Urteil des VG Wiesbaden vom 13.02.2009

VG Wiesbaden: ausschreibung, öffentliche sicherheit, sperrung, neues recht, nationale sicherheit, behörde, organisierte kriminalität, festnahme, rechtsverordnung, fahndung

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Gericht:
VG Wiesbaden 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 L 93/09.WI (V)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 2 Abs 2 Nr 5 AZRG, § 20 Abs
4 BDSG, Art 6 SDÜ-GREO vom
15.07.1993, § 7 Abs 6 BKAG, §
30 Abs 2 Nr 3 BGSG 1994
(Anspruch auf Löschung von Daten aus dem Schengener-
Informations-System -SIS-)
Leitsatz
1. Die Normen des Bundeskriminalamtgesetzes sind derzeit nicht auf das Schengener-
Informations-System anwendbar, weil keine Verbunddatei im Rahmen von § 11 BKAG
vorliegt.
2. Im Falle des Vorliegens einer Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG wären die Daten
schon deshalb zu löschen, weil es an einer entsprechenden Rechtsverordnung gem. §
13 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 6 BKAG fehlt.
3. Art. 110 SDÜ enthält keinen Anspruch auf Sperrung, sondern nur auf Löschung.
4. Die Voraussetzungen für eine Sperrung liegen auch vor, wenn die Daten des
Antragstellers im SIS unrechtmäßig gespeichert sind und so eine Vorwegnahme der
Hauptsache vermieden werden kann.
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweilen Anordnung verpflichtet,
die im SIS über den Antragsteller vermerkte Ausschreibung bis zu einer
rechtskräftigen Entscheidung über seinen Löschungsantrag zu sperren und diese
Sperrung der zentralen D-Stelle nach Art. 108 SDÜ mitzuteilen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege der einsteiligen Anordnung die Sperrung seiner
Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS).
Der Antragsteller ist Staatsangehöriger von E. Er lebt mit seiner Frau und zwei
Kindern seit Ende des Jahres 2006 in D. Dem Antragsteller und den
Familienmitgliedern wurde durch das Amt der F-Landesregierung eine
Erstniederlassungsbewilligung erteilt, die bis zum 14.02.2008 gültig war. Am
17.01.2008 wurde ein Verlängerungsantrag gestellt. Hinsichtlich der Frau und der
Kinder wurde dem Antrag stattgegeben. Im Zuge des Verfahrens hinsichtlich des
Antragstellers wurde bekannt, dass gegen ihn im Schengener-Informations-
System (SIS) ein Einreiseverbot für die Bundesrepublik Deutschland gespeichert
ist. Das Bundeskriminalamt teilte am 07.11.2008 den D-Behörden als
Ausschreibungsgrund mit:
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Neben den Personaldaten und den Gründen enthält die Ausschreibung:
- Anlass der Ausschreibung: "Ausländer, dem die Einreise in das
Schengener Gebiet zu verweigern ist"
- Zweck der Ausschreibung: "An der Außengrenze: Verweigerung der
Ausreise in das Schengen Gebiet. Im Landesinneren: Prüfung des Aufenthalts ggf.
Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen durch zuständige
Ausländerbehörde."
- Ausschreibender Staat: "Deutschland"
- Eingabedatum der Fahndung: "00.00.2007"
- Löschdatum "00.00.2010"
- Personengebundener Hinweis: "gewalttätig"
- Kontaktdienststelle
- Einstellende Behörde: "Bundespolizeidirektion, Az.: ......."
- Einstellungsdatum: "00.00.2007"
Mit Bescheid vom 21. Januar 2009 wies die G den Antragsteller aus dem
Bundesgebiet der D aus. Ihm habe kein neuer Aufenthaltstitel erteilt werden
können, da gegen ihn ein Einreiseverbot in einem anderen Mitgliedstatt bestehe.
