Urteil des VG Wiesbaden vom 19.09.2008

VG Wiesbaden: tagesordnung, stadt, werk, rechtsschutz, behandlung, hauptsache, beratung, nummer, magistrat, fraktion

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Gericht:
VG Wiesbaden 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 1018/08.WI
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 125 HGO, § 56 Abs 1 S 1
HGO, § 58 Abs 5 HGO
Anspruch auf Aufnahme eines Tagesordnungspunktes einer
Stadtverordnetenversammlung
Leitsatz
Der Vorsitzende einer Gemeindevertretung hat nicht das Recht, die Befassung der
Gemeindevertretung mit eingereichten Beschlüssen zu verhindern
Tenor
1. Der Antragsgegnerin wird im Wege einstweiliger Anordnung aufgegeben, den
Antrag der Antragstellerin vom 16.09.2007 mit dem Betreff "Werk F." auf die
Tagesordnung für die Sitzung der für den 25.09.2008 vorgesehenen
Stadtverordnetenversammlung zu setzen, notfalls unter Abkürzung der
Ladungsfrist.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerinnen, Stadtverordnete bzw. -fraktion in der A-
Stadtverordnetenversammlung, begehren im Rahmen einstweiligen
Rechtsschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, für die am kommenden
Donnerstag stattfindende Stadtverordnetenversammlung einen
Tagesordnungspunkt "Werk F." auf die Tagesordnung zu setzen, um einen zu
diesem Thema eingereichten Antrag der Antragstellerinnen behandeln zu können.
Die Stadt A. ist letztlich Mitgesellschafterin der G- AG, welche beabsichtigt, für
deren Einzugsbereich ein neues F-Werk zu errichten. Die
Stadtverordnetenversammlung der Stadt A hatte sich mit diesem F-Werk bereits
in ihrer Sitzung am 13.03.2008 beschäftigt und sich in einem Beschluss gegen
dessen Bau ausgesprochen.
Mit Schreiben vom 16.09.2008 reichten die Antragstellerinnen bei der
Stadtverordnetenvorsteherin für die am 25.09.2008 stattfindende
Stadtverordnetenversammlung einen Antrag ein, der im wesentlichen darauf
gerichtet ist, die Vertreter der Stadt A in den Gremien der G-AG zu veranlassen,
eine weitere Umsetzung des beabsichtigten Baus des Kohlekraftwerkes zu
verhindern. Auf die Antragsschrift wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom
17.09.2008 teilte die Stadtverordnetenvorsteherin der Antragstellerin zu 1. als
Ergebnis einer "vorläufigen Prüfung" mit, dass die in Nummer 1 bis 3 des
eingereichten Antrages formulierten Begehren in die Zuständigkeit des Magistrats
fallen dürften, so dass eine Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung zu
verneinen sei. Soweit man eine isolierte Behandlung des unter Nummer 4
formulierten Antrags (Führen eines Rechtsstreits von besonderer Bedeutung) in
der Stadtverordnetenversammlung behandelt wissen wolle, möge man dies bis
Donnerstag, 18.09., 14.00 Uhr ihr mitteilen. Mit Schreiben vom 18.09.2008 lehnte
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Donnerstag, 18.09., 14.00 Uhr ihr mitteilen. Mit Schreiben vom 18.09.2008 lehnte
die Stadtverordnetenvorsteherin gegenüber der Antragstellerin zu 1. die
Aufnahme des Tagesordnungspunktes "F-Werk stoppen und G-AG neu aufstellen"
in die Tagesordnung der kommenden Stadtverordnetenversammlung ab. Zur
Begründung wird ausgeführt, dass die in den Nummern 1 bis 3 des Antrags
formulierten Vorgaben an den Magistrat hinsichtlich der Geschäftspolitik der H-AG
als Gesellschafterin der G-AG, somit letztlich der G-AG, der Regelung des § 125
Hessische Gemeindeordnung (HGO) unterfielen. Die von den Antragstellerinnen in
ihrem Antrag formulierten Vorgaben fielen ebenso wie die Kompetenzen nach §
125 HGO jedoch in die Zuständigkeit des Magistrats, so dass eine Zuständigkeit
der Stadtverordnetenversammlung zu verneinen sei. Als
Stadtverordnetenvorsteherin habe sie zu prüfen, ob ein gestellter Antrag in die
Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung oder eines anderen Organs der
Stadt A fällt. Auf die weiteren Ausführungen in besagtem Schreiben wird
verwiesen.
