Urteil des AG Kerpen vom 18.07.2002

AG Kerpen: gegen die guten sitten, nichtigkeit, entlastung, kompetenz, veränderte verhältnisse, beachtliche gründe, anfechtbarkeit, verwalter, gesellschaftsrecht, zukunft

Amtsgericht Kerpen, 15 II 18/02
Datum:
18.07.2002
Gericht:
Amtsgericht Kerpen
Spruchkörper:
Abteilung 15
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 II 18/02
Tenor:
Der Beschluß der Wohnungseigentümergemeinschaft X zur
Jahresabrechnung 2001 (vom 1.1. bis 31.12.2001) wird insofern für
ungültig erklärt, als dort die Kosten für die "Außenanlage Winterdienst",
die Hausmeister-Vergütung und die Hausreinigung nach
Miteigentumsanteilen und nicht nach Wohnungseinheiten verteilt
worden sind.
Weiter wird die unter TOP 1 beschlossene Entlastung der Beiräte und
des Verwalters für das Wirtschaftsjahr vom 1.1. bis zum 31.12.2001 für
unwirksam erklärt.
Es wird festgestellt, daß für zukünftige Wohngeldabrechnungen
hinsichtlich der Positionen "Außenanlagenpflege,
Hausmeisterausgaben und Hausreinigungsausgaben" eine Verteilung
nach Wohnungseinheiten vorzunehmen ist.
Im übrigen werden die Feststellungsanträge als unzulässig
zurückgewiesen.
Die Verfahrenskosten werden den Antragsgegnern auferlegt. Eine
Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beteiligten findet nicht
statt.
G R Ü N D E
1
Der Antragsteller ist Miteigentümer der im Rubrum näher bezeichneten
Wohnungseigentumsanlage. Auszugsweise lautet die für das Gemeinschaftsverhältnis
maßgebende Teilungserklärung wie folgt (vgl. Bl. 47 f. GA):
2
"III. Lastentragung
3
... Die Kosten und Lasten des gemeinschaftlichen Eigentums und der Verwaltung
4
der Eigentumsanlage tragen die Eigentümer im Verhältnis ihrer
Miteigentumsanteile, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.
a) Soweit Verbrauchskosten für jede Eigentumseinheit durch vorhandene
Meßvorrichtungen oder in anderer Weise festgestellt werden können, trägt jeder
Eigentümer die für sein Sondereigentum anfallenden Kosten allein. Dies gilt
insbesondere für die jetzt oder später vorhandenen Meßeinrichtungen für
Wassererwärmer und Heizung.
5
b) Gebühren und Kosten für Wasserverbrauch und Kanalbenutzung werden nach
Köpfen abgerechnet.
6
c) Die Kosten für die Gemeinschaftsantenne wenden nach der Zahl der
Anschlüsse umgelegt.
7
d) Sonstige Umlagekosten sollen die jeweiligen Gemeinschaftseigentümer selber
mehrheitlich bestimmen."
8
Ausweislich des Protokolls der Eigentümerversammlung vom 23.1.1996 (B1. 56 ff. GA)
faßte die Gemeinschaft unter TOP 6 seinerzeit folgenden Beschluß:
9
"6.1 Änderung des Betriebskostenschlüssels
10
Die WEG beschließt mehrheitlich bei 7 Stimm-Enthaltung, daß die
Betriebskostenschlüssel für Außenanlagenpflege, Hausmeisterausgaben und
Hausreinigungskosten an 1996 erstmalig und ferner nach Wohnungseinheiten
abgerechnet werden (bisherige Abrechnungsform nach qm)."
11
Im der Eigentümerversammlung vom 28.2.2002 legte der Verwalter die
Jahresabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2001 zur Genehmigung der Gemeinschaft vor.
12
Auszugsweise lautet das Protokoll dazu (vgl. Bl. 68 GA):
13
TOP 1 Rechnungsprüfung, Entlastung der Beiräte und des Verwalters für das
Rechnungsjahr 1.1. bis 31.12.2001
14
Beschluss: Der Beirat und der Verwalter wurden für das Rechnungsjahr 01.01.-
31.12.2001 entlastet. ...
15
Jastimmen: 26; Neinstimmen: 1; Enthaltungen: 1"
16
Bei der Abrechnung. für das Wirtschaftsjahr 2001 wurden die Kosten für die
Außenanlage, die Hausmeister-Vergütung und die Hausreinigungskosten nach MEA
verteilt (vgl. Bl. 19 GA).
