Urteil des AG Kerpen vom 13.03.2003

AG Kerpen: unrichtige auskunft, kopie, versicherungsvertrag, versicherungsnehmer, versicherungsverhältnis, gegenüberstellung, strafverfahren, strafbefehl, erlass, vollstreckung

Amtsgericht Kerpen, 25 C 40/02
Datum:
13.03.2003
Gericht:
Amtsgericht Kerpen
Spruchkörper:
Abteilung 25
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
25 C 40/02
Nachinstanz:
Landgericht Köln, 20 S 8/03
Leitsätze:
Der Kfz-Haftpflicht-Versicherer ist seinem Versicherungsnehmer
gegenüber verpflichtet, sich ein umfassendes Bild über die Umstände zu
verschaffen, aus denen Ansprüche gegen ihn hergeleitet werden.
Unterlaufen ihm bei seiner Prüfung Fehler, die als schuldhafte
Verletzung seiner Pflichten zu werten sind, braucht der
Versicherungsnehmer das Verhalten des Versicherers gegenüber dem
Anspruchssteller im Innenverhältnis nicht gegen sich gelten zu lassen.
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 283,62 Euro zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den
Schaden zu ersetzten, der ihm infolge der auf dem Ereignis vom
08.06.2000 (F.-Parkplatz, E.Straße in L., amtl. Kennzeichen des
beteiligten Fahrzeuges: XX - XX YYY) basierenden Höherstufung des
Versicherungsvertrages ... entstanden ist oder noch entstehen wird.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte. Die Streithelferin der
Beklagten trägt ihre Kosten selbst.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen sich durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt gegen sie zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger war seit 1999 bis zum 31.12.2002 hinsichtlich einer Kfz-
2
Haftpflichtversicherung Versicherungsnehmer der Beklagten.
Wegen eines am 08.06.2000 vom Kläger auf dem F.-Parkplatz auf der E.-Straße in L. mit
dem bei der Beklagten versicherten Fahrzeug angeblich verursachten Schadens hat die
Beklagte am 03.11.2000 an die dortige Anspruchstellerin, die Streithelferin der
Beklagten in diesem Prozess, rund 2.500,00 DM gezahlt und das
Versicherungsverhältnis des Klägers mit Wirkung ab 2001 in eine ungünstigere
Schadensfreiheitsklasse umgestuft. Mit der Klage begehrt der Kläger die
Rückgängigmachung der Folgen dieser Höherstufung.
3
Er selbst hatte auf Grund eines Besuches der Polizei am 24.06.2000 von den gegen ihn
gerichteten Vorwürfen erfahren. Durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom
08.07.2000 (Kopie hiervon als Bl. 7 zur Akte gereicht) wurde die Beklagte darauf
hingewiesen, dass der Kläger die angebliche Schädigung mit Nachdruck bestreitet.
Obwohl die Streithelferin bereits unter dem 19.07.2000 Ansprüche bei der Beklagten
anmeldete, äußerte diese sich dem Kläger gegenüber zunächst nicht. Unter dem
09.08.2000 (Kopie Bl. 8 d. A.) schrieben die Prozessbevollmächtigten des Klägers die
Beklagte erneut an und wiesen darauf hin, dass sich aus der Ermittlungsakte, die sie
zwischenzeitlich eingesehen hatten, ergebe, dass die Schäden an den jeweils
beteiligten Fahrzeugen einander nicht zugeordnet werden können. Sie wiesen die
Beklagte weiter darauf hin, dass es vor diesem Hintergrund angezeigt wäre, dass die
Beklagte bei einer entsprechenden Anspruchstellung eine Gegenüberstellung der
Fahrzeuge veranlasst.
4
Die Beklagte antwortete dem Kläger erstmals mit Schreiben vom 25.08.2000 (Kopie Bl.
9 d. A.). In diesem Schreiben sagte die Beklagte zu, das Ermittlungsverfahren
abzuwarten. Eine Gegenüberstellung zum jetzigen Zeitpunkt halte sie, da amtlicherseits
ermittelt werde, nicht für sinnvoll.
