Urteil des VG Wiesbaden vom 22.01.2009

VG Wiesbaden: aufschiebende wirkung, ablauf der frist, schutzwürdiges interesse, hessen, verfügung, rechtsgrundlage, firma, bestätigung, zwangsgeld, anhörung

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Gericht:
VG Wiesbaden
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 L 418/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 3 GlSpielG HE, § 25
Abs 2 GlüStVtrG BE 2007, Art
12 Abs 1 GG
Verbot des Vertriebs von Glücksspielen durch örtliche,
gewerbliche Spielvermittler
Tenor
1. Der Antrag wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragstellerin zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,– Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist gewerbliche Spielvermittlerin für Lotterie-Spielverträge u.a.
an die Lotto GmbH des Landes Brandenburg. Dafür besitzt sie eine Erlaubnis des
Landes Brandenburg.
Im März 2005 zeigte sie beim Regierungspräsidium D diese Betätigung als
Spielvermittlerin an und erhielt eine entsprechende Bestätigung.
Bis 2005 erfolgte die Vermittlung vorrangig über Internet, Direkt- und
Telefonvertrieb. Seit 2005 ist die Antragstellerin auch im terrestrischen Vertrieb
tätig. Nach den Feststellungen des Antragsgegners vermittelt die Antragstellerin
seit Juni 2007 auch in Hessen in Ladengeschäften der Firma S Spielverträge für die
Lotterien 6 aus 49, Spiel 77 und Super 6 an die Lotto GmbH Brandenburg.
Nach Anhörung wurde der Antragstellerin mit Bescheid vom 16.04.2008 untersagt,
Spielangebote von Spielteilnehmern in den hessischen Ladenlokalen der Firma A
S, Tstraße ..., ... E, anzunehmen und an die Land Brandenburg Lotto GmbH,
Steinstraße 104 bis 106, weiterzuleiten (Ziffer 1). Für die Umsetzung der
Verfügung wurde der Antragstellerin eine Frist von sieben Tagen eingeräumt (Ziffer
2) und ihr für den Fall der Zuwiderhandlung nach Ablauf der Frist ein Zwangsgeld in
Höhe von 10.000,– Euro angedroht (Ziffer 4). Die Kosten des
Verwaltungsverfahrens wurden auf 603,45 Euro festgesetzt (Ziffer 5).
Dagegen hat die Antragstellerin am 23.04.2008 Klage erhoben (Az.: 5 K 419/08)
und den vorliegenden Eilantrag gestellt.
Sie beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des
Antragsgegners vom 16.04.2008 wiederherzustellen bzw. anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Hinsichtlich der Antragsbegründung und -erwiderung wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der Beiakten sowie der Verwaltungsakten des Antragsgegners
Bezug genommen.
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Mit Schreiben vom 19.12.2007 und 01.10.2008 hat die Antragstellerin beim
Antragsgegner beantragt, ihr die Vermittlung auf terrestrischem Wege in Hessen
ab dem 01.01.2009 zu genehmigen. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom
24.10.2008 abgelehnt; dagegen richtet sich die am 24.11.2008 erhobene Klage im
Verfahren 5 K 1249/08.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig.
Die Klage gegen Verwaltungsakte der Glücksspielaufsicht hat keine aufschiebende
Wirkung (§ 9 Abs. 2 GlüStV). Diese entfällt auch bei Maßnahmen in der
Verwaltungsvollstreckung (§ 16 HessAGVwGO).
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Die Untersagungsverfügung in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides ist nicht zu
beanstanden.
Der Antragsgegner ist zuständige Behörde nach § 9 Abs. 4 i.V.m. § 16 Abs. 1 und
6 GlüG, § 9 GlüStV. Aus § 4 Abs. 1 Satz 2 GlüStV ergibt sich, dass unter
"unerlaubtes Glücksspiel" auch das nicht erlaubte Vermitteln eines grundsätzlich
erlaubten (staatlichen) Glücksspielangebotes fällt.
Die Antragstellerin ist gewerbliche Spielvermittlerin (§ 14 GlüG, § 3 Abs. 6 GlüStV).
Rechtsgrundlage für die Untersagungsverfügung ist § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV
i.V.m. § 16 Abs. 1 und 4 GlüG. Bei der Verfügung handelt es sich um einen
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage
kommt es auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Insoweit ist es im
vorliegenden Eilverfahren unerheblich, ob die Betätigung der Antragstellerin durch
die Bestätigung des Regierungspräsidiums Darmstadt aus dem Jahre 2005 als
nach früherem Recht erlaubt anzusehen war und deshalb bis 31.12.2008 unter die
Übergangsregelung des § 25 Abs. 2 GlüStV fallen konnte.
Jedenfalls ab 01.01.2009 ist nach § 14 Abs. 3 GlüG i.V.m. § 25 Abs. 2 GlüStV für
gewerbliche Spielvermittler der terrestrische Vertrieb vollständig verboten. Diese
Vorschrift ist nunmehr Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung.
Sinn der neu eingeführten Regelung des § 14 Abs. 3 GlüG ist es,
Glücksspielanreize u.a. durch die Verringerung der Annahmestellen zu begrenzen.