17
Der Antragsteller hält diese Kostenverteilung für rechtswidrig, da der Beschluß der
Gemeinschaft vorn 23.1.1996 wirksam sei. Er ficht daher den Beschluß zu TOP 1 an
und begehrt für die Zukunft eine entsprechende Feststellung.
18
Er beantragt,
19
den Beschluß der Eigentümerversammlung vom 28.2.2002 zu TOP 1 für
unwirksam zu erklären und
20
festzustellen, daß aufgrund des Beschlusses der Gemeinschaft vom 23.1.1996 -
dort zu TOP 6 - die Betriebskosten für die Außenanlagenpflege,
Hausmeisterausgaben und Hausreinigungskosten nicht nach qm oder
Miteigentumsanteilen, sondern nach Wohnungseinheiten abgerechnet werden
müssen, und
21
zu klären, inwieweit die Öffnungsklausel der Teilungserklärung, Seite 25 III d
22
"Sonstige Umlagekosten sollen die jeweiligen Gemeinschaftseigentümer
selber mehrheitlich bestimmen",
23
die Wohnungseigentümergemeinschaft berechtigt, alle Umlagefaktoren für
Betriebskosten außer denen, die in der Teilungserklärung unter III a), b) und c)
genannt sind, durch Mehrheitsbeschluß zu verändern sowie
24
zu klären, ob, die jahrelange Abrechnungspraxis der Hausgeldabrechnungen, die
bis zum 31.12.1999 abgerechnet wurden (z.B. Verwaltergebühren nach
Wohneinheiten, Müllabfuhr nach Anzahl der Personen) nach wie vor gültig sind.
25
Die Antragsgegner haben keinen Antrag gestellt.
26
Auf den Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf das Protokoll
der mündlichen Verhandlung vom 4.6.2002 wird Bezug genommen.
27
Die Anträge sind weit überwiegend begründet. Der Beschluß zu TOP 1 der
Eigentümerversammlung vom 28.2.2002 teilweise für unwirksam zu erklären.
28
Mit dem Beschluß sollte ersichtlich die Jahresabrechnung für den Zeitraum vom 1.1. bis
31.12.2001 genehmigt werden. Dies ergibt sich aus der Überschrift zu TOP 1, wo von
einer "Rechnungsprüfung" die Rede ist. Außerdem deutet die Entlastung des Beirats
und des Verwalters in diese Richtung. Denn auch wenn hinsichtlich der Wirkungen
zwischen einer Beschlußfassung über. die Jahresabrechnung und einer Entlastung
streng zu trennen ist (vgl. dazu Köhler, ZMR 1999, 293 ff.), so kann doch einer
Beschlußfassung zur Entlastung mitunter zu entnehmen sein, daß damit auch die
vorgelegte Jahresabrechnung gebilligt werden sollte. Davon ist hier aufgrund der
Umstände auszugehen.
29
Diese Genehmigung der Jahresabrechnung ist indessen zu beanstanden, soweit dort
die Kosten für die Pflege der Außenanlagen, die Hausmeistervergütung und die Kosten
für die .Hausreinigung nach Miteigentumsanteilen (MEA) umgelegt werden sind. Die
Kostenverteilung steht daher insofern in Widerspruch zu dem Beschluß der
Eigentümerversammlung vom 23.1.1996 (dort zu TOP 6.1). Denn dort ist geregelt, daß
die genannten Kostenarten nach Wohnungseinheiten abgerechnet werden sollen.
30
Dieser Beschluß der Gemeinschaft vom 23.1.1996 ist nach wie vor gültig. Entsprechend
dem Feststellungsantrag ist daher auch für die Zukunft festzustellen, daß diese
Kostenpositionen nach Wohnungseinheiten abzurechnen sind.
31
Dabei kann dahinstehen, ob die Teilungserklärung unter III. lit. d) eine sog.
"Öffnungsklausel" im Sinne der Rechtsprechung des BGH (vgl. den Beschluß vom
20.9.2000, ZMR 2000, 771) enthält. Denn nach Auffassung des zur Entscheidung
berufenen Richters ist die Rechtsprechung des BGH in diesem Punkt ohnehin verfehlt.
