Urteil des VG Wiesbaden vom 20.01.2010

VG Wiesbaden: tötung, tierschutzgesetz, lebensmittel, hirt, jagdrecht, lockvogel, nachhaltigkeit, beruf, gewerbefreiheit, gefährdung

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 1347/09.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 11 Abs 1 Nr 3e TierSchG
Töten von Stadttauben durch Falkner und Verfüttern an
Greife und Eulen
Leitsatz
Keine Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 e TierSchG zum Töten von Stadttauben durch
Falkner
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger, Jäger und Falkner, hat einen Fangschlag entwickelt, mittels dessen
Tauben lebend gefangen werden sollen. Die gefangenen Tauben will er in
regelmäßigen Abständen entnehmen und an seine Greife verfüttern. Er wirbt mit
dieser Geschäftsidee, die nach seiner Auffassung Taubenprobleme durch den
dauerhaften Wegfang der Tauben dort löst, wo sie vermehrt auftreten.
Mit seiner nach abgeschlossenem Vorverfahren (Bescheid vom16.02.2009,
Widerspruchsbescheid vom 20.10.2009) rechtzeitig erhobenen Klage verfolgt der
Kläger sein Begehren auf Erteilung einer Erlaubnis nach § 11 TierSchG zum Töten
verwilderter Stadttauben, um sie an Greifvögel und Eulen zu verfüttern, weiter.
Er ist der Auffassung, dass aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen für den
Menschen und durch Taubenkot verursachte Gebäudeschäden ein
nachvollziehbares Bedürfnis zur Regulierung des Bestandes verwilderter Tauben
bestehe. Zur Reduzierung des Bestandes sei die Tötung der gefangenen Tauben
das effektivste Mittel. Die Tötung sei nicht sinnlos, da einerseits damit die von
ihnen ausgehenden Gefahren reduziert werden könnten, andererseits die
getöteten Tauben zu Futterzwecken für die Greifvögel verwendet werden sollten.
Aufgrund der abgelegten Prüfungen (der Kläger ist Inhaber eines Jagd- und
Falknerjagdscheines) sei er befähigt, die Tauben tierschutzgerecht zu töten.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Beklagten vom 16.02.2009 (Aktenzeichen 19c20) in der
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2009 aufzuheben und den
Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die Erlaubnis zu erteilen, verwilderte
Stadttauben zu töten, um sie an Greifvögel und Eulen zu verfüttern.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Hier wird ausgeführt,
dass Tauben per se keine Schädlinge darstellten, so dass das Töten von
Stadttauben nur im Einzelfall ausnahmsweise gerechtfertigt sein könne. Das
Vorliegen eines vernünftigen Grundes (§ 1 TierSchG) sei nur dann gegeben, wenn
die Erforderlichkeit einer konkreten und nachgewiesenen Gefährdung von
Personen und Personengruppen durch bestimmte Taubenschwärme zur
Gefahrenabwehr nachgewiesen sei. Eine Berufung auf die Berufs- und
Gewerbefreiheit scheide aus, da der Kläger nicht den Beruf eines selbständigen
Schädlingsbekämpfers ausübe und auch das Jagdrecht nicht berührt sei. Darüber
hinaus stellten Tötungsaktionen von Stadttauben zur Bestandsminderung
erwiesenermaßen keine generelle Lösung zur nachhaltigen Bestandskontrolle dar,
da die hohe Natalität der Tiere lediglich zur schnellen Verjüngung der
Taubenschwärme führe. Fang- und Tötungsaktionen ohne weitere Konzeption zur
Regulierung seien daher ungeeignet, unverhältnismäßig und zudem
tierschutzwidrig. Zusammenfassend sei die Verwendung der vorgesehenen
Vorrichtung „Fangschlag mit Lockvogel“ weder geeignet im Sinne der
Nachhaltigkeit, noch erforderlich oder angemessen bzw. verhältnismäßig um eine
tierschutzgerechte Bekämpfung von Stadttauben durchzuführen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin
einverstanden erklärt.
Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt,
auch den der vorgelegten Behördenkaten, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage, über die die Berichterstatterin entscheidet (§ 87
a Abs. 2 und 3 VwGO), ist unbegründet, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf
Erteilung der begehrten Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 TierSchG; die angefochtenen
Bescheide sind rechtmäßig.
Nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 e TierSchG bedarf, wer gewerbsmäßig Wirbeltiere als
Schädlinge bekämpfen will, der Erlaubnis der zuständigen Behörde. Nach Abs. 2
Nr. 4 dieser Vorschrift darf die Erlaubnis nur erteilt werden, wenn die zur
Verwendung vorgesehenen Vorrichtungen für eine tierschutzgerechte Bekämpfung
der betroffenen Wirbeltierarten geeignet sind. Diese gesetzlichen
Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
Vorliegend scheitert das Begehren des Klägers, „verwilderte Stadttauben“ nach
dem Fangen in dem von ihm entwickelten Vogelschlag töten zu dürfen, bereits
daran, dass insoweit die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 Nr. 3 e
TierSchG nicht erfüllt sind, weil das beabsichtigte Vorgehen des Klägers gegen
Stadttauben nicht als „Schädlingsbekämpfung“ einzustufen ist.
