Rechtsanwalt Wolf J. Reuter

Jacobsen Rechtsanwälte Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
10707, Berlin
02.04.2012

Fremdgehen lohnt nicht – Mängelgewährleistung im Kauf unterliegt keiner Verjährung

Gerade dann, wenn alle im Urlaub sind – der Arbeitsrechtler natürlich nicht! – muss man einfach fremdgehen. Wegen eigener Mandate, die sonst von der Spezialistin bearbeitet werden und der Kollegen, die nun einmal im Urlaub sind und vertreten werden müssen. Wenn man Ausflüge ins Zivilrecht als „Fremdgehen“ bezeichnen kann. Arbeitsrecht ist auch Zivilrecht und im Grundsatz jedenfalls sogar BGB.

Außerdem: Mir macht Zivilrecht Spaß.

Dachte ich.

Bis ich jetzt beim Landgericht P. fremdging.

Da vertreten wir einen Neuwagenhändler. Der hat einen Kunden, der fand, sein Fahrzeug habe einen Mangel. Er trat zurück. Der Händler, unser Mandant, meint, das Fahrzeug habe keinen Mangel. Der Blick in die Akte überzeugt mich: Das ist völlig egal. Die Klage wurde drei Jahre nach Übergabe des Fahrzeugs eingereicht. Das Rücktrittsverlangen steht auch erst in der Klage drin. Verjährung ist eingewandt.

Also auf zum Landgericht. Das kann sogar ich.

Dachte ich.

Die mündliche Verhandlung begann mit dem richterlichen Hinweis, dass sich die Verjährung des in § 437 Nr. 2 bezeichneten Rücktrittsrechts (für meine Generation: „Wandlung“) nicht nach § 438 Abs. 1 BGB, sondern nach dessen Absatz 4 richten würde.

Ich gebe ja zu, keinen Gesetzestext dabei gehabt zu haben. Außerdem sind Richter ja immer sehr genau. Ich habe also ein Schafsgesicht gemacht und gelächelt. Verjährt ist verjährt.

Dachte ich.

Bis die Richterin dann zu mir gewandt meinte:

„Herr Rechtsanwalt, damit ist die Verjährungseinrede erledigt…“

Da bin ich aufgewacht. Wie bitte? Schafsgesichtig gab ich sinngemäß von mir:

„Es ist ein Mängelgewährleistungsanspruch. Im Kaufrecht verjährt der einheitlich nach zwei Jahren….“

Richterin:

„Dachte ich auch. Aber schauen Sie mal…“ (sie legt den Finger auf eine Seite im mitgebrachten Palandt) „…die Verjährung von 2 Jahren, die bezieht § 438 Abs. 1 nur auf § 437 Nr. 1 und 3. Also auf Minderung, Nacherfüllung und Schadensersatz. Für die Wandlung – äh – den Rücktritt gilt das seit der Schuldrechtsreform nicht mehr. Dieses Recht unterliegt nach Palandt gar keiner Verjährung.“

Ich war hellwach.

„Frau Vorsitzende, das kann ja nur ein Missverständnis sein. Wie sollte ein Gewährleistungsrecht gar nicht verjähren, die anderen aber in zwei Jahren? Der Einzelhandel könnte dichtmachen, wenn Sie recht hätten…“

In diesem Augenblick wurde ich des hochroten Gesichts des auf seinem Stuhl sehr ungemütlich sitzenden Kollegen gewahr. Der Ausdruck war klar: Er glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen…

Der Versuch scheiterte, die Dame zu überzeugen. Auch, dass das Missverständnis nur auf der hochdogmatischen Formulierung des Palandt beruhe, nach der eigentlich das Rücktrittsrecht wirklich nicht verjährt, die Rechte daraus aber nur innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemacht werden können, half nicht. Auch die schlichte Logik und der Omatest („würde meine Oma das logisch finden?) versagten völlig. Bislang dachte ich, eine Richterin am Landgericht und Kaufrecht – so was kann ja nie schiefgehen. Sie will jetzt einen Gutachter für das Fahrzeug. Weil ja nichts verjährt ist.

Nach heftigen Protesten meinerseits hat sie dann noch gesagt:

„…Herr Rechtsanwalt, meine Meinung werde ich nicht mehr ändern. Ihnen steht dann ja der Rechtsmittelweg offen….“

Ich habe auf der Toilette des Gerichtsgebäudes geprüft, ob ich an dem Tag irgendetwas Komisches im Gesicht hatte. Nein, jedenfalls nichts Ungewöhnliches. Es bleibt ein Rätsel.

Ich kann aber alle Zivilrechtskollegen beruhigen: Das Ganze ist wirklich ein Missverständnis. Auch das Rücktrittsrecht oder von mir aus die Rechte daraus verjährt in zwei Jahren ab Übergabe. Das kann man sogar selbst herausfinden. Weil § 438 Abs. 4 auf § 218 Abs. 1 BGB verweist. Danach ist der Rücktritt der Verjährung des Nacherfüllungsanspruchs unterworfen. Und der verjährt? In zwei Jahren. Genau.

Ich habe das noch aufgeschrieben. Ob es etwas nützt?

Sie hat ja gesagt, sie ändere ihre Rechtsansicht nicht mehr.

Ich mache jetzt erst mal einen Befristungsfall. Arbeitsrecht ist vielleicht sehr einseitig, aber wir können immerhin das Gesetz lesen.

Übrigens: Auch Werner Siebers scheint fremdzugehen. Auch im Zivilrecht. Und ist auch allenfalls mit dem guten Ende zufrieden: http://strafprozess.blogspot.de/2012/04/umgedreht-oder-aus-dem-tiefschlaf.html