32
So geht der BGH in dem erwähnten Beschluß davon aus, daß alle Beschlüsse einer
Wohnungseigentümergemeinschaft, für welche keine sog. "Beschlußkompetenz"
besteht, von Anfang an nichtig sein sollen.
33
Die vom BGH für seine (neue) Rechtsprechung angeführten Argumente vermögen
indessen nicht zu überzeugen.
34
Wann Beschlüsse von Wohnungseigentümern als nichtig anzusehen sind, ist im WEG
nicht geregelt. Namentlich die Vorschrift des § 23 Abs. 9 Satz 2 WEG erweist sich dazu
als unergiebig. Denn in § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG ist nur geregelt, daß die
Anfechtungsfrist von einem Monat bei einem Beschluß dann nicht einzuhalten ist, wenn
dieser gegen "eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht
verzichtet werden kann". Verstößt ein Beschluß daher. gegen solche
Rechtsvorschriften, so ist jeder Wohnungseigentümer unbefristet zur Anfechtung
berechtigt (vgl. dazu eingehend Rau, ZMR 2001, 241 ff.).
35
Auch in einer früheren Entscheidung hat der BGH dann zutreffend bemerkt, daß die
Frage, ob ein Beschluß nichtig ist, der Regelung des § 23 Abs. 4 WEG gleichsam
vorgelagert ist. (vgl. BGH - V ZB 4/89 -, BGHZ 107, 268 [271] = NJW 1989, 2059). Denn
in § 23 Abs. 4 WEG ist nur die Anfechtbarkeit von Beschlüssen geregelt. Ist ein
Beschluß aber nichtig, so bedarf es nach allgemeinem Verständnis gar keiner
Anfechtung. Ein nichtiges Rechtsgeschäft ist vielmehr ohnehin unwirksam (allg.
Meinung).
36
Wenn der BGH daher (vgl. etwa den amtlichen Leitsatz unter lit. c) meint, daß in § 23
Abs. 4 WEG die Frage der Nichtigkeit eines Beschlusses geregelt sei, so setzt er sich
damit zum einen (vom BGH wohl unbemerkt) in Widerspruch zu der erwähnten
Entscheidung des Senats, zum anderen aber auch in Widerspruch zu grundsätzlichen
systematischen Vorstellungen des Zivilrechts.
37
Die Entscheidung des BGH kann auch nicht mit der Begründung gestützt werden, daß
die "Praxis von der durch die Rechtsprechung eröffneten Möglichkeit, bestehende
Vereinbarungen durch Mehrheitsbeschluß abzuändern, vielfach ausufernden Gebrauch
gemacht (habe)" (vgl. zu dieser Begründung BGH, a.a.O. S. 773 li. Spalte).
38
Dieses Argument vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil die Frage, ob in der
Vergangenheit häufig sog. "Zitterbeschlüsse" gefußt worden sind, kein geeignetes
Kriterium dafür abliefern kann, ob derartige Beschlüsse als nichtig anzusehen sind. Dem
Gericht ist jedenfalls keine vergleichbar gelagerte Konstellation bekannt, in welcher die
Häufigkeit eines praktizierten rechtsgeschäftlichen Verhaltens entscheidenden Einfluß
darauf gehabt hätte, ob die Praxis als nichtig einzustufen ist.
39
Weiter meint der BGH, daß durch die Zulassung von sog. "Zitterbeschlüssen" die
Publizität des Grundbuches entwertet werde.
40
Dies ist insofern zutreffend, als in der Tat ein potentieller Erwerber von
41
Wohnungseigentum durch einen Blick in das Grundbuch nicht zuverlässig klären kann,
welche Regelungen für ihn bei einem Erwerb einschlägig sind. Mit diesen
Unsicherheiten muß ein Erwerber jedoch allemal rechnen. Denn in vielen
Gemeinschaftsordnungen finden sich ohnehin sog. "Öffnungsklauseln". Diese Klauseln
sind dabei häufig "versteckt" sind als solche nur bei einem eingehenden Studium der
Gemeinschaftsordnung überhaupt zu entdecken. Aber selbst wenn eine derartige
Öffnungsklausel fehlen sollte, könnte der Erwerber von Wohnungs- oder Teileigentum
nicht sicher sein, daß alle für ihn maßgeblichen Rechtsgrundlagen der
Gemeinschaftsordnung entnommen werden können. Denn nach Auffassung des
Gerichts ist es ohne weiteres möglich, daß die Wohnungseigentümer zunächst nur
schuldrechtlich eine derartige Öffnungsklausel vereinbaren. Kommt es sodann vor der
Änderung des Mitgliederbestandes der Gemeinschaft zu einem Mehrheitsbeschluß, so
kann dieser selbst nach der Rechtsprechung des BGH nicht als nichtig angesehen
werden. Denn in diesem Fall hätte ja bei der Beschlußfassung eine die
Wohnungseigentümer bindende Öffnungsklausel vorgelegen (vgl. dazu Rau, ZMR
2000, 241 [247] und ders., in: WE 2002, S. 163 f.; a.A. zu den Rechtsfolgen einer nur
schuldrechtlichen Öffnungsklausel: Kümmel, ZWE 2002, 68 f.).
