Urteil des VG Wiesbaden vom 12.06.2008

VG Wiesbaden: aufschiebende wirkung, aufenthaltserlaubnis, verfügung, unionsbürger, freizügigkeit, firma, eugh, feststellungsklage, besitz, rechtsschutzinteresse

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 360/08.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 EWGAssRBes 1/80,
§ 81 Abs 4 AufenthG, § 84 Abs
1 Nr 1 AufenthG, § 80 Abs 5
VwGO, § 4 Abs 5 AufenthG
Verlängerung eines Aufenthaltstitels eines
assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen
wegen einjähriger Arbeitstätigkeit
Leitsatz
Keine ordnungsgemäße Beschäftigung bei nur fingiertem Aufenthaltsrecht nach § 81
Abs. 4 AufenthG
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der am 00.00.00 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und reiste am
11.12.2001 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Asyl- und
Asylfolgeantragsverfahren blieben erfolglos.
Aufgrund seiner Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen C am
24.05.2006 erhielt der Kläger für die Zeit vom 12.08.2005 bis 25.05.2006 eine
befristete Aufenthaltserlaubnis. Die Eheleute lebten seit 01.02.2006 getrennt und
die Ehe wurde am 19.07.2006 geschieden.
Der Kläger arbeitet seit 01.01.2006 bis heute ununterbrochen bei der Firma D.
Der Antrag des Klägers vom 24.05.2006 auf Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis, der zuletzt vom Klägerbevollmächtigten nur noch auf Art. 6
Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 gestützt wurde, wurde mit Verfügung der
Beklagten vom 05.03.2008 versagt. Bis zum Erlass dieser Verfügung waren dem
Kläger durch die zuständigen Ausländerbehörden nach Antragstellung
Fiktionsbescheinigungen gem. § 81 Abs. 4 AufenthG ausgestellt worden.
Der Kläger hat am 04.04.2008 Klage erhoben. Er meint, die Voraussetzungen des
Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 lägen vor. Die Fiktionsbescheinigung gem. §
81 Abs. 4 AufenthG vermittle, anders als früher § 69 Abs. 3 AuslG, einen
rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne von ARB 1/80, denn diese
Fiktionsbescheinigung stelle eine Aufwertung des vorläufigen Aufenthaltes
gegenüber der Rechtslage nach dem AuslG dar. Er erfülle damit die
Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80. Er sei über ein Jahr
ordnungsgemäß beschäftigt und verfüge über eine fortbestehende
Aufenthaltserlaubnis. Insoweit habe sich die Rechtslage nach dem AufenthG
gegenüber der Rechtslage nach dem AuslG geändert.
Da eine Entscheidung des EuGH bislang zu dieser Frage nicht ergangen sei, regt
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Da eine Entscheidung des EuGH bislang zu dieser Frage nicht ergangen sei, regt
der Kläger an das Verfahren dem EuGH vorzulegen.
Da die Beklagte bestreite, dass die Klage aufschiebende Wirkung entfalte, bestehe
ein Rechtsschutzinteresse für den Antrag zu 2.
Der Kläger beantragt, 1. die Verfügung der Beklagten vom 05.03.2008, zugestellt
am 07.03.2008, aufzuheben, 2. festzustellen, dass die Klage gegen die Verfügung
vom 05.03.2008 aufschiebende Wirkung entfaltet, 3. die Beklagte zu verpflichten,
dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG in Verbindung
mit Artikel 6 ARB 1/80 zu erteilen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf den Inhalt der angefochtenen Verfügung.
Für weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die am 04.04.2008 rechtzeitig erhobene Verpflichtungsklage (Klageantrag zu 3.)
ist zulässig. Der Aufhebungsantrag (Klageantrag zu 1.) bezüglich des ablehnenden
Bescheides ist ebenfalls zulässig aber unbegründet. Er hat neben dem
Verpflichtungsantrag nur insoweit eigenständige Bedeutung als die
Abschiebungsandrohung angefochten wird. Bezüglich der Versagung der
beantragten Aufenthaltserlaubnis dient er allein der Klarstellung.
Auch die mit dem Klageantrag zu 2. erhobene Feststellungsklage gemäß § 43 Abs.
1 VwGO ist zulässig, denn zwischen den Parteien besteht Streit darüber, ob der
erhobenen Verpflichtungsklage aufschiebende Wirkung zukommt und angesichts
der gesetzten Ausreisefrist hat der Kläger auch ein Feststellungsinteresse. Die
Möglichkeit diese Frage durch Gestaltungs- oder Leistungsklage zu klären besteht
nicht (§ 43 Abs. 2 VwGO).
Die Klagen sind jedoch insgesamt unbegründet.
Was das Verpflichtungsbegehren angeht, besteht kein Anspruch des Klägers auf
Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis, so dass die Beklagte seinen
Verlängerungsantrag mit der angefochtenen Verfügung vom 05.03.2008 zu Recht
versagt hat. Der Kläger hat aufgrund seiner Beschäftigung bei der Firma D seit
dem 01.01.2006 kein eigenständiges Aufenthaltsrecht aus Art. 6 Abs. 1 1.
