Urteil des VG Wiesbaden vom 29.07.2008

VG Wiesbaden: öffentliches interesse, öffentliche sicherheit, überwiegendes interesse, schutzwürdiges interesse, rechtswidrigkeit, hessen, gewerbe, anerkennung, interessenabwägung, malta

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Gericht:
VG Wiesbaden 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 L 475/08.WI
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 43 EGVtr, Art 49 EGVtr, §
10 Anl GlSpielG HE, § 21 Anl
GlSpielG HE, § 4 Abs 1 Anl
GlSpielG HE
(Keine offensichtliche Rechtswidrigkeit einer auf dem
Glücksspielstaatsvertrag beruhenden
Untersagungsverfügung; Interessenabwägung)
Leitsatz
Anhaltspunkte für die offensichtliche Rechtswidrigkeit einer auf dem
Glücksspielstaatsvertrag und dem Hess. Glücksspielgesetz basierenden Untersagungs-
und Schließungsverfügung betr. ein Sportwettbüro (in dem Wetten eines in Malta
ansässigen Veranstalters angeboten werden) bestehen nicht. Dem von Gesetzes
wegen bestehenden besonderen öffentlichen Interesse am Sofortvollzug ist der Vorrang
vor den privaten Interessen des Antragstellers einzuräumen.
Tenor
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,- € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der sich gegen die Untersagung des Betriebs
und die Anordnung der Schließung einer Wettannahmestelle richtet, ist
zurückzuweisen.
Eine offenkundige Rechtswidrigkeit der von Gesetzes wegen sofort vollziehbaren
Ordnungsverfügung vom 23.04.2008 ist nicht festzustellen. Die Erfolgsaussichten
einer im Hauptsacheverfahren noch zu erhebenden Klage müssen als insgesamt
offen beurteilt werden.
In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und der Oberverwaltungsgerichte zum
Glücksspielstaatsvertrag -GlüStV- und den entsprechenden Ländergesetzen hat
sich bislang keine einheitliche Linie herausgebildet, Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs stehen noch aus.
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat in einem Eilbeschluss vom 08.11.2007
(Az.: 7 TG 1921/07) zwar den Eilantrag (nach altem Recht) abgelehnt, aber
Bedenken im Hinblick auf die ab 01.01.2008 geltende Rechtslage aufgezeigt; im
Übrigen hat er die bei ihm anhängigen Hauptsacheverfahren bis zur Entscheidung
des Europäischen Gerichtshofs über die Vorlagen der Verwaltungsgerichte Köln,
Gießen und Stuttgart ausgesetzt (vgl. z.B. Beschluss vom 27.11.2007 im
Verfahren 7 UE 1420/07). Über Eilverfahren nach der neuen Rechtslage hat er -
soweit ersichtlich- noch nicht entschieden. Demgegenüber hat das
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Beschluss vom
22.02.2008 (Az.: 13 B 1215/07) den ab 01.01.2008 geltenden
Glücksspielstaatsvertrag (in der Fassung, die er durch das
Landesglücksspielgesetz gefunden hat) als aller Voraussicht nach verfassungs-
und europarechtsgemäß beurteilt und das besondere öffentliche Interesse am
Sofortvollzug einer darauf gestützten Untersagungsverfügung bejaht. Der
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hält die Vorgaben des
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Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hält die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 28.03.2006, Az.: 1 BvR 1054/01, BVerfGE
115, 276) nach summarischer Prüfung für erfüllt und hat -unter dem Vorbehalt der
abschließenden rechtlichen Klärung (auch der europarechtlichen Fragen) im
Hauptsacheverfahren- festgestellt, dass eine Aussetzung der sofortigen
Vollziehung einer Ordnungsverfügung nach Inkrafttreten des
Glücksspielstaatsvertrags grundsätzlich nicht in Betracht komme (Beschluss vom
17.03.2008, Az.: 6 S 3069/07; vgl. dazu auch Niedersächsisches
Oberverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 08.07.2008, Az.: 11 MC 489/07 und 11
MC 71/08 - Pressemitteilung -). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Beschluss
vom 02.06.2008, Az.: 10 CS 08.1102) und das Hamburgische
Oberverwaltungsgericht (Beschluss vom 25.03.2008, Az.: 4 Bs 5/08) bejahen die
Verfassungsmäßigkeit des Glücksspielstaatsvertrags und der entsprechenden
Ländergesetze, ein Verstoß gegen den EG-Vertrag sei nicht feststellbar. Es
bestehe ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung der
Untersagungsverfügung. Den Sofortvollzug ausgesetzt haben demgegenüber u.a.
das VG Berlin (Beschluss vom 02.04.2008, Az.: 35 A 52.08), das VG Trier
(Beschluss vom 28.04.2008, Az.: 1 L 240/08) und das VG Mainz (Beschluss vom
17.07.2008, Az.: 6 L 573/08), das VG Frankfurt a.M. (Beschluss vom 09.01.2008,
Az.: 7 G 4107/07) und das VG Kassel (Beschluss vom 04.04.2008, Az.: 4 L 114/08).
Für die Annahme einer offenkundigen Rechtswidrigkeit der angefochtenen
Ordnungsverfügung und des zugrunde liegenden hessischen Glücksspielrechts
bestehen derzeit keine Anhaltspunkte.