5
Am 13.09.2000 erhob die Streithelferin beim Amtsgericht Köln unter dem Aktenzeichen
263 C 406/00 Klage gegen den Kläger und die Beklagte wegen der ihr durch den Unfall
angeblich entstandenen Schäden; die Klage wurde dem Kläger am 23.09. und der
Beklagten am 24.10.2000 zugestellt. In der Zwischenzeit waren bei der Beklagten die
von dieser eingeholten schriftlichen Stellungnahmen der Unfallzeuginnen eingegangen
(Kopie Bl. 49 d. A.). Nachdem ihm die Klage der Streithelferin zugestellt worden war,
hatte der Kläger am 27.09.2000 durch seine Anwälte die Beklagte nochmals darauf
hinweisen lassen, dass die gegen ihn gestellten Ansprüche unbegründet seien (Kopie
Bl. 13 ff. d. A.). In diesem Schreiben wiesen die Prozessbevollmächtigten des Klägers
die Beklagte auch darauf hin, dass der zwischenzeitlich am 30.08.2000 im
Strafverfahren vor dem Amtsgericht Köln (AZ: 403 Js 712/00) ergangene Strafbefehl im
Wege des Einspruchs angegriffen werde. Die im Strafverfahren abgegebene Einlassung
des Klägers vom 09.08.2000 war diesem Schreiben beigefügt.
6
Am 03.11.2000 wies die Beklagte den Kläger darauf hin (Kopie Bl. 17 d. A.), dass sie
die von der Streithelferin geforderte Summe gezahlt habe, da sie keine Aussichten auf
eine erfolgreiche Rechtsverteidigung sehe.
7
Im auf den Einspruch gegen den Strafbefehl fortgesetzten Strafverfahren erging am
26.04.2001 freisprechendes Urteil, nachdem der Sachverständige ... in der
Hauptverhandlung dargelegt hatte, dass eine Schädigung des Fahrzeugs der
Anspruchstellerin durch das klägerische Fahrzeug auf Grund der Schadenspuren
8
ausgeschlossen sei.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe durch die vorschnelle Regulierung
gegenüber der Anspruchstellerin ihm gegenüber bestehende Pflichten aus dem
Versicherungsvertrag verletzt. Aufgrund dessen sei sie ihm zum Schadensersatz
dergestalt verpflichtet, dass sie seinen Versicherungsvertrag so weiterzuführen habe,
als wenn das streitgegenständliche Ereignis vom 08.06.2000 nicht stattgefunden hätte.
9
Nach mehrmaliger Umstellung und Umformulierung seiner Anträge hat der Kläger mit
Schreiben vom 04.07.2002 zuletzt beantragt, dass der bei der Beklagten bestehende
Versicherungsvertrag bei der zukünftigen Prämienzahlung und der Bemessung der
Schadensfreiheitsklasse so zu stellen ist, als finde das Ereignis vom 08.06.2000 keine
Berücksichtigung. Weiter hat er beantragt, die Beklagte zunächst zur Auskunft darüber
zu verurteilen, welche Versicherungsprämien in der Jahren 2001 und 2002 bezüglich
des Versicherungsvertrages ... zur Zahlung fällig gewesen wären, sofern keine
Höherstufung des Vertrages wegen des Ereignisses vom 08.06.2000 erfolgt wäre und
weiterhin die Beklagte zu verurteilen, den sich aus der Auskunftserteilung ergebenden
Differenzbetrag zur tatsächlich gezahlten Prämie an den Kläger zu erstatten. Hilfsweise
für den Fall, dass der Versicherungsvertrag bei der Beklagten vorzeitig ende, hat er
beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen,
der ihm infolge der auf dem Ereignis vom 08.06.2000 basierenden Höherstufung des
Versicherungsverhältnisses entstanden ist oder noch entstehen wird.
