Urteil des VG Wiesbaden vom 20.03.2007

VG Wiesbaden: internet, öffentliches interesse, glücksspiel, unternehmen, verordnung, geringfügigkeit, veranstaltung, beschränkung, geschicklichkeitsspiel, gerichtsakte

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Gericht:
VG Wiesbaden 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 E 1713/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 33c GewO, § 33d GewO, §
33h Nr 3 GewO, § 4 SpielV, §
284 StGB
(Keine Unbedenklichkeitsbescheinigung nach der
Gewerbeordnung für im Internet angebotene Sportwetten)
Leitsatz
Für im Internet angebotene Sportwetten kann keine Unbedenklichkeitsbescheinigung
nach § 33 d GewO erteilt werden, weil es sich nach allgemein herrschender Auffassung
um Glücksspiele handelt. Auf die Höhe des Einsatzes kommt es nicht an. Im Übrigen ist
das Internet kein erlaubter Veranstaltungsort i.S.d. SpielV.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung nach der
Gewerbeordnung (GewO).
Die Klägerin ist eine in Österreich konzessionierte Buchmacherin, die Sportwetten
im Internet veranstaltet. Sie will in Deutschland Sportwetten zur Fußball-
Bundesliga mit einem einmaligen Einsatz pro Kunde und Spieltag von 5,-- €
anbieten. Dabei sollen im Erfolgsfall bei 9 Richtigen 1.000.000,-- € als Wettgewinn
ausgeschüttet werden, 100.000,-- € für 8 Richtige, 10.000,-- € für 7 Richtige und
1.000,-- € für 6 Richtige.
In ihrem am 01.09.2004 gestellten Antrag auf Erteilung einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung vertritt die Klägerin die Ansicht, das in diesem
Umfang geplante Spiel stelle ein Unterhaltungsspiel i.S.v. § 33 d GewO dar. Es sei
kein Glücksspiel, weil sich die Einsatzhöhe unterhalb der Erheblichkeitsschwelle
bewege.
Bei einem Internetspiel seien die Anforderungen der Spielverordnung zur
Niederlassungspflicht nicht zu erfüllen. Diese Regelung verstoße insoweit gegen
die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.
Unter dem 23.03.2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie beabsichtige,
den Antrag abzulehnen, da der Veranstaltungsort "Internet" unzulässig sei. Andere
Spiele i.S.v. § 33 d GewO dürften ausschließlich in Spielhallen oder ähnlichen
Unternehmen veranstaltet werden.
Mit Bescheid vom 26.07.2005 wurde der Antrag auf Erteilung einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung kostenpflichtig zurückgewiesen. Materieller
Bestandteil der Unbedenklichkeitsbescheinigung sei die konkrete Bezeichnung des
Veranstaltungsortes für das Spiel in Spielhallen oder ähnlichen Unternehmen.
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Veranstaltungsortes für das Spiel in Spielhallen oder ähnlichen Unternehmen.
Unter diese Vorgaben sei der Veranstaltungsort "Internet" nicht zu subsumieren.
Diese Bewertung erfolge unabhängig von der Frage, ob es sich vorliegend
überhaupt um ein anderes Spiel i.S.v. § 33 d GewO handele.
Gegen den am 01.08.2005 zugestellten Bescheid legte die Klägerin am
05.08.2005 Widerspruch ein, der mit Bescheid vom 29.09.2005 zurückgewiesen
wurde. Die Zulassung von anderen Spielen mit Gewinnmöglichkeiten ausschließlich
an bestimmten Veranstaltungsorten diene dem Schutz der Spieler und der
Sozialordnung, namentlich dem Jugendschutz.
Der Bescheid wurde am 04.10.2005 zugestellt, am 04.11.2005 hat die Klägerin
Klage erhoben. Gesetz- und Verordnungsgeber hätten sich mit der Veranstaltung
von Spielen über das Internet noch nicht befasst. Die einschlägigen Regelungen
müssten daher gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden, weil ansonsten
Veranstalter, deren Vertrieb gerade auf das Internet ausgelegt sei, der
Berufszugang gänzlich verwehrt werde. Der Staat selbst nehme die Befugnis zu
solchen Internetveranstaltungen für sich in Anspruch. Lotteriegesellschaften und
Spielbanken böten Sportwetten und niederschwelliges Glücksspiel im Internet an.
Die wöchentliche Einsatzhöhe beim staatlichen Oddset-Internet-Angebot liege bis
zu 100 mal höher als beim Angebot der Klägerin.
