Urteil des BAG vom 26.08.2008

BAG: Mitbestimmung bei betrieblicher Lohngestaltung, Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung über freiwillige Leistungen, kündigung, tarifvertrag, vergütung, zulage, betriebsrat, streichung, verfügung

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 26.8.2008, 1 AZR 354/07
Mitbestimmung bei betrieblicher Lohngestaltung - Nachwirkung einer Betriebsvereinbarung über
freiwillige Leistungen
Leitsätze
1. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber leistet in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht die gesamte
Vergütung "freiwillig". Will er einzelne Vergütungsbestandteile beseitigen und verändert sich dadurch die
Vergütungsstruktur, hat er den Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen.
2. Ändern sich durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung über einen Vergütungsbestandteil die
Entlohnungsgrundsätze im Betrieb, wirkt die Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.
Tenor
I. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 15. November 2006 - 7 (13) Sa 815/06 - teilweise aufgehoben.
II. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen
vom 8. Juni 2006 - 4 Ca 257/06 - teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.949,22 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Januar
2006 zu zahlen.
III. Die weitergehende Revision der Klägerin wird zurückgewiesen.
IV. Die Beklagte hat 4/5, die Klägerin 1/5 der Kosten des Rechtsstreits zu
tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über eine Weihnachtszuwendung für das Jahr 2005.
2 Die Klägerin ist seit dem 1. Oktober 1994 in dem von der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin
betriebenen Senioren- und Pflegezentrum beschäftigt. Feststellungen über eine Tarifbindung der
Beklagten oder den Abschluss einschlägiger, den Betrieb der Beklagten erfassenden Tarifverträge
sind nicht getroffen. Der mit der Klägerin am 13. Juli 1998 geschlossene schriftliche Arbeitsvertrag
sieht eine „monatliche Vergütung der Gruppe BAT IX a der Stufe 9 in Höhe von 3.389,16 DM“ sowie
eine „Zulage in Höhe von 1.100,00 DM“ vor. Ihr monatlicher Bruttoverdienst betrug zuletzt
2.448,61 Euro. Der Betrag setzt sich zusammen aus einem Grundgehalt von 1.283,22 Euro, einem
Ortszuschlag von 575,03 Euro, einer allgemeinen Zulage von 90,97 Euro, einer anrechenbaren
übertariflichen Zulage von 492,74 Euro und einem Arbeitgeberanteil zu vermögenswirksamen
Leistungen in Höhe von 6,65 Euro. Seit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses erhielt die Klägerin ein
Weihnachtsgeld. Für das Jahr 2005 leistete die Beklagte dieses erstmals nicht.
3 Nach § 2 einer im September 1995 für den Beschäftigungsbetrieb der Klägerin geschlossenen
„Betriebsvereinbarung zur Regelung der arbeitsrechtlichen Verhältnisse für die Angestellten,
Arbeiter/-innen und Auszubildenden“ (BV 1995) gelten für die Angestellten „analog die für die
Angestellten des Bundes und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und
Vergütungstarifvertrages - BAT - vom 11. Januar 1961“. § 3 BV 1995 enthält vom BAT
abweichende Bestimmungen über Krankenbezüge, Zuwendungen bei Heirat, Geburten und
Ableben, Jubiläumszuwendungen, Urlaubsgeld und Zeitzuschläge. Nach § 3 Abs. i Satz 1 BV 1995
erhält ein Arbeitnehmer in jedem Jahr eine Zuwendung, wenn er am 1. Dezember im
Arbeitsverhältnis steht und seit dem 1. Oktober ununterbrochen als Arbeitnehmer beschäftigt war.
Nach § 3 Abs. i Satz 2 BV 1995 beträgt die Zuwendung „ein Monatsgehalt (Grundgehalt,
Ortszuschlag, Stellenzulage und Schichtzulage, ohne Berücksichtigung von Zeitzuschlägen)“. Die
Beklagte kündigte die BV 1995 fristgerecht zum 31. Dezember 2001. Anschließend nahm sie
Verhandlungen mit der Gewerkschaft ver.di über den Abschluss eines Haustarifvertrags auf, die sie
im Herbst 2005 für gescheitert erklärte.
