Urteil des AG Erkelenz vom 01.07.2005

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Amtsgericht Erkelenz, 15 C 21/05
Datum:
01.07.2005
Gericht:
Amtsgericht Erkelenz
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 C 21/05
Schlagworte:
Anscheinsbeweis, Autobahn, Vollbremsung
Normen:
§ 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 S. 2, § 18 Abs. 1 StVG, § 3 PflVG
Leitsätze:
Eine Vollbremsung ist gerechtfertigt, wenn ein Lastwagen auf der
Gegenfahrbahn ins Schleudern gerät und in Richtung der von dem
Bremsenden befahrenen Fahrbahn schleudert.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, eine Zwangsvollstreckung durch die
Gegensei-te durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von
110 % des zu voll-streckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der
Gläubiger Sicherheit in glei-cher Höhe leistet.
Die Klägerin macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche aufgrund eines
Verkehrsunfalles geltend, der sich am 28.06.2004 auf der A 61 in Erkelenz ereignet hat.
Zum Unfallzeitpunkt war die rechte Fahrbahn der A 61 in Richtung Venlo einseitig
gesperrt, die linke Fahrspur auf die Gegenfahrbahn der Autobahn umgelenkt und durch
eine feste Abtrennung von den beiden verengten Gegenfahrspuren in Richtung
Erkelenz getrennt. Die Klägerin befuhr mit ihrem PKW, amtliches Kennzeichen xxx, die
Spur in Richtung Venlo. Vor ihr befuhr der Beklagte zu 2.) mit dem PKW, amtliches
Kennzeichen xxx, dessen Halterin die Beklagte zu 1.) und dessen Haftpflichtversicherer
die Beklagte zu 3.) waren, die Fahrspur in derselben Richtung. Vor dem
Beklagtenfahrzeug fuhr der Zeuge K. Auf der Gegenfahrspur in Richtung Erkelenz geriet
ein Sattelzug ins Schleudern, fuhr über ca. 100 m mit den rechten Rädern über den
rechten Böschungsbereich, wurde sodann auf die Fahrbahn zurückgelenkt, wobei sich
beim Gegenlenken das Führerhaus drehte und gegen den eigenen Sattelauflieger
schlug, woraufhin der Sattelzug quer zu den beiden Fahrstreifen in Richtung Erkelenz
zum Stillstand kam. In diesem Augenblick fuhr der Zeuge K. an dem nunmehr zum
Stehen gekommenen LKW vorbei. Der Beklagte zu 2.) bremste das Fahrzeug dagegen
vollständig ab. Auf dieses fuhr die Klägerin auf. Die Klägerin begehrt von dem
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Beklagten Ersatz der Selbstbeteiligung aus ihrer Vollkaskoversicherung in Höhe von
580,00 €, die Kosten der Prämienerhöhung in Höhe von 1.365,31 €, Mietwagenkosten in
Höhe von 1.115,92 € sowie eine Auslagenpauschale in Höhe von 50,00 € gleich
insgesamt 3.111,23 €.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der Beklagte zu 2.) den Verkehrsunfall alleine
schuldhaft verursacht habe. Sie behauptet, dass für diesen keinerlei Grund zum
Bremsen bestanden habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 3.111,23 € nebst Zinsen
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
15.10.2004 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 2.) habe abbremsen müssen, weil er
befürchtete, dass der außer Kontrolle geratene LKW die Leitplanke durchbrechen
würde. Die Klägerin habe dieses Abbremsen lediglich zu spät erkannt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vortrag innerhalb der Akte Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagten kein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz
aufgrund des Verkehrsunfalles vom 28.06.2004 zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich
insbesondere nicht aus § 7 Abs. 1, § 17 Abs. 1 S. 2, § 18 Abs. 1 StVG, § 3 PflVG.
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Die Klägerin ist mit ihrem PKW auf das Fahrzeug des Beklagten von hinten aufgefahren.
Allein dies begründet den Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Verkehrsunfall
von der Klägerin alleine verursacht worden ist.