Ein Konsultationsverfahren mit den deutschen Behörden müsse nicht eingeleitet
werde. Der Aufenthalt widerstreite im Übrigen auch öffentlichen Interessen, worauf
die Ausweisung ebenfalls gestützt werde. Der Bescheid ist noch nicht
bestandskräftig.
Nach einer Mitteilung der D-Behörden an das Bundeskriminalamt vom 20.12.2008
stellte sich der Antragsteller der Festnahme. Er befindet sich in der
Justizvollzugsanstalt G in Untersuchungshaft. Die Anordnung der Festnahme sei
auf Grund eines Internationalen Haftbefehls von E vom ...... wegen Drogenaktivität
und Umweltdelikten erfolgt.
Eine Selbstanzeige des Antragstellers wurde von der D-Staatsanwaltschaft bereits
am ......2007 eingestellt.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 12.01.2009 beantragte der
Antragsteller beim Bundeskriminalamt die Löschung seiner Ausschreibung im SIS.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es bedürfe keiner Fahndung, nachdem der
Aufenthalt den Behörden von D und E bekannt sei. Der Tatvorwurf werde
bestritten. Es handele sich nicht um grenzüberschreitende organisierte
Kriminalität. Dem Antragsteller werde vorgeworfen, er habe die Gewährung eines
Kredits simuliert, nicht aber, dass tatsächlich Geld geflossen sei. Ein Schaden sei
nicht entstanden. Ein gewalttätiges Verhalten werde ihm nicht vorgeworfen.
Mit Schreiben vom 29.01.2009 wies das Bundeskriminalamt den Antragsteller
darauf hin, dass er sich an das Bundespolizeipräsidium in H als ausschreibender
Behörde wenden müsse.
Zunächst hatte der Antragsteller einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung mit dem Ziel gestellt, die Löschung der Ausschreibung im SIS zu
erreichen (Az.: 6 L 79/09.WI). Diesen Antrag hat er am 02.02.2009
zurückgenommen, um nun den Antrag auf Sperrung der Daten zu verfolgen.
Am 04.02.2009 hat der Antragsteller den vorliegenden neuen Antrag gestellt. Er
bringt vor, dass Bundeskriminalamt sei die für das Nationale Schengener-
Informations-System (NSIS) zuständige Behörde und habe daher die Aufgabe, von
anderen Behörden unzutreffend gespeicherte Daten zu löschen. Die
Einreiseverweigerung setze eine Befugnis zur Ausschreibung nach nationalem
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Einreiseverweigerung setze eine Befugnis zur Ausschreibung nach nationalem
Recht voraus. Daran fehle es aber. Wegen des erlaubten Aufenthalts in D hätte
eine Konsultation nach Art. 25 Abs. 2 SDÜ erfolgen müssen. Der Fernhaltung vom
Schengen-Raum dürfe die Ausschreibung wegen Art. 8 EMRK nicht dienen, da
damit die Trennung von der Familie in D verbunden sei.
Nach deutschem Recht liege keine Straftat, sondern lediglich eine
arbeitsrechtliche Verfehlung in Form einer schriftlichen Lüge vor. Wenn Untreue
vorliege, rechtfertige dies die Ausschreibung auch nicht zu strafprozessualen
Zwecken. Eine Auslieferung sei nach § 3 IRG unzulässig, da es dafür keine
Mindeststrafe von einem Jahr gebe. Eine Gewalttätigkeit sei schon wegen des
vorgeworfenen Wirtschaftsdelikts unwahrscheinlich. Die Dringlichkeit des Antrages
folge aus der drohenden Trennung von der Familie. Es liege keine Vorwegnahme
der Hauptsache vor. Die Ausschreibung könne auch als nationale beibehalten
werden. Der Antragsteller hat eine Übersetzung eines Haftbefehlersuchens
vorgelegt.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweilen Anordnung zu verpflichten,
die im SIS über den Antragsteller vermerkte Ausschreibung zu sperren und diese
Sperrung den D-Behörden mitzuteilen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Ein Anordnungsanspruch bestehe nicht. Die Ausschreibung sei durch die
Bundespolizeidirektion erfolgt und deshalb sei diese Behörde für die Rücknahme
zuständig. Deren Zuständigkeit für Ausschreibungen nach Art. 96 SDÜ ergebe sich
aus §§ 30 Abs. 2 Nr. 3, 30 Abs. 5 BPolG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 5 AZRG. Das
Bundeskriminalamt sei zwar zentrale Stelle nach Art. 108 Abs. 2 SDÜ. Die
Ausschreibung sei danach über und nicht durch das Bundeskriminalamt erfolgt.
