Urteil des VG Wiesbaden vom 06.08.2008

VG Wiesbaden: schutz des privatlebens, aufenthaltserlaubnis, rechtskräftiges urteil, gesamtstrafe, straftat, botschaft, beihilfe, diebstahl, ausländer, gerichtsakte

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 E 1348/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 104a Abs 3 AufenthG 2004,
§ 35 Abs 1 BZRG, § 6 BZRG, §
104a Abs 1 S 1 Nr 6 AufenthG
2004
(Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen; Straftat)
Leitsatz
1. Im Rahmen des § 104a I 1 Nr. 6 AufenthG ist auf die Gesamtstrafe abzustellen und
nicht auf die einzelnen Straftaten, aus denen die Gesamtstrafe gebildet wurde.
2. § 104a III AufenthG ist verfassungsgemäß.
3. Verurteilungen wegen Straftaten sind im Rahmen des § 104a I 1 Nr. 6 AufenthG so
lange zu beachten, bis sie durch Zeitablauf oder aufgrund einer Anordnung der
Registerbehörde vorläufig getilgt sind.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Kläger zu 1. und 2. sind miteinander verheiratet. Sie behaupten, sie seien
georgische Staatsangehörige armenischer Volkszugehörigkeit. Ihren eigenen
Angaben zufolge reisten sie im Juli 1996 in den Geltungsbereich der
Bundesrepublik Deutschland ein und stellten im August 1996 Asylanträge. Die
Asylanträge wurden vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge mit Bescheid vom 13.08.1996 abgelehnt; der Ablehnungsbescheid
erlangte nach erfolglos angestrengtem Klageverfahren am 11.09.2002
Rechtskraft. Nach der Ablehnung der Asylanträge wurden die Kläger wegen
fehlender Rückreisedokumente gemäß § 60 a Abs. 2 AufenthG geduldet. Bisher
wurde die Ausstellung von Ersatzpapieren für sie sowohl durch die Botschaft der
Republik Armenien als auch durch die georgische Botschaft abgelehnt, da eine
Identifizierung wegen falscher Personalangaben nicht möglich sei. Der Sohn der
Kläger, Aleksan, hat am 19.03.2007 unter Vorlage eines neu in Moskau
ausgestellten russischen Nationalpasses das Bundesgebiet freiwillig verlassen. Aus
diesem Grund wurde für die Kläger mittlerweile eine weitere
Passersatzpapierbeschaffung durch die Zentrale Passbeschaffungsstelle des
Regierungspräsidiums in Kassel über die Deutsche Botschaft in Moskau
eingeleitet. Bisher liegt hierzu noch kein abschließendes Ergebnis vor.
Unter dem 28.03.2007 stellten die Kläger einen Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. der Bleiberechtsregelung
des Hessischen Ministers des Innern und für Sport vom 28.11.2006. Dieser Antrag
wurde mit Bescheid des Beklagten vom 12.11.2007 abgelehnt. Zur Begründung
wird ausgeführt, der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei nunmehr
nach der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG zu beurteilen. Zeitlich
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nach der gesetzlichen Altfallregelung des § 104 a AufenthG zu beurteilen. Zeitlich
gesehen finde diese Rechtsvorschrift zwar auf die Kläger Anwendung, unabhängig
von der noch ausstehenden Beurteilung, ob im Fall der Kläger die Voraussetzung
der Nr. 4 des § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG als erfüllt anzusehen sei, stehe aber
einem Bleiberecht der Kläger § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG entgegen. Die
Kläger seien nämlich in der Vergangenheit bereits mehrfach strafrechtlich in
Erscheinung getreten. So sei die Klägerin zu 2. - was unstreitig ist - zuletzt
rechtskräftig am 17.06.1999 durch das Amtsgericht D wegen zweier
Diebstahlsdelikte zu einer Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 25,-- DM
sowie der Kläger zu 1. - ebenfalls unstreitig - zuletzt rechtskräftig am 15.11.2001
durch das Amtsgericht E wegen Beihilfe zum Diebstahl zu einer 4-monatigen
Freiheitsstrafe mit 3-jähriger Bewährungszeit verurteilt worden. Im Übrigen werde
auf § 104 a Abs. 3 AufenthG hingewiesen, wonach bei einem in häuslicher
Gemeinschaft lebenden Familienmitglied die Aufenthaltserlaubnis zu versagen sei,
wenn der Ehegatte Straftaten im Sinne des § 104 a Abs. 1 Nr. 6 AufenthG
begangen habe.
