Urteil des BAG vom 13.03.2013

Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Betriebsratsgröße

Siehe auch:
Pressemitteilung Nr. 18/13 vom 13.3.2013
BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 13.3.2013, 7 ABR
69/11
Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei Betriebsratsgröße
Leitsätze
Im Entleiherbetrieb regelmäßig beschäftigte Leiharbeitnehmer sind bei der Größe des
Betriebsrats grundsätzlich zu berücksichtigen.
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1. bis 14. wird der
Beschluss des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 2. August 2011 -
7 TaBV 66/10 - aufgehoben.
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. bis 14. wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Nürnberg vom 4. November 2010 - 8 BV 81/10 -
abgeändert.
Die Wahl des Betriebsrats wird für unwirksam erklärt.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Kern der
Auseinandersetzung ist, ob die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer bei Anwendung
von § 9 Satz 1 BetrVG mitzuzählen sind.
2 Im Betrieb der Arbeitgeberin fand am 29./30. März 2010 eine Betriebsratswahl statt. Bei
Erlass des Wahlausschreibens waren in dem Betrieb regelmäßig 879 Stammarbeitnehmer
und 292 Leiharbeitnehmer beschäftigt. Der Wahlvorstand hatte unter Berücksichtigung der
Leiharbeitnehmer zunächst die Wahl eines 15-köpfigen Betriebsrats ausgeschrieben. In
einem einstweiligen Verfügungsverfahren wurde ihm vom Arbeitsgericht aufgegeben, das
Wahlverfahren abzubrechen und die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats auszuschreiben.
Dem kam der Wahlvorstand nach. Das Ergebnis der Wahl wurde am 7. April 2010 bekannt
gegeben.
3 Die Antragsteller haben die Wahl am 21. April 2010 mit der Begründung angefochten, es
sei kein Gremium von 13, sondern von 15 Betriebsratsmitgliedern zu wählen gewesen.
Die Leiharbeitnehmer hätten mitgezählt werden müssen. Der Betriebsrat hat diesen
Standpunkt unterstützt.
4 Die Antragsteller haben beantragt,
die Wahl des Betriebsrats für unwirksam zu erklären.
5 Die Arbeitgeberinnen haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Auffassung
vertreten, Leiharbeitnehmer zählten nicht als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebs, an den
sie arbeitsvertraglich nicht gebunden seien. Der tatsächlichen Eingliederung der
Leiharbeitnehmer in den Entleiherbetrieb habe der Gesetzgeber dadurch Rechnung
getragen, dass er ihnen dort einzelne betriebsverfassungsrechtliche Rechte zuerkannt
habe.
6 Die Vorinstanzen haben den Wahlanfechtungsantrag abgewiesen, den die Antragsteller
mit Unterstützung des Betriebsrats im zugelassenen Rechtsbeschwerdeverfahren
weiterverfolgen. Die Arbeitgeberin beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
7 B. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Wahlanfechtungsantrag
ist begründet. Bei der Wahl wurde gegen § 9 Satz 1 BetrVG verstoßen. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdegerichts zählen in der Regel beschäftigte Leiharbeitnehmer
bei der Festlegung der Anzahl zu wählender Betriebsratsmitglieder grundsätzlich mit.
Seine entgegenstehende Rechtsprechung gibt der Senat auf. Der Verstoß gegen § 9
Satz 1 BetrVG war geeignet, das Ergebnis der Wahl zu beeinflussen. Diese ist daher
unwirksam.
8 I. Der Antrag der Beteiligten zu 1. bis 14. ist zulässig.
9 1. Der Wahlanfechtungsantrag ist nicht etwa deshalb unzulässig, weil das Arbeitsgericht
im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren dem Wahlvorstand, der die
Größe des zu wählenden Betriebsrats ursprünglich unter Berücksichtigung von
Leiharbeitnehmern auf 15 Mitglieder festgesetzt hatte, aufgegeben hat, das Wahlverfahren
abzubrechen und die Betriebsratswahl neu auszuschreiben, ohne dabei die
Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen. Der Anfechtung einer daraufhin nach der
gerichtlichen Maßgabe durchgeführten Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats steht die
Rechtskraft der vom Arbeitsgericht in dem einstweiligen Verfügungsverfahren getroffenen
Entscheidung nicht entgegen.