Das NSIS sei eine Verbunddatei. Wie in anderen Mitgliedstaaten erfolge eine
dezentrale Eingabe. Eine gesetzliche Regelung zur Anwendbarkeit der §§ 11 ff.
BKAG auf das NSIS sei deshalb nicht erforderlich. Davon sei auch der Gesetzgeber
ausgegangen, als mit Wirkung vom 01.03.2005 die Befugnis der
Staatsanwaltschaften zum Abruf der im SIS gespeicherten Ausschreibungen
vorgesehen habe. Die Antragsgegnerin hat die Errichtungsanordnung NSIS-
Personenfahndung vorgelegt. Eine Rechtsverordnung sei nicht nötig, da die Datei
nach § 7 BKAG geführt werde und die Rechtsverordnung nur Dateien nach §§ 8 und
9 BKAG zum Gegenstand haben könnte. Jedenfalls gehe der Umfang einer
Ausschreibung nicht über das hinaus, was der Gesetzgeber schon in § 8 Abs. 1 Nr.
1 bis 4 BKAG vorgesehen habe. Eine Rechtsverordnung würde für die
Ausschreibung im SIS auch nur deklaratorischen Charakter haben. Materiell sei die
Ausschreibung rechtmäßig. Die Antragsgegnerin hat dazu die "Rotecke" zur
internationalen Fahndung nach dem Antragsteller vorgelegt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers und die Antragsgegnerin haben sich mit
einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.
Neben der Akte dieses Verfahrens liegt ein Heftstreifen Unterlagen des
Bundeskriminalamts und die Akte des Vorgängerverfahrens 6 L 79/09.WI vor,
dessen Vortrag auch in diesem Verfahren berücksichtigt wurde. Die der
Ausschreibung im SIS zugrunde liegenden Unterlagen (Fahndungsersuchen,
Haftbefehl) wurden von Seiten des Bundeskriminalamtes nicht vorgelegt.
II.
Der Antrag ist zulässig.
Die begehrte Verpflichtung ist als Regelungsanordnung statthaft (§ 123 Abs. 1
Satz 2 VwGO). Es besteht auch das notwendige Rechtsschutzbedürfnis.
Der Antragsteller hat sich an das Bundeskriminalamt als zuständige Behörde
gewandt. Die ausschreibende Bundespolizeibehörde war nicht nach § 11 Abs. 3
BKAG zuständig. Die Norm des Bundeskriminalamtgesetzes ist nicht anwendbar,
weil keine Verbunddatei im Rahmen von § 11 BKAG vorliegt. Rechtsgrundlage für
die Tätigkeit des Bundeskriminalamtes als zentraler Stelle ist Art. 6 des Gesetzes
zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den
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zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den
schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen vom
15.07.1993 (BGBl II S. 1010) und nicht das Bundeskriminalamtgesetz. Schon der
Bundesrat hat im Gesetzgebungsverfahren 1992 auf das Problem hingewiesen
(BR-Drs. 121/1/92, insbesondere R 6., Zur Zuständigkeit von Bundesbehörden:
"), ohne das der
Gesetzgeber 1997 bei Erlass des neuen Bundeskriminalamtgesetztes darauf
reagiert hätte. Die spätere Einfügung einer Abrufbefugnis der
Staatsanwaltschaften aus dem SIS in § 11 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 BKAG macht dieses
noch nicht zum Teil des Polizeilichen Informationssystems. Dazu hätte es
angesichts des planvollen gesetzgeberischen Unterlassens einer ausdrücklichen
Regelung bedurft (siehe auch VG Wiesbaden, Urteil vom 28.11.2006, Az. 6 E
864/06). Dies sieht der vom Bundestag am 30.01.2009 in der Ausschussfassung
beschlossene Entwurf eines Gesetzes zum Schengener Informationssystem der
zweiten Generation (SIS-II-Gesetz) nunmehr in Art. 2 Nr. 2 vor, wenn in § 3 BKAG in
einem neuen Absatz 1a) der nationale Teil des Schengener Informationssystems
Teil des polizeilichen Informationssystems nach § 11 BKAG werden soll (BT-Drs.
