Urteil des AG Heinsberg vom 23.04.2007

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Amtsgericht Heinsberg, 16 C 301/05
Datum:
23.04.2007
Gericht:
Amtsgericht Heinsberg
Spruchkörper:
Abteilung 16
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 C 301/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil durch
Leistung einer Sicherheit in Höhe von 120 % des gegen sie
vollstreckbaren Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen eines
Verkehrsunfalls, der sich am 26.11.2OO3 gegen 18.15 Uhr auf der Zufahrtstraße zum S-
Einkaufsmarkt in Heinsberg ereignet hat. Der Zeuge u ist bei der Klägerin
pflichtversichert. Zum Unfallzeitpunkt befuhr der Zeuge I mit seinem Fahrzeug Opel T 98
Kombi mit dem amtlichen Kennzeichen XXX, welches bei der Beklagten
haftpflichtversichert ist, von der Fahrbahn der K 5 auf die Zufahrtstraße zu dem S-Platz.
Die Zufahrt verläuft zunächst parallel zur K 5 und zweigt dann bogenförmig nach rechts
ab, wobei die Zufahrt hier durch eine Begrünung mit Zaun, die sich keilförmig aufweitet,
von der Hauptfahrbahn der K 5 abgegrenzt ist. In Fahrtrichtung des Pkw ist der Ansatz
der Zufahrt durch ein Stahlrohrportal gekennzeichnet, das an beiden Seiten und oben
mit Warnbaken, welche mit retroreflektierenden Folien belegt sind, ausgestattet ist.
Hinter der linken Bake steht in einem Abstand von ca. 2,5 m ein Baum und ca. 1,5 m
hinter diesem Baum beginnt der Zaun.
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Zum Unfallzeitpunkt war es dunkel und regnete es bzw. hatte es gerade begonnen zu
regnen. Wegen der Sichtverhältnisse und der Unfallörtlichkeit wird auf die von den
Polizeibeamten unmittelbar nach dem Verkehrsunfall gefertigten Fotos (Bl. 9 bis 13 der
beigezogenen Strafakte 4O7 Js 111/O5 der Staatsanwaltschaft Aachen) Bezug
genommen. Weil es regnete, wollte der Zeuge u schnell rüber zu seinem Fahrzeug,
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welches auf dem Parkplatz beim S-Markt stand. Zwecks Abkürzung wollte er die
Zufahrtstraße an der freien Stelle zwischen Bake und Zaun überqueren. Auf der
Zufahrtstraße kam es zur Kollision zwischen ihm und dem Fahrzeug des Zeugen I.
Der Zeuge u wurde bei dem Unfall schwer verletzt und war längere Zeit arbeitsunfähig.
Weitere Rehabilitationsmaßnahmen sind nicht auszuschließen.
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Die Klägerin behauptet, der Zeuge I treffe an dem Verkehrsunfall ein Mitverschulden, da
er mit zu hoher Geschwindigkeit die Zufahrtstraße befahren habe. Da an dieser Stelle
häufiger Fußgänger die Zufahrtsstraße überquerten, hätte der Zeuge I, der bei dem S-
Markt beschäftigt sei, hiermit rechnen und seine Fahrweise entsprechend anpassen
müssen. Die Klägerin ist der Auffassung, daß den Zeugen I eine Mitverschuldungsquote
von 3O % treffe, und beziffert 3O % des Beitragssatzes zur Rentenversicherung im
Zeitraum vom O8.O1.2OO4 bis zum 29.O2.2OO4 mit 68,95 €. Die Klägerin beantragt
daher,
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die Beklagte zu verurteilen,
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1. an sie 68,95 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.O7.2OO5 zu zahlen,
sowie
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2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche in
Zukunft gemäß §§ 116, 119 SGBX anfallende Ansprüche nach
Maßgabe einer Haftung von 3O % zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, daß der Unfall alleinschuldhaft vom Zeugen u verursacht worden
ist, da dieser trotz der schlechten Sichtverhältnisse unmittelbar vor dem Fahrzeug des
Zeugen I auf die Zufahrtstraße gelaufen sei. Für den Zeugen I sei der Unfall nicht mehr
vermeidbar gewesen.
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Wegen des Parteivorbringens im übrigen wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Strafakte 4O7 Js 111/O4 der
Staatsanwaltschaft Aachen sowie Vernehmung der Zeugen u und I und Einholung eines
Unfallrekonstruktionsgutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird
auf die Strafakte, die Sitzungsniederschrift vom O5.O5.2OO6 sowie das Gutachten des
Sachverständigen Dr.-Ing. N vom O4.O1.2OO7 Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist nicht begründet.
