen Belastungen ungeachtet
einer konkreten Bedarfssituation ergibt. Ihm kommt somit in erster Linie eine soziale,
familienstandsbezogene Ausgleichsfunktion zu (vgl. BVerfG 15. Oktober 1985 - 2 BvL 4/83 -
BVerfGE 71, 39, 62; Senat 27. April 2006 - 6 AZR 437/05 - BAGE 118, 123, 127, 130) . Mit der
Konkurrenzklausel nach Anlage 1 V (h) der AVR wird eine Entlastung kirchlicher Einrichtungen
durch die Beschränkung auf eine nachrangige Verpflichtung in den Fällen erreicht, in denen der
Ehegatte des Mitarbeiters im außerkirchlichen Bereich beschäftigt ist und Anspruch auf den vollen
Ortszuschlag der Stufe 2 hat. Dann entfällt der Anspruch des kirchlichen Mitarbeiters auf den
ehegattenbezogenen Anteil des Ortszuschlags (Senat 26. November 1998 - 6 AZR 296/97 -, zu
I 1 b der Gründe) .
11 b) Nach Wortlaut und Regelungszweck der Konkurrenzklausel in Anlage 1 V (h) Unterabs. 2
Satz 1 der AVR soll der kirchliche Arbeitgeber von der an sich nach Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR
bestehenden Verpflichtung, an den Mitarbeiter den familienstandsbezogenen Anteil des
Ortszuschlags zu zahlen, also nur entbunden sein, wenn dessen bei einem Arbeitgeber im
außerkirchlichen Bereich beschäftigter Ehegatte entweder einen Ortszuschlag der Stufe 2 gezahlt
bekommt oder jedenfalls eine Leistung erhält, die eine dem Ortszuschlag der Stufe 2
entsprechende soziale familienstandsbezogene Ausgleichsfunktion hat. Dies setzt nicht voraus,
dass eine der Bezeichnung oder der Höhe nach mit dem Ortszuschlag der Stufe 2 identische
Zahlung erfolgt. Erforderlich ist aber, dass die vom Arbeitgeber des Ehegatten des kirchlichen
Mitarbeiters gezahlte Leistung ihrem Wesen und ihrer Struktur nach den gleichen Inhalt hat wie der
Ortszuschlag der Stufe 2. Deshalb muss die vom Ehegatten des kirchlichen Mitarbeiters
bezogene Leistung wie der Ortszuschlag der Stufe 2 an den Familienstand anknüpfen und von ihm
abhängen (vgl. BVerwG 15. November 2001 - 2 C 69/00 - DVBl. 2002, 780, zu § 40 Abs. 6
BBesG) .
12 c) Der Ehemann der Klägerin hat zwar zum 1. Oktober 2005 ein gegenüber dem Bezug im
Vormonat der Höhe nach unverändertes Entgelt erhalten. Der ihm bis dahin gezahlte Ortszuschlag
der Stufe 2 wurde nämlich gem. § 5 des Tarifvertrags zur Überleitung der Beschäftigten der
kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) in das
Vergleichsentgelt einbezogen, nach dem die Zuordnung zu den Stufen der Entgelttabelle des
TVöD erfolgte. Der Ehemann der Klägerin ist gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA einer diesem
Vergleichsentgelt entsprechenden individuellen Zwischenstufe der gem. § 4 TVÜ-VKA bestimmten
Entgeltgruppe zugeordnet worden.
13 Bereits mit Bildung des Vergleichsentgelts hat der bis zum 30. September 2005 an den Ehemann
der Klägerin gezahlte Ortszuschlag der Stufe 2 jedoch seinen bis dahin bestehenden Charakter
eines sozialen Ausgleichs für die mit dem Familienstand der Ehe verbundenen finanziellen
Belastungen verloren. Deshalb bezieht ein im öffentlichen Dienst beschäftigter, in den TVöD
übergeleiteter Ehegatte eines kirchlichen Mitarbeiters seit dem 1. Oktober 2005 auch dann keine
Leistung mehr, die wesentlich gleichen Inhalts mit dem familienstandsbezogenen Anteil des
Ortszuschlags ist, wenn in die Berechnung seines Vergleichsentgelts nach § 5 TVÜ-VKA der
Ortszuschlag der Stufe 2 in voller Höhe eingeflossen ist. Der Ortszuschlag der Stufe 2 war zwar
bis zum 30. September 2007 als Bestandteil des Vergleichsentgelts noch rechnerisch ermittelbar.
