Urteil des BAG vom 15.04.2014

Unzulässige Rechtsbeschwerde - Antragsänderung in der Rechtsbeschwerdeinstanz

BUNDESARBEITSGERICHT Beschluss vom 15.4.2014, 1 ABR
80/12
Unzulässige Rechtsbeschwerde - Antragsänderung in der Rechtsbeschwerdeinstanz
Tenor
I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den
Beschluss des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 31. Juli
2012 - 17 TaBV 38/11 - wird als unzulässig verworfen.
II. Die Anschlussrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hat
aufgrund der Verwerfung der Rechtsbeschwerde ihre Wirkung
verloren.
Gründe
1 A. Die Beteiligten streiten über die Ausgestaltung einer betrieblichen Entgeltordnung.
2 Die Arbeitgeberin beschäftigt an ihrem Standort E ca. 90 Arbeitnehmer. Antragsteller ist
der dort gebildete Betriebsrat.
3 Die überwiegende Anzahl der im Betrieb E bestehenden Arbeitsverhältnisse ging
aufgrund eines Betriebsteilübergangs von der H GmbH auf die Arbeitgeberin über. In den
Arbeitsverträgen waren zum Zeitpunkt des Betriebsteilübergangs unterschiedliche
Wochenarbeitszeiten vereinbart. Daneben enthielten sie teilweise eine Bezugnahme auf
die Tarifverträge der hessischen Metallindustrie in ihrer jeweiligen Fassung.
4 Im Januar 2009 bot die Arbeitgeberin dem überwiegenden Teil ihrer Arbeitnehmer neue
Arbeitsverträge an (sog. Standardarbeitsvertrag). Etwa 60 % der in E beschäftigten
Belegschaft nahmen dieses Angebot an. Die Arbeitgeberin gewährte in der Folgezeit
Gehaltserhöhungen nur an Arbeitnehmer mit einem Standardarbeitsvertrag.
5 Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Abschluss der Standartarbeitsverträge
und die Gewährung der Gehaltserhöhungen unterliege seinem Mitbestimmungsrecht aus
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.
6 Der Betriebsrat hat - soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung - zuletzt beantragt,
1. a) ...
hilfsweise
b) die Arbeitgeberin zu verurteilen, die durch die Gewährung einer
rückwirkenden Erhöhung des Bruttomonatsentgeltes in Höhe von drei
Prozent zum 1. April 2008 und in Höhe von weiteren ein Prozent zum
1. Januar 2009 in Höhe von drei Prozent zum 1. April 2009 und in Höhe
von zwei Prozent zum 1. Oktober 2010 gegenüber den Arbeitnehmern,
die den neuen „Standardarbeitsvertrag“ entsprechend dem Muster vom
6. Januar 2009 mit einer erhöhten regelmäßigen Wochenarbeitszeit von
39 Stunden, gegenüber den Arbeitnehmern A K und S N, denen der
neue „Standardarbeitsvertrag“ vom 6. Januar 2009 nicht angeboten
wurde, entstehende unberechtigte Ungleichbehandlung im Betrieb bzw.
