martina heck

28.10.2013

Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung

Das Finanzgericht Neustadt hatte im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens darüber zu entscheiden, wie es sich auswirkt, wenn das Finanzamt im Rahmen eines Steuerbescheides mitteilt, dass in Zukunft Steuererklärungen bei gleichbleibendem Einkommen nicht mehr abgegeben werden müssen, aber in der Folgezeit Gesetzesänderungen eintreten.

In dem entschiedenen Fall wenden sich die Antragsteller gegen den Einkommensteuerbescheid 2010. Im Streit­jahr 2010 erzielten die verheirateten Antragsteller Einkünfte aus Rentenzahlungen sowie aus Versorgungsbezügen.

Mit Schreiben vom 31.08.2012 forderte der Antragsgegner (Finanzamt) die Antragsteller auf, eine Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 2010 einzureichen. Grundlage war die OFD-Verfügung vom 13.08.2012. Hiernach waren Steuerpflichtige, bei denen anhand maschinell gesteuerter überschlägiger Ermittlung voraussichtlich Einkommensteuer anfallen wird, zur Einreichung von Steuer­erklärungen für den Veranlagungszeitraum 2010 aufzufordern. Die letzte Einkommen­steuererklärung hatten die Antragsteller für das Jahr 2000 eingereicht.

Hintergrund dieser OFD-Verfügung ist das zum 01.01.2005 in Kraft getretene Alters­einkünftegesetz, mit dem die Besteuerung der Renten und Pensionen neu geregelt worden ist. Aufgrund eines Listenverfahrens wurden die sog. Rentenbezugsmitteilungen von Ehegatten zusammengeführt und die voraussichtlich festzusetzende Jahressteuer ermittelt. Im Ergebnis sollten auf diese Art und Weise Renten­einkünfte der Besteuerung zugeführt werden, bei denen nach altem Recht (bis einschließlich Veranlagungszeitraum 2004) keine Steuer angefallen war.

Die Antragsteller wandten ein, zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung nicht verpflichtet zu sein, weil dies in den Erläuterungen zum Einkommensteuerbescheid 2000 vom 12.03.2001 entsprechend verfügt gewesen sei. Die Einkommensverhältnisse der Antragsteller hätten sich seit dieser Zeit nicht gravierend geändert.

Nach weiterem Schriftverkehr setzte der Antragsgegner die Einkommensteuer für 2010 mit Bescheid vom 30.01.2013 fest.

Die Antragsteller begehrten gegenüber dem Finanzamt erfolglos die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides; der entsprechende Antrag hatte beim Finanzgericht Neustadt auch keinen Erfolg.

Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Für die Begründung solcher Zweifel genügt es, wenn – nach Aktenlage – die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren obsiegen wird.

Nach diesen Maßstäben bestehen nach Auffassung des Finanzgerichts Neustadt keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheides.

Für die Antragsteller bestand schon deshalb eine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuer 2010, weil diese gemäß § 149 Abs. 1 Satz 2 AO vom Antragsgegner hierzu aufgefordert wurden. Zudem ergibt sich die Verpflichtung unmittelbar aus der Durchführungsverordnung zur Einkommensteuer (EStDV), da der Gesamtbetrag der Einkünfte der Ast. mehr als das Zweifache des Grundfreibetrages nach § 32a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2010), mithin mehr als 16.009 € (Stand 01.01.2010) betrug (§ 56 Satz 1 Nr. 1 a EStDV).

Der Antragsgegner war auch nicht aufgrund der Hinweismitteilung im Einkommensteuerbescheid 2000 gehindert, die Einkommensteuer für 2010 festzusetzen. Entgegen der Ansicht der Antragsteller handelt es sich bei der Hinweismitteilung nicht um einen Verwaltungsakt, hier in Gestalt eines Freistellungsbescheides. Ein Freistellungsbescheid ist ein Steuerbescheid, der nach dem Willen des Finanzamtes den Steuerpflichtigen davon unterrichtet, dass eine Steuer von ihm aufgrund des geprüften Sachverhalts dem Grunde nach überhaupt nicht oder für einen bestimmten Veranlagungs- oder Erhebungszeitraum nicht gefordert werde. Einen derartigen Regelungsgehalt hatte die Mitteilung des Antragsgegners im Bescheid 2000 nicht. Denn diese Mitteilung bezog sich nicht auf eine Steuerforderung des Antragsgegners bzw. eine Verpflichtung der Steuerpflichtigen zur Steuerzahlung, sondern auf die Abgabe von Steuererklärungen.