Dem Gesetz kann auch nicht mit der nötigen Bestimmtheit entnommen werden, daß die
Vorstellung des BGH von der Nichtigkeit kompetenzüberschreitender
Mehrheitsbeschlüsse dem Gesetzgebungsverfahren zugrunde gelegen hätte und bei
der Fassung von Zitterbeschlüssen eine "Umgehung" von § 10 Abs. 2 WEG vorliegt.
Vielmehr spricht der Wortlaut von § 10 Abs. 2 bzw. Abs. 3 WEG dafür, daß die
Wohnungseigentümer entweder Vereinbarungen treffen können, die sodann dem
Erwerber von Wohnungseigentum nur entgegengehalten werden können, wenn diese
Vereinbarungen im Grundbuch eingetragen worden, oder Beschlüsse fassen können,
die sodann nach § 10 Abs. 3 WEG auch ohne Eintragung den Sondernachfolger binden.
Diese vom Gesetzgeber vorgesehene Gestaltungsfreiheit (die bei Beschlüssen mit dem
Risiko der Anfechtbarkeit einhergeht) kann nach Auffassung des Gerichts nicht dadurch
ausgehebelt werden, indem der BGH einen Vertrauensschutz zugunsten des Erwerbers
konstruiert, für den es im WEG keine Stütze gibt.
42
Wenig überzeugend ist weiter, wenn der BGH beanstandet, daß die Protokolle zu
abgehaltenen Eigentümerversammlungen vielfach laienhaft verfaßt und
auslegungsbedürftig seien (vgl. a.a.0. S. 773 re. Spalte oben). Dieses Argument
erscheint den Gericht schon deshalb nicht stichhaltig zu sein, weil diese Problematik
allemal besteht: Denn derartige Protokolle sollen ja auch nach Ansicht des BGH dann
für das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander verbindlich sein, wenn sich
die Beschlußfassung nur auf eine zureichende Öffnungsklausel stützen läßt.
43
Weiter moniert der BGH, daß durch diese Praxis der gesetzliche
Regelungszusammenhang von "Vertrags- und Mehrheitsprinzip ... geradezu auf den
Kopf (gestellt werde)" (vgl. a.a.O. S. 773, li. Spalte und - vertiefend - auf S. 774 unter 3.) .
44
Auch diese Erwägung vermag indessen nicht zu überzeugen. Denn selbst wenn man
dem BGH darin folgt, daß das WEG das Instrument des Beschlusses nur für bestimmte
Regelungsgegenstände vorsieht und es im übrigen einer Vereinbarung (oder einer
vertraglichen Öffnungsklausel) bedarf, so besagt dieser Befund noch nichts darüber,
welche Rechtsfolgen an eine Mißachtung dieser Kompetenzordnung zu knüpfen sind.
Dem Gesetz kann jedenfalls nicht entnommen werden, daß derartige Beschlüsse nichtig
zu sein hätten. Denn eine derartige Rechtsfolge ist weder im WEG selbst noch
45
außerhalb des WEG mit zureichender Bestimmtheit niedergelegt. Daß die
Überschreitung der Beschlußkompetenz zur Nichtigkeit des Beschlusses zu führen
habe ist daher entgegen der Ansieht des BGH auch keine bewußte Entscheidung des
Gesetzgebers (der bei der Schaffung des WEG offenbar diese Problematik nicht
gesehen hat und auch später keine Regelung dazu getroffen hat), sondern (nur) eine
vorm BGH für sinnvoll gehaltene Rechtsfolge (wobei nicht verschwiegen werden soll,
daß die Rechtsauffassung des BGH sehr schnell "herrschend" geworden ist).