10
Nachdem die Beklagte bereits unter dem 31.07.2001 (Bl. 21 f. d. A.) und dem
10.05.2002 (Bl. 76 d. A.) einander widersprechende Mitteilungen zum
Prämienmehraufwand infolge der Höherstufung gemacht hat, hat sie schließlich unter
dem 01.10.2002 nochmals Auskunft erteilt. Eine Kopie dieses Schreibens ist als Bl. 163
zur Akte gereicht. Für das Jahr 2001 ergibt sich danach eine Mehrprämie von 186,63
Euro, für das Jahr 2002 eine solche 96,99 Euro. Aufgrund dieser Auskunft hat der Kläger
im Termin vom 13.02.2003 den Auskunftsanspruch für erledigt erklärt. Da das
Versicherungsverhältnis mit der Beklagten überdies zum 31.12.2002 sein Ende
gefunden hat, hat der Kläger auch seinen primär verfolgten Feststellungsantrag aus dem
Schriftsatz vom 04.07.2002, dort Ziff. 1, für erledigt erklärt.
11
Er beantragt nunmehr noch,
12
wie erkannt.
13
Die Beklagte beantragt,
14
die Klage abzweisen.
15
Die Streithelferin der Beklagten hat sich diesem Antrag angeschlossen.
16
Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe durch die Regulierung keine Pflichtverletzung
dem Kläger gegenüber begangen. Ihr Regulierungsverhalten sei auf Basis ihres
damaligen Kenntnisstandes zu bewerten, vor diesem Hintergrund sei es nicht
ermessensfehlerhaft gewesen, den Anspruch zu befriedigen.
17
Nachdem die Beklagte ihr zunächst erklärtes Einverständis mit einer Verwertung der
Beweisergebnisse aus der Strafakte zurückgezogen hat, hat das Gericht gemäß der
18
Beschlüsse vom 22.07., 29.08.2002 und 13.02.2003 durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens und durch Vernehmung von Zeuginnen Beweis erhoben.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des
Sachverständigen ... vom 11.10.2002 und auf das Sitzungsprotokoll vom 13.02.2003
Bezug genommen.
Die von der Beklagten gegen ihre Streithelferin und Zeugin erhobene Drittwiderklage
hat das Gericht auf die entsprechende Rüge der Drittwiderbeklagten hin durch
Beschluss vom 13.02.2003 abgetrennt und an das zuständige Amtsgericht in
Wipperfürth verwiesen. Die Akten des Amtsgerichts Köln zum dortigen Aktenzeichen
263 C 406/00 und der Staatsanwaltschaft Köln zum dortigen Aktenzeichen 403 Js
712/00 waren zu Informationszwecken Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
19
Entscheidungsgründe:
20
Obwohl die Beklagte sich zu der teilweisen Erledigungserklärung des Klägers im
Termin vom 13.02.2003 nicht ausdrücklich erklärt hat, war ihr Prozessverhalten so
auszulegen, dass sie sich der Erledigung hinsichtlich der 2 Teilstreitpunkte anschließt.
Dies deshalb, weil die die Erledigung begründenden Umstände unstreitig sind und auch
die Beklagte zu keinem Zeitpunkt zu erkennen gegeben hat, dass sie hinsichtlich dieser
Punkte eine weiter streitige Verhandlung wünscht.
21
Die Klage in ihrer zum Schluss verfolgten Gestalt ist zulässig und begründet.
22
Für die Zahlung der Beklagten an die Anspruchstellerin vom November 2000 gab es
nicht nur keinen Anspruch, diese Regulierung verstieß auch gegen Pflichten, die der
Beklagten gegenüber ihrem Versicherungsnehmer, dem Kläger, bestanden.
23
Diese Pflichtverletzung der Beklagten hat nach den Grundsätzen der positiven
Forderungsverletzung die Verpflichtung der Beklagten zur Folge, dem Kläger durch
diese unberechtigte Regulierung entstandene Schäden auszugleichen. Beziffern kann
der Kläger diese Schäden nach den mehrfachen und widersprüchlichen, zuletzt aber
akzeptierten, Mitteilungen der Beklagten zum Prämienmehraufwand zum Zeitpunkt des
Schlusses der mündlichen Verhandlung lediglich für die Jahre 2001 und 2002. Unter
Zugrundelegung der Auskünfte der Beklagten macht der Prämienmehraufwand für diese
Jahre einen Betrag von 283,62 Euro aus. Diese Mehrprämie hat die Beklagte als
Schadensersatz an den Kläger zurückzuzahlen.