4 Mit der Klage hat die Klägerin für das Jahr 2005 eine Weihnachtszuwendung in Höhe von
2.448,61 Euro brutto verlangt. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch folge aus der BV 1995,
hilfsweise aus einer Gesamtzusage oder aus betrieblicher Übung. Die BV 1995 wirke nach. Die
Beklagte habe den Anspruch auf die Weihnachtszuwendung ohne Zustimmung des Betriebsrats
nicht beseitigen können.
5 Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.448,61 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 31. Januar 2006 zu zahlen.
6 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die BV 1995
entfalte keine Nachwirkung. Die Weihnachtszuwendung sei eine freiwillige Leistung, die sie
mitbestimmungsfrei habe einstellen können.
7 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der
Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren
Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
8 Die Revision ist teilweise begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht insgesamt
abgewiesen. Der Klägerin steht der Klageanspruch teilweise zu. Sie kann von der Beklagten für
das Jahr 2005 eine Jahreszuwendung in Höhe von 1.949,22 Euro verlangen. In dem darüber
hinausgehenden Umfang sind Klage und Revision unbegründet.
9 I. Die zulässige Klage ist in Höhe von 1.949,22 Euro brutto nebst Zinsen begründet. Der Anspruch
der Klägerin folgt aus der BV 1995. Die Betriebsvereinbarung ist zwar gekündigt, wirkt aber gemäß
§ 77 Abs. 6 BetrVG nach.
10 1. Die BV 1995 ist wirksam. Sie verstößt nicht gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1
BetrVG.
11 a) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte oder Arbeitsbedingungen, die durch
Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer
Betriebsvereinbarung sein. Eine gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende
Betriebsvereinbarung ist unwirksam. Arbeitsbedingungen sind dann durch Tarifvertrag geregelt,
wenn über sie ein Tarifvertrag abgeschlossen worden ist und der Betrieb in den räumlichen,
betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags fällt. Die Sperrwirkung des § 77
Abs. 3 Satz 1 BetrVG hängt nicht davon ab, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist (BAG 22. März
2005 - 1 ABR 64/03 - BAGE 114, 162, zu B II 2 c ee (1) der Gründe mwN) . Wenn ein den
betreffenden Gegenstand regelnder Tarifvertrag nicht (mehr) besteht, genügt es für die
Sperrwirkung, dass die betreffende Angelegenheit „üblicherweise“ tariflich geregelt wird.
Maßgeblich ist die einschlägige Tarifpraxis. Tarifüblich ist eine Regelung regelmäßig, wenn
Verhandlungen über einen den Regelungsgegenstand betreffenden Tarifvertrag geführt werden.
Bloße zeitliche Geltungslücken zwischen einem abgelaufenen und einem zu erwartenden
Tarifvertrag hindern die Sperrwirkung nicht (BAG 22. März 2005 - 1 ABR 64/03 - aaO mwN) .
Keine Tarifüblichkeit liegt vor, wenn es in der Vergangenheit noch keinen einschlägigen
Tarifvertrag gab und die Tarifvertragsparteien lediglich beabsichtigen, die Angelegenheit künftig
tariflich zu regeln. Dies gilt selbst dann, wenn sie bereits Tarifverhandlungen geführt haben (vgl.
BAG 22. Mai 1979 - 1 ABR 100/77 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 118
Nr. 22, zu B II 1 der Gründe; 23. Oktober 1985 - 4 AZR 119/84 - AP TVG § 1 Tarifverträge:
Metallindustrie Nr. 33 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 21) .
12 b) Hiernach steht die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG der BV 1995 nicht entgegen. Die
Betriebsvereinbarung regelt zwar Arbeitsentgelte und sonstige materielle Arbeitsbedingungen.
Diese sind aber nicht Gegenstand eines einschlägigen Tarifvertrags. Es gibt keinen Tarifvertrag, in
dessen räumlichen, betrieblichen und fachlichen Geltungsbereich der Betrieb der Beklagten fiele.
Die Arbeitsentgelte in privaten Alten- und Pflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen sind auch
nicht üblicherweise tarifvertraglich geregelt. Sie waren, soweit ersichtlich, nie Gegenstand eines
den Betrieb der Beklagten erfassenden Tarifvertrags. Daher genügt es für die Tarifüblichkeit nicht,
dass die Beklagte mit der Gewerkschaft ver.di nach Kündigung der BV 1995 zeitweilig und letztlich
erfolglos Verhandlungen über einen Haustarifvertrag führte. Dadurch wurde die Regelungssperre
des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG nicht - nachträglich - ausgelöst.