10 a) Allerdings sind Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren der formellen
und materiellen Rechtskraft fähig. Formell rechtskräftig werden sie, wenn sie mit einem
ordentlichen Rechtsmittel nicht mehr angefochten werden können. Die von dieser äußeren
Rechtskraft abhängige materielle (innere) Rechtskraft bedeutet, dass der Streitgegenstand
des Verfahrens durch die Verfahrensbeteiligten bei unverändertem Sachverhalt nicht
erneut einer Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen unterbreitet werden kann. Ein
Antrag, der den gleichen Streitgegenstand erneut zur Entscheidung stellt, ist unzulässig,
weil der Rechtsschutz bereits gewährt wurde (vgl. BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu
B II 1 der Gründe, BAGE 95, 47). Subjektiv wirkt die materielle Rechtskraft nach § 325
Abs. 1 ZPO grundsätzlich zwischen den Parteien des Vorprozesses, im
Beschlussverfahren also zwischen den Beteiligten (BAG 6. Juni 2000 - 1 ABR 21/99 - zu
B II 2 der Gründe, aaO). Auf die Frage, ob und ggf. wie sich diese Grundsätze auch im
Verhältnis von Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu späteren
Hauptsacheverfahren auswirken (vgl. dazu BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 -
Rn. 87 ff. mwN), kommt es vorliegend nicht an.
11 b) Die formelle und materielle Rechtskraft der im einstweiligen Verfügungsverfahren
ergangenen Entscheidung steht der Zulässigkeit des Wahlanfechtungsantrags der
Beteiligten zu 1. bis 14. schon deshalb nicht entgegen, weil die Streitgegenstände der
Verfahren nicht identisch sind. Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens
waren der Abbruch der eingeleiteten sowie die Einleitung einer erneuten Betriebsratswahl.
Dagegen geht es im vorliegenden Verfahren um die Wirksamkeit der durchgeführten Wahl.
Darüber hinaus sind auch die Beteiligten der beiden Verfahren überwiegend nicht
identisch. Während in dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Arbeitgeberin
und der Wahlvorstand beteiligt waren, sind an vorliegendem Verfahren neben der
Arbeitgeberin 14 wahlberechtigte Arbeitnehmer und der Betriebsrat beteiligt.
12 2. Die Antragsteller sind nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt.
Die zweiwöchige Anfechtungsfrist des § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist gewahrt.
13 II. Der Wahlanfechtungsantrag ist begründet. Entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts entspricht die Wahl von 13 Betriebsratsmitgliedern nicht den
gesetzlichen Vorgaben des § 9 Satz 1 BetrVG. Unter Berücksichtigung der ständig
beschäftigten Leiharbeitnehmer wäre nach der Staffel des § 9 Satz 1 BetrVG ein
Betriebsrat mit 15 Mitgliedern zu wählen gewesen.
14 1. Der Wahlanfechtungsantrag ist nicht schon deshalb unbegründet, weil die Gerichte im
Wahlanfechtungsverfahren an die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene
Entscheidung gebunden wären.
15 a) Allerdings sind formell und materiell rechtskräftige Entscheidungen geeignet,
präjudizielle Bindungswirkung für Folgeprozesse zu entfalten, in denen der
Streitgegenstand zwar nicht identisch ist, der Streitgegenstand des Vorprozesses aber
eine entscheidungserhebliche Vorfrage bildet (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 29. Aufl. vor
§ 322 Rn. 22 ff.). Das gilt auch für Beschlüsse in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.
Dabei beschränkt sich die Bindungswirkung auf den unmittelbaren Gegenstand der
vorangegangenen Entscheidung (vgl. BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 89).
