martina heck

19.06.2015

Die theaterähnliche Autorenlesung im Umsatzsteuerrecht

Eine Autorenlesung kann als theaterähnlich eingestuft werden mit der Folge, dass das Entgelt dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegt.

Die reine Autorenlesung vor Publikum ist zwar weder eine Theatervorführung noch eine den Theatervorführungen vergleichbare Darbietung.  Eine Autorenlesung vor Publikum kann jedoch theaterähnlich sein, so dass die Eintrittsberechtigungen hierfür dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegen.

Entschieden hat dies der Bundesfinanzhof anhand eiens Falles, in dem die Klägerin Schriftstellerin ist und im Jahre 2008 Lesungen aus ihrem zuvor erschienenen Buch durchführte.

Die mit den Lesungen bewirkten Umsätze unterwarf sie in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr (ebenso wie ihre Umsätze aus den Buchverkäufen) dem ermäßigten Steuersatz (7 %). Aufgrund der Feststellungen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung gelangte das beklagte Finanzamt zu der Auffassung, dass die Umsätze aus den Lesungen dem Regelsteuersatz (19 %) unterlägen, und setzte die Umsatzsteuer für das Streitjahr entsprechend fest.

Den Einspruch der Klägerin wies das Finanzamt als unbegründet zurück. Der hiergegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht Köln statt.

Die Revision des Finanzamtes hatte beim Bundesfinanzhof keinen Erfolg.

Die Entscheidung des Finanzgerichts Köln, die Klägerin habe als ausübende Künstlerin den Theatervorführungen vergleichbare Darbietungen präsentiert, die gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, ist nämlich nicht zu beanstanden.

Das Finanzgericht ist (stillschweigend) zu Recht davon ausgegangen, dass die streitbefangenen Umsätze steuerpflichtig sind.

Die Voraussetzungen der im Streitfall allein in Betracht kommenden nationalen Steuerbefreiungsvorschriften in § 4 Nr. 20 Buchst. a bzw. § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG sind nicht erfüllt. Denn die Klägerin verfügt nicht über eine nach § 4 Nr. 20 Buchst. a Satz 2 UStG erforderliche Bescheinigung einer zuständigen Landesbehörde; sie ist auch kein Veranstalter i.S. von § 4 Nr. 20 Buchst. b UStG.

Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) scheidet ebenfalls aus, weil die Klägerin keine anerkannte Einrichtung im Sinne dieser Bestimmung ist.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt sich die Steuer (von 19 %) auf 7 % für die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen sowie die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler.

Unionsrechtliche Grundlage für § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ist Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 und 9 der MwStSystRL. Danach können die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) einen ermäßigten Steuersatz anwenden auf die Eintrittsberechtigung für Veranstaltungen, Theater, Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen, Tierparks, Kinos und Ausstellungen sowie ähnliche kulturelle Ereignisse und Einrichtungen (Nr. 7). Dasselbe gilt für Werke bzw. Darbietungen von Schriftstellern, Komponisten und ausübenden Künstlern sowie deren Urheberrechte (Nr. 9).

Zweck der Steuerermäßigung ist, zugunsten der Besucher entsprechender Veranstaltungen eine Preiserhöhung zu vermeiden.

Seit der mit Wirkung vom 16.12.2004 erfolgten Änderung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG durch Art. 5 Nr. 8 des Gesetzes zur Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Steuerrecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 09.12.2004 kann offenbleiben, ob die Klägerin mit dem Abhalten der jeweiligen Lesung eine sonstige Leistung gegenüber einem Veranstalter oder eine sonstige Leistung als Veranstalterin gegenüber dem Publikum bewirkt hat.

Der Bundesfinanzhof versteht unter Theatervorführungen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG nicht nur Aufführungen von Theaterstücken, Opern und Operetten, sondern auch Darbietungen der Pantomime und Tanzkunst, der Kleinkunst und des Varietés sowie Puppenspiele und Eisrevuen. Begünstigt sind auch „Mischformen“ von Sprech-, Musik- und Tanzdarbietungen, so dass eine Unterhaltungsshow in Gestalt einer Kampfkunstshow (sog. „Budo-Gala“) ebenfalls eine Theatervorführung i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG sein kann. Das gilt auch für eine Feuerwerksveranstaltung mit Vorführung kreativer Kombinationen von Farb- und Klangelementen.

Allerdings kann die Steuervergünstigung nur in Anspruch genommen werden, wenn eine Vorführung zumindest entweder als „theaterähnlich“ oder als „konzertähnlich“ einzustufen ist und dies der Hauptbestandteil der Veranstaltung ist.