Läßt sich somit die Ansicht des BGH nicht aus dem Gesetz ableiten, so spricht gegen
die weitreichende Folge der Nichtigkeit von kompetenzüberschreitenden
Mehrheitsbeschlüssen, daß es damit gar nicht mehr auf die Frage ankommen soll, ob
der Beschluß denn überhaupt inhaltlich zu mißbilligen ist. Beschließen die
Wohnungseigentümer etwa, daß in Zukunft sog. Eventualeinberufungen zulässig sein
sollen, so wäre ein derartiger Beschluß nach Auffassung des BGH nichtig, wenn die
Gemeinschaftsordnung dafür keine Beschlußkompetenz vorsieht. Unbestritten ist
indessen, daß die Vorschrift des § 25 Abs. 4 WEG für sich genommen disponibel ist und
die Wohnungseigentümer daher in der Gemeinschaftsordnung problemlos
Eventualeinberufungen für zulässig erklären können. Die vom BGH vertretene
Rechtsauffassung führt mithin zu dem wenig überzeugenden Ergebnis, daß die
Nichtigkeit des Beschlusses bereits dann eintreten soll, wenn es nur an der "formalen"
Beschlußkompetenz fehlt. Dies ist insofern nicht überzeugend, als es sonst für die
Feststellung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts auf den Inhalt des gesetzlichen
Verbots und der rechtsgeschäftlichen Regelung ankommt (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB,
61. Aufl. , § 134 Rdn. 6). Der bloße Rechtsverstoß bei der Vornahme eines
Rechtsgeschäfts genügt daher für sich genommen nicht ohne weiteres, um es für nichtig
zu Brachten.
46
Wenig solide ist auch die Argumentation des BGH, wenn er sich für seine Meinung auf
die Ausführungen von Müller (in: Festschrift für Bärmann und Weitnauer [1990], S. 505
[510]) beruft. Denn in dem dortigen Aufsatz plädiert Müller wegen der
Rechtsunsicherheiten, welche mit einem nicht im Grundbuch eingetragenen (Mehrheits-
) Beschluß einhergehen können, für die Eintragungsfähigkeit derartiger Beschlüsse.
Erkennbar wollte sich der Autor indessen nicht in der Frage festlegen, ob denn ein
Verstoß gegen die Beschlußkompetenz zur Nichtigkeit des Beschlusses führen soll (vgl.
a.a.O. S. 512: "Die hier aufgeworfene, tiefgreifende dogmatische Rechtsfrage, deren
eindeutige Beantwortung nicht einmal der Verfasser wagt, ...").
47
Ähnliches gilt nach Auffassung des Gerichts, wenn sich der V. Zivilsenat des BGH auf
die Ausführungen von K. Schmidt (Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., §16 III, 3b) dd) [S. 481])
beruft. Zutreffend ist dabei, daß K. Schmidt an der besagten Stelle ausführt, daß
"unentziehbare Rechte" gegen Mehrheitsentscheidungen "resistent" sind. Zu diesen
unentziehbaren Rechten gehört sodann nach K. Schmidt auch die Einhaltung des
Bestimmtheitsgrundsatzes (vgl. a.a.O. S. 481). Indes äußert sich K. Schmidt in der vom
BGH in Bezug genommenen Abhandlung nicht dazu, welche Rechtsfolgen ein Verstoß
gegen die von ihm für unentziehbar gehaltenen Rechte nach sich ziehen soll. Da jedoch
auch im Gesellschaftsrecht zwischen der bloßen Anfechtbarkeit und der Nichtigkeit von
Gesellschafterbeschlüssen differenziert wird, kann auch bei unentziehbaren Rechten
nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß dagegen verstoßende
Beschlüsse als nichtig anzusehen wären. Für ein gegenteiliges Verständnis der
Ausführungen von K. Schmidt sprechen dabei seine Erläuterungen unter III. b) (S. 478).
Dort heißt es wörtlich (bevor sich der Autor sodann den Unterpunkten von aa) bis dd)
48
zuwendet):
"Unentziehbare Rechte können zwar im Gesellschaftsvertrag abbedungen oder
eingeschränkt werden, sind aber resistent gegen Mehrheitsentscheidungen. Nur
wenn im Einzelfall eine Pflicht besteht, die Satzung oder den Gesellschaftsvertrag
an veränderte Verhältnisse anzupassen (vgl. oben, § 5 IV 3), muß das Mitglied
auch gegen den eigenen Willen einen Eingriff in diese Positionen hinnehmen."
