Urteil des VG Wiesbaden vom 22.04.2009

VG Wiesbaden: diabetes mellitus, behinderung, krankheit, hohes alter, innere medizin, ausländer, rentenalter, zeugnis, hiatushernie, hypertonie

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 K 196/09.WI
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 9 AufenthG 2004
Keine Niederlassungserlaubnis bei altersbedingtem
Unvermögen der Lebensunterhaltssicherung
Leitsatz
1. Wegen allein altersbedingtem Unvermögen, den Lebensunterhalt zu sichern, kann
nicht von dem gesetzlichen Erfordernis des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AufenthG für die
Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgesehen werden.
2. Eine analoge Anwendung von § 9 Abs. 2 S. 6 i.V. mit S. 3 AufenthG auf ein
altersbedingtes Unvermögen der Lebensunterhaltssicherung kommt nicht in Betracht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der
festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die am 00.00.1939 geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige. Sie reiste
1996 als jüdische Emigrantin zusammen mit ihrem Ehemann in das Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr wurde eine befristete Aufenthaltserlaubnis zur
Familienzusammenführung erteilt, deren Gültigkeit mehrfach, zuletzt bis zum
20.12.2009, verlängert wurde. Mit Schreiben vom 04.07.2008 beantragte die
Klägerin die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Zur Begründung führte sie
an, dass sie seit nunmehr zwölf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitze. Sie
könne zwar ihren Lebensunterhalt nicht ohne öffentliche Leistungen sicherstellen,
dies sei jedoch unbeachtlich, da sie krank und alt sei und in diesen Fällen
Ausnahmen möglich seien.
Mit Bescheid vom 19.01.2009, der Klägerin am 13.02.2009 zugestellt, lehnte der
Beklagte die Erteilung der beantragten Niederlassungserlaubnis ab. Zur
Begründung wird ausgeführt, ein Anspruch auf Erteilung einer
Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG sei nicht gegeben. Voraussetzung
hierfür sei u.a., dass der Lebensunterhalt gesichert sei und sich der Ausländer auf
einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen könne. Die Klägerin und
ihr Ehemann erhielten Leistungen nach dem SGB XII und erfüllten daher nicht die
für eine Niederlassungserlaubnis geforderte Sicherung des Lebensunterhalts aus
eigenen Mitteln. Zwar könne von dieser Voraussetzung abgesehen werden, wenn
sie der Ausländer wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Krankheit oder
Behinderung nicht erfüllen könne. Im Falle der Kläger liege aber keiner dieser
Gründe vor, da sie allein wegen ihres Alters ihren Lebensunterhalt nicht mehr
sicherstellen könne. Bei den von der Klägerin in ihrem Antrag angegebenen
Erkrankungen handele es sich um altersbedingte, die aber nicht dafür ursächlich
seien, dass sie keiner Beschäftigung mehr nachgehen könne. Das Alter allein
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seien, dass sie keiner Beschäftigung mehr nachgehen könne. Das Alter allein
stelle weder eine körperliche, geistige oder seelische Krankheit dar, noch sei es
eine Behinderung. Bei Personen, die das Rentenalter erreicht hätten, müsse der
Lebensunterhalt durch zuvor erworbene Rentenansprüche sichergestellt sein. Eine
solche Rentenanwartschaft habe die Klägerin aber wegen mangelnder
Beschäftigung nicht aufgebaut. Allein der Eintritt in das Rentenalter könne nicht
dazu führen, dass eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen sei. Anderenfalls würde
jedem eine Niederlassungserlaubnis zustehen, der das 65. bzw. 67. Lebensjahr
erreicht habe, gleichgültig, ob zuvor das unbefristete Aufenthaltsrecht wegen
fehlender Sicherung des Lebensunterhalts verweigert worden sei. Abgesehen
davon sei fraglich, ob die Klägerin über ausreichende Deutschkenntnisse verfüge.