„Theater“ bezeichnet alle Formen szenischer Darstellung sowie die künstlerische Kommunikation zwischen Darstellern und Zuschauern. Hierzu zu zählen ist als eine Form der „Kleinkunst“ auch die „Rezitation“, unter der der künstlerische Vortrag verstanden wird. Deren Ziel ist es, literarische Werke mit Hilfe von Sprache hörbar zu machen, wobei Interpretationstechniken wie Atemtechnik, Stimmtechnik sowie Sprechtechnik von Bedeutung sind; der Vortragende transportiert mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung Emotionen und Gedanken zum Zuhörer. Diesem wird der Stoff in einer Form und auf einer Ebene näher gebracht, die eine Auseinandersetzung mit ihm erlaubt, zum Nachdenken anregt und unterhält.

Ebenso, wie das bloße Abspielen eines Tonträgers kein Konzert ist, stellt das reine Vorlesen eines Autors aus seinem Buch vor Publikum weder eine Theatervorführung noch eine den Theatervorführungen vergleichbare Darbietung eines ausübenden Künstlers i.S. des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dar (vgl. Abschn. 12.7. Abs. 8 Satz 2 UStAE zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG). Auch eine Frage- oder Autogrammstunde ist keine begünstigte Veranstaltung.

Ausgehend von diesen Grundsätzen begegnet die Entscheidung des Finanzgerichts Köln, wonach die Lesungen der Klägerin gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, keinen revisionsrechtlichen Bedenken.

Die Klägerin hat ihr literarisches Werk auf andere Weise, nämlich in Form von Lesungen, dargeboten. Bei ihren Lesungen veränderte sie häufig ihre Stimme zum Ausdruck besonderer Situationen oder zur Darstellung handelnder Personen und unterstrich dies mit Mimik, Körperhaltung und Bewegung, wodurch sie beim Publikum Emotionen hervorrief. Sie unterbrach das eigentliche Lesen des Buches immer wieder für Erläuterungen, die mehr oder weniger Bezug zum Buch hatten. Stellenweise geriet die Lesung völlig in den Hintergrund; mit Zwischenbemerkungen und Erzählen von Geschichten außerhalb des Buches erreichte ihre Darbietung teilweise auch kabarettistische Züge.

Die Würdigung dessen durch das Finanzgericht dahingehend, dass diese Darbietungen Theatervorführungen vergleichbar sind und gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, ist möglich und verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze; sie bindet daher den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO.

Die Einwände des Finanzamtes hiergegen greifen nach Auffassung des Bundesfinanzhofs nicht.

Nach den Feststellungen des Finanzgerichts gingen die Darbietungen der Klägerin über (nicht begünstigte) reine Autorenlesungen hinaus. Soweit das Finanzamt geltend macht, aufgrund des autobiografischen Inhalts des Werkes fehle es an dem für eine Theatervorführung prägenden Merkmal des Rollenwechsels bzw. Rollenspiels, ist dieses Vorbringen bereits nicht schlüssig, zumal das Buch, aus dem die Klägerin vorgelesen hat, auch als Theaterstück aufgeführt worden ist.

Schließlich geht der Einwand des Finanzamts, die Theatervorführung müsse den eigentlichen Zweck der Veranstaltung ausmachen ins Leere. Das Finanzgericht hat weder festgestellt, dass die Klägerin neben ihren Darbietungen bei den Lesungen weitere selbständige Leistungen erbracht hätte, noch dass die Vermarktung ihres Werkes das prägende Element der Veranstaltungen gewesen sei.

Ein bloßes Vermarktungsinteresse der Klägerin bzw. des Verlags spricht nicht gegen das Vorliegen einer theaterähnlichen Veranstaltung.

Das Ergebnis entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben.

Die Aufzählung in Art. 98 Abs. 2 i.V.m. Anhang III Kategorie 7 und 9 der MwStSystRL ergibt, dass die Richtlinie den EU-Mitgliedstaaten einen weiten Beurteilungsspielraum einräumt.

Zwar sind Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen, was auch für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gilt. Die Beurteilung des Finanzgerichts Köln im Streitfall, wonach die von der Klägerin gezeigten Darbietungen in den Anwendungsbereich des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG fallen, steht aber im Einklang mit dem Wortlaut und dem Zweck der genannten Richtlinienbestimmungen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 25.02.2015 – XI R 35/12