Deshalb soll das Angebot nicht durch die Zulassung örtlicher Verkaufsstellen
gewerblicher Spielvermittler wieder erweitert werden können. Eine nach früherem
Recht möglicherweise zulässige Vertriebsart der staatlichen Lotterieprodukte wird
durch die Neuregelung in § 14 Abs. 3 GlüG und nach Ablauf der Übergangsfrist ab
dem 01.01.2009 vollständig unterbunden. Diese Regelung ist genauso
einschneidend wie das vollständige Internetverbot der § 4 Abs. 4, 5 Abs. 3 GlüStV.
Insoweit können die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss
vom 14.10.2008, Az.: 1 BvR 928/08) auch auf das vorliegende Verfahren
übertragen werden. Angesichts des hohen Rangs der Gemeinwohlziele der
Suchtbekämpfung und -prävention sind die Eingriffe in die Berufsfreiheit (Art. 12
Abs. 1 GG) der Antragstellerin hier ebenso gerechtfertigt wie bei dem
Internetverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom
28.03.2006 (Az.: 1 BvR 1054/01) gerade den Vertrieb "in bewusster Nähe zum
Kunden" über örtliche Annahmestellen und die damit einhergehende Verfügbarkeit
des Angebots als normales Gut des täglichen Lebens kritisiert. Diese Wertung gilt
nicht nur für den Direktvertrieb über Lottoannahmestellen, sondern kann auch für
die Tätigkeit der gewerblichen Spielvermittlung übernommen werden. Soll das
staatliche Glücksspielangebot der Kanalisierung des menschlichen Spieltriebs
dienen, nicht aber einen förderungs- und ausbauwürdigen Wirtschaftszweig
darstellen (so BVerfG, a.a.O.), so kann im Interesse überragend wichtiger
Gemeinwohlziele auch eine Vertriebsart völlig verboten werden, selbst wenn für
den jeweiligen Antragsteller keine Vertriebsalternativen bestehen sollten.
Die kartellrechtliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 14.08.2008 (Az.:
KVR 54/07) zum sogenannten Blockvertrag verbietet aus wettbewerbsrechtlichen
Gründen die Vertriebsbeschränkung des staatlichen Lottoangebots auf ein
bestimmtes Vertriebsgebiet, wenn der gewerbliche Spielvermittler über eine nach
jeweiligem Landesrecht erforderliche Erlaubnis verfügt. Eine solche Erlaubnis für
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jeweiligem Landesrecht erforderliche Erlaubnis verfügt. Eine solche Erlaubnis für
Hessen hat die Antragstellerin – jedenfalls mit Geltung ab 01.01.2009 – nicht.
Wenn der Bundesgerichtshof feststellt, dass der Vertriebsweg der terrestrischen
Spielvermittlung als solcher nicht gegen Ordnungsrecht verstoße, hat er dies in
anderem Zusammenhang getan und insbesondere die gesetzliche Regelung des §
14 Abs. 3 GlüG nicht zu prüfen gehabt.
Ob die genannte Vorschrift möglicherweise gegen den EG-Vertrag verstößt,
braucht hier nicht erörtert zu werden, weil weder eine grenzüberschreitende
Tätigkeit der Antragstellerin noch eine solche ihrer Vertragspartner in Rede steht.
Auch die mögliche Europarechtswidrigkeit des staatlichen Wettmonopols spielt
vorliegend keine Rolle, weil die Antragstellerin gerade das staatliche
Lotterieangebot (allerdings aus einem anderen Bundesland) vermittelt. Im Übrigen
sieht das Gericht keinen signifikanten Unterschied zwischen den Vorgaben des
Gemeinschaftsrechts und denen des deutschen Verfassungsrechts.
Der von Gesetzes wegen angeordnete Sofortvollzug der Untersagungsverfügung
nach § 9 Abs. 2 GlüStV begegnet keinen Bedenken. Der Gesetzgeber hat damit
den öffentlichen Belangen eindeutig den Vorrang eingeräumt. Im Interesse der
Kanalisierung und Eindämmung der Spielleidenschaft ist es ein legitimes Ziel, die
Ausweitung des Wettangebots zu verhindern.
Die Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Bei einem von
Gesetzes wegen bestehenden Sofortvollzug kann nur ganz ausnahmsweise ein
Überwiegen von privaten Interessen im Eilverfahren angenommen werden. Die
Antragstellerin hat kein solches ganz überwiegendes besonderes individuelles und
schutzwürdiges Interesse an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie
muss zwar ihre Vertriebsstruktur umstellen; es verbleiben aber ihr noch andere,
zulässige Vertriebswege. Auf diesen hat sie auch, bis zur Aufnahme der
terrestrischen Vermittlung, ihre gewerbliche Tätigkeit ausgeübt.
Die Fristsetzung und Zwangsmittelandrohung in Ziffern 2 und 4 der Verfügung sind
nicht zu beanstanden, sie finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 47, 48 und 50
HSOG. Gegen die Kostenfestsetzung in Ziffer 5 richtet sich der vorliegende
Eilantrag nicht (Schriftsatz der Antragstellerin vom 09.12.2008).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Streitwert wurde nach § 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG und in Anlehnung an
Nr. 54.2 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004,
S. 1327) bestimmt und wegen der geringeren Bedeutung des Eilverfahrens
halbiert.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.