24
Da das Versicherungsverhältnis zwischen den Parteien zum 31.12.2002 endete, ist es
nicht mehr möglich, die weiter anfallenden Prämienmehraufwendungen, die auch bei
der neuen Versicherung des Klägers dadurch entstehen, dass die Beklagte die
Schadensfreiheitsdaten zum Zeitpunkt des Vertragswechsels an die neue Versicherung
weitergegeben hat, unmittelbar zwischen den Parteien etwa dadurch auszugleichen,
dass der Vertrag rückwirkend umgestuft wird. Dem Kläger entstehen damit bei seiner
neuen Versicherung auch in den Jahren nach 2002 Mehraufwendungen, die derzeit auf
Grund des unklaren weiteren Verlaufes des Vertragsverhältnisses noch nicht beziffert
werden können. Soweit diesen Mehraufwendungen, der (unrichtige) auf Grund des
Ereignisses vom 08.06.2000 erhöhte Prämiensatz, den die neue Versicherung von der
Beklagten übernommen hat, zugrunde liegt, geht dieser Mehraufwand auf das
vertragswidrige Verhalten der Beklagten zurück. Sie hat dem Kläger in Zukunft gerade
dadurch entstehende Schäden zu ersetzen. Der Kläger hatte ein rechtliches Interesse
25
daran, diese Verpflichtung durch gerichtliche Entscheidung feststellen zu lassen, § 256
ZPO.
Dem zwischen den Parteien vormals bestehenden Versicherungsvertrag lagen
unstreitig die AKB in der den Musterbedingungen entsprechenden Fassung zugrunde.
Nach § 10 Abs. 5 AKB war die Beklagte grundsätzlich berechtigt,
Schadensersatzansprüche Dritter im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens zu regulieren.
Die von der Beklagten im vorliegenden Fall vorgenommene Regulierung war allerdings
objektiv unberechtigt, da der Anspruchsstellerin mangels eines vom Kläger
verursachten Schadens Ersatzansprüche gegen diesen und die Beklagte als seine
Pflichtversicherung nicht zustanden. Dies steht nach der nunmehr auch vor dem
erkennenden Gericht durchgeführten Beweisaufnahme durch Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens unzweifelhaft fest. Auch die Beklagte hat die Ergebnisse
des Gutachtens des Sachverständigen ... nicht in Zweifel gezogen. Die Aussagen der
hierzu ergänzend noch gehörten Zeuginnen, die das Unfallgeschehen seinerzeit
bemerkt haben wollen, steht dem nicht entgegen. Beide haben bei ihrer Befragung
durch das Gericht deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich in der damaligen
Situation keinerlei Gedanken darüber gemacht hätten, ob der von ihnen wahrgenomene
Schaden am Anspruchstellerfahrzeug überhaupt vom Klägerfahrzeug verursacht
worden sein konnte. Sie haben lediglich den Schaden und die aus ihrer Sicht
eindeutige Situation gesehen und daraus falsche Schlüsse gezogen.
26
Dass es in der Folgezeit gleichwohl zu einer Regulierung kam, liegt daran, dass sowohl
die Staatsanwaltschaft als auch die Beklagte bei ihren jeweils angestellten
"Ermittlungen" falsch vorgegangen sind und falsche Schlüsse gezogen haben. Schon
bei Blatt 12 der Ermittlungsakte hätte dem aufmerksamen Leser auffallen müssen, dass
die jeweils gemessenen Höhen der Schadensspuren sich nicht ohne weiteres
zueinander fügen lassen. Die von den Prozessbevollmächtigten des Klägers gegenüber
der Staatsanwaltschaft abgegebene Einlassung von 09.08.2000 weist darauf
ausdrücklich hin. Weshalb gleichwohl ein Strafbefehl beantragt und am 30.08.2000
auch erlassen wurde, bleibt Geheimnis der Staatsanwaltschaft und des zuständigen
Strafrichters. Lediglich die Aussagen der beiden Zeuginnen, die sich zu diesem
Zeitpunkt in schriftlicher Form in der Ermittlungsakte befanden, konnten bei vernünftiger
Würdigung der Sachlage einen hinreichenden Tatverdacht nicht begründen. Auch die
Beklagte hätte dies ohne weiteres erkennen können; jedenfalls, nachdem sie von dem
Prozessbevollmächtigten ihres Versicherungsnehmers darauf hingewiesen worden war,
dass die Schäden nicht korrespondieren können. Offensichtlich hat sie ja, wie sich
ihrem Schreiben vom 25.08.2000 entnehmen lässt, selbst vorgehabt, nicht ohne eine
Gegenüberstellung der Fahrzeuge über eine Regulierung zu entscheiden. Lediglich
deshalb, weil sie zunächst davon ausging, dass die Staatsanwaltschaft eine solche
Begutachtung veranlassen würde, hatte sie selbst zunächst davon abgesehen.