wegen unterlassener betrieblicher Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG zu unterlassen;
2. a) …
hilfsweise
b) die Arbeitgeberin zu verurteilen, die durch Gewährung einer
rückwirkenden Erhöhung des Bruttomonatsentgeltes in Höhe von drei
Prozent zum 1. April 2008 und in Höhe von weiteren ein Prozent zum
1. Januar 2009 und in Höhe von drei Prozent zum 1. April 2009 und in
Höhe von zwei Prozent zum 1. Oktober 2010 gegenüber den
Arbeitnehmern R B, Ro B, S B, E B, Re B, E F, W G, D H, L H, G J, W J,
R K, F K, W K, E M, D N, W R, J S, R S, U S, H S, K T, U W, R Z, H Z,
die den neuen „Standardarbeitsvertrag“ entsprechend dem Muster vom
6. Januar 2009 mit einer erhöhten regelmäßigen Wochenarbeitszeit von
39 Stunden, gegenüber den Arbeitnehmern, denen der neue
„Standardarbeitsvertrag“ vom 6. Januar 2009 angeboten wurde, die
diesen allerdings nicht unterzeichnet haben, entstehende unberechtigte
Ungleichbehandlung im Betrieb bzw. wegen unterlassener betrieblicher
Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu unterlassen;
3. a) …
hilfsweise
b) die Arbeitgeberin zu verurteilen, die durch die Gewährung einer
rückwirkenden Erhöhung des Bruttomonatsentgeltes in Höhe von drei
Prozent zum 1. April 2008 und in Höhe von drei Prozent zum 1. April
2009
gegenüber
den
Arbeitnehmern,
die
den
neuen
„Standardarbeitsvertrag“ entsprechend dem Muster vom 6. Januar 2009
mit einer erhöhten regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden,
gegenüber den Arbeitnehmern (S M, R B, G B, M B), denen der neue
„Standardarbeitsvertrag“ vom 6. Januar 2009 nicht angeboten wurde,
entsprechende unberechtigte Ungleichbehandlung im Betrieb bzw.
wegen unterlassener betrieblicher Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG zu unterlassen;
4. a) …
hilfsweise
b) die Arbeitgeberin zu verurteilen, die durch die Gewährung einer
rückwirkenden Erhöhung des Bruttomonatsentgeltes in Höhe von drei
Prozent zum 1. April 2008 und in Höhe von drei Prozent zum 1. April
2009 und in Höhe von zwei Prozent zum 1. Oktober 2010 gegenüber
den Arbeitnehmern, die den neuen „Standardarbeitsvertrag“
entsprechend dem Muster vom 6. Januar 2009 mit einer erhöhten
regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden, gegenüber den
Arbeitnehmern, denen der neue „Standardarbeitsvertrag“ vom 6. Januar
2009 angeboten wurde, die diesen allerdings nicht unterzeichnet haben,
entstehende unberechtigte Ungleichbehandlung im Betrieb bzw. wegen
unterlassener betrieblicher Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG zu unterlassen;
5. …
6. festzustellen, dass dem Betriebsrat bei der Unterbreitung des
Änderungsangebots
der
Arbeitgeberin
durch
das
Vertragsänderungsangebot vom 6. Januar 2009 iVm. der dazugehörigen
und nachgeschobenen Gesamtzusage vom 29. Januar 2009 an die
überwiegende Zahl der Mitarbeiter, mit der ein geändertes
Entgeltsystem im Betrieb der Arbeitgeberin eingeführt werden sollte und
eingeführt wurde, ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10
BetrVG zusteht.
7 Die Arbeitgeberin hat die Abweisung der Anträge beantragt.
8 Das Arbeitsgericht hat die erstinstanzlich noch anders formulierten Anträge abgewiesen.
Hiergegen hat der Betriebsrat Beschwerde eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat dem
Antrag zu 6. entsprochen und diesen im Tenor neu gefasst. Die übrigen Anträge hat es
abgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Betriebsrat gegen die Abweisung
der zu 1. bis 4. hilfsweise erhobenen Unterlassungsanträge. Daneben hat er in der
Anhörung vor dem Senat einen in der Rechtsbeschwerdebegründung angekündigten
Antrag sowie einen darauf bezogenen Hilfsantrag gestellt, nach denen es der
Arbeitgeberin untersagt werden soll, Arbeitnehmern Änderungsverträge anzubieten oder
diese abzuschließen. Mit der von der Arbeitgeberin erhobenen
Anschlussrechtsbeschwerde will diese die vollständige Abweisung der vom Betriebsrat in
der Beschwerdeinstanz gestellten Anträge erreichen.
9 B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unzulässig, weshalb die
Anschlussrechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ihre Wirkung verloren hat.