49
Da aber K. Schmidt sodann die Einhaltung des Bestimmtheitsgebots nur als einen
Unterfall eines Eingriffs in derart unentziehbare Rechte behandelt (nämlich unter b) dd),
spricht alles gegen die Annahme, daß derartige Beschlüsse nach Auffassung von K.
Schmidt "ohne wenn und aber" nichtig sein sollten. Denn zu diesem starren Verdikt der
Nichtigkeit würde nicht passen, daß im Einzelfall sehr wohl eine Verpflichtung des
Mitglieds bestehen kann, sich der Mehrheitsentscheidung zu fügen und den Eingriff in
sein Recht hinzunehmen. Dies setzt aber wiederum eine inhaltliche Prüfung des
jeweiligen Beschlusses voraus; eine Prüfung, welche der BGH unter Berufung auf den
Bestimmtheitsgrundsatz für das WEG aber gerade nicht mehr durchführen will. Nach
Auffassung des Gerichts kann sich der BGH dafür für seine Rechtsauffassung zur
angeblichen Nichtigkeit von kompetenzüberschreitenden Mehrheitsbeschlüssen weder
auf die Ausführungen von Müller noch auf die Darstellung von K. Schmidt berufen.
50
Zum Schluß sei noch auf ein weiteres gesellschaftsrechtliches Argument eingegangen,
welches der BGH vorgebracht hat (vgl. a.a.O. S. 774 re. Spalte). So formuliert der BGH
dahingehend, daß damit für das WEG im Ergebnis "nichts anderes als bei
Satzungsdurchbrechungen im Gesellschaftsrecht ohne Einhaltung der für eine
Satzungsänderung geltenden Formvorschriften (gelte) (vgl. hierzu BGHZ 123, 15 [19],
Wenzel, ZWE 2000, 2 [7])".
51
Nimmt man dazu jedoch die vom BGH selbst zitierte Entscheidung aus dem 123. Band
zur Hand (BGHZ 123, 15 = NJW 1993, 2246 = ZIP 1993, 1074), so fällt auf, daß die vom
BGH in den Raum gestellte Parallele gerade fehlt. So ging es in der vom BGH zitierten
Entscheidung um die Frage der Gültigkeit eines satzungsdurchbrechenden
Beschlusses im GmbH-Recht. Bereits Volmer hat dabei zu Recht darauf hingewiesen
(in: ZfIR 2000, 931 [935]) , daß die Nichtigkeit von derartigen Beschlüssen von dem
BGH in der Entscheidung gerade mit den §§ 53 Abs. 2, 54 GmbHG begründet wurde. §
54 Abs. 3 GmbHG bestimmt dabei, daß die "Abänderung (des Gesellschaftsvertrages;
Anm. d. Gerichts) ... keine rechtliche Wirkung (hat), bevor sie in das Handelsregister des
Sitzes der Gesellschaft eingetragen ist". Die vom BGH durch die Bezugnahme auf die
Entscheidung im 123. Band behauptete Parallele zum Gesellschaftsrecht fehlt daher
gerade, weil - anders als im WEG -im GmbH-Recht wegen § 54 Abs. 3 GmbHG die
Wirkung der Satzungsänderung ohnehin erst mit der Eintragung der Satzungsänderung
eintreten kann.
52
Nach Auffassung des Gerichts halten somit alle vom BGH vorgetragenen Gründe für die
von ihm vorgenommene Änderung in der Rechtsprechung zu sog. "Zitterbeschlüssen"
keiner Prüfung stand.
53
Gegen die Änderung in der Rechtsprechung sprechen indes beachtliche Gründe. In
erster Linie ist dabei erneut zu betonen, daß die vom BGH vertretene Ansicht
vollkommen das Verhältnis von dem Ausmaß der rechtlichen Beeinträchtigung zur
Rechtsfolge (nur Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses) verliert. Dazu ist
54
bereits auf das Beispiel verwiesen worden, daß die Wohnungseigentümer (ohne
entsprechende Öffnungsklausel) mehrheitlich die Zulässigkeit von
Eventualeinberufungen beschließen.
