Urteil des VG Trier vom 22.07.2009

VG Trier: passives wahlrecht, dienstverhältnis, aktiven, beendigung, hauptsache, gleichheit, beamtenverhältnis, wählbarkeit, passiven, gewaltenteilung

Kommunalrecht
Kommunalverfassungsrecht
Kommunalwahlrecht
Verwaltungsprozessrecht
VG
Trier
22.07.2009
1 L 398/09.TR
Ein Beschäftiger einer Ortsgemeinde in der Freistellungsphase der Altersteilzeit ist nicht mehr im aktiven
Dienstverhältnis i.S.d. §§ 54 Abs. 1 Nr. 1, 5 Abs. 2 KWG tätig und darf daher Mitglied des Rates derjenigen
Verbandsgemeinde sein, zu der die Ortsgemeinde gehört.
Verwaltungsgericht Trier
1 L 398/09.TR
Beschluss
In dem Verwaltungsrechtsstreit
wegen Verpflichtung als Mitglied des Verbandsgemeinderates
hier: Antrag nach § 123 VwGO
hat die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Trier aufgrund der Beratung vom 22. Juli 2009, an der
teilgenommen haben
beschlossen:
1. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, den Antragsteller vorläufig als Mitglied des
Verbandsgemeinderates der Verbandsgemeinde M*** zu verpflichten.
2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig als Mitglied des Verbandsgemeinderates
verpflichtet zu werden, ist als kommunalverfassungsrechtliche Streitigkeit zulässig und hat auch in der
Sache Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Verwaltungsgericht eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig
erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Der streitige Anspruch (Anordnungsanspruch) und der
Grund für die Anordnung (Eilbedürfnis) müssen glaubhaft gemacht werden (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §
920 Abs. 2 ZPO).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich nicht dazu führen darf,
dass - wenn auch nur für bestimmte Zeit und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des
Hauptsacheverfahrens - die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird. Für eine wegen der
Garantie effektiven Rechtsschutzes im Sinne des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes ausnahmsweise
denkbare Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache ist allerdings dann Raum,
wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und im Klageverfahren nicht
mehr zu beseitigen wären und hinsichtlich des geltend gemachten Anordnungsanspruchs ganz
überwiegende Erfolgsaussichten bestehen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15.A., § 123 Rz. 13 ff. m.w.N.).
Das ist hier der Fall. Zunächst verfügt der Antragsteller über den erforderlichen Anordnungsgrund, weil er
als gewähltes Ratsmitglied unzumutbar in seinen organschaftlichen Mitwirkungsrechten beeinträchtigt
würde, wenn er seine Rechtsstellung erst nach längerem Anbruch der Wahlperiode im
Hauptsacheverfahren erstreiten könnte, auch wenn die Voraussetzungen seines Anspruchs mit einem
hohen Maß an Wahrscheinlichkeit vorlägen.
Gemessen hieran steht dem Antragsteller der Anspruch auf Verpflichtung als Ratsmitglied nach § 30 Abs.
2 S. 1 Gemeindeordnung - GemO - zu, weil er gemäß § 5 Abs. 2 Kommunalwahlgesetz - KWG - i. V.m. §
54 Abs. 1 Nr. 1 KWG nicht mehr in einem aktiven Dienstverhältnis zu einer derselben Verbandsgemeinde
angehörenden Ortsgemeinde steht.
Der Antragsteller war als Leiter der Kindertagesstätte in einer der Verbandsgemeinde *** angehörenden
Ortsgemeinde Beschäftigter i.S.d. § 54 Abs. 1 Nr. 1 KWG und befindet sich nunmehr seit dem 1. Mai 2009
in der Freistellungsphase der im Blockmodell gewährten Altersteilzeit. Ob er damit noch "gleichzeitig
hauptamtlich tätig" ist, beantwortet die Vorschrift selbst nicht mit einer weiteren ausdrücklichen
Erläuterung; insofern beinhaltet aber § 54 Abs. 1 KWG nur eine Erweiterung des Personenkreises
gegenüber der allgemeinen Inkompatibilitätsklausel des § 5 KWG, dessen weitergehende Bestimmungen
auch für den Verbandsgemeinderat gelten. Abs. 2 des § 5 KWG macht die (zulässige) Annahme der Wahl
vom Nachweis der Beendigung des aktiven Dienstverhältnisses als Beamter oder Beschäftigter oder der
Beurlaubung von dem Dienstverhältnis ohne Bezüge abhängig.