Am 02.03.2009 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor, sie erfülle die
Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sicherung des
Lebensunterhalts, da sie unter Hypertonie, atrophischer Gastritis, Hiatushernie,
Sigmadivertikulose und Diabetes Mellitus Typ 2 leide. Diese Krankheiten habe die
Beklagte bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt. Rein vorsorglich werde darauf
hingewiesen, dass auch eine analoge Anwendung des diesbezüglichen § 9 Abs. 2
Satz 6 AufenthG in Betracht komme. Zwar falle das „alt-Sein“ vom Wortlaut her
nicht unter diese Voraussetzung, eine rein auf den Wortlaut abstellende
Interpretation würde aber dazu führen, dass ältere Ausländer mit zu geringer
Rente bis zum Erreichen der Schwelle einer körperlichen oder geistigen Krankheit
oder Behinderung vom Erwerb der Niederlassungserlaubnis ausgeschlossen
wären. Im Gegensatz zu den VwV-AuslR verlangten die vorläufigen
Anwendungshinweise des BMI zum AufenthG nicht mehr ausdrücklich, dass der
Lebensunterhalt durch ausreichende Rentenansprüche gesichert sei. Da die
Schaffung einer Wartefrist bis zum Erreichen der Schwelle, an der eine Krankheit
oder Behinderung wegen Alters feststellbar sei, nicht Intention des Gesetzgebers
sein könne, sei in der fehlenden Regelung eine Regelungslücke zu sehen, die durch
eine analoge Anwendung des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG zu schließen sei. Hierfür
spreche auch der Charakter der Sozialleistung der Grundsicherung nach §§ 41 ff.
SGB XII, die Personen, die wegen Alters nicht mehr erwerbstätig seien, erhielten.
Eine analoge Anwendung vermeide unbillige Ergebnisse und verhindere, dass bei
Senioren umfangreiche medizinische Gutachten eingeholt werden müssten, um
festzustellen, ob sie schon die Voraussetzungen wegen Krankheit oder
Behinderung erfüllen könnten. Vor allem müsse berücksichtigt werden, dass hohes
Alter erfahrungsgemäß die Anhäufung von Krankheiten mit sich bringe, so dass
nicht auf das Alter als solches abgestellt werden müsse, sondern auf die Tatsache,
dass die Betroffenen wegen des Alters physisch nicht mehr imstande seien, ihren
Lebensunterhalt durch Arbeitsaufnahme zu sichern.
Der Beklagte gehe auch zu Unrecht von mangelnden Deutschkenntnissen aus.
Sie, die Klägerin, wohne bereits seit zwölf Jahren in der Bundesrepublik
Deutschland, so dass nicht ohne weiteres auf mangelnde Deutschkenntnisse
geschlossen werden könne. Sie habe bereits im Jahr 1997 ein Zeugnis über die
Teilnahme an einem Deutsch-Lehrgang erhalten. – Die Klägerin hat ein
entsprechendes Zeugnis zu den Gerichtsakten gereicht. –
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19.01.2009 zu
verpflichten, der Klägerin eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Er wiederholt und vertieft die Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren
einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen. Die Behördenakte (1 Hefter) hat dem Gericht
vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Kammer kann ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren
entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs.
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entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs.
2 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass ihr eine Niederlassungserlaubnis
erteilt wird.
Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ist u.a., dass der
Lebensunterhalt des Ausländers gesichert ist (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG).
Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist der Lebensunterhalt gesichert, wenn ein
Ausländer ihn einschließlich ausreichendem Krankenversicherungsschutz ohne
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Die Klägerin und ihr
Ehemann erhalten unstreitig Leistungen nach dem SGB XII, so dass sie die
Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt. Nach § 9 Abs. 2
Satz 6 AufenthG wird von den Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG abgesehen, wenn der Ausländer diese aus den in § 9 Abs. 2 Satz 3
AufenthG genannten Gründen nicht erfüllen kann. Dies ist der Fall, wenn der
Ausländer wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder
Behinderung seinen Lebensunterhalt nicht selbst sichern kann (§ 9 Abs. 2 Satz 3
AufenthG).