Am 18.09.2008 haben die Antragstellerinnen einstweiligen Rechtsschutz vor dem
Verwaltungsgericht Wiesbaden beantragt. Sie weisen zunächst auf die
Ladungsfristen des § 58 Abs. 1 HGO und damit die Eilbedürftigkeit ihres auf
Behandlung des eingereichten Antrags in der kommenden
Stadtverordnetenversammlung am 25.09.2008 hin. Ihnen stehe auch ein
Anordnungsanspruch auf Aufnahme des entsprechenden Tagesordnungspunktes
in die Tagesordnung der nächsten Versammlung gemäß § 58 Abs. 5 HGO zu.
Insoweit sei auch eine Vorwegnahme der Hauptsache zulässig, da auf andere
Weise effektiver Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG für die Antragstellerinnen
nicht mehr zu gewährleisten sei.
Die Antragstellerinnen beantragen,
der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung aufzugeben, den Antrag
der Antragstellerinnen vom 16.09.2007 mit dem Betreff "F-Werk - stoppen und G-
AG neu aufstellen" auf die Tagesordnung für die Sitzung der für den 25.
September 2008 vorgesehenen Stadtverordnetenversammlung zu setzen, notfalls
unter Abkürzung der Ladungsfrist.
Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
den Antrag zurückzuweisen.
Es fehle bereits an einem Anordnungsgrund, da der Antrag auch auf einer
späteren Stadtverordnetenversammlung behandelt werden könne. Den
Antragstellerinnen stehe kein Anordnungsanspruch zu, da die Geschäftspolitik
städtischer Beteiligungsgesellschaften in die alleinige Zuständigkeit des Magistrats
falle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtslage wird auf die
eingereichten Schriftsätze und Unterlagen verwiesen, die sämtlich Gegenstand der
Beratung gewesen sind.
II.
Der nach § 123 Abs. 1 VwGO zulässige Antrag ist auch begründet, denn die
Antragstellerinnen haben sowohl einen Anordnungsgrund wie auch einen
Anordnungsanspruch auf die begehrte Regelungsanordnung glaubhaft gemacht.
Der Antrag ist als Antrag einstweiligen Rechtsschutzes zulässig, insbesondere der
statthafte Rechtsbehelf, denn ein Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt im
vorliegenden Fall nicht in Betracht, § 123 Abs. 5 VwGO.
Der Antrag ist auch begründet.
Für das Antragsbegehren besteht ein Anordnungsgrund, da die nächste
Stadtverordnetenversammlung bereits am kommenden Donnerstag stattfindet
und der Verfahrensgegenstand, mit dem sich der von den Antragstellerinnen
eingebrachten Antrag behandelt, eilbedürftig erscheint, da eine weitere
Umsetzung der Pläne zur Errichtung eines F-Werkes stetig weiterbetrieben wird.