10 I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unzulässig, weil sie nicht dem gesetzlichen
Begründungserfordernis (§ 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG) genügt.
11 1. Nach § 94 Abs. 2 Satz 2 ArbGG muss die Rechtsbeschwerdebegründung angeben,
inwieweit die Abänderung des angefochtenen Beschlusses beantragt wird, welche
Bestimmungen verletzt sein sollen und worin die Verletzung bestehen soll. Bei einer
Sachrüge sind nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO die Umstände zu
bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll. Dabei muss die
Rechtsbeschwerdebegründung den Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen,
dass Gegenstand und Richtung des rechtsbeschwerderechtlichen Angriffs erkennbar sind.
Dies erfordert eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen
Entscheidung. Der Rechtsbeschwerdeführer muss darlegen, warum er die Begründung
des Beschwerdegerichts für unrichtig hält (BAG 15. November 2006 - 7 ABR 6/06 -
Rn. 13).
12 2. Die Rechtsbeschwerdebegründung muss im Falle ihrer Berechtigung geeignet sein, die
gesamte Entscheidung in Frage zu stellen. Hat das Landesarbeitsgericht über einen
einheitlichen Streitgegenstand entschieden, muss der Rechtsbeschwerdeführer zwar nicht
zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten im einzelnen Stellung nehmen, wenn
bereits ein einziger rechtsbeschwerderechtlicher Angriff geeignet ist, der Begründung des
angefochtenen Beschlusses die Tragfähigkeit zu entziehen. Anders verhält es sich aber,
wenn das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung hinsichtlich eines Streitgegenstands
auf zwei voneinander unabhängige, die Entscheidung jeweils selbständig tragende
Erwägungen gestützt hat. In diesem Fall muss die Rechtsbeschwerdebegründung beide
Erwägungen angreifen. Setzt sich die Rechtsbeschwerdebegründung nur mit einer der
beiden Erwägungen auseinander, ist die Rechtsbeschwerde insgesamt unzulässig, da der
Angriff gegen eine der beiden Erwägungen nicht ausreicht, um die Entscheidung
insgesamt in Frage zu stellen (BAG 16. Mai 2007 - 7 ABR 45/06 - Rn. 13, BAGE 122, 293).
13 3. Diesen Anforderungen genügt die Rechtsbeschwerdebegründung des Betriebsrats
nicht. Der Betriebsrat hat keine zulässige Sachrüge iSd. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
Buchst. a ZPO erhoben.
14 a) Das Landesarbeitsgericht hat die Abweisung der in der Beschwerdeinstanz hilfsweise
gestellten Unterlassungsanträge doppelt begründet. Es hat die Anträge wegen fehlender
Bestimmtheit für unzulässig gehalten, weil sich aus ihnen nicht ergebe, welche konkreten
Handlungen die Arbeitgeberin unterlassen solle. Unabhängig davon hat das
Beschwerdegericht die Unterlassungsanträge auch als unbegründet angesehen, weil es
sich bei den Gehaltserhöhungen um eine für die Arbeitnehmer günstige Maßnahme
handele, die zudem Inhalt „ihrer Individualvereinbarung“ mit der Arbeitgeberin im
Zusammenhang mit dem Abschluss des Standardarbeitsvertrags gewesen sei.
15 b) Mit beiden vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründungen setzt sich die
Rechtsbeschwerde nicht auseinander. Ausführungen zur Bestimmtheit der
Unterlassungsanträge fehlen. Auf Seite 14 der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift wird
lediglich dargelegt, dass eine Begründung für ihre Abweisung im angefochtenen
Beschluss nicht zu erkennen sei. Dies ist angesichts der vom Landesarbeitsgericht
gegebenen Begründung für die Unzulässigkeit der Unterlassungsanträge und deren
Unbegründetheit ersichtlich unzureichend. Auch der weitere Vortrag des Betriebsrats
verhält sich nur zum Vorliegen einer Wiederholungsgefahr für das aus seiner Sicht
mitbestimmungswidrige Verhalten der Arbeitgeberin. Dieser Gesichtspunkt war für die
antragsabweisende Entscheidung des Beschwerdegerichts jedoch offenkundig nicht
tragend.