Inwieweit Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Bindungswirkung für spätere Erkenntnisverfahren entfalten, bedarf hier keiner
Entscheidung (vgl. dazu BAG 20. November 2012 - 1 AZR 611/11 - Rn. 87 ff. mwN).
Subjektiv tritt die Bindungswirkung grundsätzlich nur zwischen den Beteiligten und ihren
Rechtsnachfolgern ein. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erfährt dieser
Grundsatz allerdings erhebliche Durchbrechungen (vgl. GK-ArbGG/Dörner Stand März
2013 § 84 Rn. 31 ff. mit zahlreichen Nachweisen; Fitting 26. Aufl. nach § 1 Rn. 59;
Nottebom RdA 2002, 292). Sofern es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung -
wie etwa § 9 TVG - fehlt, ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob eine Erweiterung der
Bindungswirkung auf Personen oder Stellen, die am Vorverfahren nicht beteiligt waren,
aufgrund materiellen Rechts geboten ist (vgl. GK-ArbGG/Dörner § 84 Rn. 31).
16 b) Hiernach entfaltet die im einstweiligen Verfügungsverfahren ergangene Entscheidung
für das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren schon deshalb keine präjudizielle Wirkung,
weil eine Erstreckung der Bindungswirkung der zwischen - überwiegend - anderen
Beteiligten ergangenen Entscheidung auf die Beteiligten des vorliegenden Verfahrens aus
Gründen materiellen Rechts nicht geboten erscheint. Vielmehr würde es zu einer nicht
gerechtfertigten Einschränkung der Rechte der zu einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 2
Satz 1 BetrVG Berechtigten führen, wären diese an die Entscheidung in einem
vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren gebunden, an dem sie nicht
beteiligt waren.
17 2. Die Wahlanfechtung ist nach § 19 Abs. 1 BetrVG begründet.
18 a) Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen
wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren
verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den
Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. § 9 Satz 1
BetrVG ist eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens. Danach richtet sich die Zahl
der Mitglieder des Betriebsrats nach der Anzahl der im Betrieb in der Regel beschäftigten
Arbeitnehmer. In Betrieben mit in der Regel 701 bis 1000 Arbeitnehmern besteht der
Betriebsrat aus 13 Mitgliedern, in Betrieben mit in der Regel 1001 bis 1500 Arbeitnehmern
aus 15 Mitgliedern. Hiergegen wurde durch die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats
verstoßen.
19 aa) Allerdings befindet sich die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, Leiharbeitnehmer
seien generell nicht als Arbeitnehmer des Betriebs iSd. § 9 Satz 1 BetrVG anzusehen, im
Einklang mit der bisherigen Senatsrechtsprechung. Nach § 9 BetrVG in der bis zum
27. Juli 2001 geltenden Fassung wurden für die Anzahl zu wählender
Betriebsratsmitglieder nur betriebsangehörige Arbeitnehmer berücksichtigt (BAG
18. Januar 1989 - 7 ABR 21/88 - BAGE 61, 7). Für § 9 BetrVG idF des Gesetzes zur
Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I S. 1852) galt nach
bisheriger Rechtsprechung nichts anderes. Dies hat der Senat für gewerbsmäßige
Arbeitnehmerüberlassung am 16. April 2003 (- 7 ABR 53/02 - zu II 2 a der Gründe,
BAGE 106, 64) und für nicht gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung am 10. März 2004
(- 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 110, 27) entschieden.
