Rechtsanwalt Udo Schwerd

Udo Schwerd
81379, München
Rechtsgebiete
Steuerrecht Handelsrecht und Gesellschaftsrecht Erbrecht
09.07.2023

BSG-Urteil zur Scheinselbständigkeit im Verhältnis UG-Geschäftsführer und Auftraggeber

In Kürze wird das Bundessozialgericht (BSG) zum Thema “Scheinselbständigkeit” eine seit vielen Jahren offene Frage beantworten: Kann aufgrund eines Dienstleistungsvertrages zwischen einer Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) und einer beauftragenden GmbH ein Beschäftigungsverhältnis des alleinigen geschäftsführenden Gesellschafters der Ein-Personen-UG mit der GmbH vorliegen?

Mehrere Landessozialgerichte (LSG) haben die Revision gegen ihre Urteile zugelassen, bei denen es genau um diese Frage ging: “Schließt der Dienstleistungsvertrag zwischen einer Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) und der beauftragenden GmbH ein Beschäftigungsverhältnis des alleinigen geschäftsführenden Gesellschafters der Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) mit der GmbH aus?”

Diese Thematik beschäftigt die Deutsche Rentenversicherung und die Sozialgerichte schon seit vielen Jahren, aber bislang hatten die Landessozialgerichte eine Revision gegen ihre Urteile nicht zugelassen. Das hat sich nun geändert. Das BSG muss jetzt entscheiden, wie diese Frage zu beantworten ist.

Inhalt:

  1. Einführung in die Thematik der Scheinselbständigkeit
  2. LSG Sachsen, Urteil vom 15.11.2022, L 9 BA 38/19
  3. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.03.2022 (L 1 BA 54/18)
  4. LSG Hessen, Urteil vom 18.11.2021, L 1 BA 25/21
  5. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.2017, L 11 R 3853/16

1. Einführung in die Thematik der Scheinselbständigkeit

Das Problem der Scheinselbständigkeit hat in der Praxis nach wie vor eine große Bedeutung. Viele Auftraggeber in den verschiedensten Branchen haben ihre Auftragnehmer (meist Einzelunternehmer oder solo-selbständige Freiberufler) in den vergangenen Jahren dazu veranlasst, eine UG haftungsbeschränkt oder (falls finanziell machbar) eine GmbH zu gründen, um das Auftragsverhältnis fortzusetzen oder zumindest zu verlängern.

Die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft zwischen Auftraggeber und tatsächlich beschäftigtem Auftragnehmer schien vielen Unternehmen als sichere Lösung, um das Haftungsrisiko der Scheinselbständigkeit zu vermeiden. Ich erinnere mich an Dutzende Beratungsgespräche, in denen ich nach diesem Modell zur Vermeidung einer Scheinselbständigkeit gefragt wurde. Die Zwischenschaltung einer GmbH oder UG haftungsbeschränkt mag zwar das Entdeckungsrisiko hinsichtlich einer Scheinselbständigkeit mindern, aber als “sichere Lösung” war diese Gestaltung niemals geeignet. Ich befürchte mit einiger Gewissheit, dass auch das Bundessozialgericht (BSG) in diesem Sinne entscheiden wird.

Die Häufung der Verfahren bei den Landessozialgerichten lässt darüber hinaus den Schluss zu, dass es für die Deutsche Rentenversicherung hinsichtlich der Beurteilung eines Beschäftigungsverhältnisses in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht nach wie vor irrelevant ist, ob dieses direkt mit dem Beschäftigten oder indirekt mit einer Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) besteht.

2. LSG Sachsen, Urteil vom 15.11.2022

In seinem Urteil vom 15.11.2022 bejahte das LSG Sachsen (L 9 BA 38/19) die Scheinselbständigkeit in einem Dreierverhältnis. Dabei handelte es sich um den geschäftsführenden Alleingesellschafter einer UG haftungsbeschränkt, der höchstpersönlich Pflegeleistungen für die Patienten eines Krankenhauses erbrachte, das in der Rechtsform einer GmbH betrieben wurde. Um wiederkehrende Personalengpässe zu kompensieren, engagierte die GmbH für bestimmte Einsatzzeiträume externe Pflegefachkräfte, die unter anderem bei ihrer eigenen UG haftungsbeschränkt angestellt waren. Das LSG Sachsen hat die Revision gegen das Urteil zugelassen. Eine ausführliche Analyse des Urteils finden Sie hier.

Beim BSG geht es jetzt um folgende Frage:

Schließt ein zwischen einer Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) und einer GmbH geschlossener Dienstleistungsvertrag ein Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers der Ein-Personen-UG mit der GmbH aus?

B 12 BA 1/23 R (voraussichtlicher Termin: 20.07.2023)

In den Verträgen zwischen der Betreiberin des Krankenhauses (GmbH) und der UG haftungsbeschränkt (Auftragnehmer) vereinbarten die Parteien, dass die UG haftungsbeschränkt selbständige und verantwortungsvolle Pflegeleistungen für die Patienten im Krankenhaus erbringen sollte. Ferner wurde vereinbart, dass die Standards und Richtlinien des Krankenhauses einzuhalten sind. Die Vertragsparteien legten Wert darauf, dass das Pflegepersonal weisungsfrei arbeitet und das Recht hat, bestimmte Aufgaben ohne Begründung abzulehnen. Als Vergütung wurde ein Stundenhonorar sowie Zuschläge für Wochenenden, Nachtdienste und Feiertage festgelegt. Für die Bereitstellung der notwendigen Arbeitsmaterialien war grundsätzlich die UG haftungsbeschränkt als Auftragnehmerin zuständig, obwohl das Krankenhaus diese auch kostenlos zur Verfügung stellen konnte. Im Falle von Krankheit oder anderen persönlichen Verhinderungen des Pflegepersonals, konnte die Auftragnehmerin den Vertrag ohne Einhaltung einer Frist kündigen, sofern sie nicht in der Lage war, qualifiziertes Personal als Ersatz bereitzustellen.