13 2. Die BV 1995 wurde zwar von der Beklagten zum 31. Dezember 2001 gekündigt. Sie wirkt aber
entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.
14 a) Nach § 77 Abs. 6 BetrVG gelten die Regelungen einer Betriebsvereinbarung in
Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und
Betriebsrat ersetzen kann, weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Dies
betrifft die Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung. Betriebsvereinbarungen über
Gegenstände, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, entfalten kraft Gesetzes keine
Nachwirkung. Betriebsvereinbarungen mit teils erzwingbaren, teils freiwilligen Regelungen wirken
grundsätzlich nur hinsichtlich der Gegenstände nach, die der zwingenden Mitbestimmung
unterfallen (BAG 23. Juni 1992 - 1 ABR 9/92 - BAGE 70, 356, zu B II 5 der Gründe) . Dies setzt
allerdings voraus, dass sich die Betriebsvereinbarung sinnvoll in einen nachwirkenden und einen
nachwirkungslosen Teil aufspalten lässt. Andernfalls entfaltet zur Sicherung der Mitbestimmung
die gesamte Betriebsvereinbarung Nachwirkung.
15 aa) Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen des Arbeitgebers sind regelmäßig
teilmitbestimmt. Während der Arbeitgeber den Dotierungsrahmen mitbestimmungsfrei vorgeben
kann, bedarf er für die Ausgestaltung, also für den Verteilungs- und Leistungsplan nach § 87
Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, der Zustimmung des Betriebsrats. Die Nachwirkung derart
teilmitbestimmter Betriebsvereinbarungen hängt im Falle ihrer Kündigung durch den Arbeitgeber
davon ab, ob die gesamten freiwilligen Leistungen ersatzlos beseitigt oder lediglich reduziert
werden sollen.
16 (1) Will ein Arbeitgeber mit der Kündigung einer teilmitbestimmten Betriebsvereinbarung seine
finanziellen Leistungen vollständig und ersatzlos einstellen, tritt keine Nachwirkung ein (BAG
17. Januar 1995 - 1 ABR 29/94 - AP BetrVG 1972 § 77 Nachwirkung Nr. 7 = EzA BetrVG 1972
§ 77 Nr. 54, zu II A 2 der Gründe) . Im Falle einer vollständigen Einstellung der Leistungen
verbleiben keine Mittel, bei deren Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
mitzubestimmen hätte. Sinn der Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ist - zumindest auch - die
kontinuierliche Wahrung betriebsverfassungsrechtlicher Mitbestimmungsrechte (BAG 17. Januar
1995 - 1 ABR 29/94 - aaO). Sind solche nicht betroffen, bedarf es der Nachwirkung nicht.
17 (2) Will der Arbeitgeber seine finanziellen Leistungen nicht völlig zum Erlöschen bringen, sondern
mit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung nur eine Verringerung des Volumens der insgesamt
zur Verfügung gestellten Mittel und zugleich eine Veränderung des Verteilungsplans erreichen,
wirkt die Betriebsvereinbarung nach (BAG 26. Oktober 1993 - 1 AZR 46/93 - BAGE 75,16, zu 2 b
der Gründe; 18. November 2003 - 1 AZR 604/02 - BAGE 108, 299, zu I 3 c cc der Gründe; Kreutz
GK-BetrVG 8. Aufl. § 77 Rn. 409; Fitting BetrVG 24. Aufl. § 77 Rn. 191 mwN; offen gelassen für
die betriebliche Altersversorgung von BAG 17. August 1999 - 3 ABR 55/98 - BAGE 92, 203, zu
B I 5 a der Gründe und 18. September 2001 - 3 AZR 728/00 - BAGE 99, 75, zu II 2 b dd (2) der
Gründe) . Anders als bei der vollständigen Streichung der Leistungen verbleibt in diesem Fall ein
Finanzvolumen, bei dessen Verteilung der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
mitzubestimmen hat. Das vom Arbeitgeber einmal zur Verfügung gestellte Finanzvolumen wird
dadurch nicht unabänderlich perpetuiert. Die erforderlichenfalls von ihm anzurufende
Einigungsstelle muss vielmehr ihrem Spruch über den neuen Leistungsplan das vom Arbeitgeber
noch zur Verfügung gestellte Finanzvolumen als mitbestimmungsfreie Vorgabe zugrunde legen
(BAG 18. November 2003 - 1 AZR 604/02 - aaO mwN) .
