Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt

Rechtsanwälte SZK
65185, Wiesbaden
Rechtsgebiete
Verwaltungsrecht Umweltrecht Immobilien, Baurecht, Architektenrecht
03.01.2013

BVerwG: Umgang mit Baulärm in der Planfeststellung – AVV Baulärm weiterhin anwendbar

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte sich in einem Urteil vom 10.7.2012 (7 A 11/11) mit der Frage zu befassen, inwieweit in einem Planfeststellungsverfahren und dem sich hieran anschließenden Planfeststellungsbeschluss der von den Bautätigkeiten ausgehende Lärm zu berücksichtigen ist. Nachdem in den vergangenen Jahren unter Lärmgesichtspunkten insbesondere der von dem fertig gestellten Vorhaben ausgehende Lärm (z. B. Verkehrslärm einer planfestgestellten Straße) im Mittelpunkt der juristischen Betrachtung stand, rückt jetzt zunehmend – sowohl im Baugenehmigungsrecht, als auch im Fachplanungsrecht – der während der Bauphase entstehenden Lärm in den Fokus. Anknüpfend an seine Entscheidung vom 27.1.1988 (4 B 7/88) hat sich das Bundesverwaltungsgericht nunmehr zu den erforderlichen Schutzmaßnahmen in einem Planfeststellungsbeschluss im Hinblick auf den durch die Bautätigkeit entstehenden Baulärm geäußert.

 

Rechtsgrundlage für Festsetzung von Schutzmaßnahmen: § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG

 

Das BVerwG weist darauf hin, dass Ausgangspunkt für die Festsetzung derartiger Schutzmaßnahmen im Planfeststellungsbeschluss § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG ist. Danach hat die Planfeststellungsbehörde dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG erfasst auch solche nachteiligen Wirkungen, die durch Lärm, Erschütterungen und Staub aufgrund der Bauarbeiten für das planfestgestellte Vorhaben entstehen (siehe hierzu den Beschluss vom 27.1.1988 - 4 B 7.88 - Buchholz 442.01 § 29 PBefG Nr. 1 S. 1 ). § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG differenziert dabei nicht nach den einzelnen Abschnitten zur Realisierung des Vorhabens. Die durch den Planfeststellungsbeschluss begründete Duldungspflicht des Nachbarn umfasst daher auch die während der Bauphase entstehenden Immissionen (vgl. auch BGH, Urteil vom 30.10.2009 - V ZR 17/09 - MDR 2010, 142 Rn. 18).

 

Ob nachteilige Wirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorliegen, beurteilt sich bei Baulärm nach § 22 Abs. 1, § 3 Abs. 1 BImSchG in Verbindung mit der gemäß § 66 Abs. 2 BImSchG maßgeblichen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm - AVV Baulärm - vom 19. August 1970 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 160 vom 1. September 1970). Ausdrücklich hebt das BVerwG hervor, dass hingegen auf die TA Lärm selbst bei mehrjähriger Dauer einer Baustelle nicht zurückgegriffen werden kann. da Baustellen vom Anwendungsbereich der TA Lärm ausdrücklich ausgeschlossen sind (Nr. 1 Buchst. f) TA Lärm).

 

Maßgebliche Regelung: AVV Baulärm weiterhin anwendbar

 

Die AVV Baulärm konkretisiert für Geräuschimmissionen von Baustellen den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen. Die zur Annahme der normkonkretisierenden Wirkung einer Verwaltungsvorschrift erforderlichen formellen Voraussetzungen (vgl. Urteil vom 28. Oktober 1998 - BVerwG 8 C 16.96 - BVerwGE 107, 338) liegen für die AVV Baulärm vor. Die AVV Baulärm konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Schutzniveau in Nr. 3 differenzierend nach dem Gebietscharakter und nach Tages- und Nachtzeiten durch Festlegung bestimmter Immissionsrichtwerte. In Nr. 6 enthält sie Regelungen zur Ermittlung des Beurteilungspegels im Wege eines Messverfahrens. Dafür, dass die Regelungen zum Schutzniveau durch neue, gesicherte Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung überholt wären, ist nach Ansicht des BVerwG nichts ersichtlich. Das gilt sowohl für die Gebietseinteilung der AVV Baulärm als auch für die festgelegten Immissionsrichtwerte. Zwar stimme die Gebietszuordnung der AVV Baulärm noch mit derjenigen der Baunutzungsverordnung von 1968 überein, während neuere Regelwerke, etwa die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV), die Sportanlagenlärmschutzverordnung (18. BImSchV) und die TA Lärm die Gebietsbezeichnungen der Baunutzungsverordnung von 1990 verwenden würden. Allein daraus folge aber nicht, dass die Gebietseinteilung der AVV Baulärm nicht mehr geeignet oder zweckmäßig ist. Denn anders als bei den vorgenannten Regelwerken gehe es im Anwendungsbereich der AVV Baulärm nicht um eine dauerhafte Gebietsverträglichkeit der Lärmeinwirkungen, sondern um vorübergehende Lärmeinwirkungen durch eine Baustelle. Zu deren Bewältigung reiche der gröbere Differenzierungsgrad der Gebietseinteilung der AVV Baulärm aus. Zugleich rechtfertige der Umstand, dass Baustellenlärm - auch bei mehrjährigen Baustellen - vorübergehend sei, es auch heute noch, Immissionsrichtwerte festzulegen, die über den in verschiedenen anderen Regelwerken zu dauerhaften Lärmeinwirkungen - etwa in § 2 Abs. 2 der 18. BImSchV oder Nr. 6.1 der TA Lärm - vorgesehenen Werten liegen. Hinsichtlich der Regelungen zum Messverfahren fehle es ebenfalls an Anhaltspunkten dafür, dass diese inzwischen derart veraltet sind, dass der Beurteilungspegel damit nicht mehr hinreichend verlässlich ermittelt werden kann. Dies gelte umso mehr, als die Bestimmungen der AVV Baulärm zum Messverfahren nicht so eng gefasst seien, dass sie etwa die Heranziehung modernerer Regelwerke (VDI-Richtlinien oder DIN-Vorschriften), die erst nach der AVV Baulärm erlassen worden sind, ausschließen würde.