3. LSG Nds.-Bremen, Urteil vom 18.03.2022

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 18.03.2022 (L 1 BA 54/18) ebenso entschieden, dass trotz des Bestehens eines Dienstleistungsvertrages zwischen einer Ein-Personen-GmbH und einer beauftragenden GmbH ein Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers der Ein-Personen-GmbH mit der GmbH bestehen kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.03.2022, L 1 BA 54/18; Revisionsverfahren anhängig unter dem Az. B 12 BA 14/22 R).

Beim BSG geht es jetzt um folgende Frage:

Kann aufgrund eines Dienstleistungsvertrages zwischen einer Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) und einer GmbH, der nicht als Scheingeschäft oder aufgrund eines Missbrauchs der Rechtsform nichtig ist, ein Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafters und Geschäftsführers der Ein-Personen-UG mit der GmbH vorliegen?

B 12 BA 4/22 R (voraussichtlicher Termin 20.07.2023)

In diesem Szenario ging es um Beratungsleistungen, zu denen sich die UG haftungsbeschränkt gegenüber der GmbH als Auftraggeber verpflichtete und die von ihrem alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführer erbracht wurden.

4. LSG Hessen, Urteil vom 18.11.2021

Das Hessische LSG hat für einen zwischen einer Ein-Personen-GmbH und einer Krankenhausgesellschaft bestehenden Dienstleistungsvertrag die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers der Ein-Personen-GmbH mit der Krankenhausgesellschaft mit Blick auf die jeweils eigenständige Rechtssubjektivität von natürlicher und juristischer Person verneint (LSG Hessen, Urteil vom 18.11.2021, L 1 BA 25/21; Revisionsverfahren anhängig unter dem Az. B 12 R 15/21 R).

Der Rechtsstreit ist nun beim BSG unter dem Az. B 12 R 15/21 R anhängig, wobei es um folgende Rechtsfrage geht:

Ist ein Geschäftsbesorgungsvertrag über stationäre Pflegedienstleistungen zwischen einer Ein-Personen-GmbH und einer Krankenhausgesellschaft als Scheingeschäft aufgrund eines Missbrauchs der Rechtsform nichtig und begründet dies somit ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Personen-GmbH mit der Krankenhausgesellschaft.

B 12 R 15/21 R (voraussichtlicher Termin: 20.07.2023)

5. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.11.2021

In seinem Urteil vom 05.11.2021 hat das LSG Berlin-Brandenburg (L 26 BA 6/20) ein Beschäftigungsverhältnis zwischen der alleinigen Gesellschafterin und Geschäftsführerin einer Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) und einer GmbH bei bestehendem Dienstleistungsvertrag zwischen der Ein-Personen-UG (haftungsbeschränkt) und der GmbH (Krankenhausträgerin) ebenso verneint.

Leitsatz: Erbringt eine Pflege-UG (haftungsbeschränkt) einem Krankenhaus vertraglich geschuldete Pflegeleistungen durch Einsatz der Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin, liegt keine illegale Arbeitnehmerüberlassung vor, wenn das Krankenhaus die Arbeitsleistung nur entgegennimmt, ohne selbst zur Entgeltzahlung an die Pflegekraft verpflichtet zu sein, und diese auch nicht als natürliche Person für etwaige Vertragsverletzungen haftet, sondern die juristische Person als Vertragspartnerin.

Schließt ein Krankenhausträger mit einer juristischen Person des Privatrechts Dienstleistungsverträge mit dem Ziel der Erbringung von Pflegeleistungen auf Honorarbasis, ist diese Vertragsgestaltung – abgesehen von Fällen des Rechtsmissbrauchs – auch im Sozialversicherungsrecht zu berücksichtigen (Anschluss an BSG, Urteil vom 24.11.2005, B 12 RA 1/04 R).

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 05.11.2021, L 26 BA 6/20 (Revision nicht zugelassen)

6. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.2017

Ähnlich sah es auch das LSG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 27.06.2017 (L 11 R 3853/16), in dem mit einer UG haftungsbeschränkt geschlossener wirksamer Geschäftsbesorgungsvertrag kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit dem Alleingesellschafter der UG haftungsbeschränkt begründet.

Der Sachverhalt zu diesem Urteil ist bemerkenswert, weil der geschäftsführende Gesellschafter der UG haftungsbeschränkt zuvor jahrelang bei der beauftragenden GmbH versicherungspflichtig beschäftigt war. Nach seinem Ausscheiden als abhängig Beschäftigter gründete er die schwimmbad.so UG (haftungsbeschränkt) mit folgendem Unternehmensgegenstand: Erbringung von nicht zulassungspflichtigen Dienst- und Beratungsleistungen im Bereich von Schwimmbädern, hierbei insbesondere auch der Betrieb von Schwimmbädern sowie der Verkauf von Produkten für Schwimmbäder. Wenig später beantragte er die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens im Hinblick auf das Vertragsverhältnis zwischen der schwimmbad.so UG (haftungsbeschränkt) und der beauftragenden GmbH, wobei die Deutsche Rentenversicherung eine abhängige Beschäftigung des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der Schwimmbad-GmbH feststellte.

Leitsatz: Ein mit einer Unternehmergesellschaft (UG) geschlossener Geschäftsbesorgungsvertrag, der nicht als Scheingeschäft nichtig ist, begründet kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis mit dem Alleingesellschafter der UG.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.2017, L 11 R 3853/16

Das LSG Baden-Württemberg hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen.


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