18 (3) Will schließlich der Arbeitgeber mit der Kündigung einer Betriebsvereinbarung lediglich das
bisher zur Verfügung gestellte Finanzvolumen verringern, ohne den Verteilungsplan zu ändern, ist
die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht betroffen. Wenn der
Arbeitgeber die Verteilungsgrundsätze beibehalten und lediglich die Höhe der finanziellen
Leistungen gleichmäßig absenken will, bedarf es dementsprechend zur Sicherung der
Mitbestimmung des Betriebsrats der Nachwirkung der Betriebsvereinbarung hinsichtlich der
absoluten Höhe der Leistungen nicht. Hinsichtlich des Verteilungsplans wirkt die
Betriebsvereinbarung jedoch nach. In einem solchen Fall lässt sich eine Betriebsvereinbarung
aufspalten in einen nachwirkenden Teil über die Vergütungsstruktur und einen keine Nachwirkung
entfaltenden Teil über die Vergütungshöhe.
19 bb) Die Nachwirkung von teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen über finanzielle Leistungen
stellt sich abhängig von einer Tarifbindung des Arbeitgebers unterschiedlich dar.
20 (1) Ist ein Arbeitgeber tarifgebunden, beschränkt sich die Mitbestimmung des Betriebsrats nach
§ 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wegen § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG auf den nicht tariflich
geregelten, freiwillig geleisteten übertariflichen Teil der Vergütung. Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG
sind Betriebsvereinbarungen nur über diesen Teil des Entgelts zulässig. Dementsprechend kommt
eine Nachwirkung von Betriebsvereinbarungen nach § 77 Abs. 6 BetrVG auch nur hinsichtlich der
übertariflichen Vergütungsbestandteile in Betracht. Werden diese durch die Kündigung einer
Betriebsvereinbarung vollständig beseitigt, ist weder für eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1
Nr. 10 BetrVG noch für eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG Raum.
21 (2) Ist ein Arbeitgeber nicht tarifgebunden, kann er - kollektivrechtlich - das gesamte Volumen der
von ihm für die Vergütung der Arbeitnehmer bereitgestellten Mittel mitbestimmungsfrei festlegen
und für die Zukunft ändern. Mangels Tarifbindung leistet er in diesem Fall sämtliche
Vergütungsbestandteile „freiwillig“, dh. ohne hierzu normativ verpflichtet zu sein. Solange er die
Arbeit überhaupt vergütet, hat der nicht tarifgebundene Arbeitgeber die „freiwilligen“ Leistungen
nicht gänzlich eingestellt. Bei einer Absenkung der Vergütung hat er damit - weil keine tarifliche
Vergütungsordnung das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs.
BetrVG ausschließt - die bisher geltenden Entlohnungsgrundsätze auch bezüglich des
verbleibenden Vergütungsvolumens zu beachten und im Falle ihrer Änderung die Zustimmung des
Betriebsrats einzuholen (BAG 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - Rn. 22, BAGE 117, 130) . Dies gilt
auch dann, wenn der Arbeitgeber Teile der Vergütung den Arbeitnehmern individualvertraglich
schuldet. Individualvertragliche Ansprüche sind zwar nach dem Günstigkeitsprinzip im Verhältnis
zwischen dem einzelnen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber zu beachten. Anders als gesetzliche
oder tarifliche Regelungen stehen sie aber der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG
nicht entgegen. Auch lässt sich regelmäßig die Gesamtvergütung nicht in mehrere voneinander
unabhängige Bestandteile - wie etwa Grundvergütung, Zulagen, Jahresleistungen etc. - aufspalten.
Vielmehr bildet ihre Gesamtheit die Vergütungsordnung, bei deren Aufstellung und Veränderung
der Betriebsrat mitzubestimmen hat (vgl. BAG 15. April 2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 32, NZA 2008,
888) . Die Vergütungsstruktur wird daher regelmäßig geändert, wenn nur einer der mehreren
Bestandteile, aus denen sich die Gesamtvergütung zusammensetzt, gestrichen, erhöht oder
vermindert wird. Die Vergütungsstruktur wird auch dann geändert, wenn sich durch die Streichung
einer Jahreszuwendung zwar nicht der relative Abstand der jeweiligen Gesamtvergütungen
zueinander verändert, aber Teile der Gesamtvergütung nicht mehr als zusätzliche Einmalzahlung
zu einem bestimmten Datum geleistet werden, sondern die Gesamtvergütung auf monatlich
gleichbleibende Beträge verteilt wird (BAG 28. Februar 2006 - 1 ABR 4/05 - Rn. 18 aaO; 15. April
2008 - 1 AZR 65/07 - Rn. 25 aaO) .