Anhaltspunkte die es aus Sicht der Beklagten dann hätten rechtfertigen können,
gleichwohl eine Regulierung durchzuführen, sind nicht erkennbar. Allein die bei der
Beklagten eingegangene Darstellung der Zeugin ... vom 08.09.2000 war bei vernünftiger
Würdigung nicht geeignet, nunmehr die Versicherungskasse zu öffnen. Warum
insbesondere gerade diese Aussage, die ursprünglich auch bei der Beklagten
bestehenden Bedenken hinsichtlich der Kompatibilität der Schäden etwa entkräften
könnte, trägt die Beklagte selbst auch nicht vor.
27
Dass die Beklagte dann angesichts der erhobenen Zivilklage gleichwohl zahlte, kann
aus Sicht ihres Versicherungsnehmers nur überraschen. Pflichtgemäßes Ermessen
28
spiegelt diese Entscheidung nicht wieder.
Die Beklagte versteht die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 20.11.1980 (IVa
ZR 25/80, MDR 1981, 391 ff) falsch, wenn sie aus dieser eine Rechtfertigung zur
Zahlung im vorliegenden Fall herleitet. Ausdrücklich heißt es dort nämlich, "dem
Ermessen der Versicherung sind dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des
Versicherungsnehmers berührt werden und wo diese deshalb die Rücksichtnahme des
Versicherers verlangen". Als konkretes Beispiel hierfür nennt die Entscheidung sogar
den Fall, dass ein Schadensfreiheitsrabatt des Versicherungsnehmers auf dem Spiel
steht. In solchen Fällen greift die regulierende Versicherung mit ihrem Verhalten nicht
nur die Kasse der bei ihr versicherten Gemeinschaft an, sie schädigt vielmehr auch die
konkreten Vermögensinteressen ihres Vertragspartners. Dieser muss nämlich auf Grund
einer nicht durchdachten Entscheidung der Versicherung über Jahre hinweg
Mehrprämien zahlen, die, wie das vorliegende Verfahren zeigt, beachtliches Ausmaß
erreichen können.
29
Die von der Versicherung vorgebrachten Argumente, die ihre Regulierung zum
Zeitpunkt November 2000 rechtfertigen sollen, sind fadenscheinig. Die Zweifelsfragen
hinsichtlich der Kompatibilität waren zu diesem Zeitpunkt genauso zu bewerten, wie zu
dem Moment, als die Beklagte ihr Schreiben vom 25.08.2000 verfasste. Der Erlass
eines Strafbefehls führt in keiner Weise zu einer strafrechtlichen Präjudizierung.
Abgesehen davon, dass das Beweisergebnis eines Strafverfahrens selbst dann, wenn
dieses rechtskräftig abgeschlossen ist, nicht auf zivilrechtliche Konstellationen ohne
Weiteres übertragen werden kann, stellt der Erlass eines Strafbefehls, zumal in der
vorliegenden konkreten Situation, noch kein taugliches Kriterium dafür dar, ob der
zugrundeliegende Vorwurf zutrifft oder nicht. Auch der Beklagten musste klar sein, dass
Zeugenaussagen generell ein schwaches Beweismittel sind, dies zumal in
Verkehrsunfallkonstellationen. Den schriftlichen Darstellungen der beiden Zeuginnen
lassen sich an keiner Stelle Aussagen entnehmen, die über die Kompatibilitätszweifel
hinweghelfen.