Von dem Vorliegen einer Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz
3 AufenthG kann im Falle der Klägerin nicht ausgegangen werden. Sie hat ein
Schreiben eines Facharztes für Innere Medizin vom 00.00.2008 vorgelegt, in
welchem der Internist das Ergebnis seiner Untersuchung der Klägerin an den
Hausarzt der Klägerin weitergibt. Die Diagnose des Internisten hat ergeben, dass
die Klägerin an Hypertonie, atrophischer Gastritis, Hiatushernie,
Sigmadivertikulose und Diabetes Mellitus Typ 2 leidet. Diese Erkrankungen stellen
keine Krankheit oder Behinderung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG dar, da
sie für sich genommen nicht die Ursache dafür sind, dass die Klägerin keiner
Beschäftigung nachgehen kann. Vielmehr handelt es sich um Erkrankungen, die
altersbedingt auftreten, aber nicht den Schweregrad erreichen, dass sie
unabhängig vom Alter zur Arbeitsunfähigkeit führen würden. Dies wird auch durch
die Empfehlung des Internisten an den Hausarzt der Klägerin belegt, die Klägerin
z.B. mit Bisoprolol + HCT (Betablocker) zu behandeln. Der Internist empfiehlt also
keine schwere Medikation und trifft im Übrigen auch keine Aussage zu einer
krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Die diesbezüglichen
Ausführungen des Beklagten in dem angefochtenen Bescheid – entgegen der
Auffassung der Klägerin ist der Beklagte in dem Bescheid auf die Erkrankungen der
Klägerin eingegangen – sind nicht zu beanstanden.
Von dem gesetzlichen Erfordernis der Sicherung des Lebensunterhalts in § 9 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG kann auch weder pauschal im Hinblick auf das Alter
abgesehen werden (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.07.2007 – 11 TP 1155/07 –,
abgedruckt in EzAR-NF 24 Nr. 4), noch lässt sich § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG
analog auf eine altersbedingte Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts
anwenden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 28.10.2007
(NVwZ 2009, 246) ausgeführt, dass aus der gesetzgeberischen Bewertung folge,
dass Ausnahmen von der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG
grundsätzlich eng auszulegen seien. Aus den Gesetzgebungsmaterialien zur
Ausnahmevorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 6 AufenthG ergebe sich ebenfalls, dass
diese nur Kranke und Behinderte selbst, nicht aber auch Dritte erfassen solle
(BVerwG, NVwZ 2009, 246, 147 Rdnr. 16). Schon von daher verbietet sich eine
analoge Anwendung der genannten Regelungen auf die altersbedingte Unfähigkeit,
den Lebensunterhalt zu sichern.
Die Nichterfüllung der Voraussetzung des § 9 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist nicht an
einem etwaigen Verschulden des Ausländers an seiner Beschäftigungslosigkeit zu
messen, sondern an der Frage, ob er dem Arbeitsmarkt wegen einer Krankheit
oder Behinderung nicht zur Verfügung steht. Das allgemeine Risiko der
Beschäftigungslosigkeit, z.B. wegen Alters, mangelnder Qualifikation usw., trägt im
Hinblick auf die Erteilung einer angestrebten Niederlassungserlaubnis der
Ausländer, wovon nur dann abzusehen ist, wenn er sozusagen von vornherein
nicht zu arbeiten vermag (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 09.09.2008 – AN 19 S
08.01193 – und Urteil vom 20.01.2009 – AN 19 K 08.01194 –). Dass die im Jahre
1996 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Klägerin aufgrund
Behinderung bzw. Krankheit seit ihrer Einreise dem Arbeitsmarkt nicht zur
Verfügung gestanden hat, ist weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Zu Recht
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Verfügung gestanden hat, ist weder ersichtlich noch vorgetragen worden. Zu Recht
weist der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid in diesem Zusammenhang
darauf hin, dass eine erweiterte Anwendung der Ausnahmevorschriften des § 9
Abs. 2 Satz 6 i.V.m. Satz 3 AufenthG auf ein altersbedingtes Unvermögen, den
Lebensunterhalt zu bestreiten, dazu führen würde, dass jedem eine
Niederlassungserlaubnis zustehen würde, der das Rentenalter erreicht hat. Einen
Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, die allein vom Zeitablauf
her abhängig ist, ist vom Gesetzgeber nicht gewollt.
Da die Klägerin bereits die Erteilungsvoraussetzung des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
AufenthG nicht erfüllt, bedarf es keines Eingehens mehr darauf, ob sie die für die
Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erforderlichen Deutschkenntnisse besitzt.
Als unterlegene Beteilige hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens gemäß § 154
Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11,
711 ZPO.
B e s c h l u s s
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- €
festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.