20 bb) Im Schrifttum hat die Rechtsprechung ein uneinheitliches Echo gefunden. Ein
erheblicher Teil der Autoren hat sich der Auffassung des Senats angeschlossen (Brose
NZA 2005, 797; ErfK/Wank 13. Aufl. § 14 AÜG Rn. 7; Gillen/Vahle BB 2006, 2749, 2750;
ErfK/Koch § 9 BetrVG Rn. 2; Kreutz GK-BetrVG 9. Aufl. § 9 Rn. 6; ders. FS Wissmann
S. 364, 365; H/S/W/G/N/R-Nicolai 8. Aufl. § 9 Rn. 6; HWK/Gotthardt 5. Aufl. § 14 AÜG
Rn. 10; Konzen RdA 2001, 76, 83 f.; Löwisch BB 2001, 1734, 1737; Maschmann DB 2001,
2446, 2448; Lindemann/Simon NZA 2002, 365, 367 f.; Löwisch/Kaiser BetrVG 6. Aufl. § 9
Rn. 2; Reineke FS Löwisch S. 211, 221 ff.; Thüsing in Richardi BetrVG 13. Aufl. § 9 Rn. 7;
Schirmer FS 50 Jahre BAG S. 1063, 1077; Urban-Crell/Schulz Arbeitnehmerüberlassung
und Arbeitsvermittlung Rn. 1049). Ein anderer Teil des Schrifttums will Leiharbeitnehmer
bei den Schwellenwerten der §§ 9, 38 BetrVG berücksichtigen (Brors NZA 2003, 1380,
1382; Hako-BetrVG/Brors 3. Aufl. § 9 Rn. 3; Brors/Schüren BB 2004, 2745, 2751; Däubler
ArbuR 2001, 285, 286 und ArbuR 2004, 81, 82; Fitting § 5 Rn. 238 und § 9 Rn. 25;
Richardi NZA 2001, 346, 350; DKKW-Homburg 13. Aufl. § 7 Rn. 7 und § 9 Rn. 14;
Ratayczak AiB 2004, 212 ff.; Schüren RdA 2004, 184; Wlotzke FS 50 Jahre BAG S. 1149,
1160; ders. distanziert zur Rspr. auch in WPK BetrVG 4. Aufl. § 7 Rn. 30). Differenzierend
wird die Auffassung vertreten, Leiharbeitnehmer sollten dann zählen, wenn sie im
Entleiherbetrieb auf dauerhaft oder auf regelmäßig besetzten Arbeitsplätzen zum Einsatz
kommen (vgl. Hamann in Schüren/Hamann AÜG 4. Aufl. § 14 Rn. 110 f.; vgl. auch ders.
Anm. EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 1, S. 16 ff.; ders. Anm. EzA BetrVG 2001 § 9 Nr. 2 S. 17 ff.;
Reichold NZA 2001, 857, 861; ders. NZA 2001 Sonderbeilage zu Heft 24 S. 32, 37; Dörner
FS Wissmann S. 286, 295 hat dies für den Fall erwogen, dass nach der ab 1. Januar 2004
geltenden Gesetzesfassung dauerhaft überlassene Leiharbeitnehmer nicht mehr nur eine
Randbelegschaft bilden).
21 cc) Nachdem der Senat die zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff
entwickelte sog. „Zwei-Komponenten-Lehre“ für die Fälle des drittbezogenen
Personaleinsatzes aufgegeben hat (vgl. dazu im einzelnen BAG 5. Dezember 2012 -
7 ABR 48/11 - Rn. 17 ff.), hält er auch an seiner Rechtsprechung, Leiharbeitnehmer seien
im Rahmen von § 9 Satz 1 BetrVG nicht zu berücksichtigen, nicht weiter fest. Bei einer
insbesondere am Sinn und Zweck der Schwellenwerte in § 9 BetrVG orientierten
Auslegung des Gesetzes sind die in der Regel beschäftigten Leiharbeitnehmer
mitzuzählen. In Betrieben mit bis zu 51 Arbeitnehmern kommt es zusätzlich auf die
Wahlberechtigung der Arbeitnehmer an. Für Betriebe mit in der Regel mehr als 51
Arbeitnehmern sieht das Gesetz diese Voraussetzung nicht mehr vor.
