Rechtsanwalt John Miehler

Miehler & Müller Rechtsanwälte GbR
80333, München
Rechtsgebiete
Insolvenzrecht Strafrecht Zivilrecht
03.05.2013

BFH : Verrechnung von Lohnsteuererstattungsansprüchen mit “alten” Steuerschulden in der Inso

Der Fiskus ist immer wieder sehr kreativ, wenn es darum geht sich eine Sonderstellung im Insolvenzverfahren zu verschaffen. Daher gibt es auch immer wieder neue Urteile, die die Behandlung von Steuerschulden im Insolvenzverfahren betreffen.

Keine Verrechnung von während des Insolvenzverfahrens erworbenen Ansprüchen auf Lohnsteuererstattung mit vorinsolvenzlichen Steuerschulden

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Die Klägerin ist der Beschwerde entgegengetreten und hebt hervor, dass es ständiger Rechtsprechung entspreche, dass Steuererstattungsansprüche von §§ 850 ff. ZPO nicht erfasst würden. Im Übrigen könne es eine Lohnsteuerzahlung “aus pfändungsfreiem Arbeitseinkommen” nicht geben, weil Basis für die Bestimmung der Pfändungsfreigrenzen der Nettolohn sei, nämlich das tatsächlich ausgezahlte und vom Arbeitgeber geschuldete Nettoeinkommen.
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Nach § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren auch das Vermögen, das der Schuldner während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, die nicht gepfändet werden können, gehören allerdings gemäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Ansprüche auf Erstattung von Einkommensteuer sind jedoch gemäß § 46 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) grundsätzlich pfändbar. Steuererstattungsansprüche, für die nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden ist, werden daher allgemein als zur Insolvenzmasse gehörig angesehen (vgl. statt aller Bundesgerichtshof – BGH -, Beschluss vom 12. Januar 2006 IX ZB 239/04, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 2006, 1127, m. N.). Die Richtigkeit dieses Ausgangspunktes ist zweifelsfrei.
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Dass ein Einkommensteuererstattungsanspruch gleichwohl nicht zur Insolvenzmasse gehören könnte, ließe sich – von hier offensichtlich nicht zu berücksichtigenden Fällen der Freigabe eines solchen Anspruchs durch den Insolvenzverwalter abgesehen – allenfalls daraus herleiten, dass es sich um pfändungsfreies Vermögen handelt, welches nach § 36 InsO nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegt, also nicht zur Insolvenzmasse gehört. Pfändungsfreiheit könnte sich dabei freilich allenfalls aus § 850 ZPO ergeben, also daraus, dass ein solcher Einkommensteuererstattungsanspruch, wenn er auf überzahlter Lohnsteuer beruht, als Arbeitseinkommen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen wäre.
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Indes hat der BGH bereits mehrfach entschieden, der Anspruch auf Erstattung überzahlter Lohnsteuer habe zwar seinen materiellen Ursprung insofern in dem Arbeitsverhältnis, als zum Arbeitslohn auch die Lohnsteuer gehöre, die der Arbeitgeber gemäß § 38 des Einkommensteuergesetzes einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen habe. Die Rechtsnatur des als Lohnsteuer einbehaltenen Teils der Bezüge wandele sich jedoch, wenn diese in Gestalt eines Lohnsteuererstattungsanspruchs in Erscheinung träten. Im Fall einer Rückerstattung werde aus dem Steueranspruch des Fiskus der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch des Steuerpflichtigen (§ 37 Abs. 2 AO). Der an den Steuerpflichtigen zu erstattende Betrag erlange, so hat der BGH ausgeführt, auch wenn er wirtschaftlich betrachtet das auf den Veranlagungszeitraum entfallende Einkommen erhöhe, nicht wieder den Charakter eines Einkommens, das dem Berechtigten aufgrund einer Arbeits- oder Dienstleistung zusteht (vgl. u. a. BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 IX ZR 115/04, NJW 2005, 2988; siehe auch die Entscheidung des beschließenden Senats vom 9. Januar 2007 VII B 45/06, BFH/NV 2007, 855).
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Diese zu § 287 Abs. 2 InsO ergangene Rechtsprechung schließt es aus, Lohnsteuererstattungsansprüche ungeachtet ihres öffentlich-rechtlichen Charakters als “Arbeitseinkommen” i. S. des § 850 ZPO anzusehen.
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Im Übrigen stünde sich das FA nicht besser und hätte ebenfalls keine Möglichkeit zur privilegierten Realisierung seiner Steuerforderung anhand des Neuerwerbs des Schuldners, wenn der strittige Teil des Lohns des Insolvenzschuldners von vornherein nicht von dem Arbeitgeber vom Lohn einbehalten und an das Finanzamt abgeführt worden wäre und es folglich gar nicht erst zu einem Erstattungsverfahren gekommen wäre; denn dann wäre der betreffende Betrag nach den Berechnungen der Einspruchsentscheidung des FA unpfändbares Arbeitseinkommen und damit dem Zugriff des FA ebenfalls entzogen.
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Der beschließende Senat hat nach alledem keinen Anlass, mit dem Ziel einer Abweichung von der Rechtsprechung des BGH den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes anzurufen. Im Übrigen hat auch der beschließende Senat – wie die Beschwerde selbst vorträgt – in der Entscheidung vom 26. September 1995 VII B 117/95 (BFH/NV 1996, 281) entschieden und diese Ansicht in dem Beschluss vom 27. Oktober 1998 VII B 101/98 (BFH/NV 1999, 738) bekräftigt, dass der Erstattungsanspruch eines Arbeitnehmers wegen überzahlter Einkommensteuer (Lohnsteuer) nicht als Teil des Arbeitseinkommens zu werten sei mit der Folge, dass er nicht unter die Pfändungsschutzbestimmungen des § 319 AO i. V. m. §§ 850 ff. ZPO fällt und kein Pfändungs- und Aufrechnungsverbot nach § 850c ZPO, § 226 AO i. V. m. § 394 des Bürgerlichen Gesetzbuchs besteht, auch wenn das Arbeitseinkommen unter den Pfändungsgrenzen gelegen haben sollte. Dass diese Entscheidungen für eine rechtsgrundsätzliche Klärung ungeeignet wären – wie das FA offenbar meint -, insbesondere weil sie im Beschwerdeverfahren wegen Prozesskostenhilfe ergangen sind, vermag der Senat nicht anzuerkennen.
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Das bedeutet leider nicht, dass der Steuererstattungsanspruch dem Schuldner zugute kommt. Vielmehr fällt dieser in die Insolvenzmasse. Immerhin wird die Masse vorrangig dazu verwendet, die Verfahrenskosten zu begleichen, so dass dem Schuldner zumindestens am Ende des Verfahrens weniger Verfahrenskosten zur Zahlung offen bleiben.