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Die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Zeugen I tritt vorliegend hinter das
unfallursächliche Verschulden des Zeugen u zurück, denn nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme, insbesondere dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen
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Dr. N, steht fest, daß der Zeuge I weder die im Bereich der Unfallstelle erlaubte
Geschwindigkeit von 50 Km/h überschritten hat, noch diesem eine reaktive
Vermeidungsmöglichkeit des Unfallgeschehens nachgewiesen werden kann. Dieser
näherte sich vielmehr mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 4O km/h der späteren
Kollisionsstelle. Im Bereich der Unfallstelle bestand keine erkennbare Querung oder gar
Querungshilfe für Fußgänger, die zu einer Reduzierung der Geschwindigkeit hätten
Anlaß geben können. Eine sichere Reaktionsaufforderung war an den Pkw-Fahrer, also
den Zeugen I, nach dem Gutachten erst weniger als eine Sekunde vor der Kollision
ergangen, als der Fußgänger hinter der zumal bei Dunkelheit überstrahlenden
Sichtbarriere hervortrat. Diese Zeit reichte jedoch nach dem überzeugenden Gutachten,
dem sich das Gericht anschließt, nicht mehr aus, um den Verkehrsunfall noch
vermeiden zu können. Nach dem Gutachten hätte eine technische
Vermeidungsmöglichkeit allenfalls dann bestanden, wenn der Pkw-Fahrer mit einer
Geschwindigkeit von deutlich weniger als 3O km/h in die Parkplatzzufahrt eingefahren
wäre. Fahrdynamische Restrektionen bestanden nach dem Gutachten des
Sachverständigen Dr. N jedoch nicht in einem Umfang, die eine niedrigere
Geschwindigkeit erforderlich gemacht hätten. Die Klägerin ist auch beweisfällig dafür
geblieben, daß der Zeuge I gleichwohl hätte langsamer fahren müssen, weil an dieser
Stelle bereits vor dem Verkehrsunfall häufiger Fußgänger die Zufahrtsstraße überquert
hätten und der Zeuge I hiervon gewußt habe. Die Klägerin hat für ihre Behauptungen
keinerlei Beweise angetreten und auch die zum Verkehrsunfall vernommenen Zeugen
haben ihr Vorbringen nicht bestätigt. Im Gegenteil: Der Zeuge I hat bekundet, er habe
vor dem Unfall noch nie einen Fußgänger an dieser Stelle die Fahrbahn überqueren
sehen und ihm sei auch nichts davon bekannt gewesen, daß Fußgänger dies in der
Vergangenheit häufiger getan haben sollten.
Der Zeuge u hingegen hätte nach dem überzeugenden Gutachten des
Sachverständigen Dr. N den herannahenden Pkw jedenfalls noch rechtzeitig erkennen
können:
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Etwa 3 Sekunden vor der Kollision befand dieser sich in der Mitte oder im rechten
Drittelbereich des Fahrstreifens neben der Zufahrtsstraße und für ihn hätte spätestens 2
Sekunden vor der Kollision sicher erkennbar werden können, daß der Pkw in die
Parkplatz-Zufahrt einfahren würde. Ab dem Verlassen der Hauptfahrbahn hatte der
Fußgänger ein mehr als 2 m breiter abgesicherter Bereich zur Verfügung gestanden,
innerhalb dessen er das Passieren des Pkw's hätte abwarten können. Nach dem
Gutachten bestand für ihn zudem die Möglichkeit, noch bevor er auf die Parkplatzzufahrt
eingeschritten war, sich noch einmal in Richtung möglicherweise herannahenden
Verkehrs zu orientieren. Hätte er dies vor Überqueren der Zufahrtsstraße getan, dann
hätte er den Pkw in einer Distanz von ca. 1O m zur Kollisionsstelle jedenfalls bereits
innerhalb der Einfahrt erkennen und am Bordstein anhalten und das Fahrzeug
passieren lassen können. Daß der Zeuge u die Zufahrtstraße in einem Bereich
überquert hat, von wo er für den herannahenden Verkehr kaum erkennbar war, ohne
vorher im ausreichenden Maße auf etwa herannahende Pkw zu achten, war jedenfalls
grob fahrlässig. Betritt ein Fußgänger jedoch – wie hier der Zeuge u – kurz vor einem
Fahrzeug (d.h. maximal 5O m davor) die Fahrbahn, so ist grundsätzlich von dessen
Alleinhaftung auszugehen (s. u.a. Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht,
19. Auflage, § 25 StVO, Rn. 22, m.w.N.; vgl. auch KG NZV 2OO7, 8O f., m.w.N.).
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Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 7O8 Nr.
11, 711 ZPO.
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Streitwert: bis zu 1.2OO,OO €.
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