16/10816, 16/11763). Das Gesetzgebungsverfahren ist jedoch noch nicht
abgeschlossen.
Insoweit kann derzeit durch eine andere Behörde – hier die Bundespolizei – kein
Eintrag im SIS erfolgen und ist das Bundeskriminalamt die verantwortliche
Behörde und damit der richtige Antragsgegner (Art. 108 SDÜ; Art. 6 des Gesetzes
zu dem Schengener Übereinkommen vom 19. Juni 1990 betreffen den
schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen).
Die Errichtungsanordnung der "NSIS-Personenfahndung" mag zwar gemäß § 34
BKAG erlassen worden sein, die in ihr genannten Rechtsgrundlagen entsprechen
jedoch nicht dem derzeit geltendem Recht. Auch kann durch die
Errichtungsanordnung kein neues Recht geschaffen werden.
Der Antrag ist auch begründet.
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus Art. 118 Schengener
Durchführungsüberein-kommen (SDÜ). Das SDÜ ist weiterhin anwendbar, weil die
Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlament und des Rates vom
20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des
Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (Abl. Nr. L 381, S.
4) nach ihrem Art. 55 zwar schon in Kraft getreten ist, aber der danach zur
Anwendbarkeit notwendige Beschluss des Rates über den Start des SIS II fehlt.
Art. 110 SDÜ enthält zwar keinen Anspruch auf Sperrung, sondern nur auf
Löschung. Hier handelt es sich aber um ein Minus zur Löschung, weil es nicht um
eine Sperrung wegen bestrittener Tatsachen geht (vgl. § 20 Abs. 4 BDSG),
sondern um eine vorläufige Maßnahme in einem Löschungsverfahren wegen
unrechtmäßig gespeicherten Daten geht (§ 20 Abs. 2 Nr. 1 BDSG, Art. 110 2. Alt.
SDÜ). Die Voraussetzungen für eine Sperrung liegen auch vor, weil die Daten des
Antragstellers im SIS unrechtmäßig gespeichert sind und so eine Vorwegnahme
der Hauptsache vermieden werden kann.
Rechtsgrundlage für diese Ausschreibung ist ausschließlich Art. 96 SDÜ. Im SIS
wurde der Antragsteller zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben. Die
Ausschreibung zur Fahndung erfolgte rein national und ist nicht Gegenstand
dieses Verfahrens.
Art. 96 Abs. 1 SDÜ sieht vor, dass durch die ausschreibenden Stellen die
nationalen Verfahrensregeln einzuhalten sind. Das ist hier nicht geschehen. Die
Bundespolizei ist zurzeit nicht befugt, Ausschreibungen im SIS vorzunehmen, weil
§ 11 Abs. 2 BKAG für das SIS nicht anwendbar ist. Nur das Bundeskriminalamt
hätte ausschreiben dürfen. Der Antragsgegnerin ist jedoch insoweit recht zu
geben, dass nur über eine Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG die Einhaltung
datenschutzrechtliche Prinzipien gewährleistet wird. Das kann aber nicht dazu
führen, auf Grund der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers nicht
anwendbare Normen dennoch direkt oder analog anzuwenden. Das würde gegen
das Prinzip der Nomenklarheit verstoßen, dem im Datenschutzrecht eine
besondere Bedeutung zukommt. Aus den von der Antragsgegnerin angegebenen
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besondere Bedeutung zukommt. Aus den von der Antragsgegnerin angegebenen
Normen ergibt sich nichts anderes. § 2 Abs. 2 Nr. 5 AZRG regelt lediglich, dass im
Ausländerzentralregister bei einer Ausschreibung Daten gespeichert werden. Die
Norm setzt eine Ausschreibung voraus und schweigt zu der dafür befugten
Behörde. § 30 BPolG regelt, wie sich schon aus der gesetzlichen Überschrift ergibt,
die Ausschreibung zur Fahndung. Bei der Grenzfahndung (§ 30 Abs. 1 Satz 1
BPolG) werden Daten in einer dafür vorgesehenen Datei gespeichert. Eine
Ausschreibung im SIS ist nicht vorgesehen. Dass § 30 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5
BPolG Grundlage für die nationale Ausschreibung des Antragstellers zur
Festnahme waren, ist hier nicht von Belang.