Am 30.11.2007 haben die Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wird
vorgetragen, für die Klägerin zu 2. sei durch das Amtsgericht D am 31.05.1999
nachträglich eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen unter Einbeziehung der
Verurteilungen wegen Diebstahls durch Urteil vom 29.01.1999 zu 60 Tagessätzen
je 10,-- DM und durch Urteil vom 05.11.1998 zu 70 Tagessätzen je 30,-- DM
gebildet worden. Die Gesamtstrafenregelung habe ausländerrechtlich nachteilige
Folgen für sie - die Klägerin zu 2. -, da die beiden Einzeltaten bereits nach fünf
Jahren getilgt und im Rahmen der Bleiberechtsregelung nicht mehr zu
berücksichtigen gewesen wären. Da die durch die Gesamtstrafenregelung
verhinderte Tilgung mit den ausländerrechtlichen Folgen sicherlich nicht gewollt
sei, sei sie so zu stellen, als wenn die beiden genannten Straftaten nach einer
Tilgungsfrist von jeweils fünf Jahren gelöscht worden wären. Im Übrigen sei es
unverhältnismäßig, ihr neun Jahre zurückliegende Taten als Ausschlussgrund für
eine Bleiberechtsregelung vorzuhalten. Im Falle des Klägers zu 1. wäre demzufolge
die Klage auch gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG begründet. Das Amtsgericht Bernau
habe im Übrigen entschieden, dass die Regelung des § 104 a Abs. 3 AufenthG
verfassungswidrig sei. Schließlich müssten die Tilgungsvorschriften im
Zusammenhang mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gesehen werden, so dass ein
aktueller Bezug zur Verurteilung gegeben sein müsse. Auf die reinen
Tilgungsfristen dürfe hingegen nicht zwingend abgestellt werden.
Die Kläger beantragen,
1. den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 12.11.2007 zu
verpflichten, den Klägern Aufenthaltserlaubnisse gemäß § 104 a Abs. 1 Satz 1
AufenthG zu erteilen;
2. den Klägern Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihnen Rechtsanwalt B zur
unentgeltlichen Wahrnehmung ihrer Rechte beizuordnen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und vertieft diese.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen. Die beigezogenen Behördenakten (2 Hefter)
wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung kann durch den Berichterstatter als Einzelrichter ergehen, da die
Beteiligten zu dieser Verfahrensweise ihr Einverständnis erklärt haben (§ 87 a
VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach §
104 a AufenthG. Nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG soll einem geduldeten
Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG eine
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Ausländer abweichend von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG eine
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich am 1. Juli 2007 seit mindestens
acht Jahren oder, falls er zusammen mit einem oder mehreren minderjährigen
ledigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens sechs Jahren
ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis aus
humanitären Gründen im Bundesgebiet aufgehalten hat und er die in § 104 a Abs.
1 Satz 1 unter Nr. 1 - 6 AufenthG aufgeführten Voraussetzungen erfüllt. Nach §
104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG darf der Aufenthalt begehrende Ausländer
nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt
worden sein, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu
90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem
Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich
außer Betracht bleiben. Diese Voraussetzungen erfüllen weder der Kläger zu 1.
noch die Klägerin zu 2..
Der Kläger zu 1. wurde am 15.11.2001 rechtskräftig vom Amtsgericht E wegen
Beihilfe zum Diebstahl zu einer 4-monatigen Freiheitsstrafe mit 3-jähriger
Bewährungszeit verurteilt. Damit erfüllt er die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1
Satz 1 Nr. 6 AufenthG nicht. Die Klägerin zu 2. wurde am 17.06.1999 durch
rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts D wegen zweier Diebstahlsdelikte zu einer
Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt, so dass sie ebenfalls die
Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG nicht erfüllt.
Die von den Klägern gegen die Berücksichtigung der von ihnen begangenen
Straftaten vorgebrachten Einwendungen überzeugen nicht. Soweit vorgebracht
wird, dass die Klägerin zu 2. die Voraussetzungen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6
AufenthG nur deshalb nicht erfülle, weil nachträglich eine Gesamtgeldstrafe von
100 Tagessätzen gebildet worden sei, während die dieser Gesamtgeldstrafe
zugrunde liegenden beiden Delikte jeweils für sich gesehen, bereits nach fünf
Jahren getilgt gewesen wären, ist dem entgegenzuhalten, dass nach § 6
Bundeszentralregistergesetz (BZRG) dann, wenn aus mehreren Einzelstrafen
nachträglich eine Gesamtstrafe gebildet wird, auch diese in das Register
einzutragen ist. § 35 Abs. 1 BZRG regelt, dass die Gesamtstrafe für die Eintragung
ins Führungsregister bzw. für die Tilgung maßgebend ist. Dies bedeutet, dass im
Rahmen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG auf die Gesamtstrafe
abzustellen ist und nicht auf die einzelnen Straftaten, aus denen die Gesamtstrafe
gebildet wurde.