22 (1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und allgemeiner
Auffassung im Schrifttum geht das Betriebsverfassungsgesetz in § 5 Abs. 1 Satz 1 vom
allgemeinen Arbeitnehmerbegriff aus, den es in § 5 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3, Abs. 2 und
Abs. 3 erweitert sowie einschränkt. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines
privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener,
fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist (vgl. BAG 5. Dezember
2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 17 mwN). Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen
einem Arbeitnehmer und dem Inhaber eines Betriebs genügt allerdings nicht in jedem Fall,
um die Beurteilung zu rechtfertigen, der Arbeitnehmer sei auch im
betriebsverfassungsrechtlichen Sinn Arbeitnehmer „des Betriebs“. Erforderlich ist hierzu
vielmehr die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung des Arbeitnehmers zu einem
bestimmten Betrieb. Diese setzt regelmäßig voraus, dass der Arbeitnehmer in die
Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert ist (vgl. BAG 5. Dezember 2012 -
7 ABR 48/11 - Rn. 18 mwN). Diese sog. „Zwei-Komponenten-Lehre“, nach der zu den
konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit einerseits ein Arbeitsverhältnis zum
Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung in dessen
Betriebsorganisation gehört (BAG 10. November 2004 - 7 ABR 12/04 - zu B II 1 der
Gründe mwN, BAGE 112, 305), wird regelmäßig ohne Weiteres der „Normalfall-
Gestaltung“ gerecht, „die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Arbeitnehmer aufgrund
eines wirksamen Arbeitsvertrags in der einzigen Betriebsstätte seines Arbeitgebers
unselbständige, fremdbestimmte Arbeit tatsächlich leistet“ (Kreutz/Raab GK-BetrVG § 7
Rn. 20). Schwierigkeiten entstehen aber bei atypischen Fallgestaltungen, insbesondere
beim sog. „drittbezogenen Personaleinsatz“, also beim Arbeitseinsatz von Arbeitnehmern
in Drittbetrieben (vgl. zu den unterschiedlichen Fallgestaltungen Kreutz/Raab GK-BetrVG
§ 7 Rn. 39 ff.). Hier führt die reine „Zwei-Komponenten-Lehre“ nicht zu sachgerechten
Ergebnissen. Ihre uneingeschränkte Anwendung hätte vielmehr zur Folge, dass der
Arbeitnehmer einerseits dem Betrieb seines Vertragsarbeitgebers mangels Eingliederung
nicht zugeordnet werden könnte, während es andererseits zum Betriebsarbeitgeber an
einem arbeitsvertraglichen Band fehlt. In derartigen Fällen der aufgespaltenen
Arbeitgeberstellung bedarf es daher einer differenzierten Beurteilung der
betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung von Arbeitnehmern (BAG 5. Dezember 2012 -
7 ABR 48/11 - Rn. 20). Diese hat zum einen zu beachten, dass der Gesetzgeber die
betriebsverfassungsrechtliche Behandlung des drittbezogenen Personaleinsatzes bereits
zu einem nicht unbeträchtlichen Umfang teils im Betriebsverfassungsgesetz, teils in
anderen Gesetzen geregelt hat (vgl. BAG 5. Dezember 2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 21 bis
Rn. 23). Zum anderen gilt es zu berücksichtigen, dass im Betriebsverfassungsgesetz in
ganz unterschiedlichem Zusammenhang auf „den“ Arbeitnehmer abgestellt wird (vgl. BAG
5. Dezember 2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 24). Daher sind beim drittbezogenen
Personaleinsatz und einer aufgespaltenen Arbeitgeberstellung differenzierende Lösungen
geboten, die zum einen die ausdrücklich normierten (spezial-)gesetzlichen Konzepte, zum
anderen aber auch die Funktion des Arbeitnehmerbegriffs im jeweiligen
betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang angemessen berücksichtigen (vgl. BAG
5. Dezember 2012 - 7 ABR 48/11 - Rn. 25).
23 (2) Ausgehend von diesem veränderten Verständnis ist der Arbeitnehmerbegriff der „Zwei-
Komponenten-Lehre“ nicht geeignet für die Beantwortung der Frage, ob im Betrieb
beschäftigte Leiharbeitnehmer als Arbeitnehmer im Sinne von § 9 BetrVG anzusehen sind.