 

Schutzobjekte der AVV Baulärm: Nur die in der Nachbarschaft wohnenden und arbeitenden Personen

 

Die AVV Baulärm zielt auf den Schutz der Nachbarschaft. Zwar war in §§ 2, 3 Abs. 2 Nr. 2 und § 5 des Gesetzes zum Schutz gegen Baulärm, auf dessen Grundlage die AVV Baulärm erlassen worden ist, nur von Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen der Allgemeinheit die Rede. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich aber, dass die in der Nachbarschaft von Baustellen wohnenden oder arbeitenden Personen geschützt werden sollten (BTDrucks IV/3142 S. 5, linke Spalte und BTDrucks IV/3584 S. 1). Zur Nachbarschaft in diesem Sinne gehören nur diejenigen Personen, die sich dem Baulärm jedenfalls nicht nachhaltig entziehen können, weil sie nach ihren Lebensumständen, die durch den Wohnort, den Arbeitsplatz oder die Ausbildungsstätte vermittelt werden können, den Einwirkungen dauerhaft ausgesetzt und daher qualifiziert betroffen sind (vgl. Urteil vom 22.10.1982 - 7 C 50.78 - Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 6 S. 17 ). Hierzu gehören etwa die Eigentümer und Bewohner der im Einwirkungsbereich gelegenen Grundstücke und alle Personen, die im Einwirkungsbereich arbeiten. Keine Nachbarn sind dagegen Personen, die sich nur zufällig bzw. gelegentlich, d.h. ohne besondere persönliche oder sachliche Bindungen, etwa aufgrund von Ausflügen oder Reisen oder als Kunden, im Einwirkungsbereich aufhalten. Solche Personen sind als "Publikum" Teil der nicht geschützten "Allgemeinheit".

 

Kein Summenpegel aus Verkehrslärm und Baustellenlärm

 

Die AVV Baulärm enthält auch – so das BVerwG - keine Regelung zur Berücksichtigung bereits vorhandener Geräusche bei der Ermittlung der Gesamtbelastung. Das ist mit höherrangigem Recht vereinbar. Zwar liegt dem Bundes-Immissionsschutzgesetz in § 3 Abs. 1 für die Definition der schädlichen Umwelteinwirkungen eine akzeptorbezogene Betrachtungsweise zugrunde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Geräuschimmissionen aber maßgeblich vom "Anlagenbezug" des Bundes-Immissionsschutzgesetzes auszugehen, wie er auch in § 22 Abs. 1 BImSchG und den daran ausgerichteten, nach Anlagenarten differenzierenden Verordnungen und Regelwerken zum Ausdruck kommt. Gesamtbetrachtungen sind nur nach Maßgabe dessen erlaubt, was gesetzliche Vorgaben und die daran anknüpfenden Regelwerke zulassen. Selbst wenn man anerkennt, dass es für die Schädlichkeit von Umwelteinwirkungen nach der Definition des § 3 Abs. 2 BImSchG nicht darauf ankommt, woher, insbesondere aus wie vielen Quellen, die zu beurteilende Beeinträchtigung stammt (vgl. Urteil vom 21.3.1996 - 4 C 9.95 - BVerwGE 101, 1 ) und daher bei der immissionsschutzrechtlichen Beurteilung von Anlagen die vorhandene Geräuschvorbelastung grundsätzlich zu berücksichtigen ist, folgt daraus nicht, dass dem nur durch die Bildung eines alle Geräusche erfassenden Summenpegels Rechnung getragen werden kann. Das gilt selbst dann, wenn der Lärm einzelner Anlagen dominiert. Die Frage, wie der Lärmbeitrag anderer, insbesondere andersartiger Anlagen zu berücksichtigen ist, ist vielmehr vorrangig nach dem für die jeweilige Anlagenart einschlägigen Regelwerk zu beantworten. Die Bildung eines Summenpegels ist zulässig, wenn es sich um gleichartige, durch dasselbe Regelwerk erfasste Anlagen handelt (Urteil vom 16.5.2001 - 7 C 16.00 - Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 16 Rn. 12 und 16). Abweichendes gilt im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dann, wenn die Gesamtbelastung der Geräuschimmissionen aus verschiedenen Lärmquellen die Grenze zur Gesundheitsgefährdung übersteigt.

 

Rechtsanwalt Dr. Alfred Stapelfeldt ist Partner der Kanzlei Rechtsanwälte SZK, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Lehrbeauftragter für Umweltrecht an der Fachhochschule Mainz.