Selbst wenn man aber der Auffassung der Klägerin zu 2. folgen würde, würde sich
am Ergebnis für sie nichts ändern, da nach § 104 a Abs. 3 AufenthG dann, wenn
ein in häuslicher Gemeinschaft lebendes Familienmitglied Straftaten im Sinne des
Absatzes 1 Satz 1 Nr. 6 begangen hat, dies zur Versagung der
Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift für andere Familienmitglieder führt. Da
der Ehemann der Klägerin zu 2., der Kläger zu 1., eine Straftat im Sinne des § 104
a Abs. 1 Satz Nr. 6 AufenthG begangen hat, die den dort genannten Strafrahmen
übersteigt, muss sich dies die Klägerin zu 2. zurechnen lassen. Zwar weist der
Klägerbevollmächtigte zu Recht darauf hin, dass ein Amtsgericht (Amtsgericht
Bernau, Beschluss vom 03.08.2007 - 5 Ls 212 Js 18621/06(21/07), abgedruckt in
InfAuslR 2008, 179, 182), die Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 104 a Abs.
3 AufenthG bezweifelt, das Verwaltungsgericht Oldenburg hat aber mit
überzeugender Begründung durch Urteil vom 21.05.2008 (11 A 485/06)
entschieden, dass die Zurechnungsregel des § 104 a Abs. 3 AufenthG mit
höherrangigem Recht vereinbar ist (i.d.S. auch OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 18.01.2008 - 12 S 6/08). Das VG Oldenburg (a.a.O.) hat Folgendes
ausgeführt:
"Der Gesetzgeber hat mit der Altfallregelung aus humanitären Gründen langjährig
zumeist ohne Aufenthaltstitel in Deutschland lebenden Ausländern eine
Vergünstigung eingeräumt, zu der er verfassungsrechtlich nicht verpflichtet war.
Ihm ist daher bei der Regelung der Voraussetzungen ein weiter
Gestaltungsspielraum zuzubilligen, der seine Grenze lediglich im Willkürverbot (Art.
3 Abs. 1 GG) findet. Der Bestimmung des § 104 a Abs. 3 AufenthG liegen
ausreichende sachliche Erwägungen zu Grunde. Die Zurechnungsregelungen
berücksichtigen nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/5065 S. 202), dass
Kinder das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer Eltern teilen, ein negativer Einfluss
auf die übrigen in häuslicher Lebensgemeinschaft lebenden Familienmitgliedern
nicht auszuschließen ist und die bei Straffälligkeit von Kindern denkbare Verletzung
von Aufsichts- und Erziehungspflichten. Ferner ist zu berücksichtigen, dass
anderenfalls im Hinblick auf Art. 6 GG häufig auch ein abgeleitetes
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anderenfalls im Hinblick auf Art. 6 GG häufig auch ein abgeleitetes
Aufenthaltsrecht des an sich nach § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG
ausgeschlossenen Ausländers entstehen würde, die Vorschrift also teilweise leer
laufen würde. Zudem entspricht die Vorschrift der familienbezogenen
Betrachtungsweise im Rahmen der Prüfung, ob ein Ausreisehindernis im Hinblick
auf den durch Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz des Privatlebens besteht (vgl.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 -)."
Die erkennende Kammer folgt den Ausführungen des VG Oldenburg.
Schließlich können die Kläger auch nicht mit dem Argument gehört werden, dass
es bei der Berücksichtigung von Straftaten im Rahmen des § 104 a Abs. 1 Satz 1
Nr. 6 AufenthG nicht maßgeblich auf die Tilgungsvorschriften und -fristen
ankommen könne, vielmehr müsse ein aktueller zeitlicher Bezug zur Verurteilung
vorliegen. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Verurteilungen wegen
Straftaten sind im Rahmen des § 104 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG so lange zu
beachten, bis sie durch Zeitablauf oder aufgrund einer Anordnung der
Registerbehörde vorläufig getilgt sind (vgl. OVG Münster, Beschluss vom
27.11.2007 - 17 B 1779/07, abgedruckt in NVwZ - RR 2008, 493).
Auf die Frage, ob der begehrten Aufenthaltserlaubnis nach § 104 a AufenthG
möglicherweise auch die Regelung des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 4 dieser Norm
entgegensteht, kommt es nach alledem nicht mehr an.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers zu 1. auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sind nicht gegeben.
Die Klage ist daher hinsichtlich des Klageantrages zu 1. abzuweisen. Bezüglich des
Antrages zu 2. auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ergeht ein gesonderter
Beschluss.
Als unterlegene Beteiligte haben die Kläger die Kosten des Verfahrens gemäß §
154 Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.