Die Beendigung des aktiven Dienstverhältnisses ist nach Überzeugung der Kammer jedenfalls im Sinne
der Inkompatibilitätsvorschriften (auch) dann gegeben, wenn ein Beamter oder Beschäftigter in die
Freistellungsphase der Altersteilzeit eintritt.
Art. 137 Abs. 1 GG ermächtigt den Gesetzgeber zur Beschränkung der Wählbarkeit u.a. von Beamten und
Angestellten des öffentlichen Dienstes in Bund, Ländern und Gemeinden. Er schränkt Art. 28 Abs. 1 Satz 2
GG ein. Danach muss das Volk in den Gemeinden eine Vertretung haben, die aus allgemeinen,
unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Der Grundsatz der Gleichheit
der Wahl gilt damit auch für die Wahl der Gemeindevertretungen. Dem trägt die Vorschrift des § 29 Abs. 1
S. 2 GemO Rechnung, nach der die Ratsmitglieder in allgemeiner, gleicher, geheimer unmittelbarer und
freier Wahl gewählt werden. Der Grundsatz der Gleichheit der Wahl ist ein Anwendungsfall des
allgemeinen Gleichheitssatzes, der als Grundrecht des Einzelnen in Art. 3 Abs. 1 GG garantiert ist. Er
unterscheidet sich vom allgemeinen Gleichheitssatz durch seinen formalen Charakter und besagt, dass
jedermann sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise soll ausüben können.
Vom Grundsatz der gleichen Wahl wird daher auch die Ausgestaltung des passiven Wahlrechts
maßgeblich bestimmt. Im Bereich des Wahlrechts verbleibt dem Gesetzgeber nur ein eng bemessener
Spielraum. Differenzierungen in diesem Bereich bedürfen stets eines besonderen rechtfertigenden
Grundes (BVerfGE 57, 43 m.w.N.).
Artikel 137 Abs. 1 GG will die organisatorische Gewaltenteilung gegen Gefahren sichern, die durch eine
Personalunion zwischen einem Exekutivamt und einem Abgeordnetenmandat entstehen können.
Insbesondere sollen Mitarbeiter nicht derjenigen Vertretungskörperschaft angehören, der eine Kontrolle
über ihre Behörde obliegt. Das gilt auch für den Gemeindebeamten und -beschäftigten und den Rat der
über ihre Behörde obliegt. Das gilt auch für den Gemeindebeamten und -beschäftigten und den Rat der
Gemeinde. Es lässt sich mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung nicht ohne weiteres vereinbaren, wenn
dieselbe Person Gemeindebediensteter ist und zugleich dem Rat der Gemeinde angehört. Art. 137 Abs. 1
will allgemein zur Verwirklichung und Aufrechterhaltung der Trennung zwischen Exekutive und Legislative
eine Verbindung von Amt und Mandat verhindern (BVerfGE a.a.O.).
§ 5 KWG beschränkt zwar nicht die Wählbarkeit, sondern macht die Annahme der Wahl vom Nachweis der
Beendigung des aktiven Dienstverhältnisses abhängig. Mit dieser Obliegenheit ist aber auch der
Mandatsbewerber in seinem passiven Wahlrecht belastet, sodass sie nicht über das Maß hinausgehen
darf, das zur Erfüllung des Zwecks der Vorschrift, Entscheidungskonflikte zu vermeiden und eventuelle
Verfilzungen abzuwehren, erforderlich ist.
Mit der Beendigung des aktiven Dienstverhältnisses ist diese Gefahr aus Sicht des Gesetzgebers des
Kommunalwahlgesetzes gebannt. Zwar begründet das Beamtenrecht auch für den Ruhestandsbeamten
(entsprechend Tarifrecht für den Beschäftigten) noch Rechte und Pflichten, entscheidend ist jedoch, dass
er nicht mehr in dem typischen, die tägliche Arbeit mitprägenden Zielkonflikt des mit konkret zu
versehenden Aufgaben betrauten Dienstnehmers im Verhältnis zum Vertretungsorgan des Dienstherrn
steht. Dass der Gesetzgeber des KWG nicht nur den endgültig in den Ruhestand getretenen Bediensteten
ins Auge gefasst hat, zeigt die Freistellung des ohne Bezüge Beurlaubten von der
Inkompatibilitätsanforderung.
