Urteil des VG Wiesbaden vom 12.11.2009

VG Wiesbaden: einbürgerung, ex tunc, aufschiebende wirkung, rücknahme, staatsangehörigkeit, aufenthaltserlaubnis, wiederaufleben, verfügung, verfassungsrecht, lebensgemeinschaft

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Gericht:
VG Wiesbaden 4.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
4 L 1245/09.WI(V)
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 81 AufenthG 2004, § 43 Abs
2 VwVfG HE
Kein Wiederaufleben des Aufenthaltstitels nach
Rücknahme der Einbürgerung
Leitsatz
1. Durch eine Einbürgerung erlischt der ursprüngliche Aufenthaltstitel.
2. Ein mit der Einbürgerung erloschener Aufenthaltstitel lebt nicht wieder auf, wenn die
Einbürgerung später wieder zurückgenommen wird.
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- € festgesetzt.
Gründe
I.
Der am 00.00.1971 in Jugoslawien geborene Antragsteller besitzt die serbische
Staatsangehörigkeit. Er reiste am 11.09.2002 zum Zwecke der
Familienzusammenführung zu seiner deutschen Ehefrau in die Bundesrepublik
Deutschland ein. Er erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von
einem Jahr, die später verlängert wurde. Am 07.08.2006 wurde dem Antragsteller
sodann eine Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 2 AufenthG erteilt. Unter
Beibehaltung seiner serbischen Staatsangehörigkeit wurde der Antragsteller am
24.04.2008 eingebürgert. Am 28.11.2008 heiratete er seine bisherige
Lebensgefährtin, die sich geduldet im Bundesgebiet aufhält. Im Rahmen des
Antragsverfahrens auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis der neuen Ehefrau und
des zwischenzeitlich geborenen Kindes stellte sich heraus, dass zum Zeitpunkt der
Einbürgerung entgegen den Angaben des Antragstellers im Zusammenhang mit
der beantragten Einbürgerung die eheliche Lebensgemeinschaft mit der
deutschen Ehefrau nicht mehr bestanden hatte. Das Bestehen der ehelichen
Lebensgemeinschaft war jedoch Bedingung für die vorzeitige Einbürgerung des
Antragstellers. Nach Bekanntwerden der falschen Angaben durch den
Antragsteller hat das Regierungspräsidium D die Einbürgerung mit Bescheid vom
10.09.2008 ex-tunc zurückgenommen. Mit Antrag vom 30.09.2008 beantragte der
Antragsteller beim Antragsgegner die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis
nach vorheriger Anhörung des Antragstellers mit Bescheid vom 23.09.2009 ab und
forderte den Antragsteller zugleich auf, das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung des
Bescheides zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihm
die Abschiebung nach Serbien angedroht. Zur Begründung wurde ausgeführt, die
Eex-tunc-Rücknahme der Einbürgerung habe nicht dazu geführt, dass die erteilte
Niederlassungserlaubnis wieder aufgelebt sei, denn die Erledigung des
Aufenthaltstitels sei nicht Regelbestand des Einbürgerungsverfahrens. Die
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Aufenthaltstitels sei nicht Regelbestand des Einbürgerungsverfahrens. Die
Niederlassungserlaubnis sei kraft Gesetzes als Folge der Einbürgerung erloschen,
da die Zielrichtung der Niederlassungserlaubnis, dem Ausländer einen
dauerhaften rechtmäßigen Aufenthalt zu verschaffen, sich erledigt habe. Dabei
handele es sich um eine Erledigung „auf andere Weise“ im Sinne des § 43 Abs. 2
VwVfG; eine gesonderte Aufhebung des Aufenthaltstitels sei nicht erforderlich
gewesen. Für den weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland benötige
der Antragsteller gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG einen gültigen
Aufenthaltstitel, den er seit seiner Einbürgerung nicht mehr besitze. Die erneute
Erteilung der beantragten Niederlassungserlaubnis sei unabhängig von der
Anspruchsgrundlage nicht möglich. Die Rückkehr des Antragstellers in sein
Heimatland sei diesem zumutbar, da er den größten Teil seines Lebens in seiner
Heimat verbracht habe.
Am 09.10.2009 hat der Antragsteller Klage erhoben (4 K 1244/09.WI) und zugleich
um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung trägt er vor, zu
berücksichtigen sei, dass er sich seit nahezu sieben Jahren ununterbrochen erlaubt
in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Hätte er im Zusammenhang mit der
Einbürgerung zutreffende Angaben gemacht, wäre er zwar nicht eingebürgert
worden, hätte jedoch sein weiteres Aufenthaltsrecht erhalten. In der Literatur
werde von Marx (InfAuslR 2009, 303 ff.) die Ansicht vertreten, dass das
Verfassungsrecht es gebiete, eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit eines
Aufenthalts durch eine Rücknahme der Einbürgerung nicht eintreten zu lassen.
