Urteil des VG Wiesbaden vom 25.11.2008

VG Wiesbaden: anspruch auf einbürgerung, besondere härte, pflege, angehöriger, krankheit, erwerbstätigkeit, zustellung, behinderung, gerichtsakte, niederlassungsabkommen

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Gericht:
VG Wiesbaden 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 K 914/08.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 8 Abs 1 AusbgStAG WB, § 8
Abs 2 AusbgStAG WB, § 10
Abs 1 AusbgStAG WB, § 10
Abs 1 Nr 4 SGB 2
Ermessenseinbürgerung bei unverschuldetem Bezug von
Sozialleistungen; keine Arbeitsaufnahme wegen der Pflege
naher Angehöriger
Leitsatz
Eine Ermessenseinbürgerung bei unverschuldetem Bezug von Sozialleistungen
scheidet aus, wenn der Einbürgerungsbewerber wegen der Pflege naher Angehöriger
nicht imstande ist, sich selbst zu ernähren. Dem steht nicht entgegen, dass im
Sozialleistungsrecht eine Arbeitsaufnahme wegen der Pflege naher Angehöriger
unzumutbar sein kann.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden
Kosten abwenden falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt ihre Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Sie ist am 00.00.19xx in D geboren und iranische Staatsangehörige. Sie reiste
Anfang des Jahres 1989 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte ihre
Anerkennung als Asylberechtigte. Der Asylantrag blieb erfolglos. Dennoch erhielt
sie Ende des Jahres 1993 eine Aufenthaltsbefugnis. Derzeit besitzt sie eine
befristete Aufenthaltserlaubnis.
Von ihrem ersten Ehemann hat sie zwei Kinder, welche 19 und 21 Jahre alt sind. Im
Jahr 1995 wurde die Klägerin geschieden. Sie heiratete erneut einen iranischen
Staatsangehörigen, welcher sich in D aufhalte und zu welchem sie keinen Kontakt
mehr habe.
Bereits 1991 reiste die im Jahr 19xx geborene kranke Mutter der Klägerin ein und
beantragte Asyl. Für ihre Person wurde das Vorliegen der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG festgestellt.
Die Klägerin erzielte zu keinem Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Deutschland
eigenes Einkommen, sondern bezog und bezieht immer noch Sozialleistungen.
Am 22.08.2006 beantragte sie ihre Einbürgerung in den deutschen Staatsverband.
Sie führte aus, sie habe einen Anspruch darauf, im Ermessenswege eingebürgert
zu werden, denn sie beziehe unverschuldet Sozialleistungen. Zunächst habe sie
beide Kinder großziehen müssen, auch sei die Pflege ihrer Mutter
hinzugekommen. Sie legte ärztliche Bescheinigungen vor, wonach die Mutter
pflegebedürftig sei. Im Hinblick auf die notwendige Pflege ihrer Mutter treffe sie
eine Verweigerung der Einbürgerung im Vergleich zu anderen
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eine Verweigerung der Einbürgerung im Vergleich zu anderen
Einbürgerungsbewerbern besonders hart.
Mit Bescheid vom 18.07.2008 lehnte der Beklagte die Einbürgerung der Klägerin
ab. Die Voraussetzungen für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 Abs. 1 Satz 1
StAG lägen nicht vor. Ansonsten seien nach alten wie nach neuem Recht die
Voraussetzungen für eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG nicht gegeben.
Zum einen sei unklar, ob die Klägerin tatsächlich wegen der Betreuung ihrer
Mutter an einer eigenen Erwerbstätigkeit, und sei es auch nur in Teilzeit, gehindert
sei. Selbst wenn dem so wäre, bestünde keine besondere Härte, welche es
gebieten könnte, die Klägerin einzubürgern. Weder die Versorgung der Mutter noch
der Sozialleistungsbezug setzten eine Einbürgerung voraus. Die Härtefallklausel
ermögliche keine "Einbürgerung aus Mitleid".
Eine Ermessenseinbürgerung würde auch im Hinblick auf Nr. II. des
Schlussprotokolls zum Deutsch-Iranischen Niederlassungsabkommen vom
17.02.1929 scheitern, weil es insoweit der vorherigen Zustimmung des
Heimatstaates Iran bedürfe und diese Zustimmung nicht vorliege.
Ausweislich der Behördenakte sollte der Bescheid am 21. Juli 2008 gegen
Empfangsbekenntnis an die früheren Bevollmächtigten der Klägerin versandt
werden. Das Empfangsbekenntnis wurde nicht zurückgesandt.
Am 25.08.2008, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben. Sie meint, sie
habe einen Anspruch auf Einbürgerung, zur Vermeidung einer unbeabsichtigten
Härte. Sie behauptet, ihre Mutter sei auf eine 24-Stunden-Rund-um-Betreuung
angewiesen. Die Betreuung könne außer ihr keine andere Person durchführen. Es
liege ein Fall der sog. Ermessensreduzierung auf Null vor, für den das Deutsch-
Iranische Niederlassungsabkommen nicht gelte.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 18.07.2008 aufzuheben und den Beklagten
zu verpflichten, die Klägerin in den deutschen Staatsverband einzubürgern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertieft sein bisheriges Vorbringen und weist ergänzend darauf hin, es sei ein
Wertungswiderspruch, wenn wegen des Bezuges von Sozialleistungen kein
Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis bestehe, gleichwohl aber
eine Verpflichtung des Beklagten zur Einbürgerung der Klägerin.