Die Verfügung beruht auf § 16 Abs. 1 und 2 des Hessischen Glücksspielgesetzes
(GlüG) vom 12.12.2007 (GVBl I S. 835) und § 9 Abs. 1 GlüStV. Da nach § 6 Abs. 1
GlüG i.V.m. §§ 4, 10, 21 GlüStV nur das Land Hessen befugt ist, innerhalb seines
Staatsgebietes Sportwetten zu veranstalten, unterscheidet sich die Neuregelung
insoweit nicht von dem bisher geltenden § 1 SpW/LottoG. Das staatliche
Sportwetten-Monopol wird aufrecht erhalten. Die bundesrechtlichen Regelungen
über Pferdewetten bleiben davon (nach wie vor) unberührt. § 4 Abs. 1 GlüStV
verbietet das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen ohne
Erlaubnis; eine solche Erlaubnis nach hessischem Recht (vgl. § 9 GlüG) haben
weder der Antragsteller noch seine Geschäftspartnerin, eine nach dem
Landesrecht von Malta zugelassene Anbieterin von Sportwetten.
Das erkennende Gericht, das nach der bisherigen Rechtslage die sektorale
Betrachtung für zulässig erachtet hat, hält auch nach seinem derzeitigen
Erkenntnisstand im Hinblick auf den Glücksspielstaatsvertrag und das Hessische
Glücksspielgesetz an seiner zuletzt in den Urteilen vom 11.12.2007 zum Ausdruck
gekommenen Rechtsauffassung fest (vgl. Az.: 5 E 285/07 und 5 E 951/06), wonach
es im Rahmen (der in Zweifel gezogenen) Kohärenz der staatlichen
Glücksspielpolitik in Deutschland nicht geboten ist, die Ausgestaltung der
verschiedenen oder gar aller Zweige des Glücksspielwesens in der gesamten
Bundesrepublik zu untersuchen und zu vereinheitlichen (vgl. dazu BayVGH,
a.a.O.). Die vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) geforderten Maßnahmen zum
Spielerschutz und zur Suchtprävention im Bereich der Sportwetten sind nunmehr
durch die Begrenzung der Zahl der Annahmestellen, die Beschränkung der
Werbung, das Internetverbot und die Spielersperre umgesetzt worden; außerdem
wurden die Entwicklung von Sozialkonzepten und die Förderung der
Suchtforschung verbindlich vorgeschrieben.
Die bei offenen Erfolgsaussichten notwendige Interessenabwägung muss zu
Lasten des Antragstellers ausgehen.
Zunächst ist festzustellen, dass das neue Glücksspielrecht von Gesetzes wegen
ein besonderes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug von
Untersagungsverfügungen bejaht (§ 9 Abs. 1 und 2 GlüStV).Der Gesetzgeber hat
damit den öffentlichen Belangen eindeutig den Vorrang eingeräumt. Im Interesse
der Kanalisierung und Eindämmung der Spielleidenschaft ist es ein legitimes Ziel,
den ungeregelten Wettbewerb und die Ausweitung des Wettangebots zu
verhindern.
Bei einer solchen Sachlage kann nur ganz ausnahmsweise ein Überwiegen von
privaten Interessen angenommen werden. Der Antragsteller hat kein solches ganz
besonderes individuelles und schutzwürdiges Interesse an der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung. Er hat erst am 06.03.2008 das Gewerbe
"Entgegennahme und Vermittlung von Sportwetten" aufgenommen und hat damit
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"Entgegennahme und Vermittlung von Sportwetten" aufgenommen und hat damit
in einer Phase den Betrieb begonnen, als die Neuregelung des Glücksspielwesens
im Glücksspielstaatsvertrag und dem Hess. Glücksspielgesetz bereits in Kraft war
und auch ab dem 01.01.2008 das Staatsmonopol für die Veranstaltung und
Vermittlung von Sportwetten aufrecht erhalten wurde. Ein Vertrauenstatbestand in
dem Sinne, dass der Antragsteller hätte damit rechnen können, zukünftig dieses
Gewerbe legal ausüben zu dürfen, konnte somit nicht entstehen.
Auch aus Art. 43, 49 EG-Vertrag folgt keine unmittelbare Verpflichtung, unter
Anerkennung der ausländischen Genehmigung vorbehaltlos die Freiheit der
wirtschaftlichen Betätigung im Bereich Sportwetten zu gewährleisten und
dementsprechend von Untersagungsverfügungen und deren Vollstreckung
abzusehen. Was die gegenseitige Anerkennung ausländischer Genehmigungen
betrifft, so ist darauf hinzuweisen, dass insoweit keine europarechtlich verbindliche
Harmonisierung auf Sekundärebene erfolgt ist (vgl. VGH Ba-Württ. und BayVGH,
a.a.O.). Über eine in Hessen gültige Erlaubnis verfügt der Antragsteller nicht.
Maßnahmen zur Bekämpfung der Spielsucht und Eindämmung der
Wettleidenschaft gehören zum Bereich der Gefahrenabwehr. Eine
uneingeschränkte Marktzugangsfreiheit kann bei mit dem Gewerbe verbundenen
Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht verlangt werden. Auch
eine Zulassung unter Auflagen im Eilverfahren könnte ein Marktgeschehen
eröffnen, dessen Dynamik eine effektive Kontrolle erheblich erschweren würde.
Die von Gesetzes wegen sofort vollziehbare Zwangsmittelandrohung ist ebenfalls
nicht zu beanstanden (vgl. §§ 16 HessAGVwGO; §§ 69, 70, 71 76 HessVwVG; §§ 47,
50, 53 HSOG). Ein besonderes und ganz überwiegendes Aussetzungsinteresse des
Antragstellers kann nicht festgestellt werden. Dasselbe gilt für die Festsetzung der
Verwaltungsgebühr nach Nr. 43172 der Anlage zu § 1 VerwKostO für den
Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern und für Sport.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert wurde nach § 52 Abs. 1 GKG und in Anlehnung an Ziffer II Nr. 54.1
des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit bestimmt und wegen
der geringeren Bedeutung des Eilverfahrens halbiert.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.