Eine Befugnis der Bundespolizei ist auch deshalb nicht entbehrlich, weil es sich bei
Art. 96 SDÜ seit Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages um
Gemeinschaftsrecht auf der Grundlage von Titel IV des EG-Vertrags handelt.
Einerseits verweist Art. 96 Abs. 1 SDÜ auf das nationale Recht, andererseits hätte
die Gemeinschaft gar nicht die Kompetenz, die Zuständigkeit nationaler Behörden
zu regeln.
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen des Art. 96 Abs. 2 SDÜ nicht vor. Danach
kann die Ausschreibung auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung
oder die nationale Sicherheit, die die Anwesenheit eines Drittausländers auf dem
Hoheitsgebiet der Vertragspartei gestützt werden.
Allerdings ist nicht gegen Art. 25 Abs. 2 SDÜ verstoßen worden. Nach dieser Norm
konsultiert die ausschreibende Vertragspartei die Vertragspartei, die einen
Aufenthaltstitel erteilt hat, wenn sich herausstellt, dass der zur
Einreiseverweigerung ausgeschriebene Drittausländer über einen gültigen
Aufenthaltstitel verfügt. Aus der Regelung der Konsultation kann der Antragsteller
kein Anhörungsrecht vor einer Ausschreibung herleiten. Schon aus dem Wortlaut
"Stellt sich heraus" (französisch "L’orsqu’il apparaît") ergibt sich, dass der
ausschreibende Staat nicht anfragen muss, ob eine Person über einen
Aufenthaltstitel verfügt. Dazu wäre er auch nicht in der Lage, weil das SIS gerade
kein gemeinschaftsweites Ausländerzentralregister darstellt. Da das BKA erst
durch die Anfrage von D im Rahmen des dortigen Verwaltungsverfahrens von dem
Aufenthalt des Antragstellers erfahren hat, musste es keine Konsultation einleiten.
Diese haben die Behörden von D nach Art. 25 Abs. 1 SDÜ für entbehrlich gehalten,
weil sie selbst keinen neuen Aufenthaltstitel erteilen wollten.
Der Aufenthalt des Antragstellers stellt nach derzeitiger summarischer Prüfung
keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Das Regelbeispiel Art. 96 Abs. 2 b)
SDÜ ist nicht erfüllt. Ein konkreter Hinweis, der Antragsteller plane Straftaten,
besteht nicht. Der Antragsteller steht auch nicht in dem Verdacht, schwere
Straftaten, insbesondere solche im Sinne des Art. 76 SDÜ (Betäubungsmittel),
begangen zu haben. Zwar soll die Festnahme in D nach der dortigen
Sirenemitteilung wegen Drogenaktivität und Umweltdelikten erfolgt sein, jedoch
ergibt sich aus der vorgelegten Übersetzung des Haftbefehlsantrages der
Staatsanwaltschaft, Abteilung für Delikte in Bezug auf Banken,
Versicherungsgesellschaften und Finanzinstitute, dass der zuständige Richter auch
für Drogen-und Umweltdelikte zuständig ist.