16 4. Aufgrund der Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde in Bezug auf die allein weiter
verfolgten Unterlassungsanträge fällt die in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift
vorgenommene Antragserweiterung dem Senat nicht zur Entscheidung an.
17 a) Der Betriebsrat hat erstmals in der Rechtsbeschwerdeinstanz Unterlassungsanträge mit
dem Ziel erhoben, es der Arbeitgeberin zu untersagen, entweder mit der im Betrieb E
beschäftigten Belegschaft oder hilfsweise einzelnen Arbeitnehmergruppen Arbeitsverträge
nach dem Muster des Standardarbeitsvertrags abzuschließen oder ihnen gegenüber ein
auf einen solchen Abschluss gerichtetes Vertragsangebot abzugeben. Damit hat der
Betriebsrat einen neuen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt und seine Anträge
erweitert.
18 b) Antragserweiterungen sind ebenso wie sonstige Antragsänderungen im
Rechtsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unzulässig. Der Schluss der Anhörung vor
dem Beschwerdegericht bildet nicht nur bezüglich des tatsächlichen Vorbringens, sondern
auch bezüglich der Anträge der Beteiligten die Entscheidungsgrundlage für das
Rechtsbeschwerdegericht (§ 559 ZPO). Eine Ausnahme hat das Bundesarbeitsgericht
dann anerkannt, wenn der geänderte Sachantrag sich auf einen in der Beschwerdeinstanz
festgestellten Sachverhalt stützen kann, die anderen Verfahrensbeteiligten gegen die
Antragsänderung oder -erweiterung keine Einwendungen erheben, ihre Verfahrensrechte
nicht verkürzt werden und die geänderte Antragstellung darauf beruht, dass die
Vorinstanzen einen nach § 139 Abs. 1 ZPO gebotenen Hinweis unterlassen haben. In
diesen Fällen ist es aus prozessökonomischen Gründen angezeigt, den Beteiligten eine
andernfalls erforderliche Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht oder gar eine
erneute erstinstanzliche Anrufung der Gerichte für Arbeitssachen zu ersparen (vgl. BAG
26. Oktober 2004 - 1 ABR 37/03 - zu B I 1 a der Gründe, BAGE 112, 238).
19 c) Eine Antragserweiterung ist kein selbständiges Rechtsmittel, sondern kann nur im
Rahmen einer zulässigen Rechtsbeschwerde vorgenommen werden. Die Zulässigkeit
einer geänderten Antragstellung setzt daher voraus, dass der Rechtsbeschwerdeführer mit
seinem Rechtsmittel in die Rechtsbeschwerdeinstanz gelangt ist. Hieran fehlt es, wenn
sein Rechtsmittel unzulässig ist. Sein Begehren kann dann nicht um einen weiteren
Streitgegenstand erweitert werden. Überdies kann das Rechtsbeschwerdegericht bei
einem mangels Begründung unzulässigen Rechtsmittel nicht darüber befinden, ob die für
die Zulässigkeit der Antragserweiterung geltenden Voraussetzungen erfüllt sind und der
geänderte Antrag begründet ist (vgl. BAG 23. April 1985 - 1 ABR 39/81 - zu B I 1 der
Gründe).
20 5. Da es an einer ordnungsgemäß begründeten Rechtsbeschwerde fehlt, ist das
Rechtsmittel des Betriebsrats insgesamt unzulässig.
21 II. Die Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde hat die Wirkungslosigkeit der von der
Arbeitgeberin eingelegten Anschlussrechtsbeschwerde (§ 554 Abs. 4 ZPO) zur Folge.
Schmidt
Linck
Koch
Rath
Seyboth