Wegen des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf die
Sitzungsniederschrift hingewiesen. Zur Vervollständigung des Sach- und
Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen. Bei der
Gerichtsakte befinden sich ein Hefter Verwaltungsakte sowie die Ausländerakten
über die Klägerin und ihre Mutter.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Die Klagefrist von einem Monat nach Zustellung des
Bescheides (§ 74 Abs. 1 VwGO) ist gewahrt. Eine ordnungsgemäße Zustellung ist
nicht nachgewiesen. Der frühere Klägerbevollmächtigte hat das
Empfangsbekenntnis auch auf Anforderung des Gerichts nicht übersandt.
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Einbürgerung
gegenüber dem Beklagten, auch keinen Anspruch auf eine erstmalige
Ermessensentscheidung (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1, 2 VwGO).
Die Voraussetzungen einer Einbürgerung nach § 10 Abs. 1 StAG liegen nicht vor.
Auf die Ausführungen im angegriffenen Bescheid wird Bezug genommen.
Auch einen Anspruch auf Einbürgerung nach § 8 StAG scheidet aus, weil bereits
die Voraussetzungen für eine Ermessenentscheidung nicht vorliegen. Eine
Ermessensentscheidung setzt nach § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG zunächst voraus, dass
der Einbürgerungserwerber in der Lage ist, sich zu ernähren. Das ist nicht der Fall,
die Klägerin bezieht Sozialleistungen.
Umstände, die es denkbar erscheinen lassen könnten, dass vorliegend von der
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Umstände, die es denkbar erscheinen lassen könnten, dass vorliegend von der
zwingenden Voraussetzung des § 8 Abs. 1 Nr. 4 StAG nach § 8 Abs. 2 StAG
abzusehen wäre, weil dies aus Gründen des öffentlichen Interesses oder zur
Vermeidung einer besonderen Härte geboten ist, sind nicht erkennbar.
Eine besondere Härte mag nicht in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen
sein, wenn der Einbürgerungsbewerber etwa wegen Krankheit oder Behinderung
nicht in der Lage ist, sich selbst zu ernähren (vgl. Münch, in: Marx, Auslander- und
Asylrecht, 2008, 8 Rdnr.32), obwohl eine entsprechende Regelung bei der
Ermessenseinbürgerung nicht vorgesehen ist, im Unterschied zur
Anspruchseinbürgerung (vgl. dort § 10 Abs. 1 Nr. 3 StAG). Abzustellen ist bei § 8
Abs. 2 StAG aber etwa darauf, ob gerade in der Person des
Einbürgerungsbewerbers Umstände vorliegen, welche ihm eine Erwerbstätigkeit
unmöglich machen, etwa eigene Krankheit. Die Klägerin gibt an, an einer
Erwerbstätigkeit wegen der Pflege ihrer kranken Mutter gehindert zu sein. Bereits
daher ist die Nichteinbürgerung der Klägerin für diese keine besondere Härte.
Daneben sind besondere Integrationsleistungen der Klägerin, welche für eine
Einbürgerung sprechen könnten, weder vorgetragen noch erkennbar. Auch kann
nicht die Prognose getroffen werden, die Klägerin werde in naher Zukunft imstande
sein, sich selbst zu ernähren. Im Verwaltungsverfahren hatte sie angegeben, über
keinerlei Ausbildung zu verfügen. Allein die Teilnahme an einem 30
Unterrichtsstunden umfassenden Kurs Maschinenschrieben am PC im Jahr 2000
und Praktika von rund einem Jahr in 2000/2001 rechtfertigen nach rund 20 Jahren
des Bezuges von Sozialleistungen nicht die Annahme, die Klägerin werde in
absehbarer Zeit imstande sein, sich selbst zu ernähren.
Der Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung unter Berücksichtigung des
Aufenthaltsrechts stützt das Ergebnis, dass die Pflege Dritter nach dem
Staatsangehörigkeitsrecht unbeachtlich ist. Wird ein Anspruch auf Erteilung einer
Niederlassungserlaubnis geltend gemacht, kann auf das Erfordernis der Sicherung
des Lebensunterhaltes nur verzichtet werden, wenn diese Voraussetzung wegen
eigener Krankheit oder Behinderung nicht erfüllt werden kann; nicht aber
zugunsten z.B. einer Ehefrau und Mutter, welche ihren kranken Mannes und ein
schwerbehindertes Kind pflegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.10.2008 - 1 C 34/07 -,
Pressemitteilung, www.bverwg.de). Es würde einen Wertungswiderspruch
darstellen, wenn nicht einmal ein Anspruch auf Erteilung einer
Niederlassungserlaubnis, gleichwohl aber ein Anspruch auf Einbürgerung in den
deutschen Staatsverband bestünde.
Dem steht nicht entgegen, dass im Sozialleistungsrecht nach § 10 Abs. 1 Nr. 4
SGB II eine Arbeitsaufnahme im Hinblick auf die Pflege naher Angehöriger
unzumutbar sein kann. Zweck dieser Regelung ist es, die Rechtsstellung des
Pflegebedürftigen nicht durch eine Arbeitsaufnahme des Pflegenden zu
beeinträchtigen. Vorliegend ist aber die Situation der pflegebedürftigen Mutter
nicht von der Staatsangehörigkeit der Klägerin abhängig. Die Klägerin besitzt
derzeit einen Aufenthaltstitel und kann ihre Mutter pflegen.
Da die Klägerin unterlegen ist, hat sie nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des
Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.