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Ein auffahrender Fahrzeugführer hat den Beweis des ersten Anscheins gegen sich,
dass er entweder nicht den nötigen Sicherheitsabstand eingehalten (StVO § 4 Abs 1)
oder seine Fahrgeschwindigkeit nicht der Verkehrssituation angepaßt (StVO § 3 Abs 1)
oder es an der erforderlichen Aufmerksamkeit hat fehlen lassen (StVO § 1 Abs 2).
Dieser erste Anschein kann nur durch den Gegenbeweis widerlegt werden. Erschüttert
wird er nach allgemeinen Grundsätzen dadurch, daß ein atypischer Verlauf, für den die
Verschuldensfrage in einem anderen Licht erscheint, vom Auffahrenden dargelegt und
bewiesen wird. Ein Auffahrender hat einen solchen Sachverhalt dann dargelegt, wenn
er konkrete Tatsachen behauptet, aus denen zu entnehmen ist, dass sein Vordermann
plötzlich stark gebremst hat, obwohl kein Grund für ein solches Abbremsen bestanden
hat.
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Die Klägerin hat zwar behauptet, der Beklagte zu 2. habe ohne Grund gebremst. Ein
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derartig fehlender Grund für ein Abbremsen ist jedoch durch den von der Klägerin hierzu
vorgetragenen Sachverhalt, diesen als richtig unterstellt, nicht dargetan. Nach dem
eigenen Vortrag der Klägerin wurde der entgegen kommende LKW nach gradlinigem
Durchfahren über eine Strecke von ca. 100 m des weichen Böschungsbereichs mit den
rechten Rädern rechts der Fahrbahn wieder auf die Fahrbahn gelenkt, wobei sich beim
Gegenlenken das Führerhaus der Zugmaschine nach rechts abdrehte und gegen den
eigenen Sattelauflieger schlug, so dass der LKW in dieser Stellung quer zu beiden
Fahrstreifen zu einem Zeitpunkt zum Stehen kam, als sich der Beklagte zu 2. mit dem
Beklagtenfahrzeug noch ca. 40 m von dem LKW entfernt befand. Mit diesem Vortrag hat
sie ihren Vortrag, der Lastzug habe "längst gestanden" substanziiert. Der LKW näherte
sich hiernach der von der Klägerin und dem Beklagten zu 2. befahrenen Fahrspur erst,
als er wieder auf die Fahrbahn zurück gelenkt wurde, also erst wenige Sekunden bevor
er zum Stehen kam und sodann von dem Zeugen K. passiert wurde. Befand sich der
Beklagte zu 2. zu diesem Zeitpunkt ca. 40 m hinter dem Zeugen K., hätte er seinerseits
den LKW bei einer unterstellten Geschwindigkeit von 130 km/h ca. 1,1 Sekunden später
passiert. Ihm blieben vom Zeitpunkt des Zurückfahrens auf die Fahrspur und
Ausbrechens des LKWs nur wenige Sekunden, um die Situationsentwicklung und die
Gefahrenlage von dem Querfahren des LKWs bis zu dessen Stillstand richtig
einzuschätzen und zu reagieren. Auch wenn er auf diese Entwicklung mit einer
Vollbremsung reagierte, statt wie der Zeuge K. an dem LKW vorbeizufahren, kann sein
Abbremsen nicht als ein solches ohne Grund angesehen werden. Wäre der LKW
wenige Sekunden zuvor nicht, wie auf der Polizeiskizze Blatt 34 d. A. dargestellt, mit
seiner linken hinteren Ecke vor der Begrenzungsmauer, sondern erst auf der linken
Fahrspur in Richtung Venlo zum Stillstand gekommen, hätte es für den Zeugen K. und
ggf. auch den Beklagten zu 2. bei dem von der Klägerin dargelegten Sachverhalt kaum
eine Möglichkeit mehr gegeben, ein Auffahren auf den LKW zu verhindern. Der sich aus
dem Auffahren der Klägerin ergebende Beweis des ersten Anscheins für ihr
Fehlverhalten ist nicht erschüttert. Einer Vernehmung des Zeugen K. oder der Einholung
eines Sachverständigengutachtens bedarf es aufgrund des von der Klägerin selbst
vorgetragenen Sachverhalts nicht.
Die Klage ist abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, § 711 S. 1 ZPO.
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