Die Klägerin bestreite nicht die Zufallsabhängigkeit ihres Spielangebotes. § 284
StGB könne aber wegen der Geringfügigkeitsgrenze nicht eingreifen. Es bestehe
hier auch nicht das Problem der Mehrfacheinsätze, weil nur ein Mal pro Woche 5,--
€ plus 0,50 € Bearbeitungsgebühr eingesetzt werden könnten.
Die Klägerin beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 26.07.2005 und den Widerspruchsbescheid vom
29.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die
Unbedenklichkeitsbescheinigung zu erteilen, und die Hinzuziehung eines
Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, Sportwetten seien nicht als "andere Spiele" i.S.v. § 33 d GewO
anzusehen, sondern als Glücksspiele i.S.v. § 284 StGB. Auf die Geringfügigkeit des
Einsatzes komme es dabei nicht an. Dem Gedanken der Vermögensgefährdung
könne erst auf der zweiten Prüfungsstufe - wenn ein Geschicklichkeitsspiel bejaht
worden sei - Rechnung getragen werden. Schon die Zuständigkeit der Länder für
Sportwetten spreche dagegen, bundesrechtlich solche Wetten als "andere Spiele"
anzusehen. Im Übrigen habe der Verordnungsgeber 2006 die Spielverordnung neu
gefasst und in Ansehung des Internetangebots die Beschränkung der
Veranstaltung auf Spielhallen und ähnliche Unternehmen aufrecht erhalten. Spiele
im Internet seien nach wie vor nicht nach § 33 d GewO erlaubnisfähig.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung nach § 33 d GewO.
Zunächst steht dem Begehren die Vorschrift des § 33 h Nr. 3 GewO entgegen,
denn bei Sportwetten handelt es sich nach ganz allgemein herrschender Ansicht
um Glückspiele (vgl. z.B. BVerfG, Urt. v. 28.03.2006, Az.: 1 BvR 1054/01; BVerwG,
Urteil vom 21.06.2006, Az.: 6 C 19/06; Hess.VGH, Beschluss vom 05.01.2007, Az.:
2 TG 2911/06; VGH München, Beschluss vom 03.08.2006, Az.: 24 CS 06.1365;
OVG Koblenz, Beschluss vom 28.09.2006, Az.: 6 B 10895/06; VGH Mannheim,
Beschluss vom 28.07.2006, Az.: 6 S 1987/05; OVG Münster, Beschluss vom
28.06.2006, Az.: 4 B 961/06; OVG Bremen, Beschluss vom 07.09.2006, Az.: 1 B
273/06; Schönke-Schröder, § 284 StGB, Rdnr. 7, jeweils m.w.N.).Für den Begriff des
Glücksspiels gibt es bundesrechtlich weder in der Gewerbeordnung noch in den
Strafvorschriften der §§ 284, 285 StGB eine Legaldefinition. § 3 des Staatsvertrags
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Strafvorschriften der §§ 284, 285 StGB eine Legaldefinition. § 3 des Staatsvertrags
zum Lotteriewesen in Deutschland, landesrechtlich in Kraft seit 01.07.2004 (vgl.
Gesetz zum Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland vom 22.06.2004,
GVBl. I S. 214), greift die ganz herrschende Rechtsprechung (vgl. m.w.N. BVerwGE
115, 179; Schönke-Schröder, § 284 StGB, Rdnrn. 5 ff.) auf und regelt, dass ein
Glücksspiel dann vorliegt, wenn im Rahmen eines Spiels für den Erwerb einer
Gewinnchance ein Entgelt verlangt wird und die Entscheidung über den Gewinn
ganz oder überwiegend vom Zufall abhängt, was insbesondere dann der Fall ist,
wenn ein ungewisser Eintritt oder Ausgang zukünftiger Ereignisse dafür maßgeblich
ist.
Dabei spielt die Höhe des Einsatzes für die Erlangung einer Gewinnchance für die
Einstufung als Glücksspiel keine Rolle, es geht allein darum, ob ein
durchschnittlicher Spieler die Möglichkeit hat, den Spielablauf maßgeblich zu
beeinflussen oder nicht. Überwiegt die "Herrschaft des Zufalls" (so BVerwGE 115,
179, 185), so liegt ein Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB vor. Gewerberechtlich
lässt § 33 h Nr. 3 GewO die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung für
Glücksspiele grundsätzlich nicht zu, unabhängig davon, ob die Gefahr
unangemessen hoher Verluste in kurzer Zeit besteht (§ 33 e Abs. 1 Satz 1 GewO)
oder nicht (vgl. dazu schon BVerwG, Urt. v. 09.12.1975, Az.: 1 C 14.74).Denn der
Strafzweck des § 284 StGB (Verhinderung der übermäßigen Anregung der
Nachfrage von Glücksspielen, Gewährleistung eines ordnungsgemäßen
Spielablaufs durch staatliche Kontrollen und Verhindern der Ausnutzung des
natürlichen Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken) kann - und
soll - auch dann eingreifen, wenn die erhöhte Verlustgefahr nicht besteht (so
BVerwGE 115, 179, 184).Der Einwand der Klägerin, angesichts des geringen
Einsatzes könne nicht von einem Glücksspiel ausgegangen werden, greift daher
nicht.