Weiter fußt das vom BGH für richtig gehaltene System auf den Ausführungen des
Vorsitzenden des V. Zivilsenats, Wenzel, welches dieser in einem Festschriftbeitrag
(Festschrift für Horst Hagen, S. 231 ff.) vorgestellt hat. Auch wenn sich der BGH die
dortigen Ausführungen nicht in allen Punkten zu eigen gemacht hat, so soll doch
erkennbar auch nach Auffassung des BGH für die rechtliche Bewertung zwischen sog.
"vereinbarungsersetzenden", "vereinbarungswidrigen" und "vereinbarungsändernden"
Beschlüssen unterschieden werden. Schon die von Wenzel vorgeschlagene
Terminologie ist dabei freilich so verwirrend, daß kaum noch ein in die Materie nicht
speziell eingearbeiteter Jurist - und (mit Verlaub) kaum ein Verwalter - das System zu
durchschauen vermag. Hinzu kommt, daß die "neue Rechtsprechung" einerseits in
großem Umfang das scharfe Schwert der Nichtigkeit von Beschlüssen "schwingt",
andererseits aber kaum praktikable Kriterien für die Abgrenzung von nichtigen und nur
anfechtbaren Beschlüssen liefert. So geht (um nur ein Beispiel vorzustellen) nahezu
jede Gebrauchsregelung des gemeinschaftlichen Eigentums mit begünstigenden
(gebrauchsgewährenden) und belastenden (gebrauchsentziehenden) Folgen für die
Wohnungseigentümer einher. Wird etwa in einer Mehrhausanlage ein Beschluß dazu
gefaßt, daß die jeweiligen Waschküchen nur von den jeweiligen Wohnungseigentümern
dieser Häuser benutzt werden dürfen, so begünstigt dies jeweils die in dem Haus
wohnenden Wohnungseigentümer - während sie in Bezug auf die übrigen Häuser
belastet werden. Ob nun aber in einer solchen Beschlußfassung die Begründung eines
Sondernutzungsrechts liegen soll (welches nach Auffassung des BGH nichtig sein
müßte) oder nur eine (zulässige) Gebrauchsregelung vorliegt, die möglicherweise selbst
einer Anfechtung stand halten könnte, erscheint kaum noch auszumachen.
55
Nach alledem kann festgehalten werden, daß mit der (bis zum Entscheid des BGH vom
20.9.2000) ganz herrschenden Meinung die bloße Überschreitung der
Beschlußkompetenz nicht ausreicht, um die Nichtigkeit eines Beschlusses zu
begründen. Vielmehr kann eine Beschlußfassung nur dann als nichtig angesehen
werden, wenn die Regelung inhaltlich so sehr gegen die Rechtsordnung verstößt, daß
sie schlechterdings keine Rechtsfolgen nach sich ziehen kann. Dabei ist namentlich
daran zu denken, daß der Beschluß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) gegen
die "guten Sitten" oder in den Kernbereich des Wohnungseigentums von Mitgliedern der
WEG eingreifen kann, was sodann die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge hätte.
56
Für die hier zu entscheidende Frage der Wirksamkeit der Jahresabrechnung wie auch
für den dazu formulierten Feststellungsantrag kommt es folglich nicht darauf an, ob die
Regelung in der Teilungserklärung als Öffnungsklausel im Sinne des BGH zu verstehen
ist.
57
Mit dem Antragsteller geht das Gericht jedoch davon aus, daß die Deutung der
Bestimmung in der Teilungserklärung als Öffnungsklausel naheliegend ist.
58
So ist dort geregelt, daß "sonstige Umlagekosten" von den jeweiligen
Gemeinschaftseigentümern selber mehrheitlich bestimmt werden sollen.
59
Sprachlich ist die Regelung jedoch insofern mißglückt, als nicht ganz klar wird, ob die,
Wohnungseigentümer mehrheitlich nur sollen beschließen können, welche Kosten
60
sollen umgelegt werden können, oder ob sich das Recht der Wohnungseigentümer
auch darauf beziehen soll zu bestimmen, nach welchem Schlüssel "sonstige
Umlagekosten" verteilt werden sollen.
Versteht man die Klausel wörtlich, so könnte daran gedacht sein, daß bestimmte
Kosten, die an sich von der Teilungserklärung nicht erfaßt sind, durch
Mehrheitsbeschluß zu "Umlagekosten" gemacht werden können. So könnte die Klausel,
gegebenenfalls als Grundlage dafür dienen, bestimmte Kostenarten (wie z.B. Kosten für
Kabelfernsehen o.ä.) als "Gemeinschaftskosten" einzuführen, wenn dies von der
Gemeinschaft mehrheitlich beschlossen wird.