Der Antragsteller steht zwar nach dem Haftbefehl in dem Verdacht, einen Kredit in
Höhe von 30 Millionen J, das sind knapp 3 Millionen Euro (vgl. www.wikipedia.de,
Stichwort "E", Abruf 12.02.2009), zur Geldwäsche vorgetäuscht zu haben. Darin
liegt aber keine "Schwere Straftat".
Da es sich bei Art. 96 SDÜ um Gemeinschaftsrecht handelt, ist diese Regelung
autonom auszulegen. Ein Rückgriff auf Wertungen des deutschen Rechts, auch des
Auslieferungsrechts, ist nicht möglich. Aus dem Vergleich mit dem Regelbeispiel
a), der Verurteilung zu einer Straftat mit Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr,
ergibt sich, dass eine schwere Straftat unabhängig von der Höhe de Schadens
jedenfalls auch diese Mindeststrafe von einem Jahr voraussetzt. Das ist in
Deutschland weder für Geldwäsche (§ 261 StGB) noch für Betrug (§ 263 StGB) und
Untreue (§ 266 StGB) der Fall, auch nicht für besonders schwere Fälle. Auf den
Strafrahmen in E – die "Rotecke" teilt nur die Höchststrafen, aber nicht die
Mindeststrafen mit – kommt es hierbei nicht an, weil Art. 96 Abs. 2 SDÜ zur
Bekämpfung einer Gefahr auf dem Hoheitsgebiet der ausschreibenden
Vertragspartei abstellt und insoweit das Normengefüge des Strafrechts der
Bundesrepublik Deutschland zu Grunde zu legen ist.
Auch unabhängig von dem Verdacht einer Straftat besteht keine Gefahr. Der
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Auch unabhängig von dem Verdacht einer Straftat besteht keine Gefahr. Der
Hinweis in der "Rotecke", der Antragsteller sei gewalttätig, ist für das Gericht nicht
nachvollziehbar und wird auch von der Antragsgegnerin in weiter substantiiert.
Dem Antragsteller wird kein Gewaltverbrechen vorgeworfen und weitere konkrete
Angaben fehlen. Deshalb wäre auch der personenbezogene Hinweis "gewalttätig"
nach Art. 93 Abs. 3 lit. b SDÜ auf jeden Fall zu löschen.
Die Frage der endgültigen Löschung ist jedoch einem Hauptsacheverfahren
vorbehalten.
Der Anordnungsanspruch für die Mitteilung an die Behörden von D ergibt sich aus
dem Folgenbeseitigungsanspruch, der aus den Grundrechten und dem
Rechtsstaatsprinzip hergeleitet wird und gewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Durch
die Übermittlung rechtswidrig gespeicherter Daten ist ein rechtswidriger Zustand
geschaffen worden, den es zu beseitigen gilt.
Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Sache
ist dringlich. Es schwebt ein Verfahren zur Überprüfung des
Ausweisungsbescheids, der auf die Ausschreibung und den Hinweis auf die
Gewalttätigkeit des Antragstellers gestützt wurde.
Sollte vor der Erhebung der Hauptsacheklage keine neue Rechtslage eintreten,
wäre für diese das Verwaltungsgericht Wiesbaden weiterhin zuständig. Andernfalls
sei schon an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im Falle des Vorliegens einer
Verbunddatei nach §§ 11 ff. BKAG die Daten schon deshalb zu löschen wären, da
es an einer entsprechenden Rechtsverordnung gem. § 13 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 6
BKAG fehlt (siehe schon VG Gießen, Urteil vom 29.04.2002, Az. 10 E 141/01,
Rdnrn. 55 ff. – nach Juris; aktuell OVG Niedersachsen, Urteil vom 16.12.2008, Az.
11 LC 229/08).
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, weil sie unterlegen
ist.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Da es sich um eine
vorläufige Entscheidung handelt, wird der halbe Auffangwert nach § 52 Abs. 2 GKG
zu Grunde gelegt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.