Da es insoweit auch an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, kommt es
entscheidend darauf an, welche Funktion dem Arbeitnehmerbegriff in § 9 BetrVG
zukommt.
24 (a) Der reine Wortlaut der Vorschrift ist insoweit nicht weiterführend.
25 (b) Der systematische Kontext der Bestimmung spricht insgesamt eher dafür,
Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb bei der Anwendung von § 9 BetrVG zu
berücksichtigen.
26 (aa) Allerdings folgt aus § 14 Abs. 1 AÜG, dass Leiharbeitnehmer während der Zeit ihrer
Arbeitsleistung bei einem Entleiher weiter dem entsendenden Betrieb des Verleihers
angehören. Dies gebietet aber nicht den Schluss, Leiharbeitnehmer könnten im
Entleiherbetrieb bei den Schwellenwerten keine Berücksichtigung finden. Dem
systematischen Zusammenhang von Betriebsverfassungsgesetz und
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz lässt sich nicht entnehmen, Leiharbeitnehmer dürften
hinsichtlich der Größe des Betriebsrats nur bei einem der beiden Arbeitgeber
berücksichtigt werden. Die Situation der Leiharbeitnehmer ist vielmehr gerade durch die
Aufspaltung der Arbeitgeberstellung gekennzeichnet.
27 (bb) Für eine Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen von § 9 Satz 1 BetrVG
spricht der systematische Zusammenhang zu § 7 Satz 2 BetrVG (anders noch BAG
10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27). Nach dieser
durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom 23. Juli 2001 (BGBl. I
S. 1852) neu eingefügten Bestimmung sind Arbeitnehmer eines anderen Arbeitgebers, die
zur Arbeitsleistung überlassen werden, wahlberechtigt, wenn sie länger als drei Monate
eingesetzt werden. In der Begründung zum Regierungsentwurf heißt es dazu, § 7 Satz 2
BetrVG erkenne für bestimmte Fälle die Zugehörigkeit der Leiharbeitnehmer zum
Einsatzbetrieb an, um der Erosion der Stammbelegschaft durch den Einsatz von
Arbeitnehmern anderer Arbeitgeber entgegenzuwirken (BT-Drucks. 14/5741 S. 36 zu
Nr. 7). Dabei steht dem überlassenen Arbeitnehmer, der länger als drei Monate eingesetzt
wird, das aktive Wahlrecht zum Betriebsrat nach der Gesetzesbegründung bereits ab dem
ersten Arbeitstag im Einsatzbetrieb zu; sein Wahlrecht im Stammbetrieb bleibt unberührt
(BT-Drucks. 14/5741 S. 36 zu Nr. 7). § 9 Satz 1 BetrVG stellt für Betriebe mit bis zu
51 Arbeitnehmern ebenfalls auf deren Wahlberechtigung ab. Daher erschiene es wenig
konsistent, die Leiharbeitnehmer zwar nach § 7 Satz 2 BetrVG als im Einsatzbetrieb
wahlberechtigt zu behandeln, sie aber nicht als „wahlberechtigte Arbeitnehmer“ iSv. § 9
Satz 1 BetrVG anzusehen. Dass der Gesetzgeber in § 9 Satz 1 BetrVG nur in Betrieben
mit bis zu 51 Arbeitnehmern die Wahlberechtigung verlangt und darüber auf dieses
Erfordernis verzichtet, hebt den systematischen Zusammenhang zwischen § 7 Satz 2
BetrVG und § 9 Satz 1 BetrVG nicht auf.
28 (c) Für die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer sprechen entscheidend Sinn und
Zweck der Schwellenwerte in § 9 Satz 1 BetrVG.
29 (aa) Durch die in dieser Vorschrift vorgesehene Staffelung soll sichergestellt werden, dass
die Zahl der Betriebsratsmitglieder in einem angemessenen Verhältnis zur Zahl der
betriebsangehörigen Arbeitnehmer steht, deren Interessen und Rechte der Betriebsrat zu
wahren hat (BAG 10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27).