30
Die Ausführungen der Beklagten dazu, warum ihre Regulierung gleichwohl
ermessensfehlerfrei gewesen sein soll, erschöpfen sich in abstrakten Aussagen über
Wirtschaftlichkeitserwägungen und Prozesskosten. Sie nehmen jedoch an keiner Stelle
Bezug auf die zum Regulierungszeitpunkt aktenkundigen Umstände, die allein die
Frage einer pflichtgemäßen Ermessensausübung beantworten können. Nur am Rande
sei der Hinweis gestattet, dass nicht erkennbar ist, weshalb eine weitere
Sachaufklärung, von der Beklagten veranlasst, vorliegend zu unvertretbaren Kosten
hätte führen sollen. Die Vorlage der Ermittlungsakte nebst darin enthaltener Fotos bei
einem "Haussachverständigen" der Beklagten hätte bereits ausgereicht, die offenen
Fragen zu klären. Dieser Weg wird von der ganz überwiegenden Zahl der mit
Verkehrsschäden befassten Haftpflichtversicherungen regelmäßig beschritten, wenn es
darum geht, zweifelhaft erscheinende Schadenspositionen zu überprüfen. Der damit auf
Beklagtenseite verbundene Kostenaufwand dürfte kaum messbar sein.
31
Wenn die Beklagte anstatt dessen eine Regulierung vorzieht, kann dies jedenfalls ihrem
insoweit unschuldigen Versicherungsnehmer nicht zum Nachteil gereichen.
32
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91, Abs. 1, 91 a, 101 Abs. 1 ZPO.
33
Soweit der Rechtsstreit teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt ist, hat die Kosten
34
ebenfalls die Beklagte zu tragen. Grund für die Erledigung hinsichtlich des
ursprünglichen Antrages Ziffer 1 war lediglich das Ende des
Versicherungsverhältnisses. Dies kann dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen. Hätte
er den Vertrag bei der Beklagten fortbestehen lassen, wäre auch dieser Antrag
erfolgreich gewesen. Dass er es vorzog, die Versicherung zu wechseln, erstaunt nicht.
Hinsichtlich des für erledigt erklärten Auskunftsanspruches hat die Beklagte ebenfalls
die Kosten zu tragen. Allein der Umstand, dass sie zuvor zwei mal eine offensichtlich
unrichtige Auskunft erteilt hat, zeigt, dass der Kläger richtig beraten war, auch insofern
eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Auch die Beklagte hat nicht erklären können,
wie sich die Zahlen aus ihrem Schreiben vom 01.10.2002, das schließlich zur
Erledigung führte, zu den vorherigen Angaben, zum Beispiel im Schreiben vom
10.05.2002, fügen lassen.
35
Die Streithelferin hatte, da die Hauptpartei dem Prozess verloren hat, ihre Kosten selbst
zu tragen.
36
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO,
soweit Zahlungsansprüche betroffen sind.
37
Streitwert:
38
In Abänderung des vorläufigen Streitwertbeschlusses vom 06.02.2002 wird der
Streitwert für den zuletzt gestellten Zahlungsantrag auf 283,62 Euro festgesetzt, für den
Feststellungsantrag auf 500,00 Euro, insgesamt mithin auf 783,62 Euro.
39
Die mehrfache Umformulierung der Klageanträge hatte keine Auswirkungen auf den
Wert der verfolgten Ansprüche.
40
Da sich die Auswirkungen der Hochstufungen offensichtlich auf einen Zeitraum von
etwa 10 Jahren erstrecken, hat das Gericht den Gesamtprämienmehraufwand
ausgehend von den Zahlen für 2001 und 2002, auf 1.000,00 Euro geschätzt und auf
Grund des Umstandes, dass insofern lediglich ein Feststellungsantrag anhängig ist,
lediglich 50 % dieses Betrages angesetzt.
41