Nach Auffassung von Marx lebe im Falle der Rücknahme einer Einbürgerung der
durch die Einbürgerung beendete ausländerrechtliche Status wieder auf. Auch
gebe es in der obergerichtlichen Rechtsprechung einige Anhaltspunkte, die den
Schluss zuließen, dass Aufenthaltszeiten vor einer aufgehobenen Einbürgerung
durchaus rechtliche Relevanz besäßen. Dies habe der Antragsgegner verkannt.
Außerdem sei er, der Antragsteller, vor seiner Einbürgerung im Besitz eines
jugoslawischen Passes gewesen, in dem die Niederlassungserlaubnis eingetragen
gewesen sei. Mit der mittlerweile zurückgenommenen Einbürgerung sei – soweit
ersichtlich – seine jugoslawische Staatsangehörigkeit nicht erloschen. Wenn mit
der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband die ausländische
Staatsangehörigkeit nicht erloschen sei, müsse dies ebenfalls für den
Aufenthaltstitel gelten. Wenn also die Einbürgerung zurückgenommen worden sei,
und zwar vom Zeitpunkt der Aushändigung der Einbürgerungsurkunde an, sei
notwendigerweise auch der Aufenthaltstitel nicht erloschen.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seiner Klage (4 K 1244/09.WI) gegen die Verfügung
des Antragsgegners vom 23.09.2009 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er verweist auf den Inhalt des ergangenen Bescheides vom 23.09.2009.
Die Behördenakte (1 Hefter) hat bei der Entscheidung vorgelegen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist nicht begründet, denn bei der
vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegt das
öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Aufenthaltsbeendigung das private
Interesse des Antragstellers, vorläufig in der Bundesrepublik Deutschland bleiben
zu können.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere der statthafte Rechtsbehelf, da der Klage
nach Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis gemäß §
84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Auch hinsichtlich
der ergangenen Abschiebungsandrohung als Maßnahme der
Verwaltungsvollstreckung ist eine aufschiebende Wirkung gemäß § 16
HessAGVwGO gesetzlich ausgeschlossen.
Der Antrag ist jedoch nicht begründet.
Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung der
gegensätzlichen Interessen sind auch die Erfolgsaussichten des eingelegten
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gegensätzlichen Interessen sind auch die Erfolgsaussichten des eingelegten
Rechtsmittels zu berücksichtigen. Die summarische Überprüfung der
angegriffenen Verfügung des Antragsgegners vom 23.09.2009 lässt diese
rechtmäßig erscheinen.
Der Antragsgegner geht in der angefochtenen Verfügung zu Recht davon aus,
dass nach der erfolgten rückwirkenden Rücknahme der Einbürgerung des
Antragstellers der ursprüngliche Aufenthaltstitel, die dem Antragsteller im Jahre
2006 erteilte Niederlassungserlaubnis, nicht wieder auflebt. Vielmehr ist der
ursprüngliche Aufenthaltstitel mit Wirksamwerden der Einbürgerung endgültig
erloschen; insoweit ist eine Erledigung „auf andere Weise“ nach § 43 Abs. 2
HVwVfG eingetreten. Das OVG Münster hat sich ausführlich mit der Frage befasst,
ob nach der Rücknahme einer Einbürgerung der vor der Einbürgerung erteilte und
mit dieser erloschene Aufenthaltstitel wieder auflebt. In seinem Beschluss vom
31.01.2008 (18 A 4547/06) hat das OVG Münster ausgeführt:
„Dass die sonach mit der Einbürgerung erloschenen Aufenthaltstitel wieder
aufgelebt sind, kann nicht angenommen werden. Die Annahme des
Wiederauflebens der erloschenen Aufenthaltstitel wäre zunächst nur möglich, wenn
die Rücknahme der Einbürgerungen ex-tunc wirkte. Ob das der Fall ist, kann auf
sich beruhen, denn selbst das hieße nicht, dass die zunächst wirksamen, jedoch
ex-tunc vernichteten Rechtsakte so zu behandeln wären, als wären sie von
vornherein unwirksam gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausgehend
vom materiellen Recht entschieden, dass eine solche Rechtsregel jedenfalls für
das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht nicht gilt (so ausdrücklich Urteil vom 29.