Die in den Organisationsvorgaben geregelte Abhängigkeit der Betriebsratsgröße von der
Anzahl der in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer trägt dem Umstand
Rechnung, dass hiervon der Tätigkeitsaufwand des Betriebsrats maßgeblich bestimmt
wird. Je mehr Arbeit im Betriebsrat anfällt, desto mehr Mitglieder soll er haben. Eine
angemessene Interessenvertretung ist dann gefährdet, wenn die Zahl der regelmäßig im
Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer deutlich steigt, ohne dass dies bei der
Betriebsratsgröße Berücksichtigung findet (vgl. Hamann in Schüren/Hamann AÜG § 14
Rn. 111).
30 (bb) Der Umfang der Betriebsratsarbeit wird durch die im Betrieb regelmäßig tätigen
Leiharbeitnehmer auch bei einer nur partiellen Vertretung in erheblichem Umfang
beeinflusst. Dies allein hat der Senat allerdings bislang für eine Berücksichtigung der
Leiharbeitnehmer im Rahmen von § 9 Satz 1 BetrVG nicht als ausreichend angesehen
(vgl. BAG 10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - zu B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27). Nach
erneuter Prüfung hält der Senat hieran nicht fest. Die Zunahme an Betriebsratsaufgaben,
die mit der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern verbunden ist, ist so erheblich, dass ihr
durch eine entsprechende Betriebsratsgröße Rechnung zu tragen ist. Für den Betriebsrat
ergeben sich durch die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer sowohl in
Mitbestimmungsangelegenheiten als auch darüber hinaus in beträchtlichem Umfang
Aufgaben und Pflichten.
31 (aaa) So erstreckt sich die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG
in erheblichem Maße auch auf Leiharbeitnehmer. Insoweit kann beispielhaft verwiesen
werden auf die Mitbestimmungsrechte zu Fragen der Ordnung des Betriebs (§ 87 Abs. 1
Nr. 1 BetrVG), zur Lage der Arbeitszeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG, dazu BAG 15. Dezember
1992 - 1 ABR 38/92 - zu B II 2 b der Gründe, BAGE 72, 107), zur Einführung und
Anwendung von Einrichtungen zur Verhaltens- und Leistungskontrolle (§ 87 Abs. 1 Nr. 6
BetrVG), zu Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie
über den Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) und zu Grundsätzen der
Gruppenarbeit (§ 87 Abs. 1 Nr. 13 BetrVG). Diese Mitbestimmungsrechte betreffen
Leiharbeitnehmer in gleicher oder ähnlicher Weise wie die Stammbelegschaft.
32 (bbb) Im Rahmen der personellen Mitbestimmung ist der Betriebsrat bei Einstellungen und
Versetzungen von überlassenen Arbeitnehmern zu beteiligen (vgl. dazu BAG 9. März
2011 - 7 ABR 137/09 - Rn. 26, BAGE 137, 194; 23. Januar 2008 - 1 ABR 74/06 - Rn. 22 f.
mwN, BAGE 125, 306). Erfolgen nacheinander mehrere - noch so kurze - befristete
Einsätze, ist jeder von ihnen nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG, § 99 Abs. 1 BetrVG
mitbestimmungspflichtig. Ebenso wenig wie Dauer und zeitlicher Umfang des
Leiharbeitnehmereinsatzes das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats im Entleiherbetrieb
reduzieren, ist es bei einem bloßen personellen Wechsel des eingesetzten
Leiharbeitnehmers eingeschränkt. Dies gilt selbst dann, wenn nach den Vereinbarungen
zwischen dem entleihenden Arbeitgeber und dem Verleiher die Entscheidung über die
konkret-personenbezogene Auswahl der auf Anforderung des Arbeitgebers zum Einsatz
kommenden Leiharbeitnehmer nach einer entsprechenden Rahmenvereinbarung allein
beim Verleiher liegt (vgl. BAG 9. März 2011 - 7 ABR 137/09 - Rn. 26 f. mwN, aaO). Die bei
Leiharbeitnehmern typischerweise häufigere Fluktuation ist für den Betriebsrat hiernach im
Bereich der personellen Mitbestimmung sogar eher mit mehr Arbeit verbunden als bei der
Stammbelegschaft.