61
Bei verständiger Würdigung der Teilungserklärung dürfte die Klausel aber wohl eher
dahingehend auszulegen sein, daß die Wohnungseigentümer nicht nur mehrheitlich
Umlagekosten (die nicht schon unter lit. a) bis lit. c) fallen "als solche" (also als
"Gemeinschaftskosten") sollen definieren können, sondern daß sie auch über die dafür
einschlägigen Verteilungsschlüssel sollen befinden können. Versteht man die Klausel
in diesem Sinne, so hätten die Wohnungseigentümer mit der Beschlußfassung vom
23.1.1996 in zulässiger Weise festgelegt, daß die Kosten für die Außenanlagenpflege,
die Hausmeisterausgaben und die Hausreinigung nicht mehr nach MEA, sondern nach
Wohnungseinheiten verteilt werden sollen.
62
Letztlich kann dies jedoch - wie erwähnt - offen bleiben, da es nicht auf die Frage einer
etwaigen Beschlußkompetenz der Wohnungseigentümer ankommt und auch kein
sonstiger Grund ersichtlich ist, weshalb der Beschluß vom 23.1.1996 als nichtig
angesehen werden sollte.
63
Damit steht zum einen fest, daß die entsprechenden Kostenpositionen in dem
Wirtschaftsjahr 2001 nicht richtig abgerechnet worden sind (und die Abrechnung in
diesem Umfang für unwirksam zu erklären ist), zum anderen steht fest, daß über die
erwähnten Kostenpositionen auch in Zukunft nach Wohnungseinheiten (und nicht nach
MEA oder nach Quadratmetern) abzurechnen ist.
64
Weiter ist der Beschluß der Eigentümerversammlung vom 28.2.2002 auch insofern für
unwirksam zu erklären, als dort dem Beirat und dem Verwalter Entlastung erteilt wurde.
65
Denn mit der im Vordringen befindlichen Ansicht ist davon auszugehen, daß der
Rechtsverlust, der mit der Entlastung des Beirats wie auch des Verwalters verbunden
ist, nur dann ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen kann, wenn die
entsprechenden Personen einen Anspruch auf Entlastung besitzen (vgl. dazu Köhler,
ZMR 1999, 293 ff. m. w. Nachw.), was hier unstreitig nicht der Fall ist. Soweit Köhler in
dem erwähnten Aufsatz allerdings die Ansicht vertritt, daß mit dem Entlastungsbeschluß
bereits endgültig die Wirkung der Entlastung herbeigeführt werde, vermag das Gericht
dem nicht zu folgen. Denn aus der Anfechtbarkeit der Beschlüsse der
Wohnungseigentümer folgt zugleich, daß die mit einem Beschluß verbundenen
Rechtsfolgen erst mit der Bestandskraft des Beschlusses unentziehbar entstehen
können (vgl. dazu auch Rau, Anmerkung zu OLG Köln, ZMR 2000, 486).
66
Im übrigen liegen keine zulässigen Anträge des Antragstellers vor.
67
So kann das Gericht - entgegen der Vorstellung des Antragstellers - nicht abstrakt
klären, wie die Klausel zu III. lit. d) der Teilungserklärung zu verstehen ist. Denn eine
68
solche Kompetenz zur Klärung abstrakter Rechtsfragen sieht die Vorschrift des § 43
WEG nicht vor.
Weiter kann von dem Gericht keine Klärung dazu herbeigeführt werden, ob die
"jahrelange Abrechnungspraxis der Hausgeldabrechnungen, die bis zum 31.12.1999
abgerechnet wurden (...), nach wie vor gültig (ist)".
69
Auch insofern geht es dem Antragsteller nicht um ein konkretes Feststellungsbegehren,
sondern um eine Art Rechtsauskunft, welche ihm das Gericht erteilen soll. Diese ist
indessen unzulässig.
70
Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG.
71
Es entsprach billigem Ermessen, den Antragsgegnern die Verfahrenskosten
aufzuerlegen, weil die Anträge des Antragstellers weit überwiegend Erfolg hatten.
72
Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten hat es demgegenüber bei § 47 Satz 2 WEG
zu verbleiben.
73
Geschäftswert nach § 48 WEG: bis 5.000 EUR
74