Die Antragstellerinnen haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht,
denn ihnen dürfte ein Anspruch auf Behandlung des genannten
Tagesordnungspunktes auf der kommenden Stadtverordnetenversammlung nach
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Tagesordnungspunktes auf der kommenden Stadtverordnetenversammlung nach
§ 58 Abs. 5 HGO zustehen. Danach hat die Vorsitzende der
Stadtverordnetenversammlung "die Anträge auf die Tagesordnung zu setzen, die
... vor der Sitzung bei ihm eingehen", § 58 Abs. 5 Satz 3 HGO. Gemäß § 58 Abs. 5
Satz 2 i. V. m. § 56 Abs. 1 Satz 2 HGO hat die Vorsitzende der
Stadtverordnetenversammlung dabei lediglich zu prüfen, ob der zur Verhandlung
zu stellende Gegenstand in die Zuständigkeit der Gemeindevertretung oder eben
in diejenige eines anderen Organs der Antragsgegnerin fällt. Ihr steht es jedoch
insbesondere nicht zu, dabei als eine Art "präventives Kontrollorgan" die
Befassung der Stadtverordnetenversammlung mit eingereichten Beschlüssen zu
verhindern. Dies gilt selbst dann, wenn nach Auffassung der
Stadtverordnetenvorsteherin ein möglicher Verstoß der zur Beratung und
Abstimmung anstehenden Beschlüsse gegen Rechts- oder
Verfassungsvorschriften in Rede steht (so bereits Hess. VGH mit Beschluss vom
02.07.1985, 2 TG 1174/85 hinsichtlich der Prüfungskompetenz des
Kreistagsvorsitzenden); in diesem Sinne auch: VGH München, Urt. v. 10.12.1986, 4
B 85 A 96, NVwZ 88, 83; Bbg VerfG, Urt. v. 28.01.1999, VfgBbg 2/98, NVwZ 99,
868. Im vorliegenden Fall ist mit der Stadtverordnetenvorsteherin zwar
festzustellen, dass sich der eingereichte Antrag mit dem Verhalten von
Magistratsmitgliedern in den Gremien der H-AG bzw. der G-AG befasst bzw. diesen
entsprechende Vorgaben macht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit bereits
die Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung zu verneinen wäre. Vielmehr
haben die in dem eingereichten Antrag formulierten Begehren der
Antragstellerinnen gerade zum Ziel, dass die Stadtverordnetenversammlung den
Magistrat zu einem bestimmten Verhalten in aus ihrer Sicht wesentlichen
Entscheidungsfindungsprozessen aufruft. Dass es sich bei dem Bau eines F-
Werkes zur Versorgung der Bürger im Zuständigkeitsbereich der Stadt A auch
angesichts der erheblichen kontroversen Diskussionen hierum um eine Frage
wesentlicher Bedeutung handelt, wird von den Beteiligten nicht ernsthaft bestritten
werden. Zudem hat sich die Stadtverordnetenversammlung bereits im März
diesen Jahres mit diesem Vorhaben beschäftigt und die Ablehnung desselben zum
Ausdruck gebracht. Es liegt daher nach Auffassung der Kammer in der originären
Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung, wenn diese im Namen der von
ihr vertretenen Wählerschaft ihre politische Willensäußerung auch hinsichtlich des
Verhaltens von Magistratsmitgliedern innerhalb der Gremien von
Tochtergesellschaften der Antragsgegnerin zum Ausdruck bringt.
Dem steht die Regelung des § 125 HGO bezüglich der Kompetenzen von
Vertretern der Stadt A in diesen sogenannten Eigengesellschaften nicht entgegen.
Insbesondere dürfte gegenüber den dortigen Vertretern der Stadt A kein
Weisungsrecht bestehen, da insoweit § 125 Abs. 1 Satz 4 klarstellt, dass die
Vorschriften des Gesellschaftsrechts insoweit unberührt bleiben und daher auch zu
beachten sind. Dies schließt jedoch keineswegs aus, dass eine Volksvertretung
seiner "Stadtregierung" gegenüber eine eindeutige Haltung zeigt und auch eine -
politische - Handlungsvorgabe macht. Das Antragsrecht des einzelnen
Abgeordneten stellt dabei "eines der bedeutendsten Mitwirkungsrechte des
Gemeinderatsmitglieds dar" (VGH München, a. a. O., S. 85). Danach ist
festzustellen, dass die Stadtverordnetenvorsteherin im vorliegenden Fall nicht
befugt war, die Aufnahme des gestellten Antrages in die Tagesordnung für die
kommende Stadtverordnetenversammlung zu verweigern.
Der Erlass der beantragten Regelungsanordnung stellt keine unzulässige
Vorwegnahme der Hauptsache dar, denn den Antragstellerinnen ist in anderer
Weise kein effektiver Rechtsschutz im Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG zu gewähren.
Auch kommt keine andere, weniger eingreifende Regelung als die Verpflichtung
der Antragsgegnerin in Betracht, den formulierten Tagesordnungspunkt auf die
Tagesordnung der kommenden Stadtverordnetenversammlung zu setzen.
Dem Antrag ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Bei der Festsetzung des Streitwertes hat die Kammer den Auffangstreitwert des §
52 Abs. 2 GKG zugrunde gelegt, ohne diesen - wie sonst - in Verfahren
einstweiligen Rechtsschutzes üblich - zu reduzieren. Es steht nämlich
anzunehmen, dass sich die Hauptsache mit diesem Antragsverfahren auch
erledigen wird.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.