Urteil des BAG vom 13.11.2014

Parallelentscheidung zum Urteil des Gerichts vom 13.11.2014, 6 AZR 870/13.

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.11.2014, 6 AZR 871/13
Inkongruente Deckung - Zahlung über Konto der Ehefrau
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 29. Juli
2013 - 10 Sa 1105/12 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das
Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Rückzahlung des der Beklagten im Wege einer mittelbaren Zuwendung über das Konto der Ehefrau des
späteren Schuldners gezahlten Nettoentgelts für März 2008 im Wege der Insolvenzanfechtung.
2 Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das auf Eigenantrag des Schuldners vom 13. Mai 2008 am 27. Juni 2008 eröffnete
Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners, das am 20. Januar 2011 in ein Nachlassinsolvenzverfahren übergeleitet wurde. Die
Beklagte war Arbeitnehmerin des Schuldners, der im Frühjahr 2008 noch ca. 20 weitere Arbeitnehmer beschäftigte.
3 Am 20. Februar 2008 trat der Schuldner zahlreiche Forderungen erfüllungshalber an seine Ehefrau ab, die der Kläger erfolgreich
angefochten hat. Am 3. März 2008 leitete der frühere Geschäftspartner des Schuldners die Zwangsvollstreckung aus einem am 8. Februar
2008 geschlossenen Schuldanerkenntnis über 820.000,00 Euro, in dem sich der Schuldner der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen
hatte, ein. Zuvor hatte er mit Schreiben vom 28. Februar 2008 ein vorläufiges Zahlungsverbot gegenüber einem Drittschuldner erwirkt.
4 Am 26. März 2008 wurde vom Geschäftskonto des Schuldners, das sich zu diesem Zeitpunkt bereits mit mehr als 150.000,00 Euro im Soll
befand, ein Betrag von 100.000,00 Euro mit dem Verwendungszweck „Löhne“ auf ein privates Girokonto seiner Ehefrau überwiesen. Der
Schuldner war nie Inhaber dieses Kontos und hatte seit Eröffnung dieses Privatkontos seiner Ehefrau im Jahr 1995 zu keiner Zeit Vollmacht
über dieses Konto. Am 28. März 2008 überwies die Ehefrau des Schuldners ua. das Nettoentgelt der Beklagten für März 2008 von
1.422,13 Euro, das der Beklagten am Ende des Monats März 2008 gutgeschrieben wurde.
5 Der Kläger erklärte mit Schreiben vom 21. Dezember 2011 die Anfechtung der Zahlung des Entgelts für März 2008. Dieses Schreiben ging
der Beklagten nicht zu, weil sie unter der angegebenen Adresse nicht mehr gemeldet war. Der Kläger beantragte am 30. Dezember 2011 bei
dem Arbeitsgericht Hannover den Erlass eines Mahnbescheids. Den Anspruch bezeichnete er wie folgt:
„Anspruch auf Rückgewähr auf Grund Insolvenzanfechtung des über das Konto der H M für den Monat März 2008 gezahlten
Arbeitsentgeltes i. H. v. 1.422,13 EUR netto (vgl. Aufforderungsschr. v. 21.12.2011)“.
6 Der mit der unzutreffenden Anschrift der Beklagten am 3. Januar 2012 erlassene Mahnbescheid konnte ebenfalls nicht zugestellt werden.
Dies teilte das Arbeitsgericht dem Kläger mit Schreiben vom 17. Januar 2012 mit, der daraufhin mit Schreiben vom 26. Januar 2012 die
Anschrift der Beklagten übermittelte, unter der der Mahnbescheid am 3. Februar 2012 zugestellt wurde. Die Beklagte erhob am 8. Februar
2012 Widerspruch.
7 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.422,13 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 27. Juni 2008 zu zahlen.
8 Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Zahlung habe keine inkongruente Deckung bewirkt, und
Verjährung eingewandt.
9 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision hat Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts konnte die Klage nicht abgewiesen werden. Auf der Grundlage
des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, ob der Anfechtungstatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfüllt
ist. Dazu bedarf es noch der Feststellung des Landesarbeitsgerichts, ob der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung
zahlungsunfähig war. Der Rechtsstreit war daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11 I. Der Kläger hat die mittelbar über das Konto der Ehefrau des Schuldners bewirkte Erfüllung des (Netto-)Entgeltanspruchs für März 2008
und damit eine Rechtshandlung des Schuldners angefochten. Anfechtungsgegner ist die Beklagte. Das hat der Senat in seiner
Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 12) ausgeführt.