33 (ccc) Auch über die Mitbestimmung hinaus ist der Betriebsrat in erheblichem Umfang für
die Leiharbeitnehmer und deren Angelegenheiten zuständig. So sind überlassene
Arbeitnehmer nach § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG berechtigt, im Entleiherbetrieb die
Sprechstunden der Arbeitnehmervertretungen aufzusuchen und an den Betriebs- und
Jugendversammlungen teilzunehmen. Ferner gelten für sie nach § 14 Abs. 2 Satz 3 AÜG
im Entleiherbetrieb die §§ 81, 82 Abs. 1 und die §§ 84 bis 86 BetrVG. Danach haben auch
Leiharbeitnehmer das Recht, mit Hilfe des Betriebsrats des Entleiherbetriebs eine
individuelle Beschwerde bei den zuständigen Stellen im Entleiherbetrieb zu führen, indem
sie nach § 84 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder
Vermittlung hinzuziehen. § 85 BetrVG sieht vor, dass der Betriebsrat Beschwerden von
Arbeitnehmern entgegennimmt und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber
auf Abhilfe hinwirkt.
34 (cc) Soweit die Erhöhung der Anzahl der zu wählenden Betriebsratsmitglieder durch das
Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes mit der Aufgabenerweiterung
begründet wurde, die sich im Zusammenhang mit der Einführung und Anwendung neuer
Techniken, moderner Produktions- und Arbeitsmethoden, Qualifizierung,
Beschäftigungssicherung sowie Arbeits- und Umweltschutz ergeben habe (BT-Drucks.
14/5741 S. 36 zu Nr. 8), steht dies der Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer im Rahmen
von § 9 BetrVG nicht entgegen (anders noch BAG 10. März 2004 - 7 ABR 49/03 - zu
B I 1 a bb der Gründe, BAGE 110, 27). Der Arbeitsanfall durch die Erweiterung der
Mitbestimmung ist nicht nur hinsichtlich der Stammarbeitskräfte, sondern in beträchtlicher
Weise auch hinsichtlich der Leiharbeitnehmer gestiegen. Leiharbeitnehmer sind auch
nicht etwa eine regelmäßig nur kleine und bei typisierender Betrachtung zu
vernachlässigende Gruppe, sondern bilden des Öfteren einen quantitativ erheblichen,
bisweilen sogar den überwiegenden Teil der Belegschaft (vgl. etwa BAG 13. Februar 2013
- 7 ABR 36/11 - Rn. 3: von ca. 260 beschäftigten Arbeitnehmern waren 245
Leiharbeitnehmer).
35 b) Hiernach waren entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die im Betrieb der
Arbeitgeberin regelmäßig beschäftigten 292 Leiharbeitnehmer bei der für die
Betriebsratsgröße maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nach § 9 Satz 1 BetrVG zu
berücksichtigen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der Beschäftigung der nach den
Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „regelmäßig“ 292 Leiharbeitnehmer um eine nur
zum Zeitpunkt der Wahl vorliegende Ausnahmesituation gehandelt habe (vgl. zur Frage
der „in der Regel“ Beschäftigten BAG 7. Mai 2008 - 7 ABR 17/07 - Rn. 17), sind weder
behauptet noch ersichtlich. Im Zeitpunkt des Wahlausschreibens bestand die regelmäßige
Belegschaft damit aus 1.171 Arbeitnehmern. Somit hätte nach § 9 Satz 1 BetrVG statt
eines 13-köpfigen ein 15-köpfiger Betriebsrat gewählt werden müssen. Dieser Verstoß
gegen eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahrens hat das Wahlergebnis beeinflusst.
Eine Korrekturmöglichkeit besteht nicht. Die Betriebsratswahl ist daher unwirksam.
Linsenmaier
Schmidt
Kiel
Bea
Strippelmann