Der Antragsgegner war auch nicht aufgrund einer verbindlichen Zusage gehindert, eine Steuerfestsetzung für das Streitjahr durchzuführen. Eine solche verbindliche Zusage ist in dem Zusatz im Einkommensteuerbescheid 2000 nicht zu sehen. Das Finanzamt ist bei der Veranlagung nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung an eine bei einer vorhergehenden Veranlagung zugrunde gelegte Rechtsauffassung grundsätzlich nicht gebunden, es sei denn, die Behörde hätte für künftige Steuerabschnitte in der Vergangenheit in einem konkreten Einzelfall eine verbindliche Zusage oder Auskunft gegeben. Das war jedoch, wie der Antragsgegner ausführlich in der Einspruchsentscheidung dargestellt hat, nicht der Fall. Der Hinweis im Einkommensteuerbescheid 2000 beruhte offensichtlich auf der Auswertung der für 2000 abgegebenen Einkommensteuererklärung, die eine Einkommensteuer von 0 DM ergab. Nur unter der Prämisse eines gleichbleibenden Sachverhaltes und einer unveränderten Rechtslage konnte der Antragsgegner auf die künftige Abgabe von Steuererklärungen verzichten. Hieran fehlt es angesichts des zwischenzeitlich in Kraft getretenen Alterseinkünftegesetzes.

Auch eine Bindung nach Treu und Glauben vermag der Senat nicht zu erkennen. Es fehlt bereits an hierfür ursächlichen Dispositionen der Antragsteller im Anschluss an den Hinweis im Einkommensteuerbescheid 2000. Die Nichtabgabe der Steuererklärungen für die Folgejahre ist keine Vermögensdisposition in diesem Sinn. Die Antragsteller haben auch nicht substantiiert dargelegt, für welche konkreten steuerlich zu berücksichtigenden Aufwendungen sie deshalb keine Unterlagen aufbewahrt haben, weil sie davon ausgingen, diese nicht mehr steuerlich geltend zu machen. Hierbei ist auch die gesetzliche Wertung in § 207 Abs. 1 AO zu berücksichtigen. Dort ist die verbindliche Zusage im Rahmen einer Außenprüfung geregelt, die dann außer Kraft tritt, wenn die Rechtsvorschriften, auf denen die Entscheidung beruhte, geändert werden. Die Finanzbehörde kann dem Bürger – letztlich zu Lasten der anderen Steuerzahler – nicht für die Zukunft die Anwendung einer ihn begünstigenden Gesetzeslage zusagen, wenn diese später wegfällt. Die Einhaltung einer Zusage kann vielmehr nur auf der Basis der geltenden Gesetze garantiert werden. Vorliegend hat sich die bei Erteilung des Hinweises im Steuerbescheid 2000 zugrunde gelegte Gesetzeslage mit Änderung der Besteuerung der Alterseinkünfte ab 2005 geändert. Demzufolge hat der Ag. auch erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005 Steuererklärungen bei den Antragsteller angefordert.

Auch auf eine Verwirkung können sich die Antragsteller nicht berufen. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist Ausfluss des Grundsatzes von Treu und Glauben und Anwendungsfall des Verbots widersprüchlichen Tuns. Es greift ein, wenn ein Anspruchsberechtigter durch sein Verhalten beim Verpflichteten einen Vertrauenstatbestand dergestalt geschaffen hat, dass nach Ablauf einer gewissen Zeit die Geltendmachung des Anspruchs als illoyale Rechtsausübung empfunden werden muss (Rechtsmissbrauch). Dabei reicht ein bloßes Untätigbleiben der Finanzbehörde in der Regel nicht aus, um einen Steueranspruch als verwirkt anzusehen. Der Tatbestand der Verwirkung setzt neben dem bloßen Zeitmoment sowohl ein bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten voraus, demzufolge der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung darauf vertrauen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Vertrauenstatbestand) als auch, dass der Steuerpflichtige tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich hierauf eingerichtet hat (Vertrauensfolge). Der Steuerpflichtige soll davor geschützt werden, erhebliche Nachteile zu erleiden, die nicht entstanden wären, wenn das Finanzamt den Steueranspruch rechtzeitig geltend gemacht hätte. Ein solcher vom Antragsgegner begründeter Vertrauenstatbestand ist vorliegend nicht erkennbar.

Eine Aussetzung des angefochtenen Bescheids ist auch nicht wegen Vorliegens einer unbilligen Härte geboten (§ 69 Abs. 2 S. 2 FGO). Hiervon wäre nur auszugehen, wenn bei Vollziehung des angefochtenen Bescheids wirtschaftliche Nachteile drohten, die nicht oder nur schwer wieder gut zu machen wären oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Steuerpflichtigen führen würde. Hierzu ist nichts erkennbar.

Finanzgericht Neustadt, Beschluss vom 24.07.2013 – 4 V 1522/13