12 II. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe das Entgelt für März 2008 auf dem erfolgten Zahlungsweg beanspruchen
können, weil nur eine geringfügige, die Gläubigerinteressen nicht beeinträchtigende Abweichung vorliege, hält einer revisionsrechtlichen
Überprüfung nicht stand. Sie trägt dem Grundgedanken des § 131 InsO nicht hinreichend Rechnung. Die Befriedigung erfolgte nicht in
der geschuldeten Art und war damit inkongruent. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf seine
Ausführungen in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 14 bis 29). Die Beklagte hat auch erkannt, dass es
sich bei der Zahlung des Nettoentgelts für März 2008 um eine Leistung des Schuldners handelte (vgl. zu diesem Erfordernis BAG
21. November 2013 - 6 AZR 159/12 - Rn. 13, BAGE 146, 323). Die Zahlung erfolgte nach ihrem eigenen Vortrag mit dem Zusatz „W
Architekten“.
13 III. Die Entscheidung erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
14 1. Die Beklagte erlangte die inkongruente Deckung Ende März 2008 und damit im zweiten Monat vor dem am 13. Mai 2008 beim
Insolvenzgericht eingegangenen Eigenantrag. Auch die erforderliche Gläubigerbenachteiligung iSd. § 129 InsO liegt vor. Das ergibt sich
aus den Ausführungen des Senats in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 32 bis 39).
15 2. Die Einrede der Verjährung (§ 146 Abs. 1 InsO iVm. § 214 Abs. 1, §§ 194 ff. BGB) hat keinen Erfolg.
16 a) Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts ist der Anfechtungsanspruch nicht schon deshalb verjährt, weil der
Beklagten vor Ablauf des Jahres 2011 keine Anfechtungserklärung zugegangen ist. Der Senat verweist insoweit auf seine Ausführungen
in seiner Entscheidung vom 13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 43 f.).
17 b) Die gemäß § 146 Abs. 1 InsO, §§ 195, 199 Abs. 1 BGB am 31. Dezember 2011 eintretende Verjährung wurde durch den Antrag auf
Erlass des Mahnbescheids gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB gehemmt.
18 aa) Der durch die unrichtige Adressierung des Mahnantrags erforderliche Schriftwechsel zwischen Mahngericht und dem Kläger führte
nicht zu einer rechtserheblichen Verzögerung der Zustellung. Zwar wurde der Mahnbescheid der Beklagten nicht mehr vor Ablauf der
Verjährungsfrist zugestellt. Die Zustellung erfolgte jedoch „demnächst“ iSd. § 167 ZPO. Die Verzögerung der Zustellung durch die
Angabe der unzutreffenden Anschrift der Beklagten ist dem Kläger nicht zuzurechnen. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom
13. November 2014 (- 6 AZR 870/13 - Rn. 17 bis 19) ausgeführt und nimmt darauf Bezug.
19 bb) Der Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids war auch hinreichend individualisiert. Das hat der Senat in seiner Entscheidung vom
13. November 2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 48 bis 50) begründet.
20 3. Der Rückforderungsanspruch ist auch nicht verwirkt. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats im Urteil vom 13. November
2014 (- 6 AZR 869/13 - Rn. 52 f.) verwiesen.
21 IV. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen zu der für § 131
Abs. 1 Nr. 2 InsO erforderlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners iSv. § 17 Abs. 2 InsO im Zeitpunkt der angefochtenen
Rechtshandlung getroffen. Dies wird es unter Beachtung der dazu ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG 6. Oktober 2011
- 6 AZR 262/10 - Rn. 23 ff., BAGE 139, 235; BGH 7. November 2013 - IX ZR 49/13 - Rn. 11; 18. Juli 2013 - IX ZR 143/12 - Rn. 7 ff.)
nachzuholen haben und dabei auch darüber befinden müssen, ob es das vom Kläger eingereichte Schiedsgutachten vom 3. August 2010
verwertet. Sollte es die Zahlungsunfähigkeit bejahen, wird es bei seiner Entscheidung über die Zinsen zu beachten haben, dass der
Einwand des missbräuchlichen Verhaltens dem geltend gemachten Zinsanspruch nicht entgegensteht. Das bloße Ausschöpfen der
Verjährungsfrist begründet keinen Rechtsmissbrauch (vgl. BAG 27. November 2008 - 6 AZR 632/08 - Rn. 29, BAGE 128, 317). Es wird
weiter berücksichtigen müssen, dass der Rückgewähranspruch ab Insolvenzeröffnung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu
verzinsen ist. Nach der geltenden Rechtslage entsteht das Anfechtungsrecht mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und wird zugleich
der Rückgewähranspruch fällig, weil die Insolvenzanfechtung keiner gesonderten Erklärung bedarf (vgl. BGH 1. Februar 2007 - IX ZR
96/04 - Rn. 20, BGHZ 171, 38). Der Zinslauf des Zinsanspruchs (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288
Abs. 1 Satz 2 BGB) beginnt darum am Tag nach der Insolvenzeröffnung (st. Rspr. seit BAG 27. Februar 2014 - 6 AZR 367/13 - Rn. 39 f.).
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