Der Beginn der Freistellungsphase im Blockmodell der Altersteilzeit beendet nach Überzeugung der
Kammer das aktive Dienstverhältnis i.S.d. kommunalwahlrechtlichen Vorschriften, der Dienstnehmer ist
von diesem Zeitpunkt an nicht mehr "gleichzeitig hauptamtlich tätig" in der von § 5 Abs. 1 KWG
vorausgesetzten Weise.
Denn durch Bewilligung von Altersteilzeit verändern sich die wechselseitigen Rechte und Pflichten des
Beamten und des Dienstherrn aus dem Beamtenverhältnis. Auf Seiten des Beamten setzt die
Rechtsänderung dessen Zustimmung durch den vorgesehenen Antrag voraus. Die antragsgemäße, d.h.
mit Zustimmung des Betroffenen erfolgende Bewilligung der Altersteilzeit durch den Dienstherrn bewirkt in
der Folge die Rechtmäßigkeit der Umgestaltung der beiderseitigen Rechte und Pflichten und bildet die
Grundlage für Eingriffe in die Rechtsstellung des Beamten. An die rechtmäßig ausgesprochene
Bewilligung ist der Dienstherr gebunden und muss, soweit erforderlich, Vorkehrungen für personelle
Folgemaßnahmen treffen. Der Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten im Beamtenverhältnis
widerspräche es, wenn der Beamte gleichwohl nach Altersteilzeitbewilligung die Möglichkeit besäße, sich
einseitig von seiner Zustimmung zu lösen und durch Antragsrücknahme der verfügten Rechtsänderung
nachträglich die Grundlage zu entziehen (VG Ansbach, Urteil vom 08.12.2008 -AN 11 K 07.01770- juris,
m.w.N.). Entsprechende Bindungen erfahren Arbeitgeber und Beschäftigter durch Vereinbarung der
Altersteilzeit.
Insbesondere ist der Dienstherr gehindert, die in § 80 e Abs. 1 S. 3 Landesbeamtengesetz -LBG -
festgelegte Freistellung vom Dienst bis zum Beginn des Ruhestandes aufzuheben, nachdem der Beamte
die von ihm noch zu erbringende Arbeitszeit vollständig erfüllt hat. Das Gleiche gilt für den Beschäftigten
gemäß § 3 des Tarifvertrags zur Regelung der Altersteilzeit - TVATZ - vom 5. Mai 1998. Schließlich ist in
beiden Fällen festgelegt, dass das Dienstverhältnis mit dem Ende der - gesamten - Altersteilzeit endet (§
80 e Abs. 1 LBG, § 9 Abs. 1 TVATZ), sodass ein Konflikt derart, dass der Beamte oder Beschäftigte auf
eine zukünftig wieder auflebende aktive Tätigkeit hin in seinen organschaftlichen Entscheidungen im Rat
befangen sein könnte - was übrigens bei dem nur vom Dienstverhältnis Beurlaubten nicht
ausgeschlossen ist - nicht zu befürchten ist. Dass der Zweck von Unvereinbarkeitsregeln nicht nur durch
das bereits abschließend erfolgte endgültige Ausscheiden erfüllt wird, zeigen auch §§ 30, 31 des
Abgeordnetengesetzes Rheinland-Pfalz, wonach der in den Landtag gewählte Beamte aus seinem Amt
ausscheidet, die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis aber nur ruhen und eine Rückführung in
das frühere Dienstverhältnis auf Antrag des Beamten erfolgt.
Ist danach dem Zweck der Vermeidung von Interessenkollisionen, dem die Inkompatibilitätsbestimmungen
des KWG dienen, mit dem Eintritt in die Freistellungsphase der Altersteilzeit genüge getan, hat der
Antragsteller zur Vermeidung unzumutbarer organschaftlicher Nachteile einen Anspruch auf Bestätigung
seiner Ratsmitgliedschaft. Wegen des Charakters des einstweiligen Anordnungsverfahrens steht die
Verpflichtung freilich unter dem Vorbehalt einer abweichenden Entscheidung in der Hauptsache. Den
Ratssitz bis dahin vakant zu halten wäre ebenso wie die Verpflichtung eines Nachrückers mit ebenfalls
nur vorläufigem Status eine dem Wahlergebnis nicht gerecht werdende Alternative.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 52 Abs. 1, 53
Abs. 3 GKG i.V.m. Ziff. 22.7 Streitwertkatalog (Kopp/Schenke, VwGO, 15.Auflage, Anhang zu § 164).