Die einzelne Stadttaube ist kein Schädling.
Man unterscheidet folgende Schädlingsgruppen (vgl. z.B. Wikipedia):
- Materialschädlinge. Das sind Schädlinge, die z.B. Holz, Leder, Papier, Textilien
usw. befallen.
Eine Taube befällt und zerstört keine Materialien.
- Vorratsschädlinge. Das sind Schädlinge, die Lebensmittel ungenießbar machen.
Eine Taube macht keine Lebensmittel ungenießbar.
- Gesundheits- und Hygieneschädlinge: Das sind Schädlinge, die Krankheiten oder
Allergien hervorrufen.
Zwar ist die Übertragung von Krankheitserregern und Allergenen von Tauben auf
den Menschen möglich, dies gilt aber in gleichem Maße für andere in Städten
lebende Vögel wie Sperlinge, Meisen, Amseln, Enten, Schwäne… und auch für
Säugetiere wie Eichhörnchen oder Marder. Niemand käme auf die Idee, alle diese
Tiere als Schädlinge einzustufen. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang auch,
dass der viel engere Kontakt mit Heimtieren weit größere Gesundheitsgefahren
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dass der viel engere Kontakt mit Heimtieren weit größere Gesundheitsgefahren
birgt.
- Lästlinge. Das sind Schädlinge, die für den Menschen nicht gefährlich sind, deren
Anwesenheit jedoch als störend empfunden wird.
Selbst wenn man Lästlinge in diesem Sinne tatsächlich als Schädlinge auch im
Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 3. e TierSchG bezeichnen wollte: Eine Taube auf dem
Dach stört niemanden.
Danach dürften Stadttauben – wenn überhaupt – allenfalls dann als Schädlinge zu
qualifizieren sein, wenn sie an einem Ort in Massen auftreten, wenn als Folge einer
„Taubenplage“ Gesundheits- oder Gebäudeschäden zu erwarten sind. In diesen
Fällen muss über das Vorgehen individuell unter Berücksichtigung der örtlichen
Verhältnisse entschieden werden. Ein Eingreifen kann unter seuchen- oder
ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten sein und in Einzelfällen auch zur
Tötung von Tauben Anlass geben. Eine Erlaubnis, wie die beantragte, die sich auf
jede Stadttaube beziehen soll, ist danach von dieser gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage des § 11 Abs. 1 Nr. 3 e TierSchG nicht gedeckt, so dass
die vom Beklagten getroffene Entscheidung schon aus diesem Grund nicht zu
beanstanden ist.
Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass auch keine Möglichkeit
besteht, die beantragte Erlaubnis unter Auflagen zu erteilen, die die Erfüllung der
gesetzlichen Voraussetzungen sicherstellen. Die Frage, ob die vom Kläger
vorgestellte Methode, Stadttauben zu fangen, zu töten und an Greife und Eulen zu
verfüttern, zulässig ist, ist als allenfalls ausnahmsweise zu bejahende
Einzelfallentscheidung einer generellen Erlaubnis nicht zugänglich.
Hinzu kommt, dass selbst wenn man das beabsichtigte Vorgehen des Klägers
gegen Stadttauben als Schädlingsbekämpfung einstufen wollte, das gewählte
Mittel nicht zur nachhaltigen Bekämpfung von Stadttauben geeignet ist, jedenfalls
nicht als alleinige Maßnahme. Untersuchungen haben gezeigt, dass durch Töten
reduzierte Bestände bereits nach kurzer Zeit wieder auf die ursprünglichen Zahlen
heranwachsen oder sogar noch zahlreicher werden. Tötungsmaßnahmen bewirken
lediglich eine Verjüngung der Bestände (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz,
Kommentar, § 17 Anm. 42). Hierauf weist auch der Beklagte in den angefochtenen
Bescheiden hin. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf das in den
Behördenakten befindliche Konzept zur tierschutzgerechten Regulierung der
Stadttaubenpopulation sowie die Literaturhinweise dort Bezug genommen.
Deshalb steht auch § 11 Abs. 2 Nr. 4 TierSchG der beantragten Erlaubnis
entgegen.
Soweit sich der Kläger zur Begründung seiner Klage auf die Berufs- und
Gewebefreiheit (Art. 12 GG) beruft, verhilft dies der Klage ebenfalls nicht zum
Erfolg, denn bei der Erlaubnispflicht des § 11 TierSchG handelt es sich um eine
zulässige Berufszugangsbeschränkung (Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz,
Kommentar, § 11 Anm. 3, Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz, Kommentar, § 11
Anm. 3).
Da nach alledem die Klage abzuweisen ist, hat der Kläger die Prozesskosten zu
tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen (§§
124a, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Aufgrund der Erörterung in der mündlichen
Verhandlung ist deutlich geworden, dass die Entscheidung für Falkner und die für
Tierschutz zuständigen Behörden bundesweit von Bedeutung ist. Einschlägige
obergerichtliche Rechtsprechung zu der konkreten Problematik des § 11 TierSchG
ist den Beteiligten und dem Gericht nicht bekannt.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 5.000,00 € festgesetzt (§ 52 Abs. 2 GKG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.