Auch für die Richtigkeit der von ihr in der mündlichen Verhandlung vertretenen
Rechtsauffassung, zwischen Glücksspielen "im Sinne des § 284 des
Strafgesetzbuches" (§ 33 h Nr. 3 GewO) und (wegen des geringen Einsatzes
straflosen) sonstigen Glücksspielen müsse differenziert werden, ergeben sich
weder aus den gesetzlichen Vorschriften noch aus der zitierten Rechtsprechung
Anhaltspunkte.
Jedes Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis ist tatbestandlich ein solches nach §
284 StGB. Ob eventuell wegen der Geringfügigkeit des Vermögensopfers für den
Einsatz kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, ist eine Frage
des Strafrechts, nicht des Gewerberechts.
Soweit die Klägerin die mangelnde Kohärenz der staatlichen Glücksspielpolitik und
die Europarechtswidrigkeit des Ausschlusses ihres Angebots vom deutschen
Sportwettenmarkt rügt, liegen diese Problemstellungen im Ordnungsrecht
begründet, für das die Bundesländer zuständig sind. Bundesrecht sieht keinen
Genehmigungstatbestand für Sportwetten vor (vgl. BVerwG, Urt. vom 21.06.2006,
Az.: 6 C 19.06).Die auf Bundesrecht beruhende gewerberechtliche Entscheidung,
um die es hier geht, kann nicht etwa deshalb fehlerhaft sein, weil die Länder eine
die Tatbestandsmäßigkeit des § 284 StGB ausschließende Erlaubnis verweigern.
Die in der Gewerbeordnung angelegte unterschiedliche Behandlung von
Gewinnspielgeräten nach § 33 c GewO und anderen Spielen, die Glücksspiele sind,
ist ebenfalls nicht zu beanstanden (so BVerwGE 115, 179, 187).
Die Klägerin kann aber auch deshalb keine Unbedenklichkeitsbescheinigung
erhalten, weil - worauf in dem angefochtenen Bescheid maßgeblich abgestellt wird
- der Veranstaltungsort "Internet" kein erlaubter im Sinne von § 4 der Verordnung
über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeiten (Spielverordnung -
SpielV -, BGBl. 2006 I S. 281) ist. Die auf der Ermächtigung des § 33 f Abs. 1 Nr. 1
GewO beruhende SpielV ist auf dem aktuellen Stand und hat - gerade auch in
Ansehung der Möglichkeiten, die das Internet bietet - die Spielorte für andere
Spiele nach § 33 d GewO auf Spielhallen und ähnliche Unternehmen beschränkt,
um die Kontrollierbarkeit zu gewährleisten. Diese Voraussetzungen gelten auch für
die Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung (nach der Verordnung über
das Verfahren bei der Erteilung von Unbedenklichkeitsbescheinigungen für andere
Spiele im Sinne des § 33 d GewO).Namentlich aus Gründen des Jugendschutzes
sollen auch virtuelle Spielangebote nicht von der Anwendung der Gewerbeordnung
und der SpielV ausgeschlossen werden (vgl. dazu BVerwG, Urt. vom 09.03.2005,
Az.: 6 C 11.04).Soweit landesrechtlich Spielbanken und Lottogesellschaft
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Az.: 6 C 11.04).Soweit landesrechtlich Spielbanken und Lottogesellschaft
Internetangebote erlaubt werden, führt dies nicht zu einer
Gleichbehandlungsverpflichtung in einem bundesrechtlich geregelten Sachverhalt.
Auf diese Fragen kommt es aber - ebenso wie auf die behauptete
Europarechtswidrigkeit der Beschränkung der Spielorte - nicht entscheidend an,
weil schon aus den erstgenannten Gründen kein Anspruch auf Erteilung einer
Unbedenklichkeitsbescheinigung besteht.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Ein Ausspruch nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO konnte nicht ergehen, weil dieser
eine Erstattungspflicht der Beklagten voraussetzt.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.