Oktober 1996 – 1 C 37.93 –, Buchholz 132.0 § 9 1. StARegG NR. 5 = EZAR 278 NR.
4; dies verkennen VG Braunschweig, Urteil vom 23. November 2006 – 5 A 88/06 –,
InfAuslR 2007, 157; Marx in GK-StAR, IV § 17 Rn. 35, 2 f.). Dieser Befund wird durch
die Regelungen des AufenthG bestätigt. Die Annahme des Wiederauflebens
erloschener Aufenthaltstitel widerspräche der Systematik des AufenthG. Unter
ausländerrechtlichen Gesichtspunkten ist es zwingend, dass bei der (erneuten)
Begründung eines Aufenthaltstitels die dafür vorgesehenen
Anspruchsvoraussetzungen aktuell erfüllt sein müssen und dies in einem
Antragsverfahren geprüft wird (§ 81 Abs. 1 AufenthG). Würde dessen ungeachtet
ein Wiederaufleben eines erloschenen Aufenthaltstitels – auch nach Jahren,
möglicherweise Jahrzehnten – für möglich gehalten, führte das zu dem praktischen
Problem, dass zwischenzeitlich die ausländerbehördliche Kontrolle des Falls
ausgefallen und demgemäß die möglicherweise gebotene Reaktion auf
Veränderungen, die sich seit dem Erledigungszeitpunkt in rechtlicher oder
tatsächlicher Hinsicht ergeben haben, ausgeblieben wäre. Davon ausgehend lebt
nach der Senatsrechtsprechung das Fiktionsrecht aus § 69 Abs. 3 Satz 1 AuslG
1990 infolge der Rücknahme einer Aufenthaltserlaubnis nicht wieder auf (vgl.
Senatsbeschluss vom 20. November 1997 – 18 B 2702/97 –).“
Die erkennende Kammer schließt sich den überzeugenden Ausführungen des OVG
Münster in dem zitierten Beschluss an (ebenso VG Darmstadt, Urteil vom
20.08.2008 – 5 E 840/07 –; a. A. ohne nähere Begründung VG Sigmaringen, Urteil
vom 18.11.2008 – 3 K 54/08 –).
Der vom Antragsteller zitierten Gegenmeinung von Marx (InfAuslR 2009, 303, 308)
vermag die Kammer hingegen nicht zu folgen. Vor allem das auch vom OVG
Münster in den Vordergrund gestellte Argument, dass bei der (erneuten)
Begründung eines Aufenthaltstitels die dafür vorgesehenen
Anspruchsvoraussetzungen aktuell erfüllt und von der Ausländerbehörde im
Rahmen eines Antragsverfahrens überprüft werden können müssen, spricht gegen
die Ansicht von Marx.
Auch das Argument des Antragstellers, auf seinem jugoslawischen Pass, der nach
wie vor gültig sei, sei die Niederlassungserlaubnis eingetragen und da seine
jugoslawische Staatsangehörigkeit nicht erloschen sei, müsse dies für den
Aufenthaltstitel ebenfalls gelten, überzeugt nicht, denn die Eintragung der
Niederlassungserlaubnis in dem jugoslawischen Pass hat nur mehr deklaratorische
Bedeutung.
Ist die ursprünglich erteilte Niederlassungserlaubnis nach Rücknahme der
Einbürgerung nicht wieder aufgelebt, kann der Antragsteller auch nicht losgelöst
davon die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verlangen. Denn der Antrag auf
Erteilung einer Niederlassungserlaubnis setzt zum Zeitpunkt der Antragstellung
das Vorhandensein eines Aufenthaltstitels voraus. Mit anderen Worten kann der
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das Vorhandensein eines Aufenthaltstitels voraus. Mit anderen Worten kann der
Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht nach Ablauf der gültigen
Aufenthaltserlaubnis gestellt werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom
31.01.2008 – 18 A 4547/06 –). Diese Voraussetzungen liegen beim Antragsteller
nicht vor, da er zum Zeitpunkt der Antragstellung keine gültige
Aufenthaltserlaubnis mehr besaß. Der letzte Aufenthaltstitel des Antragstellers
war mit der Einbürgerung vom 24.04.2008 erloschen und ist – wie oben ausführlich
dargelegt – nicht wieder aufgelebt.
Da nach alledem die Klage des Antragstellers keinen Erfolg haben dürfte,
überwiegt das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Aufenthaltsbeendigung
das private Interesse des Antragstellers, vorläufig von aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen verschont zu bleiben, so dass sein vorläufiger Rechtsschutzantrag
zurückzuweisen ist.
Als unterliegender Beteiligter hat der Antragsteller gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die
Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.