22 b) Hiernach wirken die Bestimmungen der BV 1995 gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG über die durch die
Kündigung zum 31. Dezember 2001 eingetretene Beendigung hinaus nach. Die BV 1995 ist
teilmitbestimmt. Soweit sie - teils durch Verweisung auf die Lohn- und Vergütungstarifverträge des
Bundes und der Länder, teils durch eigenständige Bestimmungen - die Höhe der Vergütung regelt,
unterliegt sie nicht der zwingenden Mitbestimmung. Soweit sie die betriebliche Vergütungsstruktur
regelt, handelt es sich um eine nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtige
Angelegenheit. Da die Beklagte nicht tarifgebunden ist, sind sämtliche in der Betriebsvereinbarung
geregelten Vergütungsbestandteile - im mitbestimmungsrechtlichen Sinn - „freiwillige Leistungen“.
Die Beklagte hat nicht sämtliche Vergütungsbestandteile gestrichen. Sie hat ersichtlich nur die
Jahreszuwendung eingestellt und erbringt weiterhin die übrigen Vergütungsbestandteile. Mit der
Streichung der Weihnachtszuwendung war nicht lediglich eine gleichmäßige Absenkung des
Vergütungsniveaus verbunden, durch welche die Vergütungsstruktur unberührt geblieben wäre. Es
spricht vieles dafür, dass sich durch die Streichung der Weihnachtszuwendung die Relationen der
Vergütungen der einzelnen Arbeitnehmer schon deshalb veränderten, weil die BV 1995 ua. auch
absolute Beträge, wie das Urlaubsgeld, vorsieht. Dies kann jedoch dahinstehen. In jedem Fall
erfolgte eine Änderung bestehender Entlohnungsgrundsätze dadurch, dass künftig Teile der
Gesamtvergütung nicht mehr als zusätzliche Einmalzahlung zu einem bestimmten Datum
geleistet werden, sondern die Gesamtvergütung auf monatlich gleichbleibende Beträge verteilt
wird. Diese Änderung der Entlohnungsgrundsätze konnte die Beklagte wirksam nicht ohne den
Betriebsrat vornehmen.
23 3. Die nachwirkende BV 1995 begründet einen Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.949,22 Euro.
Nach § 3 Abs. i Satz 2 BV 1995 beträgt die Zuwendung „ein Monatsgehalt“. Was hierunter zu
verstehen ist, ergibt sich aus der Erläuterung in der anschließenden Klammer. Danach setzt es
sich zusammen aus „Grundgehalt, Ortszuschlag, Stellenzulage und Schichtzulage, ohne
Berücksichtigung von Zeitzuschlägen“. Das Grundgehalt der Klägerin betrug zuletzt
1.283,22 Euro, der Ortszuschlag 575,03 Euro und die „allgemeine Zulage“ 90,97 Euro. Die
„allgemeine Zulage“ ist ersichtlich eine Stellenzulage im Sinne der BV 1995. Die drei Positionen
ergeben zusammen den Betrag von 1.949,22 Euro. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die
„anrechenbare übertarifliche Zulage“ von 492,74 Euro und der Arbeitgeberanteil zu den
vermögenswirksamen Leistungen in Höhe von 6,65 Euro. Die Aufzählung der maßgeblichen
Vergütungsbestandteile in § 3 Abs. i BV 1995 ist ersichtlich abschließend.
24 II. In Höhe von 499,39 Euro brutto ist die Klage unbegründet. Ein Anspruch folgt insoweit weder
aus der BV 1995 noch aus einer Gesamtzusage oder einer betrieblichen Übung. Die hierfür
erforderlichen Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Beklagte bezahlte das Weihnachtsgeld in der
Vergangenheit ausschließlich im Hinblick auf die BV 1995 und zur Erfüllung der sich daraus
ergebenden Verpflichtungen ohne zusätzlichen eigenständigen Verpflichtungswillen.
Schmidt
Kreft Linsenmaier
Peter Berg Rath