Spiegelstrich ARB Nr. 1/80 erworben. Nach dieser Vorschrift hat ein türkischer
Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates der
Europäischen Gemeinschaft angehört nach einem Jahr ordnungsgemäßer
Beschäftigung bei dem selben Arbeitgeber einen Anspruch auf Verlängerung
seiner Arbeitserlaubnis für den selben Arbeitgeber, wenn er über einen
Arbeitsplatz verfügt. Aus diesem Beschäftigungsrecht folgt ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht (BVerwG, 97, 301 ff). Der Kläger war aber zu keinem Zeitpunkt
mindestens ein Jahr lang ununterbrochen bei ein und demselben Arbeitgeber
ordnungsgemäß beschäftigt. Eine ordnungsgemäße Beschäftigung setzt nämlich
voraus, dass der Arbeitnehmer im Besitz eines in seinem Bestand unbestrittenen,
gesicherten Aufenthaltsrechts ist. Im Besitz eines solchen Aufenthaltsrechts war
der Kläger jedoch nur für die Dauer seiner befristeten Aufenthaltserlaubnis vom
12.08.2005 bis 25.05.2006. Eine ordnungsgemäße Beschäftigung bestand deshalb
lediglich für knapp fünf Monate vom 01.01.2006 bis 25.05.2006. Die folgenden
Zeiten des durch den Verlängerungsantrag ausgelösten fingierten
Aufenthaltsrechts aus § 81 Abs. 4 AufenthG bis zur Bekanntgabe der Ablehnung
des Verlängerungsantrags stellen kein unbestrittenes Aufenthaltsrecht dar. Die
aus § 81 Abs. 4 AufenthG folgende vorläufige Fortgeltung des Aufenthaltstitels
inklusive aller Nebenentscheidungen begründet nämlich kein gesichertes
Aufenthaltsrecht, sondern ist lediglich eine vorläufige verfahrensrechtliche Fiktion,
deren Fortgeltung gerade nicht gesichert ist. Ein gesichertes Aufenthaltsrecht
entsteht erst nach abschließender Prüfung und positiver Entscheidung über den
gestellten Verlängerungsantrag. Daran fehlt es aber vorliegend, denn der
Verlängerungsantrag wurde - zu Recht - abgelehnt (ebenso vgl. VGH Baden-
Württemberg, Beschluss vom 24.01.2008, 11 S 2765/07 - zitiert nach juris; Hess.
VGH, ZAR 2007, 413ff.).
Da auch die Abschiebungsandrohung in der angefochtenen Verfügung rechtlich
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Da auch die Abschiebungsandrohung in der angefochtenen Verfügung rechtlich
nicht zu beanstanden ist, bleibt das Anfechtungsbegehren insgesamt erfolglos.
Die mit dem Klageantrag zu 2. erhobene Feststellungsklage ist unbegründet, denn
§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gilt auch für die Ablehnung des Antrags eines
türkischen Staatsangehörigen auf Ausstellung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 4
Abs. 5 AufenthG (GK zum AufenthG, § 84, Rn. 14, Haibronner AufenthG, § 84 Rn
21, wie hier auch OVG Nordrhein-Westfalen, zitiert nach juris; a.A. Hamburgisches
OVG, NVwZ-RR 2008, 60-61 und VG Karlsruhe, NVwZ-RR 2007, 202). Auf
assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige ist nämlich nicht das Gesetz
über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern, sondern das
Aufenthaltsgesetz anzuwenden. Aus der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zum ARB 1/80 folgt lediglich,
dass die geltenden Grundsätze über die Freizügigkeit der Unionsbürger so weit wie
möglich auf türkische Arbeitnehmer übertragen werden sollen, nicht jedoch, dass
diese wie Unionsbürger zu behandeln sind. Die Assoziationsregelungen zwischen
der Europäischen Gemeinschaft und der Türkei beinhalten keine völlige
Gleichstellung der türkischen Arbeitnehmer. Sie dienen vielmehr der schrittweisen
Herstellung der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer. Danach ist es dem
nationalen Gesetzgeber unbenommen, auf türkische Arbeitnehmer das
allgemeine Ausländerrecht unter Berücksichtigung der Sonderstellung dieser
Arbeitnehmer anzuwenden. Daran hat auch das Aufenthaltsgesetz nichts
geändert. Für türkische Staatsangehörige gilt nach § 4 Abs. 1 und 5 AufenthG das
Aufenthaltsgesetz. Für sie gilt nicht das FreizügG/EU. Dieses erfasst schon nach
seinem Wortlaut ausschließlich Unionsbürger und ihre Familienangehörigen (vgl §
1). Danach ist für Aufenthaltserlaubnisse türkischer Staatsangehöriger § 84 Abs. 1
Nr. 1 AufenthG anzuwenden, wonach Widerspruch und Klage gegen die Ablehnung
eines Antrages auf Erteilung oder Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis keine
aufschiebende Wirkung haben. Es gibt auch keinen Grund, diese Vorschrift auf den
deklaratorischen Aufenthaltstitel des § 4 Abs. 5 AufenthG nicht anzuwenden. Dies
fordern weder der Gesetzeszweck noch eine assoziationsrechtskonforme
Auslegung. § 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG macht nämlich eine bestehende
Ausreisepflicht nicht vollziehbar. Er bewirkt lediglich, dass die nach §§ 50 und 58
Abs. 2 AufenthG, die nicht zwischen konstitutiven oder deklaratorischen
Aufenthaltstiteln unterscheiden, bestehende Vollziehbarkeit erhalten bleibt.
Da nach alledem die Klagen insgesamt abzuweisen sind, hat der Kläger die
Verfahrenskosten gemäß § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.