Schon in diesem Zeitraum hatten Änderungen des Familienstands aber keine Neuberechnung des
Vergleichsentgelts mehr zur Folge, während es für den Ortszuschlag kennzeichnend und
wesenstypisch war, dass er bei Änderungen der Familienverhältnisse überprüft und
gegebenenfalls dem geänderten Familienstand angepasst wurde. Ungeachtet eines etwaigen
familienpolitisch unterlegten Motivs, den Ortszuschlag der Stufe 2 in die Berechnung des
Vergleichsentgelts einzubeziehen, war das Entgelt im Geltungsbereich des TVöD damit bereits in
dem für die Klage erheblichen Zeitraum von Oktober 2005 bis einschließlich August 2006 in seiner
Zusammensetzung strukturell grundsätzlich geändert. Die unter der Geltung der abgelösten
Tarifverträge des öffentlichen Dienstes verfolgte familienstandsbezogene Ausgleichsfunktion eines
Teils des Entgelts ist seit Inkrafttreten des TVöD zugunsten eines reinen Leistungscharakters des
Entgelts aufgegeben worden. Seitdem wird der Familienstand bei der Bemessung des Entgelts
nicht mehr berücksichtigt. Soweit der Ortszuschlag der Stufe 2 in die Berechnung des
Vergleichsentgelts eingeflossen ist, diente dies der Besitzstandswahrung entsprechend dem
Status des Arbeitnehmers am Stichtag 30. September 2005. Änderungen des Familienstands
nach diesem Zeitpunkt beeinflussten und beeinflussen die Höhe des Entgelts weder zu Gunsten
noch zu Lasten des Arbeitnehmers.
14 d) Dies wird bestätigt durch die zum 1. Oktober 2007 erfolgte vollständige Überführung der in den
TVöD übergeleiteten Arbeitnehmer in die neue Entgelttabelle gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA.
Seitdem ist auch rechnerisch nicht mehr ermittelbar, in welcher Höhe der frühere Ortszuschlag
Teil des nunmehr gezahlten Entgelts ist. Seit diesem Zeitpunkt hängt es vielmehr von
Zufälligkeiten ab, ob der früher nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes gewährte
Ehegattenanteil des Ortszuschlags zu einer - ggf. sogar überproportionalen - Erhöhung des nach
dem TVöD zu zahlenden Entgelts geführt hat, oder ob der frühere Vorteil durch die Zahlung des
Ortszuschlags der Stufe 2 nach dem Aufstieg in die nächsthöhere reguläre Stufe der
Entgeltgruppe nach § 6 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA vollständig aufgezehrt worden ist.
15 2. Da der Arbeitgeber des Ehegatten der Klägerin den Familienstand seit dem 1. Oktober 2005
nicht mehr durch Auszahlung eines Ehegattenanteils im Ortszuschlag berücksichtigt, muss die
Beklagte seit diesem Zeitpunkt an die Klägerin den Ortszuschlag der Stufe 2 zahlen, wie es in
Anlage 1 V (e) Nr. 1 der AVR vorgesehen ist. Sie kann die Klägerin und ihren Ehegatten nicht
mehr auf einen vorrangig vom Arbeitgeber des Ehemanns der Klägerin zu zahlenden sozialen
Ausgleich für den Familienstand verweisen, weil ein solcher sozialer Ausgleich nicht mehr erfolgt.
16 II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Fischermeier
Linck
Spelge
B. Schipp
Sieberts